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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 130/10
Verkündet am:
20. Dezember 2012
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 23
a) Ruhegeldansprüche gegen einen im Inland ansässigen Drittschuldner stellen inländisches Vermögen dar.
b) Ein hinreichender Inlandsbezug als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des
Gerichtsstands des Vermögens kann sich daraus ergeben, dass über das Vermögen des Schuldners im Inland das Insolvenzverfahren eröffnet wurde und die Ansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner, an welche die Zuständigkeit
anknüpft, aus einer Tätigkeit im Inland herrühren.
InsO § 35 Abs. 1, § 36 Abs. 1; ZPO § 850 Abs. 2
Die Massezugehörigkeit von im Inland verdienten Ruhegeldansprüchen eines
Schuldners, der seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt hat, beurteilt sich nach deutschem Recht (Territorialprinzip).
-2Art. 102 EGInsO aF; §§ 335 ff InsO
Vor Inkrafttreten der Vorschriften über das Internationale Insolvenzrecht bestimmten
sich die insolvenzrechtlichen Wirkungen der Abtretung und ihrer Anfechtbarkeit nach
dem Konkursstatut (Fortführung von BGH, Urteil vom 30. April 1992 - IX ZR 233/90,
BGHZ 118, 151).
InsO § 133 Abs. 2
Die Abtretung künftiger Ruhegeldansprüche kann die Gläubiger unmittelbar benachteiligen.
InsO § 129 Abs. 1
Geht einer Vollabtretung eine Sicherungsabtretung voraus, liegt die objektive Gläubigerbenachteiligung in dem Entzug des zunächst in der künftigen Insolvenzmasse
verbleibenden Vermögenskerns (Fortführung von BGH, Urteil vom 29. März 2007
- IX ZR 27/06, ZIP 2007, 1126 Rn. 26).
BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 - IX ZR 130/10 - OLG München
LG München I
-3-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den
Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 1. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens und des Verfahrens über die
Nichtzulassungsbeschwerden trägt die Beklagte. Die außergerichtlichen Kosten der Nebeninterventionen tragen die Nebenintervenienten jeweils selbst.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die in Italien wohnhafte Beklagte ist seit 1982 mit einem ehemaligen
Notar (fortan Schuldner) verheiratet, der seinen Sitz in München hatte. Die
Eheleute änderten einen 1986 wechselseitig erklärten Unterhaltsverzicht mit
Vereinbarung vom 17. August 1998 ab. Der Schuldner verpflichtete sich, an die
Beklagte Unterhalt nach seinen finanziellen Möglichkeiten, mindestens in Höhe
von 3.500 DM monatlich, zu zahlen. Drei Tage später, am 20. August 1998,
unterzeichnete er zudem eine Abtretungserklärung zugunsten der Beklagten, in
welcher er bestätigte, bereits am 28. November 1994 seine künftigen Ansprüche auf Ruhegehalt als Notar außer Dienst und auf Ersatzruhegehalt als
ehemaliger Notar gegen die Notarkasse München in Höhe der pfändbaren Teile
-4-
an sie zur Sicherung künftiger Unterhaltsansprüche abgetreten zu haben. Die
Abtretung wurde vorsorglich schriftlich wiederholt. Diese Vereinbarung wurde
am 2. Oktober 1998 notariell beglaubigt.
2
Am 19. März 1999 erließ das Amtsgericht München einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohn- und Geschäftsräume des Schuldners wegen
des Verdachts der Untreue und Falschbeurkundung im Amt. Der Schuldner
unterzeichnete am 23. März 1999 eine Erklärung, wonach der Sicherungsfall
wegen aller zugunsten der Beklagten vorgenommenen Sicherungsabtretungen
und Sicherungsübereignungen eingetreten sei; diese Erklärung wurde nochmals schriftlich am 24. Dezember 1999 von beiden Eheleuten "als Vollabtretung" bestätigt.
3
Auf Antrag vom 29. November 2000 wurde mit Beschluss vom 18. Mai
2001 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und
der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 29. Mai 2001 wurde der
Schuldner vorläufig seines Amtes als Notar enthoben; die endgültige
Entlassung aus dem Amt erfolgte am 31. Oktober 2002. Der Kläger begehrte
seit der vorläufigen Entlassung am 29. Mai 2001 die Auszahlung der pfändbaren Anteile der Versorgungsansprüche des Schuldners von der Notarkasse
München in die Insolvenzmasse. Aufgrund des hiergegen gerichteten
Widerspruchs der Beklagten hinterlegte die Notarkasse München die
pfändbaren Beträge von 2.496 € monatlich seit dem 25. Juli 2002 beim
Amtsgericht München. Seit dem 1. April 2007 zahlt die Notarkasse München die
monatlich pfändbaren Beträge direkt an die Insolvenzmasse.
4
Mit der am 29. April 2003 eingereichten Klageschrift hat der Kläger von
der Beklagten die Rückabtretung der Ansprüche auf Ruhegehalt als Notar
-5-
außer Dienst und auf Ersatzruhegehalt als ehemaliger Notar gegen die
Notarkasse München sowie die Zustimmung zur Auszahlung der hinterlegten
Bezüge an ihn verlangt. Die Klage wurde der Beklagten am 5. August 2003 in
Italien zugestellt. Auf eine Streitverkündung hin ist der Schuldner als
Nebenintervenient zu 2 dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Im Gegenzug hat es
den Kläger zur Herausgabe einiger Gegenstände an die Beklagte verpflichtet.
Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil insoweit
geändert, als es eine Verpflichtung zur Rückabtretung von Ruhegehaltsansprüchen auch für die nach dem 31. Mai 2004 angefallenen Ansprüche vorsah;
insoweit hat es die Unwirksamkeit der Abtretung festgestellt. Ferner hat es die
Zug-um-Zug-Verurteilung aufgehoben und die Berufung der Beklagten und der
Nebenintervenienten
zurückgewiesen.
Dagegen
richtet
sich
die
vom
Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten und des Nebenintervenienten zu 2.
Entscheidungsgründe:
5
Die Revision ist nicht begründet.
6
I. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der
deutschen Gerichte bejaht und ausgeführt, zur Beurteilung der Folgen eines in
Deutschland eröffneten Insolvenzverfahrens sei auf das materielle deutsche
Recht zurückzugreifen. Dies gelte insbesondere auch für die Zugehörigkeit von
Vermögensgegenständen zur Insolvenzmasse. Eine Sonderanknüpfung an das
Forderungs-, Pfändungs- oder Vollstreckungsstatut sei ohne Relevanz, weil
sich die Versorgungsansprüche gegen einen deutschen (Dritt-)Schuldner, die
-6-
Notarkasse München, richteten und die Beträge teilweise auch in Deutschland
hinterlegt seien. Nach dem anwendbaren deutschen Recht seien die Versorgungsbezüge des Schuldners pfändbare Gegenstände im Sinne von § 36
InsO.
7
Die ab 1. Juni 2004 entstandenen Versorgungsbezüge des Schuldners
gehörten nach § 114 Abs. 1 InsO ungeachtet etwaiger Abtretungen zur Insolvenzmasse. Gemäß § 114 Abs. 1 InsO in der (nach Art. 103a EGInsO) bis
30. November 2001 geltenden Fassung sei jede vor Insolvenzeröffnung
liegende Abtretung dieser Ansprüche nur hinsichtlich derjenigen Bezüge
wirksam, die vor Ablauf von drei Jahren nach dem Ende des zur Zeit der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Kalendermonats, hier also bis
zum 31. Mai 2004, anfallen. Die Versorgungsbezüge eines nicht mehr aktiven
Notars seien dabei als Bezüge im Sinne der Vorschrift, die an die Stelle von
laufenden Bezügen aus einem Dienstverhältnis treten, zu verstehen. Darüber
hinaus ergebe sich die Unwirksamkeit der Abtretung der Versorgungsansprüche an die Beklagte auch aus § 91 Abs. 1 InsO. Allerdings werde die
Vorschrift durch die speziellere Vorschrift des § 114 InsO verdrängt.
8
Für die Ruhegehaltsansprüche, die auf die Zeit bis einschließlich 31. Mai
2004 entfallen, sei eine Abtretung nach § 114 Abs. 1 InsO grundsätzlich
wirksam. Die Vollabtretung vom 24. Dezember 1999 sei jedoch anfechtbar,
wobei offen bleiben könne, ob überhaupt Unterhaltsansprüche der Beklagten
bestanden. Wäre dies der Fall, sei die Vollabtretung als entgeltliche Leistung
nach § 133 Abs. 2 Satz 1 InsO anfechtbar, weil die Beklagte eine nahestehende
Person im Sinne von § 138 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei. Andernfalls handele es sich
um eine unentgeltliche Leistung, die nach § 134 InsO angefochten werden
könne. Der Anfechtungsanspruch sei noch nicht nach § 146 InsO verjährt, weil
-7-
die Klageerhebung den Eintritt der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB,
§§ 253, 167 ZPO gehemmt habe. Die Hemmung sei nicht wegen einer
vorwerfbaren Untätigkeit des Klägers nach § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB beendet
worden, sondern dauere fort. Die Sicherungsabtretung vom 28. November 1994
sei indes nicht anfechtbar, weshalb die Anfechtbarkeit späterer Sicherungszessionen offen bleiben könne. Wegen des Zeitablaufs käme allenfalls eine
Anfechtung der Sicherungsabtretung von 1994 nach § 133 Abs. 1 InsO in
Betracht. Der Kläger habe aber nicht vorgetragen, aufgrund welcher Tatsachen
die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit
des Schuldners hätte schließen müssen. Dennoch dürfe der Kläger die Forderungen gegen die Notarkasse nach § 166 Abs. 2 InsO einziehen, weil die
Forderungen nur sicherungshalber abgetreten worden seien. Der Kläger könne
mithin die Zustimmung zur Auszahlung der hinterlegten Beträge von der
Beklagten verlangen.
9
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision greifen
nicht durch.
10
1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit der
deutschen Gerichte (BGH, Urteil vom 1. März 2011 - XI ZR 48/10, BGHZ 188,
373 Rn. 9; vom 28. Februar 2012 - XI ZR 9/11, WM 2012, 747 Rn. 12) bejaht.
11
a) Bei der Prüfung der internationalen Zuständigkeit kann nicht auf die
Regelungen der am 31. Mai 2002 in Kraft getretenen Verordnung (EG)
Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren (EuInsVO, ABl. L 160,
Seite 1) zurückgegriffen werden, weil die Verordnung nach Art. 43 Satz 1,
Art. 47 EuInsVO nur auf Insolvenzverfahren Anwendung findet, die nach dem
-8-
Inkrafttreten am 31. Mai 2002 eröffnet worden sind. Über das Vermögen des
Schuldners wurde bereits am 18. Mai 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet.
12
Zutreffend hat das Berufungsgericht auch die Anwendbarkeit der
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und
die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen (EuGVVO, ABl. L 12, Seite 1) verneint, weil Rechtsstreitigkeiten
um die Unwirksamkeit oder Anfechtbarkeit von Rechtsgeschäften des
Insolvenzschuldners unter die nach Art. 1 Abs. 2 Buchstabe b) EuGVVO
ausgenommenen "Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren" fallen. Nach
der
gefestigten
Rechtsprechung
des
Europäischen
Gerichtshofs
sind
Entscheidungen, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen
und mit ihm in engem Zusammenhang stehen, als Konkurssachen im Sinne von
Art. 1 Abs. 2 Buchstabe b) EuGVVO anzusehen (Urteil vom 22. Februar 1979
- Rs. C-133/78, Gourdain/Nadler, RIW 1979, 273, 274; vom 2. Juli 2009, Rs. C111/08, Alpenblume AB, NZI 2009, 570 Rn. 25 ff). Hierunter fallen auch
Entscheidungen,
welche
die
Unwirksamkeit
oder
Anfechtbarkeit
einer
Rechtshandlung des Schuldners aufgrund insolvenzrechtlicher Besonderheiten
betreffen (vgl. für die Insolvenzanfechtungsklage EuGH, Urteil vom 12. Februar
2009 - Rs C-339/07, Deko Marty Belgium, ZIP 2009, 427 Rn. 28).
13
b) Mangels anwendbarer gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften ist daher
auf die autonomen nationalen Regelungen der Zivilprozessordnung zur
örtlichen Zuständigkeit zurückzugreifen, um die internationale Zuständigkeit der
deutschen Gerichte zu beurteilen (vgl. Zöller/Geimer, 29. Aufl., IZPR Rn. 37;
Musielak/Heinrich, ZPO, 9. Aufl., § 12 Rn. 17 mwN). Die Vorschrift des § 3 InsO
regelt ausdrücklich nur die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte und nicht
diejenige der Streitgerichte. Mit Recht haben die Vorinstanzen aber die
-9-
internationale Zuständigkeit aus § 23 ZPO abgeleitet. Die in Italien wohnhafte
Beklagte hatte im Inland keinen Wohnsitz. Da sich die streitgegenständlichen
Ruhegehaltsansprüche aber gegen die im Inland ansässige Drittschuldnerin,
die Notarkasse in München, richten, gelten sie nach § 23 Satz 2 Fall 1 ZPO als
inländisches Vermögen. Soweit die Ruhegehälter bis April 2007 beim Amtsgericht in München hinterlegt wurden, stellen sie inländisches Vermögen im Sinne
von § 23 Satz 1 ZPO dar. Dies wird auch der bei der Anwendung des § 23 ZPO
gebotenen einschränkenden Auslegung gerecht, wonach neben der Vermögensbelegenheit als weiteres ungeschriebenes Merkmal ein hinreichender
Inlandsbezug des Sachverhalts erforderlich ist (Zöller/Vollkommer, aaO § 23
Rn. 1 mwN; Hk-ZPO/Bendtsen, 4. Aufl., § 23 Rn. 1). Dieser Inlandsbezug ist im
Streitfall gegeben, weil das Insolvenzverfahren im Inland eröffnet wurde und die
Versorgungsbezüge des Insolvenzschuldners aus seiner im Inland durchgeführten Tätigkeit resultieren.
14
2. Der Einziehung der pfändbaren Ruhegehaltsansprüche des Schuldners durch den Insolvenzverwalter steht nicht entgegen, dass die Ruhegehaltsansprüche eines Notars nach italienischem Recht Pfändungsschutz
genießen sollen und der Schuldner spätestens seit dem 1. Februar 2003 seinen
Wohnsitz in Italien begründet hat. Mit Recht hat das Berufungsgericht auf das
deutsche Recht abgestellt, als es von der Pfändbarkeit und damit der
Massezugehörigkeit (§ 35 Abs. 1, § 36 Abs. 1 InsO, § 850 Abs. 2 ZPO) des
geltend gemachten Anteils an den Ruhegehaltsansprüchen des Schuldners
ausgegangen ist. Ohne gegen mögliche Ermittlungspflichten nach § 293 ZPO
zu verstoßen, konnte das Berufungsgericht somit von der beantragten
Einholung eines Sachverständigengutachtens zum italienischen Vollstreckungsrecht absehen.
- 10 -
15
a) Die von der Revision in diesem Zusammenhang zitierte Verordnung
(EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 (ABl. L 149 vom 5. Juli 1971,
Seite 2), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 (ABl. L 187 vom
10. Juli 2001, Seite 1) kann die nationalen Regelungen der Insolvenzordnung
und der Zivilprozessordnung nicht verdrängen, weil schon ihr Anwendungsbereich im Streitfall nicht eröffnet ist: Die Verordnung nimmt die Versorgungssysteme der Angehörigen freier Berufe, insbesondere auch diejenigen
der Notare, nach Art. 1 Buchst. j in Verbindung mit Anhang II von ihrem
Anwendungsbereich ausdrücklich aus (vgl. Steinmeyer in Hanau/Steinmeyer/
Wank, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 21 Rn. 33).
16
Die Neuregelung nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 166,
Seite 1) enthält eine entsprechende Eingrenzung für die Versorgungswerke der
Angehörigen freier Berufe nicht mehr und erfasst damit grundsätzlich seit dem
Beginn ihrer Geltung am 1. Mai 2010 (s. Art. 91 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 97
der Verordnung (EG) Nr. 987/2009, ABl. L 284, Seite 31) auch die Versorgungssysteme von Notaren. Das Ziel der Verordnung, die verschiedenen
nationalen Rechtsvorschriften des Sozialrechts miteinander zu koordinieren,
berührt jedoch nicht den vorgetragenen Sachverhalt. Die Kollisionsnormen in
den Art. 11 bis 16 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 haben die Funktion,
negative und positive Gesetzeskollisionen im Bereich des Sozialrechts zu
vermeiden (vgl. Kreikebohm/Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 2. Aufl., Rn. 61).
Es geht um die Koordinierung von sozialrechtlichen Leistungsansprüchen
gegenüber den entsprechenden Sozialleistungsträgern der Mitgliedstaaten,
wenn Unionsbürger von einem Mitgliedstaat in einen anderen umziehen oder in
einem anderen Mitgliedstaat arbeiten. Die Regelungen sollen einerseits bereits
- 11 -
erworbene Ansprüche oder Vorteile der nationalen sozialen Sicherheitssysteme
wahren und andererseits sachlich nicht zu rechtfertigende Leistungen gleicher
Art für denselben Zeitraum vermeiden (vgl. Erwägungsgründe 12 f der
Verordnung). Ob bestimmte Sozialleistungen nach dem nationalen Recht eines
Mitgliedstaates dem Pfändungsschutz und damit nicht dem Insolvenzbeschlag
unterliegen, ist jedoch keine von der gemeinschaftsrechtlichen Verordnung
mitgeregelte Frage des Sozialrechts, sondern eine vollstreckungsrechtliche
Frage. Auf eine Regelung des Vollstreckungsschutzes bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zielt die Verordnung nicht ab.
17
b) Die Frage, ob Vermögensbestandteile vom Insolvenzbeschlag erfasst
sind, beurteilt sich wie im deutschen Recht (§ 36 Abs. 1 InsO) auch nach
ausländischen Rechtsordnungen danach, ob diese pfändbar sind. Die Pfändbarkeit wird nicht als Frage des Insolvenzrechts, sondern als allgemeine
zwangsvollstreckungsrechtliche
Materie
verstanden.
Im
Internationalen
Zwangsvollstreckungsrecht ist die Maßgeblichkeit der lex fori anerkannt (Linke/
Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl., Rn. 528; Schütze, Deutsches
Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts, 2. Aufl., Rn. 441 mwN), so dass sich der Umfang des Pfändungsschutzes nach dem Recht des Vollstreckungslandes beurteilt. Es gilt das
Territorialitätsprinzip, weil die staatliche Zwangsgewalt auf das Inland
beschränkt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2009 - I ZB 43/08, WM
2010, 520 Rn. 11 mwN; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl.,
Rn. 3200). Damit bestimmt regelmäßig der Belegenheitsort des jeweiligen
Gegenstandes das anwendbare Recht (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1992
- IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151, 159; Gottwald/Nagel, Internationales
Zivilprozessrecht, 6. Aufl., § 17 Rn. 4; differenzierend Geimer, aaO Rn. 3285;
Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung, 2004, 247 f).
- 12 -
18
Nach
dem
Berufungsgericht
hier
die
einschlägigen
Pfändbarkeit
Territorialitätsprinzip
und
den
hatte
das
Insolvenzbeschlag
der
Ruhegehaltsansprüche nach dem deutschen Recht zu beurteilen, weil sich die
streitgegenständlichen Forderungen im Inland befinden. Bei der Pfändung von
Forderungen kann die Lokalisierung nicht tatsächlich, sondern nur rechtlich
wertend nach dem nationalen Recht erfolgen (Geimer, aaO Rn. 3211;
Linke/Hau, aaO Rn. 530). Die Vorschrift des § 23 Satz 2 ZPO lässt erkennen,
dass eine zu pfändende Forderung beim Drittschuldner belegen ist (Nagel/
Gottwald, aaO Rn. 58, 62; Linke/Hau, aaO Rn. 530; vgl. auch Geimer, aaO
Rn. 3213; Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 829 Rn. 33 "Ausländer"). Aufgrund
des inländischen Sitzes der Schuldnerin der Versorgungsleistungen ist die
streitgegenständliche Forderung in Deutschland lokalisiert, so dass deutsches
Recht die Pfändbarkeit der Versorgungsleistungen an den Insolvenzschuldner
regelt. Gleiches gilt im Hinblick auf die beim Amtsgericht München hinterlegten
Beträge, welche sich als Vermögenswerte im Sinne von § 23 Satz 1 ZPO im
Inland befinden.
19
3. Das deutsche Recht regelt zudem, ob die Abtretungen des Schuldners
insolvenzrechtlich wirksam oder anfechtbar sind. Die Anwendung des
deutschen Rechts durch das Berufungsgericht weist insoweit keine Rechtsfehler zum Nachteil der Revisionsklägerin auf.
20
a) Zur Bestimmung des auf die Wirksamkeit oder Anfechtbarkeit von
Rechtsgeschäften anwendbaren Rechts kann aus den unter 1. a) dargestellten
Gründen nicht auf die EuInsVO zurückgegriffen werden. Ebenso wenig sind die
erst mit Wirkung vom 20. März 2003 eingeführten §§ 335, 339 InsO einschlägig,
weil das Insolvenzverfahren vor dem 1. Dezember 2001 eröffnet wurde und
- 13 -
damit nach Art. 103a EGInsO analog die bis dahin geltenden gesetzlichen
Vorschriften
anzuwenden
sind
(vgl.
MünchKomm-BGB/Kindler,
5. Aufl.,
Vorbem. §§ 335 ff InsO Rn. 4; Braun/Tashiro, InsO, 5. Aufl., vor §§ 335 bis 358
Rn. 11).
21
Das Internationale Insolvenzrecht war bis zum Inkrafttreten der §§ 335 ff
InsO und der EuInsVO lückenhaft in Art. 102 EGInsO aF geregelt. Die
Vorschrift enthielt jedoch keine Kollisionsregelungen für Inlandsverfahren mit
grenzüberschreitenden Bezügen (Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur
Insolvenzordnung, 3. Aufl., Kapitel 10 Rn. 143). Es bestand indes Einigkeit
darüber, dass das Recht des Konkursstaates (lex fori concursus) insolvenzspezifische Fragen im Sinne der §§ 103 ff InsO beantwortet (vgl. FK-InsO/
Wimmer, 3. Aufl., Anh. I Rn. 320) und die Wirksamkeit von masseverkürzenden
Rechtsgeschäften regelt (vgl. Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 151).
Die Wirksamkeit der Abtretungen des Schuldners bestimmt sich deshalb nach
§ 91 Abs. 1, § 114 Abs. 1 InsO, weil im Inland das Insolvenzverfahren eröffnet
wurde. Auch die Anfechtbarkeit der Abtretungen richtet sich nach dem
Konkursstatut (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1992 - IX ZR 233/90, BGHZ 118,
151, 168; vgl. aber zur Anfechtung durch einen ausländischen Konkursverwalter nach Einführung der Kumulationslösung in Art. 102 Abs. 2 EGInsO
aF, BGH, Urteil vom 21. November 1996 - IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116,
121 ff).
22
b) Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die
Abtretungen, soweit sie die nach dem 31. Mai 2004 fälligen Ruhegehaltsansprüche des Schuldners betreffen, gemäß § 114 Abs. 1 InsO in der nach
§ 103a EGInsO bis zum 30. November 2001 geltenden Fassung unwirksam
sind. Nach dieser Vorschrift ist die Abtretung von Bezügen aus einem
- 14 -
Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge nur wirksam,
soweit sie sich auf die Bezüge für die Zeit vor Ablauf von drei Jahren nach dem
Ende des zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden
Kalendermonats bezieht.
23
Die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO erfasst regelmäßig auch die
Versorgungsbezüge von Notaren außer Dienst oder anderen Selbständigen im
Ruhestand. Grundsätzlich ist es für die Anwendung der Norm unerheblich, ob
es um Bezüge aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit geht. Hiermit
sind auch Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung (BGH, Beschluss
vom 24. März 2011 - IX ZB 217/08, ZInsO 2011, 812 Rn. 8; Moll in
Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2009, § 114 Rn. 22; MünchKomm-InsO/Löwisch/
Caspers, 2. Aufl., § 114 Rn. 14; Uhlenbruck/Berscheid/Ries, InsO, 13. Aufl.,
§ 114
Rn. 10;
Graf-Schlicker/Pöhlmann,
InsO,
3. Aufl.,
§ 114
Rn. 9),
Ruhegelder und ähnliche nach dem einstweiligen oder dauernden Ausscheiden
aus dem Dienst oder Arbeitsverhältnis gewährte fortlaufende Einkünfte
(Nerlich/Römermann/Kießner, InsO, 2008, § 114 Rn. 23) sowie Betriebs- und
Sozialrenten (Moll in Kübler/Prütting/Bork, aaO Rn. 22) gemeint. Es gibt keinen
Grund, dies für Ruhegehaltsansprüche eines Selbständigen, welcher als
Pflichtmitglied eines berufsständischen Versorgungswerkes einem eigenständigen Versorgungssystem unterliegt (vgl. Esser/Prossliner, NZI 2002, 647,
648), anders zu sehen.
24
Da das Insolvenzverfahren im Streitfall am 18. Mai 2001 eröffnet wurde,
ist die Abtretung nur für die vor dem 1. Juni 2004 fälligen Ruhegehälter des
Schuldners wirksam; für die Zeit danach folgt die Unwirksamkeit der Abtretung
unmittelbar aus § 114 Abs. 1 InsO aF. Dabei verdrängt § 114 Abs. 1 InsO in
seinem Anwendungsbereich die Vorschrift des § 91 Abs. 1 InsO (BGH, Urteil
- 15 -
vom 11. Mai 2006, aaO Rn. 9 ff mwN; MünchKomm-InsO/Löwisch/Caspers,
aaO Rn. 2; Nerlich/Römermann/Kießner, aaO Rn. 36; Moll in Kübler/Prütting/
Bork, aaO Rn. 12; Hergenröder in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 114
Rn. 1; HK-InsO/Linck, 6. Aufl., § 114 Rn. 1).
25
c) Die Abtretung der vor dem 1. Juni 2004 fälligen Ruhegehälter vom
24. Dezember 1999 ist anfechtbar. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass
der Schuldner der Beklagten zu diesen Zeitpunkten Unterhalt in Höhe der abgetretenen Versorgungsanrechte schuldete und die Verfügung nicht unentgeltlich
im Sinne von § 134 Abs. 1 InsO erfolgte, kann gemäß § 143 Abs. 1 InsO die
Rückabtretung der abgetretenen Ruhegehaltsansprüche des Schuldners (vgl.
HK-InsO/Kreft, aaO § 143 Rn. 15) sowie die Zustimmung zur Auszahlung der
hinterlegten Ruhegehälter (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl., § 812 Rn. 93)
von der Beklagten verlangt werden, weil die Anfechtungsvoraussetzungen des
§ 133 Abs. 2, § 138 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegen.
26
aa) Durch die Abtretung vom 24. Dezember 1999 hatte der Schuldner mit
einer nahestehenden Person - seiner Ehefrau - einen entgeltlichen Vertrag
während des von § 133 Abs. 2, § 138 Abs. 1 Nr. 1 InsO geschützten Zeitraums
von zwei Jahren vor dem Eingang des Eröffnungsantrags am 29. November
2000 geschlossen. Wenn sich der Schuldner durch die Abtretung von
Ruhegehaltsansprüchen von seiner Unterhaltsschuld gegenüber der Beklagten
befreit hat, ist auch die Voraussetzung der Entgeltlichkeit erfüllt. Denn als
entgeltlich sind Verträge anzusehen, wenn der Leistung des Schuldners eine
ausgleichende Zuwendung - etwa die Befreiung von einer Verbindlichkeit - der
ihm nahe stehenden Person gegenübersteht und beide rechtlich voneinander
abhängen (HK-InsO/Kreft, aaO § 133 Rn. 26).
- 16 -
27
bb) Die Abtretung führte auch zu einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung im Sinne von § 133 Abs. 2 InsO, denn sie beeinträchtigte die
Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger, indem die Aktivmasse verkürzt
wurde (vgl. HK-InsO/Kreft, aaO § 129 Rn. 37). Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn die Rechtshandlung des Schuldners die Zugriffsmöglichkeiten der Gläubigergesamtheit unmittelbar verschlechterte, ohne dass
weitere Umstände hätten hinzutreten müssen (BGH, Urteil vom 19. Mai 2009
- IX ZR
129/06,
ZInsO
2009,
1249
Rn. 18;
Ehricke
in
Kübler/
Prütting/Bork, InsO, 2008, § 129 Rn. 91; Gehrlein in Ahrens/Gehrlein/
Ringstmeier, aaO § 129 Rn. 66 f; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 129
Rn. 113).
28
Die Unmittelbarkeit der Gläubigerbenachteiligung wird nicht dadurch in
Frage gestellt, dass die Abtretung der künftigen Ruhegehaltsansprüche erst mit
dem Eintritt der Voraussetzungen für den Ruhegehaltsbezug, also ab dem
Zeitpunkt seiner vorläufigen Amtsenthebung, für den Versorgungsempfänger
spürbar wurde. Rentenanwartschaften, die bei Eintritt des Versicherungsfalles
zum Vollrecht erstarken, stellen bereits einen eigenen Vermögenswert dar (vgl.
BVerfGE 53, 257, 289 ff; Mai, Die Insolvenz des Freiberuflers, S. 78; Esser/
Prossliner, NZI 2002, 647, 650). Die aus der Rentenanwartschaft erwachsenden künftigen Rentenansprüche sind pfändbar, unabhängig davon, ob sie
schon bezogen werden oder nicht (BGH, Beschluss vom 21. November 2002
- IX ZB 85/02, ZInsO 2003, 330, 331; vom 10. Oktober 2003 - IXa ZB 180/03,
NJW 2003, 3774, 3775). Mit ihren pfändbaren Anteilen gehören die künftigen
Renten- oder Ruhegehaltsansprüche zur Insolvenzmasse (vgl. §§ 35, 36 Abs. 1
InsO) und ihre Abtretung an Dritte beeinträchtigt grundsätzlich ohne weiteres
die Interessen der übrigen Gläubiger, die auf diesen Wert nicht mehr zugreifen
können.
- 17 -
29
Das Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung kann auch nicht verneint
werden, weil die Versorgungsansprüche des Schuldners nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zuvor durch die Sicherungsabtretung aus
dem Jahre 1994 aus dem Vermögen des Schuldners ausgeschieden wären.
Die Sicherungsabtretung gewährte der Beklagten nach der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens gemäß § 50 Abs. 1, § 51 Nr. 1 InsO nur ein Recht zur
abgesonderten Befriedigung nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 InsO, ohne
dass der Insolvenzmasse die wirtschaftliche Inhaberschaft der Forderungen
entzogen worden wäre. Dieses der Insolvenzmasse verbleibende Recht
verkörpert durchweg einen selbständigen, im Kern geschützten Vermögenswert
(BGH, Urteil vom 5. April 2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233, 239; vom
9. Oktober 2003 - IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370, 2372; vom 29. März 2007
- IX ZR 27/06, ZIP 2007, 1126 Rn. 26). Erst durch die spätere Vollabtretung ist
dieser Vermögenswert aus dem Vermögen des Schuldners endgültig
ausgeschieden und damit der Masse entzogen worden (vgl. BGH, Urteil vom
9. Oktober 2003, aaO; vom 29. März 2007, aaO; MünchKomm-InsO/Kirchhof,
aaO § 129 Rn. 154).
30
cc) Sowohl der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners als
auch
die
Kenntnis
des
Anfechtungsgegners
werden
im
Falle
der
Gläubigerbenachteiligung durch den Vertrag widerleglich vermutet (vgl. HKInsO/Kreft, aaO § 133 Rn. 27). Die Beklagte hat diese gesetzliche Vermutung
als Anfechtungsgegnerin nicht nach § 133 Abs. 2 Satz 2 InsO hinreichend
widerlegt. Sie trifft die volle Darlegungs- und Beweislast sowohl für die
Behauptung, der Schuldner habe nicht mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt,
als auch für die von ihr behauptete fehlende Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2010 - IX ZR
- 18 -
58/09, ZInsO 2010, 1489 Rn. 11). Dabei ist die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nur zu widerlegen, wenn auch feststeht, dass der
Anfechtungsgegner weder die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners
noch Umstände kannte, die zwingend auf diese hindeuteten (vgl. Bork in
Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, § 132 Rn. 553; MünchKomm-InsO/Kirchhof,
aaO § 133 Rn. 47).
31
Die vermuteten subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 133 Abs. 2
InsO, welche als innere Vorgänge nur schwer dem Beweise zugänglich sind,
können regelmäßig nur mittelbar durch objektive Tatsachen widerlegt werden
(BGH, Urteil vom 1. Juli 2010, aaO Rn. 16; vom 8. Dezember 2011 - IX ZR
156/09, ZIP 2012, 137 Rn. 9; MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO Rn. 23). Dabei
ist das Gericht allerdings nur dann zur Beweiserhebung verpflichtet, wenn
konkrete Tatsachen dargetan werden, welche im Falle eines erbrachten
Beweises Einfluss auf die Entscheidung haben, also erheblich sind (vgl. HkZPO/Saenger, aaO § 284 Rn. 50). Im Falle eines Indizienbeweises hat das
Gericht zur Bejahung der Schlüssigkeit zu prüfen, ob die Gesamtheit aller
vorgetragenen Indizien - ihre Richtigkeit unterstellt - das Gericht von der
Wahrheit der Haupttatsache überzeugen würde (BGH, Urteil vom 17. Februar
1970 - III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 261; vom 25. November 1992 - XII ZR
179/91, NJW-RR 1993, 443, 444; Hk-ZPO/Saenger, aaO § 284 Rn. 26). Der
Beweisantrag darf abgelehnt werden, wenn er sich auf ein Indiz bezieht,
welches für sich allein und im Zusammenhang mit weiteren Indizien sowie dem
sonstigen Sachverhalt für den Richter nach seiner Lebenserfahrung nicht den
ausreichend sicheren Schluss auf die beweisbedürftige Haupttatsache zulässt
(BGH, Urteil vom 17. Februar 1970, aaO; vom 1. Juli 2010, aaO).
- 19 -
32
Angesichts dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht mit Recht von
einer Beweiserhebung zum subjektiven Tatbestand des § 133 Abs. 2 InsO
abgesehen. Die Beklagte hat zwar unter Benennung von Zeugen vorgetragen,
der Schuldner sei Teilhaber einer Notarsozietät in München mit höchsten
Umsätzen und Gewinnen gewesen und habe bis zum 30. April 2001 stets auf
die
Bereitschaft
eines
großen
Kreditinstituts
setzen
können,
ihm
in
ausreichenden Umfange Kredit zu gewähren; der Ehemann habe also bei
Abschluss der Abtretungsvereinbarung nicht mit dem Vorsatz gehandelt,
andere Gläubiger zu benachteiligen, sondern habe nur familienrechtliche
Ansprüche sichern wollen. Diese Argumentation widerlegt jedoch nicht, dass
der Schuldner die Benachteiligung der Gläubiger - sei es auch nur als
unvermeidliche Nebenfolge seiner Rechtshandlung - zur Verwirklichung seines
eigenen Ziels erkannt und hingenommen hat, was für die Annahme des
Benachteiligungsvorsatzes ausreichend ist (vgl. BGH, Urteil vom 29. November
2007 - IX ZR 121/06, BGHZ 174, 314 Rn. 32; Gehrlein in Ahrens/Gehrlein/
Ringstmeier, aaO § 133 Rn. 9; HK-InsO/Kreft, aaO § 133 Rn. 9 jeweils mwN).
Es genügt, dass der Schuldner es für möglich hält, dass er neben dem
Anfechtungsgegner
nicht
alle
Gläubiger
innerhalb
angemessener
Zeit
befriedigen kann (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2007 - IX ZR 97/06, ZInsO 2007,
819 Rn. 8).
33
Ebenso fehlt konkreter Vortrag der Beklagten zu ihrer Unkenntnis des
Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes. Mit ihrer Behauptung, von der Vermögenssituation und den Einkommensverhältnissen des in Deutschland tätigen
Schuldners keine Vorstellung gehabt zu haben, zumal sie ihn von Mitte
November 1998 bis Mai 2001 aufgrund ihres Lebensmittelpunktes in Italien nur
am Wochenende gesehen habe, genügt sie den Anforderungen an ihre
Darlegungslast nicht. Zu berücksichtigen ist, dass die Beklagte selbst
- 20 -
vorgetragen hat, der Schuldner habe bei ihr bis Mitte August 1998 beträchtliche
Unterhaltsrückstände in fünf Jahren angesammelt. Zur Abgeltung eines
Teilbetrages von 350.000 DM habe er ihr am 16. September 1998 sein
Ferienhaus in Frankreich übertragen; es sei noch ein Unterhaltsrückstand von
350.000 DM verblieben. Ferner seien der Beklagten erhebliche Prozess- und
Vollstreckungskosten in Rechtsstreitigkeiten entstanden, welche auf Veranlassung des Schuldners von ihr geführt worden seien. Diese teilweise bereits ab
dem 16. Dezember 1997 titulierten Kosten habe der Schuldner nur teilweise
erstatten können; im Übrigen seien sie zu ihren Lasten gegangen. Im Hinblick
auf diese von der Beklagten vorgetragene Höhe und Dauer der Zahlungsrückstände des Schuldners kannte sie sogar Tatsachen, die in ihrer
Gesamtheit die Schlussfolgerung nahelegten, dem Schuldner drohe die
Zahlungsunfähigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - IX ZR 318/01,
ZIP 2004, 669, 671). Andere Gründe für die unterlassene Tilgung der
Rückstände oder Anzeichen dafür, dass sich die wirtschaftliche Situation des
Schuldners bis Ende 1999 aus Sicht der Beklagten wieder verbessert hatte,
sind nicht vorgetragen worden.
34
d) Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe den Ablauf der
zweijährigen Verjährungsfrist nicht verneinen dürfen, welche auf die Anfechtungsansprüche nach § 146 Abs. 1 InsO in der bis zum 14. Dezember 2004
geltenden Fassung (vgl. Art. 229 § 12 iVm Art. 229 § 6 EGBGB) Anwendung
findet, greift nicht durch. Vielmehr ist das Berufungsgericht zu Recht von einer
Hemmung der Verjährung durch Klageerhebung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1
BGB (iVm Art. 229 § 12 Abs. 1, Art. 229 § 6 Abs. 2 EGBGB) ausgegangen.
35
Die Erhebung der Klage setzt zwar nach § 253 Abs. 1 ZPO die
Zustellung der Klageschrift voraus. Diese ist im Streitfall erst am 5. August 2003
- 21 -
und damit nach Ablauf der zweijährigen Verjährungsfrist in dem am 18. Mai
2001 eröffneten Insolvenzverfahren erfolgt. Die Zustellung erfolgte jedoch
"demnächst" und wirkte deshalb gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt der
Klageeinreichung am 29. April 2004 zurück. Dieser Begriff ist ohne eine
absolute zeitliche Grenze im Wege einer wertenden Betrachtung auszulegen.
Die zustellende Partei muss alles ihr Zumutbare für eine alsbaldige Zustellung
getan haben. Dabei sollen Verzögerungen im gerichtlichen Geschäftsbetrieb,
welche von den Parteien nicht beeinflusst werden können, nicht zu Lasten der
zustellenden Partei gehen (BGH, Urteil vom 11. Juli 2003 - V ZR 414/02, NJW
2003, 2830, 2831; vom 11. Februar 2011 - V ZR 136/10, WuM 2011, 540
Rn. 6). Vorliegend beruhte die Verzögerung auf den Besonderheiten der in
Italien zu bewirkenden Auslandszustellung, die in der alleinigen Verantwortung
des Gerichts lag, so dass die Verzögerung nicht auf ein vorwerfbares Verhalten
des Klägers zurückzuführen war und die Zustellung somit auch noch
"demnächst" im Sinne von § 167 Abs. 1 ZPO erfolgte (vgl. BGH, Urteil vom
11. Juli 2003, aaO; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 167 Rn. 12).
36
Dem Kläger kann entgegen der Annahme der Revision nicht zum
Vorwurf gemacht werden, die Zustellung der Klage nicht unmittelbar selbst nach
dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Art. 15 Abs. 1 Verordnung (EG)
Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher
und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen (EGZustellVO) veranlasst zu haben. Insoweit ist nicht entscheidend, dass Italien
keine Einwände gegen diese Möglichkeit der Parteizustellung gerichtlicher
Schriftstücke gemäß Absatz 2 der Vorschrift erhoben hatte. Vielmehr kommt es
darauf an, dass Deutschland sein Widerspruchsrecht genutzt und am
Grundsatz der Amtszustellung festgehalten hat (vgl. § 166 Abs. 2 ZPO in der
bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung; hierzu Rauscher/Heiderhoff,
- 22 -
Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 15 EG-ZustellVO Rn. 3, 6). Aus
diesem Widerspruch folgt, dass die Parteizustellung auch von Deutschland aus
in andere Mitgliedstaaten, welche diese Form der Zustellung zuließen,
regelmäßig ausgeschlossen war, weil sich die Ordnungsmäßigkeit einer
Zustellungsart
nach
dem
Recht
des
Gerichtsstaates
beurteilt
(Rauscher/Heiderhoff, aaO Rn. 5; Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches
Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 15 VO (EG) Nr. 1348/2000 Rn. 6).
37
Die Hemmung der Verjährung endete schließlich nicht durch einen
Verfahrensstillstand infolge Nichtbetreibens der Parteien im Sinne von § 204
Abs. 2 Satz 2 BGB, sondern dauerte gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB fort. Ein
Verfahrensstillstand tritt nur ein, wenn die Parteien die zur Förderung des
Verfahrens notwendigen Handlungen nicht vornehmen und das Verfahren
dadurch in Stillstand gerät, nicht aber wenn die Leitung des Verfahrens Sache
des Gerichts ist (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1999 - VI ZR 19/99, ZIP 2000,
294, 296; Palandt/Ellenberger, BGB, 72. Aufl., § 204 Rn. 47 mwN). Damit war
der Kläger nicht dazu verpflichtet, auf einen zügigeren Termin zur mündlichen
Verhandlung beim Berufungsgericht hinzuwirken, als er die am 5. November
2008 verfügte Ladung für den 14. Januar 2010 erhielt. Die Hemmung der
Verjährung endet nicht dadurch, dass ein Gericht zwischen Terminbestimmung
und Termin einen Zeitraum legt, der die Verjährungsfrist übersteigt, auch wenn
die Parteien in diesem Zeitraum untätig bleiben (MünchKomm-BGB/Grothe,
6. Aufl., § 204 Rn. 77). Ebenso wenig hatte der Kläger die erneute Verlegung
des Termins auf den 6. Mai 2010 zu verantworten, weil das Gericht erst kurz
vor dem anberaumten Termin feststellte, die Fristsetzung für die Berufungserwiderung versäumt zu haben.
- 23 -
38
4. Soweit sich die Revision gegen die Aufhebung der im Urteil des
Landgerichts ausgesprochenen Zug-um-Zug-Verurteilung auf Herausgabe
diverser Gegenstände wendet, hat sie ebenfalls keinen Erfolg. Die in den
Nummern 34 bis 50 des Pfändungsprotokolls des Zentralfinanzamtes München
vom 13. November 2000 bezeichneten Bilder sind nach eigenem Vortrag der
Beklagten zwischenzeitlich weitestgehend herausgegeben worden und die
Beklagte hat ihren Antrag mit Schriftsatz vom 19. Februar 2010 insoweit für
erledigt erklärt.
39
Im Übrigen fehlt die für ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1
BGB erforderliche Konnexität der wechselseitigen Ansprüche. Der Anspruch
des Klägers und der Herausgabeanspruch der Nebenintervenientin zu 1,
welchen die Beklagte mit einer Einziehungsermächtigung der Eigentümerin
geltend macht, beruhen nicht auf demselben rechtlichen Verhältnis. Dafür
genügt es zwar, wenn ein innerlich zusammengehöriges einheitliches Lebensverhältnis zu Grunde liegt. Es muss aber ein innerer natürlicher und
wirtschaftlicher Zusammenhang bestehen, aufgrund dessen es gegen Treu und
Glauben verstieße, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den anderen
geltend gemacht und verwirklicht werden könnte (BGH, Urteil vom 22. Februar
1967 - IV ZR 331/65, BGHZ 47, 157, 167). Im Falle von insolvenzrechtlichen
Rückgewähransprüchen sind insbesondere auch die Interessen des Anfechtungsgegners gegen die der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger abzuwägen, so
dass die Einrede einen besonders engen Zusammenhang erfordert (BGH, Urteil
vom 11. Mai 2000 - IX ZR 262/98, NJW 2000, 3777, 3781). Die insolvenzrechtlichen Ansprüche infolge der abgetretenen Versorgungsansprüche und der
Herausgabeanspruch wegen der beim Finanzamt verwahrten Gegenstände der
Nebenintervenientin zu 1 stehen jedoch in keinem Zusammenhang, welcher
- 24 -
eine isolierte Durchsetzung des einen Anspruchs ohne Rücksicht auf den
Gegenanspruch unbillig erscheinen ließe.
Kayser
Vill
Fischer
Lohmann
Pape
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 24.01.2008 - 34 O 8143/03 OLG München, Entscheidung vom 01.07.2010 - 6 U 2047/08 -