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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 41/14
vom 12. März 2015
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
EuInsVO Art. 5 Abs. 1
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung des
Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV folgende Frage zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
Erfasst der Begriff des dinglichen Rechts gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung
(EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl.
EG 2000 Nr. L 160 S. 1) eine nationale Regelung, wie sie in § 12 des
Grundsteuergesetzes i.V.m. § 77 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung enthalten
ist, wonach Grundsteuerforderungen kraft Gesetzes als öffentliche Last auf dem
Grundstück ruhen und der Eigentümer insoweit die Zwangsvollstreckung in den
Grundbesitz dulden muss?
BGH, Beschluss vom 12. März 2015 - V ZB 41/14 - LG Hannover
AG Burgwedel
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2015 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub, die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele
beschlossen:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung des
Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV folgende
Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Erfasst der Begriff des dinglichen Rechts gemäß Art. 5 Abs. 1 der
Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über
Insolvenzverfahren (ABl. EG 2000 Nr. L 160 S. 1) eine nationale
Regelung, wie sie in § 12 des Grundsteuergesetzes i.V.m. § 77
Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung enthalten ist, wonach
Grundsteuerforderungen kraft Gesetzes als öffentliche Last auf
dem Grundstück ruhen und der Eigentümer insoweit die
Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz dulden muss?
Gründe:
I.
1
Die Schuldnerin, eine Société Civile Immobilière nach französischem
Recht, ist Eigentümerin des im Rubrum genannten Grundstücks in W.
,
Deutschland. Mit Urteil vom 6. Mai 2013 ordnete der Tribunal de Grande
Instance
de
Mulhouse,
Frankreich,
das
Betriebssanierungsverfahren
(„procédure de redressement judiciaire“) für die Schuldnerin an und beauftragte
-3-
einen gerichtlich bestellten Verwalter mit deren Betreuung („administrateur
judiciaire avec mission dassistance“). Am 15. Mai 2013 beantragte die
Gemeinde W.
wegen rückständiger Grundsteuern für die Zeit vom
1. Oktober 2012 bis zum 30. Juni 2013 in Höhe von 7.471,19 € die
Zwangsversteigerung des Grundstücks und bescheinigte die Vollstreckbarkeit
der Forderungen.
2
Mit
Beschluss
vom
21.
Mai
2013
hat
das
Amtsgericht
die
Zwangsversteigerung angeordnet. Der dagegen gerichteten Erinnerung der
Schuldnerin hat es nicht abgeholfen. Das Landgericht hat ihre sofortige
Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will die
Schuldnerin
erreichen,
dass
die
Anordnung
der
Zwangsversteigerung
aufgehoben und der Zwangsversteigerungsvermerk im Grundbuch gelöscht
wird.
II.
3
Die Begründetheit der nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaften
und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerde hängt in
entscheidungserheblicher Weise von der Beantwortung der im Tenor
formulierten Vorlagefrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union ab.
4
1. Der Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des
Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EG 2000 Nr. L 160 S. 1)
in der zuletzt durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 663/2014 des Rates
vom 5. Juni 2014 (ABl. EU 2014 Nr. L 179 S. 4) geänderten Fassung
(Europäische Insolvenzverordnung, nachfolgend EuInsVO) ist sowohl räumlich
als auch sachlich eröffnet. Bei dem Verfahren des "redressement judiciaire"
handelt es sich um eines der in Art. 2 Buchstabe a EuInsVO i.V.m. Anhang A
der Verordnung genannten Insolvenzverfahren. Der
für die Schuldnerin
auftretende "administrateur judiciaire" gehört zu den in Art. 2 Buchstabe b
-4-
EuInsVO i.V.m. Anhang C der Verordnung bezeichneten Verwaltern. Die
Europäische Insolvenzverordnung geht in ihrem Anwendungsbereich den
Vorschriften des in §§ 335 ff. InsO geregelten deutschen Internationalen
Insolvenzrechts vor (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 54/10,
BGHZ 188, 177 Rn. 11 mwN).
5
2. Gemäß Art. 4 Abs. 1 EuInsVO unterliegt das Insolvenzverfahren dem
französischen
Recht.
Dieses
regelt
auch
die
Auswirkungen
der
Verfahrenseröffnung auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger
(Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe f EuInsVO). Feststellungen zu dem
französischen Recht, die das Beschwerdegericht nicht für erforderlich gehalten
hat, kann der Senat selbst treffen (näher Beschluss vom 3. Februar 2011
- V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 Rn. 14 mwN). Danach begründet die Eröffnung
des „redressement judiciaire“ ein allgemeines Vollstreckungsverbot (Art. L 63114 Abs. 1 i.V.m. Art. L 622-21 Abs. 2 Code de Commerce). Weder für dinglich
gesicherte Gläubiger noch für den Fiskus oder die Sozialversicherungsträger
bestehen Sonderregelungen (vgl. Pérochon, Entreprises en difficulté, 10. Aufl.,
Rn.
633
ff.;
Sonnenberger/Dammann,
Französisches
Handels-
und
Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., Rn. VIII 67; MünchKomm-InsO/Niggemann, 2. Aufl.,
Anhang
Band
3,
Länderbericht
Frankreich
Rn. 11;
Bauerreis
in
Kindler/Nachmann, Handbuch Insolvenzrecht in Europa [2014], Länderbericht
Frankreich Rn. 155). Allerdings bleiben gemäß Art. 5 Abs. 1 EuInsVO dingliche
Rechte eines Gläubigers oder eines Dritten an unbeweglichen Gegenständen,
die sich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, von der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens unberührt.
6
3. Nach deutschem Recht sind die Grundsteuerforderungen, die zu der
Anordnung der Zwangsversteigerung geführt haben, öffentliche Lasten gemäß
§ 12 Grundsteuergesetz (GrStG). Öffentliche Lasten beruhen zwar auf
öffentlichem Recht. Sie sind aber dingliche Verwertungsrechte, da der
-5-
Eigentümer gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AO die Zwangsvollstreckung in das
Grundstück dulden muss (vgl. BVerwG, NJW 1985, 756). Funktionell
entsprechen sie einem Grundpfandrecht (vgl. nur Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl.,
§ 77 Rn. 3; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., § 27 Rn. 1).
7
Im Einzelnen:
8
a) Maßgebliche Normen des deutschen Rechts:
§ 12 GrStG bestimmt unter der Überschrift „Dingliche Haftung“:
„Die Grundsteuer ruht auf dem Steuergegenstand als öffentliche Last.“
§ 77 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) bestimmt:
„Wegen einer Steuer, die als öffentliche Last auf dem Grundbesitz ruht, hat
der Eigentümer die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz zu dulden.“
§ 10 Abs. 1 des Zwangsversteigerungsgesetzes (ZVG) lautet auszugsweise
wie folgt:
„Ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück gewähren nach folgender
Rangordnung (…):
3. die Ansprüche auf Entrichtung der öffentlichen Lasten des Grundstücks
wegen der aus den letzten vier Jahren rückständigen Beträge;
wiederkehrende Leistungen, insbesondere Grundsteuern, Zinsen, Zuschläge
oder Rentenleistungen (…) genießen dieses Vorrecht nur für die laufenden
Beträge und für die Rückstände aus den letzten zwei Jahren (…).
4. die Ansprüche aus Rechten an dem Grundstück (…)“
9
b) Für die Entstehung einer öffentlichen Last bedarf es einer gesetzlichen
Regelung, wie sie in § 12 GrStG enthalten ist. Der Begriff selbst ist nicht
gesetzlich definiert. Es besteht aber Einigkeit darüber, dass eine öffentliche
Last eine Abgabenverpflichtung ist, die auf öffentlichem Recht beruht, durch
wiederkehrende oder einmalige Geldleistung zu erfüllen ist und nicht nur die
persönliche Haftung des Schuldners, sondern auch die dingliche Haftung des
Grundstücks voraussetzt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 30. März 2012
- V ZB 185/11, WM 2012, 997 Rn. 4 mwN). Öffentliche Lasten entstehen
unabhängig davon, ob ein Zwangsversteigerungsverfahren eingeleitet worden
ist oder nicht (BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - IX ZR 101/09, NJW-RR
-6-
2010, 1022 Rn. 6; Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 18/11, NJWRR 2012, 87 Rn. 18). In das Grundbuch werden sie nicht eingetragen (§ 54
GBO). Die Grundsteuer ist die einzige Steuer, die eine solche öffentliche Last
begründet. Grundstücksbezogene Beiträge und Abgaben sind dagegen häufig
als öffentliche Lasten ausgestaltet. Im Bundesrecht gilt dies zum Beispiel für
Erschließungskosten nach dem Baugesetzbuch (§ 134 Abs. 2 BauGB).
Daneben sieht das Landesrecht öffentliche Lasten vor. Beispielsweise können
Kommunalabgaben wie Anliegerbeiträge oder Kosten der Abwasserversorgung
und Abwasserbeseitigung öffentliche Lasten sein (näher Senat, Beschluss vom
30. März 2012 - V ZB 185/11, WM 2012, 997 Rn. 5 f.; Stöber, ZVG, 20. Aufl.,
§ 10 Rn. 6.1 ff.). Auch für diese Art von öffentlichen Lasten gilt regelmäßig die
in § 77 Abs. 2 Satz 1 AO angeordnete Duldungspflicht des Eigentümers.
10
c) Die öffentliche Last gemäß § 12 GrStG ist wie eine Hypothek
akzessorisch, weil sie von dem Bestehen einer Abgabenschuld abhängt
(BVerwG, NJW 1987, 2098, 2099; NVwZ 1999, 178, 182; Troll/Eisele,
Grundsteuergesetz, 8. Aufl., § 12 Rn. 2). Sie setzt aber nicht notwendig voraus,
dass der Eigentümer selbst die Steuer schuldet und für diese persönlich, also
mit seinem sonstigen Vermögen, haftet. Vielmehr bleibt sie bestehen, wenn
das Grundstück nach Festsetzung der Steuerforderung veräußert wird, sofern
die Forderung fällig und vollstreckbar ist. Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AO muss
der neue Eigentümer die Vollstreckung in das Grundstück dulden (vgl. BGH,
Urteil vom 18. Februar 2010 - IX ZR 101/09, NJW-RR 2010, 1022
Rn. 11; BayVGH, BayVBl 2011, 768, 769; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO,
Stand: Oktober 2014, § 77 AO Rn. 13, jeweils mwN). Die öffentliche Last
begründet also eine zusätzliche Sachhaftung (vgl. Troll/Eisele, aaO).
11
d) Aufgrund einer öffentlichen Last gemäß § 12 GrStG kann die
Finanzbehörde in das Grundstück vollstrecken, also insbesondere - wie hier die
Zwangsversteigerung
beantragen.
In
einem
Zwangsversteigerungs-
-7-
verfahren werden laufende und rückständige Grundsteuerforderungen aus den
letzten zwei Jahren privilegiert (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG) und haben bei der
Erlösverteilung daher Vorrang gegenüber den „Rechten aus dem Grundstück“.
Zu letzteren zählen insbesondere die Grundpfandrechte von Kreditgebern, wie
etwa Hypotheken und Grundschulden (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG). Ältere
Rückstände verlieren diese Privilegierung zwar, bleiben aber eine öffentliche
Last, die die Vollstreckung in das Grundstück ermöglicht (Senat, Beschluss vom
6. Oktober 2011 V ZB 18/11, NJW-RR 2012, 87 Rn. 18).
12
e) Während des Insolvenzverfahrens steht der Finanzbehörde aufgrund
der öffentlichen Last ein Recht auf abgesonderte Befriedigung gemäß § 49
InsO zu (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - IX ZR 101/09, NJW-RR 2010,
1022 Rn. 6 mwN). Insoweit unterscheiden sich öffentliche Lasten von den
sogenannten Privilegien der romanischen Rechtsordnungen, deren Inhaber auf
eine vorrangige Befriedigung beschränkt sind (vgl. dazu etwa Plappert,
Dingliche
Sicherungsrechte
in
der
Insolvenz,
2008,
S. 153 ff.;
Staudinger/Mansel, BGB [2015], Art. 43 EGBGB Rn. 671 ff.) und die nicht unter
Art. 5 EuInsVO fallen sollen (so Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EUÜbereinkommen über Insolvenzverfahren, 1996, Nr. 102, abgedruckt u.a. in
Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über
Insolvenzverfahren).
13
4. Ob die öffentliche Last gemäß § 12 GrStG als dingliches Recht im
Sinne von Art. 5 Abs. 1 EuInsVO einzuordnen ist, lässt sich nicht mit der für
eine Entscheidung durch den Senat erforderlichen Gewissheit beantworten (vgl.
EuGH, Slg. 1982, 3415 Rn. 16).
14
a) Über die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 EuInsVO besteht in der
Rechtsliteratur
keine
Einigkeit.
Teilweise
wird
die
Bestimmung
als
Kollisionsnorm verstanden. Im Ergebnis soll daher die lex rei sitae - hier also
das deutsche Recht - darüber entscheiden, ob ein dingliches Recht vorliegt
-8-
oder nicht (vgl. etwa Paulus, EuInsVO, 4. Aufl., Art. 5 Rn. 7; DuursmaKepplinger in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5
Rn. 51). Überwiegend wird dagegen angenommen, dass der Begriff des
dinglichen Rechts autonom auszulegen sei (vgl. nur MünchKomm-BGB/Kindler,
6. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 4; Rauscher/Mäsch, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EGInsVO Rn. 7; FK-InsO/Wenner/Schuster, 7. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 2 mwN;
Wenner in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl.,
Kap. 20 Rn. 295 mwN). Der erläuternde Bericht ist insoweit nicht eindeutig.
Einerseits soll in der Regel die lex rei sitae über die Einordnung als dingliches
Recht bestimmen (Virgós/Schmit, aaO, Nr. 100), andererseits soll Art. 5 Abs. 1
EuInsVO aber nicht unangemessen weit ausgelegt werden (Virgós/Schmit,
aaO, Nr. 102).
15
b) Der vorlegende Senat geht jedenfalls davon aus, dass Art. 5 Abs. 1
EuInsVO nicht allein deshalb anwendbar ist, weil das Recht nach der lex rei
sitae als dinglich anzusehen ist. Vielmehr dürften Art. 5 Abs. 2 EuInsVO
eigenständige und autonom auszulegende Vorgaben für die Auslegung von Art.
5 Abs. 1 EuInsVO zu entnehmen sein (in diesem Sinne auch Virgós/Schmit,
aaO, Nr. 103; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 154 f.).
16
aa) Dem erläuternden Bericht zufolge muss ein dingliches Recht
ausgehend von der Auflistung des Art. 5 Abs. 2 EuInsVO und dem Verständnis
eines dinglichen Rechts nach der EuGVVO zwei zentrale Eigenschaften
aufweisen (vgl. Virgós/Schmit, aaO, Nr. 103):
17
(1) Es muss direkt und unmittelbar an die Sache selbst gebunden sein,
und zwar unabhängig von der Frage, zu wessen Vermögen die betreffende
Sache gehört, und unabhängig von dem Verhältnis des Rechtsinhabers zu
einer anderen Person.
-9-
18
(2) Weiter muss ein dingliches Recht absoluten Charakter haben. Dies
bedeutet, dass es der Rechtsinhaber gegen jedermann, der dieses Recht ohne
seine Zustimmung missachtet oder beeinträchtigt, einklagen kann, dass das
dingliche Recht bei Veräußerung der Sache an Dritte bestehen bleibt und dass
das
Recht
auch
bei
Einzelrechtsverfolgung
durch
Dritte
und
bei
Gesamtverfahren (durch die damit verbundene Absonderung oder die
individuelle Befriedigung) bestehen bleibt.
19
bb) Diese Anforderungen erfüllt eine Grundsteuerforderung, die kraft
Gesetzes als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht (§ 12 GrStG). Sie führt
zu einer Haftung des Grundstücks, die bei dessen Veräußerung bestehen
bleibt, Dritten entgegengehalten werden kann und in der Insolvenz ein
Absonderungsrecht begründet.
20
c) Es bedarf jedoch der Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen
Union, ob dieses Ergebnis mit dem Zweck von Art. 5 EuInsVO und dem
Gesamtkonzept der Europäischen Insolvenzverordnung zu vereinbaren ist.
21
aa) Das Grundziel der von dem Insolvenzstatut abweichenden
Anknüpfung dinglicher Rechte in der Verordnung ist die Gewährleistung von
Vertrauensschutz und Rechtssicherheit (24. Erwägungsgrund). Bei dinglichen
Rechten besteht hierfür ein besonderes Bedürfnis, da diese für die Gewährung
von Krediten von erheblicher Bedeutung sind. Deshalb soll sich ihre
Begründung, Gültigkeit und Tragweite nach dem Recht des Belegenheitsorts
richten; der Inhaber eines Aus- und Absonderungsrechts soll sein Recht an
dem
Sicherungsgegenstand
weiter
geltend
machen
können
(25. Erwägungsgrund). Der erläuternde Bericht hebt hervor, dass es mit Hilfe
dinglicher Rechte möglich sei, Kredite zu erlangen, die man ohne diese Art von
Garantien nicht eingeräumt bekäme (vgl. Virgós/Schmit, aaO, Nr. 97).
- 10 -
22
bb) Die Interessen öffentlicher Gläubiger - hier der Finanzbehörde unterscheiden sich von denjenigen privater Kreditgläubiger in wesentlichen
Punkten. In gewisser Weise vertraut allerdings auch die Finanzbehörde auf die
Sicherung durch die öffentliche Last, die eine wesentliche Vereinfachung der
Verwaltung bewirkt. Beispielsweise muss sie bei einer Stundung oder
Aussetzung der Vollziehung offener Grundsteuerforderungen nicht prüfen, ob
der Anspruch gefährdet ist. Wären Grundsteuerforderungen nicht gesichert,
müsste die Finanzbehörde in solchen Fällen die Leistung von Sicherheiten
verlangen (vgl. BT-Drucks. 6/3418, S. 82). Gleichwohl liegt der öffentlichen Last
keine Kreditgewährung zugrunde, deren Bedingungen typischerweise in dem
schutzwürdigen Vertrauen auf den Fortbestand der Grundpfandrechte in der
Insolvenz des Schuldners vereinbart werden. Weil die öffentliche Last in einem
deutschen Zwangsversteigerungsverfahren den Rechten der Kreditgläubiger
jedenfalls teilweise im Rang vorgeht, bewirkt sie sogar eine Schlechterstellung
der Kreditgläubiger, deren Schutz Art. 5 EuInsVO dienen soll.
23
cc)
Zu
berücksichtigen
ist
schließlich,
dass
aufgrund
des
Ausnahmecharakters des Art. 5 EuInsVO eine enge Auslegung der Norm
geboten ist (Virgós/Schmit, aaO, Nr. 102). Eine weite Auslegung, die die lex rei
sitae in weitem Umfang berücksichtigte, könnte Sanierungsbemühungen
ausländischer
Insolvenzverwalter
erschweren
(vgl.
Wenner
in
Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., Kap. 20
Rn. 294).
IV.
24
Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich.
25
1. Ist die öffentliche Last ein dingliches Recht im Sinne des europäischen
Insolvenzrechts, muss die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen werden.
- 11 -
26
a) Die öffentliche Last entstand, wie es Art. 5 Abs. 1 EUInsVO
voraussetzt (vgl. Virgós/Schmit, aaO, Nr. 96), jedenfalls überwiegend vor der
Eröffnung des „redressement judiciaire“. Die Steuer entsteht zu Beginn des
Jahres (§ 9 Abs. 2 GrStG). Selbst wenn die auf die Zeit nach der
Verfahrenseröffnung
entfallenden
Steuern
kein
dingliches
Recht
mehr
begründen sollten, wären die Forderungen aus der Zeit vom 1. Oktober 2012
bis zum 5. Mai 2013 vor Verfahrenseröffnung entstanden.
27
b) Als Rechtsfolge ließe die Eröffnung des „redressement judiciaire“ die
öffentliche
Last
gemäß
Art.
5
Abs.
1
EuInsVO
unberührt.
Ob
Vollstreckungsbeschränkungen nach dem Recht des Belegenheitsortes zu
berücksichtigen sind, oder ob Art. 5 Abs. 1 EuInsVO eine Sachnorm enthält und
das dingliche Recht daher von der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens
gänzlich unbeeinträchtigt bleibt, ist zwar umstritten (vgl. nur MünchKommBGB/Kindler, 6. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 15 ff. mwN), hier aber unerheblich.
Denn das deutsche Insolvenzrecht sieht keine Einschränkungen für die
Vollstreckung, sondern ein Recht auf abgesonderte Befriedigung gemäß
§ 49 InsO vor.
28
c) Ohne Erfolg rügt die Schuldnerin, der Antrag auf Anordnung der
Zwangsversteigerung
sei
dem
französischen
Insolvenzverwalter
nicht
bekanntgegeben worden. Ob eine solche Bekanntgabe erforderlich ist, richtet
sich nach deutschem Verfahrensrecht als der lex fori. Hiernach ist die
Bekanntgabe des Antrags der Finanzbehörde an den Schuldner bzw. an den
Insolvenzverwalter kein Vollstreckungserfordernis und daher ohne Bedeutung
für eine wirksame Anordnung der Zwangsversteigerung (vgl. Stöber, ZVG,
20. Aufl., § 15 Rn. 34.4 a.E.; BFHE 158, 310, hierzu BVerfG, KKZ 1991, 90).
29
d) Ob im Übrigen die Voraussetzungen für den Beginn der Zwangsvollstreckung vorliegen, hat das Vollstreckungsgericht bei der Beitreibung von
Steuerschulden (anders als bei der Vollstreckung von Urteilen) nicht zu prüfen.
- 12 -
Dies ist vielmehr Aufgabe der Finanzbehörde (vgl. Senat, Beschluss vom
14. Juli 1951 - V ZB 4/51, BGHZ 3, 140, 144 f.). Zuständige Behörde ist nach
dem
niedersächsischen
Verwaltungsvollstreckungsgesetz
(NVwVG)
die
Gemeinde (§ 6 Abs. 1 NVwVG). Bestätigt diese - wie hier - in ihrem Antrag,
dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen, sind die Gerichte
daran gebunden (§ 58 Abs. 3 Satz 2 und 3 NVwVG). Insbesondere darf das
Vollstreckungsgericht nicht prüfen, ob ein Duldungsbescheid gegen den
ausländischen Insolvenzverwalter erforderlich und ob dieser ergangen ist (dazu
MünchKomm-InsO/Ganter, 3. Aufl., § 49 Rn. 53). Die Schuldnerin (bzw. der
Insolvenzverwalter) kann insoweit Rechtsbehelfe vor den Finanzgerichten
ergreifen (vgl. BFHE 152, 53; 158, 310).
30
e) Schließlich ist es unerheblich, dass die Anordnung nach Eröffnung des
„redressement judiciaire“ der Schuldnerin und nicht dem Insolvenzverwalter
zugestellt worden ist. Selbst wenn die Zustellung an den Insolvenzverwalter
erforderlich sein sollte, stellt dies jedenfalls keinen Grund für eine Aufhebung
der Anordnung dar.
31
2. Ist die öffentliche Last dagegen kein dingliches Recht im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 EuInsVO, hat die Rechtsbeschwerde Erfolg. Die Anordnung der
Zwangsversteigerung ist aufzuheben und der Versteigerungsvermerk im
Grundbuch zu löschen. Denn nach dem gemäß Art. 4 Abs. 1 EuInsVO
maßgeblichen französischen Insolvenzstatut begründet das Verfahren des
- 13 -
„redressement
judiciaire“
-
wie
ausgeführt
-
ein
allgemeines
Vollstreckungsverbot (Art. L 631-14 Abs. 1 i.V.m. Art. L 622-21 Abs. 2 Code de
Commerce).
Stresemann
Czub
Weinland
Brückner
Kazele
Vorinstanzen:
AG Burgwedel, Entscheidung vom 23.10.2013 - 6 K 16/13 LG Hannover, Entscheidung vom 07.02.2014 - 4 T 52/13 -