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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 12/07
Verkündet am:
24. Oktober 2007
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 524
Für die Zulässigkeit der Anschlussberufung gilt bei Gesetzesänderungen das Prozessrecht in der Fassung, die für die Beurteilung der Zulässigkeit der Berufung maßgeblich ist.
BGH, Urteil vom 24. Oktober 2007 - IV ZR 12/07 - LG Hannover
AG Hannover
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2007
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 19. Zivilkammer des
Landgerichts Hannover vom 7. Dezember 2006 wird auf
Kosten des Klägers mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:
Die mit Schriftsatz vom 7. Februar 2006 eingelegte, auf
die Verurteilung der Beklagten zur Auskunftserteilung
über den Betrag der Überschussbeteiligung gerichtete
Anschlussberufung des Klägers wird verworfen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger verlangte von der Beklagten, einem Lebensversicherungsunternehmen, im Wege der Stufenklage Auskunft über den Rückkaufswert einer kapitalbildenden Lebensversicherung ohne Verrechnung
mit Abschlusskosten und ohne Stornoabzug sowie Zahlung des sich daraus ergebenden Betrages. Das Amtsgericht verurteilte die Beklagte mit
Urteil vom 12. November 2002 (VersR 2003, 314), dem Kläger in belegter und prüfbarer Form Auskunft darüber zu erteilen, mit welchen Ab-
-3-
schlusskosten (gemäß § 15 AVB) und mit welchem Abzug (gemäß § 6
Abs. 2 Ziff. b AVB) sie den Zeitwert (§ 176 Abs. 3 VVG) des Vertrages
belastet habe und wie hoch der Auszahlungsbetrag ohne diese Belastungen zum 1. März 2002 gewesen wäre. Das Landgericht wies die Berufung der Beklagten zurück (VersR 2003, 1289). Auf die Revision der Beklagten hob der Senat das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an
das Landgericht zurück (BGHZ 164, 297).
2
Nach der Zurückverweisung hat der Kläger mit Schriftsatz vom
7. Februar 2006 erstmals beantragt, die Beklagte (auch) zur Auskunft
darüber zu verurteilen, auf welchen Betrag sich die dem Lebensversicherungsvertrag zugewiesene Überschussbeteiligung zum 1. März 2002 belaufe (Antrag c). Die Beklagte hält diese Erweiterung des Auskunftsantrages für eine nicht fristgerecht eingelegte und damit unzulässige Anschlussberufung. Davon abgesehen habe der Kläger auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2005 (NJW 2005, 2376)
keinen zivilrechtlichen Anspruch auf Einzelauskünfte zur Ermittlung und
Verteilung des Überschusses.
3
In der Berufungsverhandlung hat der Kläger nur noch den Antrag
zu c aus dem Schriftsatz vom 7. Februar 2006 gestellt. Im Übrigen haben
die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
4
Mit der Revision wendet sich der Kläger gegen die Abweisung seines die Überschussbeteiligung betreffenden Auskunftsbegehrens.
-4-
Entscheidungsgründe:
5
Die Revision ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die mit
Schriftsatz vom 7. Februar 2006 eingelegte, auf die Verurteilung der Beklagten zur Auskunftserteilung über den Betrag der Überschussbeteiligung gerichtete Anschlussberufung des Klägers verworfen wird.
6
1. Das Berufungsgericht hält die Klagerweiterung für sachdienlich.
Der Kläger habe aber auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2005 (aaO) jedenfalls bis zur Neuregelung
durch den Gesetzgeber keinen Anspruch auf die verlangten Auskünfte.
7
2. Das Berufungsgericht hat übersehen, dass es sich bei der Klagerweiterung um eine nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO in der vom 1. Januar
2002 bis zum 31. August 2004 geltenden Fassung verspätete und damit
unzulässige Anschlussberufung handelt, die zu verwerfen war. Das ist
vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom
11. Oktober 2000 - VIII ZR 321/99 - NJW 2001, 226 unter II). Danach war
im Berufungsverfahren kein Raum für eine Entscheidung über die Sachdienlichkeit der Klagerweiterung und über die materielle Berechtigung
des neu geltend gemachten Anspruchs.
8
a) Bei dem Antrag zu c) im Schriftsatz vom 7. Februar 2006 handelt es sich entgegen der Auffassung der Revision um eine Klagerweiterung und nicht lediglich um eine Präzisierung der bisherigen Anträge. Mit
diesen Anträgen, denen das Amtsgericht stattgegeben hat, verlangte der
Kläger Auskunft darüber, mit welchen Abschlusskosten gemäß § 15 AVB
und mit welchem Abzug gemäß § 6 Abs. 2 lit. b AVB die Beklagte den
Zeitwert (§ 176 Abs. 3 VVG) des Lebensversicherungsvertrages belastet
-5-
habe und welche Höhe der Auszahlungsbetrag ohne diese (beiden) Belastungen zum 1. März 2002 gehabt hätte. Dementsprechend waren der
Antrag des Klägers und der Beschluss des Amtsgerichts vom 30. April
2003 im Vollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO (mit Recht) nur auf
prüfbare und belegte Auskünfte zu den Abschlusskosten und zu dem
Stornoabzug sowie die Höhe des Auszahlungsbetrages (des Rückkaufswerts ohne diese Belastungen) gerichtet. Daraus folgt, dass es bis zum
Schriftsatz des Klägers vom 7. Februar 2006 allein um Auskunft über die
Abschlusskosten nach § 15 AVB, den Stornoabzug nach § 6 Abs. 2 lit. b
AVB und die Höhe des Zahlungsanspruchs ohne diese Belastungen ging,
nicht aber um die Höhe der Überschussbeteiligung nach § 17 AVB und
die Höhe des Zahlungsanspruchs einschließlich Überschussbeteiligung.
Bei dem in § 6 Abs. 2 AVB geregelten Rückkaufswert und der in § 17
AVB geregelten Überschussbeteiligung handelt es sich nach dem Versicherungsvertrag um jeweils selbständige Ansprüche, die von unterschiedlichen tatsächlichen Voraussetzungen abhängen und die deshalb
auch verschiedene Streitgegenstände darstellen.
9
Der in erster Instanz siegreiche Kläger kann die Klage in zweiter
Instanz nur im Wege der Anschlussberufung erweitern (Wieczorek/
Schütze/Gerken,
ZPO
3. Aufl.
§ 524
Rdn. 12,
§ 533
Rdn. 3;
MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl. § 533 Rdn. 9; BGH, Urteil
vom 6. Mai 1999 - IX ZR 250/98 - NJW 1999, 2118 unter I 2 a). Der neue
Antrag im Schriftsatz vom 7. Februar 2006 ist als Anschlussberufung
auszulegen, weil der Kläger damit seinen Willen zum Ausdruck gebracht
hat, zu seinen Gunsten eine Änderung des erstinstanzlichen Urteils zu
erreichen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 1990 - V ZR 122/89 - WM
1991, 383 unter 2 b). Die Anschlussberufung konnte nach dem bis zum
31. Dezember 2001 geltenden Prozessrecht in zulässiger Weise bis zum
-6-
Schluss der mündlichen Verhandlung über die Hauptberufung eingelegt
werden (BGH, Urteile vom 23. April 1998 - I ZR 205/95 - NJW 1999, 139
unter III 2 a aa und vom 15. Oktober 1993 - V ZR 19/92 - NJW 1994, 586
unter I 3). Nach der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Reform des
Zivilprozessrechts hat sich das durch die Einführung einer Frist für die
Anschlussberufung geändert (vgl. BGHZ 163, 324, 326 ff.).
10
b) aa) Nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO in der bis zum 31. August
2004 geltenden Fassung war die Anschließung nur zulässig bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift.
Dies ist durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August
2004 (BGBl. I 2198) dahin geändert worden - soweit hier von Bedeutung -, dass die Anschließung bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung zulässig ist. Insoweit ist das
Gesetz ohne Übergangsregelung am 1. September 2004 in Kraft getreten. Bei fehlender Übergangsregelung erfassen Änderungen des Prozessrechts im Allgemeinen auch schwebende Verfahren. Diese sind daher mit dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes grundsätzlich nach
neuem Recht zu beurteilen, soweit es nicht um unter der Geltung des alten Rechts abgeschlossene Prozesshandlungen und abschließend entstandene Prozesslagen geht; Abweichendes kann sich auch aus dem
Sinn und Zweck der betreffenden Vorschrift oder aus dem Zusammenhang mit anderen Grundsätzen des Prozessrechts ergeben (BGHZ 114,
1, 3 ff.; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO 22. Aufl. EGZPO § 1 Rdn. 2 f.; Musielak, ZPO 5. Aufl. Einleitung Rdn. 13; Zöller/Vollkommer, ZPO 26. Aufl.
Einleitung Rdn. 104).
11
bb) Daran gemessen ist die Zulässigkeit der Anschlussberufung
hier nach dem bis zum 31. August 2004 geltenden Recht zu beurteilen.
-7-
Sie war demgemäß innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung einzulegen. Die Frist hatte am 11. Februar 2003 zu
laufen begonnen und ist versäumt worden.
12
Der Regelung der unselbständigen Anschlussberufung in § 524
ZPO in der bis zum 31. August 2004 geltenden wie in der neuen Fassung
ist generell zu entnehmen, dass für die Zulässigkeit der Anschlussberufung das Prozessrecht in der Fassung gilt, die für die Beurteilung der Zulässigkeit der Berufung maßgeblich ist. Die unselbständige Anschlussberufung ist auch nach der Reform des Zivilprozessrechts kein eigenes
Rechtsmittel, sondern ein auch angriffsweise wirkender Antrag innerhalb
des fremden Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2005 - XII
ZB 163/04 - NJW-RR 2005, 727 unter II 2 und 3; BGHZ 139, 12 ff.). Sie
-8-
ist nicht nur hinsichtlich der Anknüpfung der Befristung in § 524 Abs. 2
Satz 2, sondern nach § 524 Abs. 4 ZPO prozessual insgesamt von der
Hauptberufung abhängig (Musielak/Ball, ZPO 5. Aufl. § 524 Rdn. 27 ff.).
Terno
Seiffert
Dr. Kessal-Wulf
Wendt
Dr. Franke
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 12.11.2002 - 525 C 5344/02 LG Hannover, Entscheidung vom 07.12.2006 - 19 S 108/02 -