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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 2/00
vom
4. Juli 2000
in dem Rechtsstreit
-2-
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Juli 2000 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler und
Dr. Greiner
beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 2) wird der Beschluß des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt vom
17. Dezember 1999 aufgehoben.
Dem Beklagten zu 2) wird gegen die Versäumung der Frist zur
Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts
Frankfurt vom 28. Juni 1999 Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt.
Die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil wird ohne Sicherheitsleistung eingestellt.
Gründe:
I.
Dem Rechtsstreit liegt ein Arbeitsunfall zugrunde, bei dem ein Mitarbeiter der Beklagten zu 1) verletzt worden ist und der Beklagte zu 2) als Montageleiter für die Baustelle verantwortlich war. Das Landgericht hat durch Urteil
vom 28. Juli 1999 beide Beklagte als Gesamtschuldner zur Zahlung einer Re-
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greßforderung gemäß §§ 640 Abs. 1, 641 RVO in Höhe von 473.461,69 DM
nebst Zinsen verurteilt. Gegen das beiden Beklagten am 2. Juli 1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte zu 1) am 30. Juli 1999 Berufung eingelegt. Der
Beklagte zu 2) hat am 23. September 1999 Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist sowie die
einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt.
Zur Begründung hat er vorgebracht, schon vor dem Prozeß habe ihm
der damalige Geschäftsführer der Beklagten zu 1) auf seine Frage erklärt, er
solle in dieser Angelegenheit nichts unternehmen, die Beklagte zu 1) werde
sich darum kümmern. Nach Klagezustellung habe ihm der neue Geschäftsführer der Beklagten zu 1) auf erneutes Befragen erklärt, er stehe zu dieser Vereinbarung. Deshalb sei er davon ausgegangen, daß er selbst keinen Rechtsanwalt beauftragen müsse und dies auch für die Berufungsinstanz gelte. Tatsächlich habe die Beklagte zu 1) im ersten Rechtszug ihren damaligen Prozeßbevollmächtigten auch beauftragt, ihn gerichtlich zu vertreten. Der unmittelbar vor Zustellung des landgerichtlichen Urteils zum Mitgeschäftsführer bestellte Herr H. habe die Angelegenheit des Rechtsstreits "an sich gezogen" und
nach erteilter Deckungszusage des Betriebshaftpflichtversicherers die nunmehrigen Prozeßbevollmächtigten mit der Einlegung der Berufung beauftragt, ohne
dabei ausdrücklich zu erklären, daß die Berufung auch im Namen des Beklagten zu 2) eingelegt werden solle. Dieser habe erst durch ein Schreiben der
Klägerin, in dem sie ihn unter Androhung der Zwangsvollstreckung zur Zahlung
der Urteilssumme aufgefordert habe, erfahren, daß in seinem Namen keine
Berufung eingelegt worden sei.
Der Beklagte zu 2) hat geltend gemacht, bei dieser Sachlage sei er ohne
Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen. Eine
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Verschuldenszurechnung gemäß § 85 Abs. 2 ZPO komme nicht in Betracht, da
die Beklagte zu 1) ihn angewiesen habe, in dieser Angelegenheit keine weiteren Schritte zu unternehmen und sie mit der Übernahme der Prozeßführung
auch von ihrem Direktionsrecht Gebrauch gemacht habe.
Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluß die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf Einstellung der
Zwangsvollstreckung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Beklagte zu 1) die erforderliche Klarstellung gegenüber dem
Rechtsanwalt, daß die Berufung auch für den Beklagten zu 2) eingelegt werden
solle, unterlassen habe und dieser sich das Versäumnis gemäß § 85 Abs. 2
ZPO zurechnen lassen müsse.
Gegen den am 3. Januar 2000 zugestellten Beschluß hat der Beklagte
zu 2) mit am 13. Januar 2000 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde
eingelegt und erneut beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des
Landgerichts ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 550.300 DM einstweilen einzustellen. Hierzu hat er unter Vorlage
einer eidesstattlichen Versicherung dargelegt, daß er bei seinen Einkommensund Vermögensverhältnissen nicht zur Sicherheitsleistung in der Lage sei und
die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
II.
1. Das zulässige Rechtsmittel erweist sich in der Sache als begründet.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäu-
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mung der Berufungsfrist gemäß § 233 ZPO vor, da der Beschwerdeführer ohne
sein Verschulden an der rechtzeitigen Einlegung der Berufung gehindert war.
Er hat durch die von ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nämlich
glaubhaft gemacht, daß er darauf vertrauen durfte, daß die Beklagte zu 1)
rechtzeitig einen Rechtsanwalt mit der Einlegung der Berufung auch für ihn
beauftragen werde.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen,
daß die Beklagte zu 1) dies beabsichtigt, tatsächlich jedoch dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten keinen ausdrücklichen Auftrag erteilt hat, die
Berufung auch im Namen des Beschwerdeführers einzulegen. Dabei ist unter
den Umständen des Streitfalls anzunehmen, daß diesen Rechtsanwalt die Verpflichtung zur Klarstellung traf, ob im Hinblick auf das erstinstanzliche Urteil,
durch das beide Beklagten verurteilt worden waren, auch die Berufung von
beiden Seiten eingelegt werden sollte, und daß eine solche Klarstellung von
seiten des Anwalts nicht erfolgt ist. Ein sich hieraus ergebendes Verschulden
des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten kann jedoch dem Beschwerdeführer nicht zugerechnet werden, weil dieser Rechtsanwalt wegen des fehlenden Rechtsmittelauftrags nicht als sein Bevollmächtigter im Sinne des § 85
Abs. 2 ZPO angesehen werden kann.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der beantragten
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht die Zurechnung eines Verschuldens der Beklagten zu 1) entgegen. Das Berufungsgericht will ein solches
Verschulden darin sehen, daß die Beklagte zu 1) bei Erteilung des Rechtsmittelauftrags nicht klargestellt habe, daß dieser auch für den Beschwerdeführer
gelten solle. Insoweit erweist sich zwar der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts als zutreffend, wonach die Partei außer für eigenes und das Verschulden
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ihres anwaltlichen Bevollmächtigten auch für das Verschulden eines Nichtanwalts einzustehen hat, dem sie es überlassen hat, einen Rechtsanwalt mit der
Führung des Prozesses oder der Einlegung eines Rechtsmittels zu beauftragen
(Senatsbeschluß vom 7. März 1995 - VI ZB 3/95 - NJW-RR 1995, 825, 826;
BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 1983 - II ZR 122/83 - VersR 1983, 1082 f.
und vom 10. Juli 1985 - IV ZB 102/84 - VersR 1985, 1185, 1186). Von daher
könnte dem Beschwerdeführer ein Verschulden der Beklagten zu 1) grundsätzlich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden.
Ein nach dieser Vorschrift zurechenbares Verschulden ist jedoch unter
den besonderen Umständen des Streitfalls zu verneinen. Nach den im Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 10. Juli 1985 (aaO) dargelegten Grundsätzen ist nämlich zu berücksichtigen, daß der den Rechtsmittelauftrag erteilende Mitgeschäftsführer H. erst kurz zuvor bestellt und ersichtlich juristisch
unerfahren war, so daß er es unter dem Eindruck der soeben erteilten Dekkungszusage des Betriebshaftpflichtversicherers für selbstverständlich halten
konnte, daß die Berufung auch im Namen des Beschwerdeführers eingelegt
wurde bzw. der dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten erteilte Auftrag
zur Prozeßführung für beide Beklagten sich ohne weiteres gegenüber dem
zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten fortsetzen werde. Wenn insoweit
zwischen der Beklagten zu 1) und ihrem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten ein Dissens aufgetreten ist, von dem auch das Berufungsgericht ausgeht,
so schließt dies, wie oben dargelegt, zwar eine Bevollmächtigung dieses
Rechtsanwalts aus, ohne jedoch der Beklagten zu 1) zum Verschulden zu gereichen, zumal der Rechtsanwalt in eigener Verantwortung zur Prüfung des
Rechtsmittelauftrags verpflichtet war.
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Bei dieser Sachlage kommt die Zurechnung eines Verschuldens der Beklagten zu 1) gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 85 Abs. 2 ZPO
ebensowenig in Betracht wie ein eigenes Mitverschulden des letzteren an der
Fristversäumnis. Insbesondere traf diesen angesichts der Absprachen mit der
Beklagten zu 1) keine Pflicht zur Vergewisserung über die Erteilung des
Rechtsmittelauftrags
in
seinem
Namen
(vgl.
BGH,
Beschluß
vom
19. September 1994 - II ZB 1/94 - NJW 1994, 3102).
2. Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts vom
28. Juni 1999 war ohne Sicherheitsleistung einzustellen, weil der Beklagte zu
2) glaubhaft gemacht hat, daß er zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist
und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde
(§ 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Groß
Dr. Lepa
Dr. Dressler
Dr. Müller
Dr. Greiner