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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 36/17
vom
21. Juni 2017
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 276 Abs. 1 Satz 1, 280 Abs. 2 Satz 1
a) Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstellung des Gutachtens
persönlich zu untersuchen oder zu befragen; eine Begutachtung nach Aktenlage ist grundsätzlich nicht zulässig (im Anschluss an Senatsbeschluss vom
20. August 2014 - XII ZB 179/14 - FamRZ 2014, 1917).
b) Ist Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen und werden seine Interessen im
Betreuungsverfahren nicht von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten, so ist eine Verfahrenspflegschaft nur dann nicht anzuordnen, wenn sie nach den gegebenen Umständen einen rein formalen Charakter hätte (im Anschluss an Senatsbeschluss
vom 16. März 2016 - XII ZB 203/14 - NJW 2016, 1828).
BGH, Beschluss vom 21. Juni 2017 - XII ZB 36/17 - LG Oldenburg
AG Vechta
ECLI:DE:BGH:2017:210617BXIIZB36.17.0
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juni 2017 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling,
Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der
Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom
16. Dezember 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Beschwerdewert: 5.000 €
Gründe:
I.
1
Die 84jährige Betroffene leidet an einer fortgeschrittenen Demenz, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Sie hatte
einer ihrer Töchter, der Beteiligten zu 1, im Jahr 2011 umfassende notarielle
Vollmacht erteilt. Durch weitere notarielle Urkunde vom 30. Juni 2014 widerrief
die Betroffene diese Vollmacht, erteilte ihrer anderen Tochter, der Beteiligten
zu 2, Vorsorgevollmacht und errichtete eine Patienten- und Betreuungsverfügung.
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2
Die Beteiligte zu 1 hat beim Amtsgericht angeregt, zur Betreuerin für die
Betroffene bestellt zu werden. Das Amtsgericht hat die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt, weil die Betroffene jedenfalls durch eine ihrer Töchter aufgrund erteilter Vollmacht vertreten werden könne. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht die Einrichtung einer Betreuung für alle Angelegenheiten angeordnet und dem Amtsgericht die Auswahl des Betreuers aufgegeben. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1, mit
der sie nunmehr die Einstellung des Betreuungsverfahrens verfolgt.
II.
3
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG
statthaft. Die Beschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 1 im Interesse der Betroffenen folgt aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG, nachdem sie als Abkömmling der
Betroffenen im ersten Rechtszug beteiligt worden war. Ihre Beschwerdebefugnis entfällt nicht dadurch, dass sie zunächst selbst die Einrichtung einer Betreuung angeregt und mit der Erstbeschwerde verfolgt hat, während sie nunmehr
auf Einstellung des Verfahrens anträgt.
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2. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Bei bestehendem Unterstützungsbedarf sei die Betreuung nicht angesichts der
erteilten Vollmachten entbehrlich. Die der Beteiligten zu 2 erteilte Vollmacht sei
nichtig, da die Betroffene im Zeitpunkt deren Errichtung geschäftsunfähig gewesen sei. Die Beteiligte zu 1 hingegen sei ungeeignet, auf Grundlage der ihr
erteilten Vollmacht die Angelegenheiten der Betroffenen wahrzunehmen. Bereits die räumliche Entfernung zwischen der in Berlin lebenden Beschwerdefüh-
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rerin und der in Vechta lebenden Betroffenen erschwere die rechtliche Vertretung, weil bei der Versorgung eines in allen Bereichen komplett pflegebedürftigen Menschen mit Notsituationen zu rechnen sei, die ein promptes Tätigwerden
erfordern, was ein ortsansässiger Vertreter besser leisten könne. Vor allem
aber das komplette Zerwürfnis mit ihrer Schwester lasse eine Vertretung durch
diese aussichtslos erscheinen. Die Pflegerin drohe im Streit der Schwestern
aufgerieben zu werden, weil jede versuche, sie auf ihre Seite zu ziehen. Da
auch das Verhältnis der Beteiligten zu 1 zu ihrem Bruder schlecht sei, sei eine
Berufsbetreuung einzurichten. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Betroffene mit der Vollmachterteilung an die Beteiligte zu 1 zugleich sie als Betreuerin vorgeschlagen habe. Einem solchen Vorschlag wäre auch nicht zu entsprechen, da er dem Wohl der Betroffenen zuwiderliefe.
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3. Die angegriffene Entscheidung hält den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
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a) Das Landgericht hätte das Gutachten seiner Entscheidung nicht zugrunde legen dürfen, weil der Sachverständige die Betroffene nicht persönlich
untersucht hat. Gemäß § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG hat der Sachverständige
den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen
oder zu befragen. Ein ohne die erforderliche persönliche Untersuchung erstattetes Sachverständigengutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar (Senatsbeschluss vom 20. August 2014 - XII ZB 179/14 - FamRZ 2014, 1917 Rn. 10
mwN). Dieser Grundsatz besteht unabhängig davon, ob aus ärztlicher Sicht
auch bereits auf der Grundlage anderer Erkenntnisse, etwa aus bildgebenden
Verfahren, der sichere Schluss auf eine erkrankungsbedingte Betreuungsbedürftigkeit gezogen werden könnte.
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b) Ferner rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers fehlerhaft unterblieben ist.
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aa) Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen
einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung
in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die
Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1
FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist
die Nichtbestellung zu begründen. Dabei unterfällt es der Überprüfung durch
das Rechtsbeschwerdegericht, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist (Senatsbeschluss vom
16. März 2016 - XII ZB 203/14 - NJW 2016, 1828 Rn. 8 mwN).
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bb) Da die Interessen der Betroffenen im Betreuungsverfahren nicht von
einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 276 Abs. 4 FamFG vertreten worden sind, hätte nach § 276 Abs. 2
Satz 1 FamFG nur unter den genannten Voraussetzungen von der Bestellung
eines Verfahrenspflegers abgesehen werden dürfen. Eine Verfahrenspflegschaft ist nur dann nicht anzuordnen, wenn sie nach den gegebenen Umständen einen rein formalen Charakter hätte (Senatsbeschluss vom 16. März 2016
- XII ZB 203/14 - NJW 2016, 1828 Rn. 11 mwN). Ob es sich um einen solchen
Ausnahmefall handelt, ist anhand der gemäß § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen.
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cc) Zu Recht beanstandet die Rechtsbeschwerde, dass die vom Landgericht für ein Absehen von der Bestellung eines Verfahrenspflegers gegebene
Begründung nicht trägt. Das Landgericht hat insoweit ausgeführt, dass die in
Widerstreit stehenden Interessen der Familienangehörigen hinreichend durch
deren Verfahrensbevollmächtigte dargelegt worden seien. Zu dem massiven
Eingriff in die Rechte der Betroffenen durch Einrichtung einer umfassenden Betreuung gebe es angesichts der fortgeschrittenen Demenz keine Alternative.
Zur Wahrung ihrer Rechte sei deshalb die Bestellung eines Verfahrenspflegers
nicht erforderlich, weil dieser nicht ernsthaft in Zweifel ziehen könnte, dass sie
einer umfassenden Betreuung bedürfe.
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Diese Begründung geht fehl, weil es auf die Offenkundigkeit insoweit
nicht ankommt und die Verfahrenspflegerbestellung gerade auch in diesem Fall
das rechtliche Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisten soll (Senatsbeschluss vom 28. Mai 2014 - XII ZB 705/13 - FamRZ 2014, 1446 Rn. 8). Das gilt
umso mehr, wenn die vermeintliche Offenkundigkeit auf einem verfahrensfehlerhaft erstatteten Gutachten beruht. Im Übrigen verkennt das Landgericht, dass
die Verfahrenspflegschaft auch dazu dient, die Interessen der Betroffenen unbeeinflusst von widerstreitenden Interessen ihrer Abkömmlinge herauszuarbeiten und zur Geltung zu bringen.
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dd) Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf diesem Verfahrensfehler. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass das Beschwerdegericht
nach Hinzuziehung eines Verfahrenspflegers aufgrund dessen Stellungnahme
zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
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4. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der
Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.
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5. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen,
weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose
Klinkhammer
Nedden-Boeger
Schilling
Guhling
Vorinstanzen:
AG Vechta, Entscheidung vom 15.10.2014 - 14 XVII K 852 LG Oldenburg, Entscheidung vom 16.12.2016 - 8 T 221/15 -