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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 74 / 00
vom
5. Juni 2002
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
ja
MSA Art. 1, 4, 5; ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 2
a) Zur Zuständigkeit der Heimatbehörden nach dem Minderjährigenschutzabkommen, wenn bereits vor einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Minderjährigen Schutzmaßnahmen im Heimatstaat beantragt oder vorbereitet worden
sind.
b) Zur Anwendbarkeit des Grundsatzes der perpetuatio fori auf die internationale Zuständigkeit.
BGH, Beschluß vom 5. Juni 2002 - XII ZB 74/00 - OLG Stuttgart
AG Besigheim
-2-
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Juni 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz, Dr. Ahlt und Dr. Vézina
beschlossen:
Die weitere Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des 15. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. April 2000 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Wert: 766 € (= 1.500 DM)
Gründe:
I.
Die Parteien streiten im Rahmen des Scheidungsverbundes um die elterliche Sorge für ihre am 8. September 1995 geborene Tochter L. Nach der Mitte
Februar 1998 erfolgten Trennung der Parteien nahm der Antragsgegner das
Kind Anfang März 1998 zu sich und zog mit ihm im Oktober 1998 nach Frankreich, wo es eingeschult wurde. Die Ehe der Eltern ist seit dem 29. Februar
2000 rechtskräftig geschieden. Das Familiengericht hat im Verbundurteil u.a.
der Antragsgegnerin die elterliche Sorge für L. übertragen. Auf die rechtzeitig
eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Familiengerichts hinsichtlich der Sorgerechtsregelung
abgeändert und den Antrag der Mutter, ihr das Sorgerecht zu übertragen, we-
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gen fehlender internationaler Zuständigkeit abgewiesen. Hiergegen wendet sich
die Antragsgegnerin mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen weiteren
Beschwerde.
II.
Die weitere Beschwerde ist nicht begründet. Das Oberlandesgericht hat
seine internationale Zuständigkeit ebenso wie die internationale Zuständigkeit
des Familiengerichts zu Recht und unter zutreffendem Hinweis auf Art. 1 des
Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende
Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961
(BGBl. 1971, II 217; im Folgenden: MSA) verneint.
1. Art. 1 MSA begründet für Schutzmaßnahmen zugunsten eines Minderjährigen eine ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit des Staates, in dem
der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; im Anwendungsbereich
des MSA kann auf die Regeln des autonomen nationalen Rechts über die internationale Zuständigkeit nicht zurückgegriffen werden (Staudinger/Kropholler
BGB 13. Bearb., Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rdn. 25). Die hier im Streit stehende Regelung der elterlichen Sorge für das Kind der Parteien gehört zu den
Schutzmaßnahmen im Sinne des Art. 1 MSA (Senatsbeschluß vom 11. April
1984 - IVb ZB 96/82 - FamRZ 1984, 686, 687).
Das MSA wird auch nicht durch andere vertragsrechtliche Regelungen
verdrängt; insbesondere läßt sich eine internationale Zuständigkeit nicht aus
der - dem MSA vorgehenden - Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom
29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in
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Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für gemeinsame Kinder der Ehegatten (ABl. L 160/19 vom 30. Juni 2000; "Brüssel II")
herleiten. Diese Verordnung gilt nach ihrem Art. 42 nicht für Verfahren, die bereits vor ihrem Inkrafttreten anhängig geworden sind. Das ist hier der Fall, da
die Mutter den Antrag auf Übertragung der Sorge bereits in der mündlichen
Verhandlung vor dem Familiengericht am 20. Januar 1999 gestellt hat.
2. Das Oberlandesgericht geht davon aus, daß das Kind L. seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hat. Diese tatrichterliche Beurteilung läßt
Rechtsfehler nicht erkennen: Das Kind ist inzwischen sechs Jahre alt und lebt
seit seinem dritten Lebensjahr bei dem Antragsteller in Südfrankreich. L. besucht dort die Schule; der Antragsteller ist dort in einer Familie, mit deren Kindern L. offenbar gemeinsam aufwächst, als Erzieher tätig. Beides spricht dafür,
daß der Schwerpunkt der Bindungen des Kindes, also sein Daseinsmittelpunkt
(zu diesen Kriterien vgl. Senatsbeschluß vom 29. Oktober 1980 - IVb ZB
586/80 - FamRZ 1981, 135, 136) in Frankreich liegt.
Der Umstand, daß der Antragsteller das Kind ohne Zustimmung der Antragsgegnerin nach Frankreich verbracht hat, rechtfertigt es nicht, an die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts besonders scharfe Anforderungen zu
stellen (in diese Richtung OLG Hamm FamRZ 1989, 1109, 1110; FamRZ 1991,
1346, 1347). Zwar muß vermieden werden, daß sich ein Elternteil die Zustä ndigkeit ausländischer Gerichte - insbesondere durch "legal kidnapping" - erschleicht. Das war aber hier nicht der Fall: Die Eltern hatten - nachdem sie zuvor wechselseitig das Kind jeweils im Handstreich an sich gebracht hatten Einvernehmen erzielt, daß das Kind bis auf weiteres beim Antragsteller verbleibt und der Antragsgegnerin der Umgang ermöglicht wird. Der Antragsteller
hat dann im Oktober 1998 - im Zuge seiner beruflichen Veränderung nach
Frankreich - die ihm allein überlassene tatsächliche Personensorge genutzt,
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das Kind in seinen Wohnsitzwechsel einzubeziehen. Damit hat er zwar faktisch
die Möglichkeit der Antragsgegnerin zum Umgang mit dem gemeinsamen Kind
unterlaufen oder doch nachhaltig erschwert; eine Erschleichung der Zuständigkeit ausländischer Gerichte liegt darin jedoch um so weniger, als sich durch den
Wohnsitzwechsel an der schon bislang praktizierten Wahrnehmung der tatsächlichen Personensorge für L. durch den Antragsteller nichts geändert hat
und im übrigen auch nicht ersichtlich ist, welchen Vorteil der Antragsteller aus
der Zuständigkeit der französischen Gerichte bei einer künftigen Sorgerechtsregelung ziehen könnte. Die vom Familiengericht in diesem Zusammenhang
getroffenen Sorgerechtsregelungen führen zu keiner anderen Beurteilung des
Verhaltens des Antragstellers; denn die vom Familiengericht angeordnete
einstweilige Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter folgte dem Wohnsitzwechsel des Antragstellers zeitlich ebenso nach wie die damit einhergehende
Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt, mit welcher das Familiengericht Zweifeln an der Erziehungsfähigkeit der Mutter Rechnung tragen wollte (vgl. dessen - vom Oberlandesgericht am 12. April 1999 bestätigten - Beschluß vom 20. Januar 1999). Letztlich kann freilich offenbleiben,
ob und inwieweit das Verhalten des Antragstellers gedacht und geeignet war,
seine Sorgerechtsposition durch die Begründung der Zuständigkeit ausländischer Gerichte zu verbessern. Angesichts der Verweildauer und der sozialen
Einbindung des Kindes in Frankreich wird man nämlich mit dem Oberlandesgericht auch dann von einem gewöhnlichem Aufenthalt des Kindes in Frankreich
ausgehen müssen, wenn man - wie das OLG Hamm (aaO) - an dieses Tatbestandsmerkmal im Einzelfall verschärfte Anforderungen stellt, um einer mißbräuchlichen Veränderung des internationalen Gerichtsstands in Sorgerechtssachen zu begegnen.
3. Eine dem Art. 1 MSA vorrangige Verbundzuständigkeit der deutschen
Gerichte besteht - mangels eines Vorbehalts nach Art. 15 MSA - nicht (Senats-
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beschluß vom 11. November 1984 - IVb ZB 41/82 - FamRZ 1984, 350, 353).
Auch der Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO), auf den sich
die weitere Beschwerde stützt, vermag eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht zu begründen:
a) Es erscheint schon zweifelhaft, ob für das vorliegende Sorgerechtsverfahren überhaupt eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte
begründet war, welche - die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des
Grundsatzes der perpetuatio fori unterstellt - den Wechsel des gewöhnlichen
Aufenthalts des Kindes überdauern könnte.
Aus dem am 20. März 1998 - vor dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts - im Zwangsverbund mit der Scheidung anhängig gewordenen Sorgerechtsverfahren läßt sich eine solche fortdauernde Zuständigkeit des Familiengerichts und des Oberlandesgerichts nicht herleiten. Dieses Verfahren ist nämlich - im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Wegfall einer amtswegigen Sorgerechtsentscheidung im Scheidungsfall - gemäß Art. 15 § 2 Abs. 4 KindRG als
erledigt anzusehen, nachdem kein Elternteil bis zum 31. Oktober 1998 einen
Antrag auf Übertragung der Alleinsorge gestellt hatte.
Auch das von der Antragsgegnerin etwa zeitgleich mit dem Scheidungsantrag des Antragstellers im März 1998 eingeleitete gesonderte Verfahren auf
Regelung der elterlichen Sorge bei Getrenntleben (§ 1672 BGB a.F.) vermag
eine Zuständigkeit des deutschen Familiengerichts für die mit der Beschwerde
angegriffene Sorgerechtsregelung nicht zu begründen. Die angegriffene Entscheidung ist nämlich nicht in jenem Verfahren ergangen. Sie beruht vielmehr
auf dem am 20. Januar 1999 - im Rahmen des Scheidungsverfahrens - gestellten Antrag der Mutter, ihr die Alleinsorge zu übertragen.
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Mit diesem Antrag ist das Sorgerechtsverfahren zwar - wie schon zuvor
aufgrund des Scheidungsantrags - erneut als Folgesache anhängig geworden
(§ 623 Abs. 3 ZPO). Das bedeutet aber nicht, daß der Sorgerechtsantrag vom
20. Januar 1999 nunmehr rückwirkend als zugleich mit dem Scheidungsantrag
rechtshängig geworden anzusehen ist. Eine perpetuatio fori könnte deshalb
überhaupt nur Platz greifen, wenn für die Sorgerechtsregelung eine internationale Zuständigkeit des deutschen Familiengerichts bereits am 20. Januar 1999
- als dem Zeitpunkt, in dem die Mutter im Scheidungsverfahren die Übertragung
des Sorgerechts auf sich beantragt hatte - begründet war. Zwar hat das Familiengericht noch am 20. Januar 1999 durch eine einstweilige Anordnung die elterliche Sorge der Mutter und das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Jugendamt übertragen; auch hat das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 12. April
1999 diese einstweilige Anordnung bestätigt. Die Frage, ob das Kind L. zu diesem Zeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt bereits in Frankreich hatte und
damit eine Zuständigkeit der französischen Gerichte nach Art. 1 MSA begründet
war, welche die Zuständigkeit von Familiengericht und Oberlandesgericht für
die einstweilige Sorgerechtsregelung ausschloß, wird jedoch in beiden Entscheidungen nicht erörtert. Diese Frage wird sich nicht ohne weiteres - als
selbstverständlich - verneinen lassen. Immerhin hatte das Kind im Zeitpunkt der
einstweiligen Anordnung bereits vier Monate, im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung sogar sechs Monate mit seinem Vater in Frankreich gelebt; auch
hatte der Vater bereits Grundlagen für einen längerfristigen Aufenthalt des Kindes und dessen Integration in seine französische Umgebung geschaffen. Letztlich kann diese vorrangig vom Tatrichter zu beantwortende Frage hier aber offenbleiben.
b) Auch wenn nämlich für den von der Mutter am 20. Januar 1999 gestellten Sorgerechtsantrag ursprünglich eine internationale Zuständigkeit der
deutschen Gerichte begründet war, so könnte eine solche Zuständigkeit den-
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noch nicht (entsprechend § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) in der Weise fortwirken, daß
die später begründete ausschließliche Zuständigkeit der französischen Gerichte, die sich aus Art. 1 MSA herleitet, dahinter zurücktritt.
Die Frage, ob der Grundsatz der perpetuatio fori überhaupt FGG-Verfah
ren erfaßt, wird zum Teil verneint (vgl. etwa OLG Hamm FamRZ 1991, aaO
1347). Außerdem ist umstritten, ob dieser Grundsatz auch für die internationale
Zuständigkeit gilt (verneinend etwa Damrau FS für Bosch 1976, 103, 112 ff.;
generell bejahend BAG JZ 1979, 647, 648 m. Anm. Geimer aaO 648 f.;
BayObLG FamRZ 1993, 1469; Zöller/Greger ZPO 22. Aufl. § 261 Rdn. 12;
Geimer IZPR Rdn. 1830 ff, 1835; einschränkend Stein/Jonas/Schumann ZPO
1997 § 261 Rdn. 86; MünchKomm/Lüke ZPO 2. Aufl., § 261 Rdn. 87; Musielak/Foerste ZPO 2. Aufl., § 261 Rdn. 14; Walchshöfer ZZP 80 (1967), 165, 226 f.). Diese Streitfragen bedürfen hier aber keiner Entscheidung. Auch kann dahin stehen, ob man die vertragsrechtliche ausschließliche Zuständigkeitsregel des
Art. 1 MSA aufgrund eines aus dem autonomen nationalen Recht - hier aus
§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO - hergeleiteten Grundsatzes einschränken darf, ohne
daß ein Vorbehalt im MSA eine solche Einschränkung rechtfertigt. Für eine entsprechende Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO auf die internationale Zuständigkeit für FGG-Verfahren ist - worauf auch das Oberlandesgericht zu
Recht hinweist - nämlich dann kein Raum, wenn die internationale Zuständigkeit in einem völkerrechtlichen Vertrag besonders geregelt ist und diese Regelung einen Schutzzweck verfolgt, der bei Anwendung des perpetuatio-Grundsatzes unterlaufen würde (vgl. auch Stein/Jonas/Schumann ZPO 21. Aufl.,
§ 261 Rdn. 86). So liegen die Dinge hier:
Das MSA trifft in seinem Art. 5 eine - unvollkommene - Regelung für den
Fall, daß der gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen in einen anderen Ver-
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tragsstaat verlegt wird: Maßnahmen, welche die Behörden des Staates des früheren gewöhnlichen Aufenthalts bereits getroffen haben, bleiben dann so lange
in Kraft, bis die Behörden des neuen gewöhnlichen Aufenthalts sie aufheben
oder ersetzen (Art. 5 Abs. 1 MSA). Nicht ausdrücklich geregelt ist die Frage, wie
zu verfahren ist, wenn Maßnahmen zwar vor dem Aufenthaltswechsel beantragt
oder vorbereitet worden sind, aber nicht mehr rechtzeitig getroffen werden können. Die Antwort ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Art. 1 und Art. 5
MSA: Mit dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts erlischt die Zuständigkeit
der Behörden am bisherigen Aufenthaltsort; zuständig werden die Behörden
des Staates, in dem der neue gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen begründet wird. Maßnahmen sollen deshalb am Ort des früheren gewöhnlichen
Aufenthalts nicht mehr getroffen werden können - und zwar auch dann nicht,
wenn sie dort bereits beantragt oder sogar schon vorbereitet worden sind. Dieses Prinzip rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß die Behörden am neuen
Aufenthaltsort die aktuelle Situation des Minderjährigen - d.h. seine familiären
und sozialen Verhältnisse, die bei der Prüfung und Handhabung von Schutzmaßnahmen im Vordergrund stehen - am schnellsten und besten beurteilen
können und dabei die Möglichkeit haben, mit den Behörden des früheren Aufenthalts zusammenzuarbeiten (Staudinger/Kropholler BGB 13. Bearb., Vorbem.
zu Art. 19 EGBGB Rdn. 147).
Daraus folgt, daß für eine Anwendung des Grundsatzes der perpetuatio
fori kein Raum ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - der gewöhnliche Aufenthalt
eines Minderjährigen in einen anderen Vertragsstaat verlegt wird, während im
Inland ein gerichtliches Verfahren anhängig ist und in diesem Verfahren eine
Tatsacheninstanz über eine Schutzmaßnahme im Sinne des Art. 1 MSA zu entscheiden hat. In diesem Falle ist die Schutzmaßnahme noch nicht im Sinne des
Art. 5 MSA "getroffen" und der mit ihr befaßte Tatrichter international nicht mehr
zuständig. An der in einem solchen Fall fehlenden internationalen Zuständigkeit
- 10 -
der inländischen Gerichte ändert sich naturgemäß auch dann nichts, wenn - wie
hier geschehen - das erstinstanzliche Gericht in Verkennung seiner fehlenden
internationalen Zuständigkeit die Schutzmaßnahme erläßt und sodann das B eschwerdegericht mit dieser Schutzmaßnahme befaßt wird. In diesem Fall hat
- wie vom Oberlandesgericht zutreffend erkannt - das Beschwerdegericht die
Schutzmaßnahme ersatzlos aufzuheben. Art. 5 MSA ändert an der Notwendigkeit einer solchen Aufhebung nichts: Der von dieser Vorschrift gewährte Bestandsschutz gilt nämlich nur für solche Schutzmaßnahmen, welche die Behörden des bisherigen Aufenthaltsortes im Rahmen der ihnen vom MSA zuerkannten Zuständigkeit getroffen haben. Er hat keineswegs die Aufgabe, die
Geltung von Schutzmaßnahmen - hier die Sorgerechtsregelung des Familiengerichts - fortzuschreiben, die unter Verstoß gegen die vom MSA vorgenommene Zuständigkeitsverteilung erlassen worden sind.
4. Die angefochtene Entscheidung ist auch nicht - wie die weitere Beschwerde meint - deshalb fehlerhaft, weil das Oberlandesgericht sein Ermessen
für die Inanspruchnahme der ihm von Art. 4 MSA eröffneten Zuständigkeit der
Behörden des Heimatstaates nicht ausgeschöpft hat; denn die Voraussetzungen, unter denen Art. 4 MSA den Behörden des Heimatstaates eines Minderjährigen die Anordnung von Schutzmaßnahmen gestattet, liegen ersichtlich
nicht vor. Der in Art. 1 MSA festgelegten vorrangigen Zuständigkeit der Behörden des Staates, in dem ein Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat,
liegt - wie ausgeführt - der Gedanke zugrunde, daß die Behörden am Ort des
gewöhnlichen Aufenthalts die für Notwendigkeit, Art und Umfang von Schutzmaßnahmen maßgebenden sozialen und familiären Verhältnisse des Minde rjährigen am besten und schnellsten ermitteln können. Deshalb eröffnet Art. 4
MSA eine konkurrierende Zuständigkeit der heimatstaatlichen Behörden im
Grundsatz nur dann, wenn aufgrund besonderer Umstände ein Eingreifen der
Heimatbehörden dem Wohl des Minderjährigen mehr dient und seinen Schutz
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besser gewährleistet als ein Handeln der Behörden des Aufenthaltsstaates.
Dafür sind Anhaltspunkte im vorliegenden Fall nicht ersichtlich: Bei der zu treffenden Sorgerechtsregelung müssen die konkreten Lebensverhältnisse des
Kindes umfassend aufgeklärt und die Beteiligten persönlich gehört werden
(§§ 12, 50 a ff. FGG). Dies wird sich nur ortsnah und nicht ohne Mithilfe der Behörden des Aufenthaltsstaates durchführen lassen. Beides spricht für die vorrangige Zuständigkeit der französischen Behörden. Mit deren Schutzkompetenz
wird zudem der Gleichklang zwischen behördlicher Zuständigkeit und anwendbarem Recht verbürgt (Art. 2 MSA; Art. 21 EGBGB) und sichergestellt, daß die
französischen Behörden für die Durchführung der von ihnen zu treffenden
Schutzmaßnahmen Sorge zu tragen haben (vgl. Art. 4 Abs. 3 MSA). Daß die
französischen Behörden nicht willens wären, solche Maßnahmen zu treffen, ist
nicht vorgetragen; auch andere - besondere - Umstände, die ein Eingreifen gerade der Heimatbehörden als im Kindesinteresse geboten erscheinen lassen,
sind nicht erkennbar.
Hahne
Weber-Monecke
Bundesrichter Dr. Ahlt ist
krankheitshalber verhindert
zu unterschreiben.
Hahne
Wagenitz
Vézina