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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 57/02
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
Verkündet am:
18. Juli 2002
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BEG 1956 §§ 41a, 35
Ist ein Verfolgter nicht an den Folgen der Schädigung seines Körpers oder seiner Gesundheit gestorben, so ist der Beihilfeanspruch seiner Witwe nicht lediglich dadurch gehindert, daß § 35 BEG eine Erhöhung der im Todeszeitpunkt
bezogenen Gesundheitsschadensrente des Verstorbenen beim Erreichen einer
verfolgungsbedingten Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit von 70 v.H. nicht
zuließ.
-2BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 - IX ZR 57/02 - OLG München
LG München I
-3-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die einseitige mündliche
Verhandlung vom 6. Juni 2002 gemäß § 209 Abs. 3 Satz 2 BEG durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Raebel
und
Kayser
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 18. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts München vom 23. Januar 2001 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin beansprucht, soweit für die Revision noch von Interesse,
Witwenbeihilfe gemäß § 41a BEG. Ihr 1911 geborener und 1994 an einem Tumorleiden verstorbener Ehemann bezog aufgrund eines Abänderungsbescheides vom 11. September 1991 ab dem 1. Januar 1987 eine Entschädigungsrente, die nach einer verfolgungsbedingten MdE von 50 % bei einer allgemeinen MdE von 80 % berechnet war. Ein Abhilfeverfahren der Erben gegen diese
Festsetzungen blieb ohne Erfolg.
-4-
Der Beihilfeantrag der Klägerin wurde abgelehnt, ihre Klage in den Tatsacheninstanzen abgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre durch den Senat zugelassene Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Eine Entscheidung des Senats in der Sache
selbst kann mangels hinreichender Feststellungen nicht ergehen.
I.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin den auf § 41a BEG gestützten
Beihilfeanspruch versagt, weil der verstorbene Verfolgte selbst bei einer Erhöhung seiner verfolgungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (vMdE) auf
70 % nach § 35 Abs. 2 BEG keine Neufestsetzung seiner bisherigen Rente
hätte erreichen können. Denn eine Rentenabweichung um mindestens 30 %
ergebe sich damit noch nicht.
II.
Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann der Beihilfeanspruch
der Hinterbliebenen eines Verfolgten nicht verneint werden.
-5-
1. Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinem Urteil vom 9. Dezember
1976 (IX ZR 204/71, RzW 1977, 59 = LM BEG 1956 § 41a Nr. 1), auf welches
sich das Berufungsgericht bezieht, ausgeführt, daß § 41a BEG im Einklang mit
der zweckgerichteten Auslegung seines Vorbildes, der Vorschrift des § 48 BVG
in der Fassung des Ersten und Zweiten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni
1960 und 21. Februar 1964 (BGBl. I 1960, 453; 1964, 101), verstanden werden
muß. Hierzu hat er auf die damalige Verwaltungsvorschrift zu § 48 BVG (siehe
Bundesanzeiger Nr. 19 vom 29. Januar 1965; vgl. nachfolgend auch das Dritte
Neuordnungsgesetz vom 28. Dezember 1966, BGBl. I, 750) zurückgegriffen,
die bestimmt, daß die Entschädigungsrente als bezogen gelte, wenn im Zeitpunkt des Todes des Verfolgten hierauf ein Anspruch bestanden habe.
Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom
19. Januar 1978 (IX ZR 86/75, RzW 1978, 102 f = LM BEG 1956 § 41a Nr. 2)
bestätigt und fortgeführt. Die Gewährung der Hinterbliebenenbeihilfe hängt danach von einer eigenständigen Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen ab,
auf Widerrufs- oder Kürzungsmöglichkeiten gegenüber dem Verstorbenen unter den engen Voraussetzungen der §§ 200 bis 202 und 206 BEG kommt es
nicht an.
2. Vor allem der Normzweck des § 41a BEG spricht dagegen, daß der
Rentenanspruch des Verstorbenen vor seinem Tod nach den §§ 206, 35 BEG
mit der Bemessungsgrundlage von 70 % vMdE festsetzbar gewesen sein muß.
Die Hinterbliebenenbeihilfe soll den mittelbaren Schaden der Witwe und der
Waisen ausgleichen, der in ihrer Bedürftigkeit wegen der verfolgungsbedingt
fehlenden oder unzureichenden Versorgung liegt (BGH, Urt. v. 9. Dezember
1976 und 19. Januar 1978 aaO; v. 18. September 1997 - IX ZR 164/97, LM
-6-
BEG 1956 § 41a Nr. 4 Bl. 3). Diese Bedürfnislage bestünde erst recht, wenn im
Einzelfall der verstorbene Verfolgte aufgrund der "Versteinerung" nicht einmal
die ihm materiell zustehende Entschädigung erhalten haben sollte. Die Hinterbliebenenbeihilfe kann nach ihrem Normzweck auch nicht von dem zufälligen
Umstand abhängen, ob die letzte festgesetzte Gesundheitsschadensrente des
Verstorbenen einen so hohen Anpassungsrückstand erreichte hatte, daß vor
seinem Tod ein nach § 35 BEG erfolgversprechendes Abänderungsbegehren
noch möglich gewesen wäre.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich zwar
§ 35 Abs. 2 BEG nicht nur zugunsten, sondern auch zuungunsten des Rentenempfängers auswirken; die Vorschrift ist ihrem Zweck nach aber wiedergutmachungsfreundlich auszulegen (BGH, Urt. v. 22. Februar 2001 - IX ZR 113/00,
LM BEG 1956 § 35 Nr. 37 m.w.N.). Das Gesetz zwingt nicht dazu, Abänderungserschwernisse gegenüber dem verstorbenen Rentenempfänger sogar
noch mit Drittwirkung zu Lasten seiner Hinterbliebenen auszustatten, welche
die Wiedergutmachung des (mittelbaren) Versorgungsschadens fallweise vollständig verhindern würde.
3. Auch nach Wortlaut und Gesetzessystematik kann § 35 BEG den
Beihilfeanspruch von Hinterbliebenen nicht ausschließen. Die Vorschriften des
§ 35 BEG betreffen Veränderungen der Bemessungsgrundlagen einer gegenwärtig und künftig geschuldeten Gesundheitsschadensrente (vgl. Blessin/
Giessler, BEG-SchlußG § 35 BEG Anm. II 1), mithin die Rentenhöhe. Um einen
solchen laufenden Rentenanspruch geht es bei dem Schwellenwert des § 41a
BEG, der dem Grund des Beihilfeanspruchs zuzurechnen ist, nicht.
-7-
4. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und des Beklagten wird
dadurch, daß es auf die Festsetzbarkeit der entsprechenden Rente zugunsten
des Verstorbenen in einem Abänderungs- oder Zweitverfahren nicht ankommt,
nicht schon jeder Bezug der Hinterbliebenenversorgung von der Rentenberechtigung des Verfolgten gelöst. So dürften etwa die materiellen Ausschlußund Versagungsgründe der Entschädigung (§§ 6 und 7 BEG) auch dem Hinterbliebenen zur Last fallen.
III.
Danach kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache ist
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es Feststellungen zu der
Frage treffen kann, ob dem Verfolgten ohne Anwendung von § 35 Abs. 2 BEG
eine Rente wegen einer vMdE von mindestens 70 % zugestanden hätte.
Kreft
Kirchhof
Raebel
Fischer
Kayser