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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 4/17
vom
20. September 2018
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4
In einem Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft ist eine nähere Erläuterung
des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erforderlichen Zeitaufwandes in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine
Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs
Wochen beträgt. Ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung
des Betroffenen erforderlich, bedarf es einer auf den konkreten Fall bezogenen
Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt.
BGH, Beschluss vom 20. September 2018 - V ZB 4/17 - LG Aachen
AG Aachen
ECLI:DE:BGH:2018:200918BVZB4.17.0
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. September 2018 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch,
den Richter Dr. Kazele, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf
beschlossen:
Auf
die
Rechtsbeschwerde
15. Zivilkammer
des
wird
der
Landgerichts
Beschluss
Aachen
der
vom
30. November 2016 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Aachen
vom 18. Januar 2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt
hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
des Betroffenen in allen Instanzen werden der Städteregion
Aachen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
5.000 €.
Gründe:
I.
1
Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste am
16. Juni 2012 ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland
ein und stellte am 26. Juni 2012 einen Asylantrag, der mit bestandskräftigem
-3-
Bescheid vom 15. Februar 2013 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Zugleich wurde dem Betroffenen die Abschiebung angedroht. Das Aufenthalts- und Einreiseverbot wurde mit Bescheid vom 23. Dezember 2015 auf drei
Jahre befristet.
2
Auf
Antrag
der
beteiligten
Behörde
hat
das
Amtsgericht
am
18. Januar 2016 Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis zum
21. März 2016 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Betroffene nach seiner Abschiebung mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft fortgeführt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom
30. November 2016 unter Aufhebung der Haftanordnung des Amtsgerichts die
Erledigung der Sache festgestellt und den Feststellungsantrag zurückgewiesen.
Mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt, verfolgt er den Feststellungsantrag weiter.
II.
3
Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung
der Sicherungshaft hätten vorgelegen. Insbesondere habe der Haftanordnung
ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Die beantragte Haftdauer von
zehn Wochen ergebe sich unproblematisch aus dem Umstand, dass die Zentralstelle für Flugabschiebungen in Bielefeld die Vorbereitungsdauer von acht
Wochen für die Organisation eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung als Mindestfrist bezeichnet habe und insoweit ein gewisser, hier auch noch vertretbarer
Zuschlag von zwei Wochen erforderlich gewesen sei.
-4-
III.
4
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag
nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige
Rechtsbeschwerde ist begründet.
5
1. Es fehlt an einem zulässigen Haftantrag.
6
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des
Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist
der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der
zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der
Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der
notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen
die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie
müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet
werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17,
juris Rn. 6 mwN).
7
b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht.
8
aa) Zur Dauer der beantragten Haft führt die beteiligte Behörde in ihrem
Antrag aus, dass die Passersatzpapierbeschaffung und Abschiebung des Betroffenen nach Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde Köln innerhalb von
zwei Wochen möglich sei. Die Flugbuchung und Organisation der Sicherheitsbegleitung als solche bedürfe jedoch einer Bearbeitungszeit von acht Wochen.
Dies habe die telefonische Auskunft der Zentralstelle für Flugabschiebungen in
Bielefeld ergeben.
-5-
9
bb) Zwar ist der angesetzte Zeitraum von zwei Wochen für die Abstimmung mit den marokkanischen Behörden auch unter Berücksichtigung von
Art. 3 Abs. 5 Satz 2 des deutsch-marokkanischen Protokolls über die Identifizierung und Ausstellung von Heimreisedokumenten vom 6. Mai 1998 (BGBl. II
1998, 1148) nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift haben die marokkanischen Behörden bei Vorhandensein eines abgelaufenen Heimreisedokuments
„baldmöglichst und ohne weitere Formalitäten“ ein gültiges neues Dokument
auszustellen. Die Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde ist dahingehend zu
verstehen, dass der hierfür benötigte Zeitraum üblicherweise mit zwei Wochen
zu bemessen ist.
10
cc) Nur pauschaler Natur ist aber der Hinweis darauf, dass die Organisation des Fluges und der Sicherungsbegleitung einen Zeitraum von acht Wochen
benötigt.
11
(1) In einem Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft ist allerdings eine
nähere Erläuterung des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung
erforderlichen Zeitaufwandes in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich die
Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. In diesen Fällen erschließt sich grundsätzlich ohne weiteres, dass der organisatorische Aufwand eine solche Zeit in Anspruch nimmt, da erst die für die Begleitung in Betracht kommenden Personen
ermittelt und innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitfenster die Flüge für
den Betroffenen und die Begleitpersonen gebucht werden müssen. Im Hinblick
auf die beschränkten Personalressourcen wird zwangsläufig ein zeitlicher Vorlauf benötigt, der bis zu sechs Wochen in Anspruch nehmen und als angemessen angesehen werden kann, sofern nicht besondere Umstände eine andere
Beurteilung rechtfertigen. Ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der
Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es einer auf den konkreten
-6-
Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt (etwa Art des Fluges, Buchungslage der in Betracht kommenden Fluggesellschaften, Anzahl der
Begleitpersonen, Personalsituation).
12
(2) Daran fehlt es hier. Abgesehen davon, dass der für die Organisation
der Sicherungsbegleitung und Flugbuchung erforderliche Zeitraum entgegen
den Ausführungen des Beschwerdegerichts in dem Haftantrag nicht als Mindestfrist bezeichnet worden ist - die entsprechende Ergänzung hat die beteiligte
Behörde vielmehr erst mit ihrem Schriftsatz vom 16. März 2016 vorgenommen -, handelt es sich lediglich um allgemein gehaltene Ausführungen, denen
eine Begründung für die benötigte Zeitdauer von acht Wochen im konkreten
Fall nicht entnommen werden kann. Im Hinblick darauf, dass die Haft auf die
kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG;
näher Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225
Rn. 10; vgl. auch Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 67/13, juris Rn. 9),
sind die Ausführungen im Haftantrag insoweit unzureichend (vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 9 mwN).
13
2. Dieser Fehler ist nicht geheilt worden.
14
a) Mängel des Haftantrages können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und
dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter
selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung
des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR
2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung für eine Heilung ist in
einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persön-
-7-
lich angehört wird (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018
- V ZB 201/17, juris Rn. 8).
15
b) Vorliegend hat die beteiligte Behörde zwar im Beschwerdeverfahren
ergänzend vorgetragen, dass die Abschiebung für den 15. März 2016 vorgesehen und für diesen Tag ein Flug gebucht sei. Diese Angaben waren auch
grundsätzlich ausreichend, um die Erforderlichkeit der verbleibenden Haftzeit zu
belegen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. November 2016 - V ZB 90/16, juris
Rn. 9; Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 12). Der Betroffene wurde hierzu aber durch das Beschwerdegericht nicht persönlich angehört.
16
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1
FamFG). Da die angeordnete Haftzeit bereits abgelaufen ist, hätte eine Nachholung der unterlassenen Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht auf die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung keine Auswirkung. Denn eine
Heilung könnte nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen.
-8-
17
4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Haberkamp
Kazele
Hamdorf
Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 18.01.2016 - 621 a XIV(B) 7/16 LG Aachen, Entscheidung vom 30.11.2016 - 15 T 2/16 -