Cyberlaywer/build/tfgpu-cyberlaywer/EndDokumente/vii_zr__31-03.pdf.txt
2023-03-06 15:36:57 +01:00

161 lines
No EOL
10 KiB
Text
Raw Blame History

This file contains invisible Unicode characters

This file contains invisible Unicode characters that are indistinguishable to humans but may be processed differently by a computer. If you think that this is intentional, you can safely ignore this warning. Use the Escape button to reveal them.

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 31/03
Verkündet am:
11. Dezember 2003
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
AGBG § 1 Abs. 1
Für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen können auch
dann vorliegen, wenn die Bedingungen nicht gegenüber verschiedenen Vertragsparteien verwendet werden sollen.
BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - VII ZR 31/03 - OLG München
LG München I
-2-
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Dezember 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die
Richter Hausmann, Dr. Wiebel, Dr. Kuffer und Bauner
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts München vom 10. Dezember 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an einen anderen Senat
des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz.
Sie erwarb von der B. GmbH ein von dieser zu sanierendes Geschäftshaus. Mit der Beklagten schloß sie einen Ingenieurvertrag über Mängelerfassung während der Bauausführung. Die Klägerin lastet der Beklagten an, gravierende Mängel nicht erkannt zu haben. Deshalb habe sie einen völlig unzureichenden Gewährleistungseinbehalt vorgenommen. Wegen des Vermögensverfalls der B. GmbH seien Ersatzansprüche gegen diese nicht mehr zu realisieren.
-3-
Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos, weil die Gerichte einen
Haftungsausschluß in Nr. 7 Abs. 4 des Vertrages für wirksam gehalten hatten,
der lautet:
"Der Auftraggeber (= Klägerin) erkennt an, daß durch die vertragsgemäße Tätigkeit des Auftragnehmers (= Beklagte) eine vollständige Mängelfreiheit des Untersuchungsobjekts nicht zwingend erreicht werden kann.
Die T. GmbH (= Beklagte) übernimmt somit keinerlei Haftung für Schadensersatzansprüche jeder Art infolge nicht erkannter, verdeckter oder
sonstiger Mängel."
Der Senat hat mit Urteil vom 11. Oktober 2001 (VII ZR 475/00, BGHZ
149, 57) das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Er hat beanstandet, daß das Berufungsgericht es offengelassen habe, ob
der Haftungsausschluß in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart worden sei. In diesem Fall verstoße er gegen § 9 AGBG.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin erneut zurückgewiesen. Nachdem der Senat der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben hat, verfolgt diese ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts.
-4-
Das für das Schuldverhältnis maßgebliche Recht richtet sich nach den
bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
I.
1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß es sich bei der Klausel in
Nr. 7 Abs. 4 des Ingenieurvertrages nicht um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, sondern um eine Individualvereinbarung handle. Die für das Vorliegen
Allgemeiner Geschäftsbedingungen beweispflichtige Klägerin habe den Beweis
dafür nicht geführt. Der Darlegungs- und Beweislast sei die Klägerin durch
Vorlage des Vertrages vom 30. August/4. Oktober 1994 noch nicht nachgekommen. Der vorliegende Vertrag sei dem ersten Anschein nach kein Formularvertrag. Er enthalte keine formelhaften Klauseln, sondern eine Reihe offensichtlich individueller Vereinbarungen über das Untersuchungsobjekt, den Untersuchungsplan, die Vergütung und die Einbeziehung des Angebotes vom
11. August 1994. Die Vertragsurkunde sei kein gedrucktes oder sonst vervielfältigtes Klauselwerk oder Muster der Beklagten.
Es liege auch keine mehrfache Verwendung der fraglichen Klausel vor.
Die Beurteilung aller Umstände des Einzelfalles ergebe noch keine vielfache
Verwendung. Die Beklagte habe die Klausel insgesamt dreimal verwendet, wobei die Klausel zweimal in Verträgen mit der Klägerin am selben Tag gebraucht
worden sei. Dies rechtfertige nicht den Schluß auf die Wiederholung einer vorformulierten Klausel. Für den Vertragspartner wäre es unverständlich, wenn ein
Partner bei Verträgen über identische Leistungen am selben Tag verschiedene
vertragliche Vereinbarungen träfe.
-5-
2. Selbst wenn es sich bei § 7 Nr. 4 des Vertrages um eine Allgemeine
Geschäftsbedingung handle, ergebe sich nichts anderes, weil "obendrein" in
Nr. 12 Abs. 2 des Vertrages in Verbindung mit dem Angebot vom 11. August
1994 ein Ausschluß für nicht erkannte Mängel individuell vereinbart worden sei.
Es gebe nicht die geringsten Anhaltspunkte, daß es sich bei der Klausel
"T. (= Beklagte) ist bemüht, die Schaffung eines weitgehend mängelfreien Bauvorhabens zu unterstützen. Eine 100%ige Mängelfreiheit ist jedoch nicht zu erreichen. T. (= Beklagte) übernimmt keinerlei Haftung bei
Folgen infolge nicht bekannter Mängel."
um ein vielfach verwendetes Formular handle.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelt es sich bei dem
Haftungsausschluß in Nr. 7 Abs. 4 des Ingenieurvertrags um eine Allgemeine
Geschäftsbedingung i.S. des § 1 Abs. 1 AGBG.
a) Vertragsbedingungen im Sinne des § 1 Abs. 1 AGBG sind für eine
Vielzahl von Verträgen bereits dann vorformuliert, wenn ihre dreimalige Verwendung beabsichtigt ist (BGH, Urteil vom 27. September 2001 - VII ZR
388/00, NJW 2002, 138 = BauR 2002, 83 = ZfBR 2002, 63).
Die Absicht der dreimaligen Verwendung ist hier schon damit belegt, daß
die Beklagte die Haftungsklausel in insgesamt drei Verträgen am selben Tag
verwendet hat. Ohne Bedeutung ist dabei, daß zwei der drei Verträge mit der
Klägerin geschlossen wurden. Dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AGBG läßt sich die
-6-
einschränkende Auslegung des Berufungsgerichts nicht entnehmen, es müsse
eine Verwendung gegenüber verschiedenen Vertragspartnern vorliegen. Er
spricht im Zusammenhang der Vorformulierung nicht vom Vertragspartner des
Verwenders, sondern von einer Vielzahl von Verträgen. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift belegt dieses Verständnis. Bereits der Entwurf eines
Gesetzes über Allgemeine Geschäftsbedingungen (GAGB, BT-Drucks. 7/3200)
handelt von einer "Vielzahl von Rechtsgeschäften". Im Entwurf des Gesetzes
zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBGesetz, BT-Drucks. 7/3919) wird der Begriff erstmals und bis zur endgültigen
Fassung gleichbleibend mit einer "Vielzahl von Verträgen" definiert. Ein einschränkendes Verständnis dahin, daß damit eine Vielzahl von Vertragspartnern
gemeint sein könnte, findet sich in den Materialien nicht. Es widerspräche auch
dem Zweck des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Schutzzweck des AGB-Gesetzes ist, die einseitige Ausnutzung der Vertragsgestaltungsfreiheit durch eine Vertragspartei zu verhindern (BGH, Urteil vom
30. Januar 1994 - VII ZR 116/93, BGHZ 126, 326, 333 m.w.N.). Um eine derart
einseitige Inanspruchnahme des Rechts, den Inhalt eines Vertrages zu gestalten, handelt es sich auch, wenn dieses Recht nur gegenüber einem Vertragspartner in einer Vielzahl von Verträgen ausgeübt wird. Verfehlt ist daher die Ansicht des Berufungsgerichts, durch die zweifache Verwendung der Vertragsklausel gegenüber der Klägerin und eine weitere Verwendung gegenüber einer
anderen Partei sei die Absicht der Vielfachverwendung nicht belegt.
b) Nicht gefolgt werden kann zudem der Meinung des Berufungsgerichts,
daß der Vertrag dem ersten Anschein nach kein Formularvertrag sei. Das Berufungsgericht erkennt zwar, daß es für das Vorliegen Allgemeiner Geschäftsbedingungen spricht, wenn der Vertrag erkennbar auf einem Muster beruht
(BGH, Urteil vom 14. Mai 1992 - VII ZR 204/90, BGHZ 118, 229, 238). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts spricht der erste Anschein dafür, daß
-7-
der Ingenieurvertrag und die vollkommen gleich gestalteten anderen Verträge
Formularverträge sind. Sie sind nach Aufbau, Inhalt und Wortlaut bis auf wenige
Worte identisch. Der äußere Anschein für eine mehrfache Verwendung wird
nicht dadurch in Frage gestellt, daß das Untersuchungsobjekt, der Untersuchungsplan, der die Zahl der Mängelerfassungen regelt, und die davon abhängige Vergütung individuell beschrieben werden.
2. Auch durch die Einbeziehung des Vertragsangebotes vom 11. August
1994 in den Vertrag durch die Bezugnahme in Nr. 12 des Ingenieurvertrages ist
der Haftungsausschluß nicht individuell vereinbart worden.
Das Angebot vom 11. August 1994 stimmt insoweit vollständig mit Nr. 7
des Vertrags überein als es die Formulierung aufweist, die Beklagte sei "bemüht, die Schaffung eines weitgehend mangelfreien Bauvorhabens zu unterstützen", sowie daß eine "vollständige" (bzw. "hundertprozentige") Mängelfreiheit nicht (bzw. "nicht zwingend") zu erreichen sei.
Im übrigen findet sich im Angebot statt der Formulierung im Vertrag
"übernimmt keinerlei Haftung für Schadensersatzforderungen jedweder Art infolge nicht erkannter, verdeckter oder sonstiger Mängel" die Formulierung
"übernimmt keinerlei Haftung bei Folgen infolge nicht erkannter Mängel".
Daß durch diese sprachlich kaum mehr verständliche Formulierung eine
andere Haftungsregelung als im Ingenieurvertrag vereinbart werden sollte, erschließt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn der Vertragsklausel.
Vielmehr sind bei Gesamtbetrachtung das Angebot und der Vertrag dahin zu
verstehen, daß der schon im Angebot zum Ausdruck gebrachten Intention der
Beklagten entsprechend die Haftung für nicht erkannte Mängel ausgeschlossen
sein sollte, gleichviel, ob es sich um verdeckte oder sonstige, d.h. nicht verdeckte Mängel handelt. Dies ist auch der Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbe-
-8-
dingungen in Nr. 7 Abs. 4 des Ingenieurvertrages. Sie verliert nicht diese Qualität dadurch, daß individuell hierauf Bezug genommen wird (vgl. BGH Urteil
vom 27. April 1988 - VIII ZR 84/87, BGHZ 104, 232, 236 m.w.N.).
III.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch und verweist die Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts
zurück.
Dressler
Hausmann
Kuffer
Wiebel
Bauner