Cyberlaywer/build/tfgpu-cyberlaywer/EndDokumente/iv_zr_306-00.pdf.txt
2023-03-06 15:36:57 +01:00

173 lines
No EOL
10 KiB
Text
Raw Blame History

This file contains invisible Unicode characters

This file contains invisible Unicode characters that are indistinguishable to humans but may be processed differently by a computer. If you think that this is intentional, you can safely ignore this warning. Use the Escape button to reveal them.

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 306/00
Verkündet am:
18. Juli 2001
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, den Richter Seiffert, die Richterin Ambrosius, den
Richter Wendt und die Richterin Dr. Kessal-Wulf auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juli 2001
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des
16. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 23. Dezember 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist durch Beschluß des Amtsgerichts E. vom 1. April
2000 zum Verwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin bestellt worden. Er nimmt in dieser Eigenschaft den Beklagten auf Schadensersatz wegen der Verletzung versicherungsvertraglicher Pflichten in
Anspruch.
-3-
Die Insolvenzschuldnerin, Inhaberin einer als Einzelfirma betriebenen Bäckerei, wurde seit dem Jahre 1989 in Versicherungsfragen
durch den Agenten des Beklagten, den Zeugen S., betreut. Sie unterhielt
bei dem Beklagten u. a. eine Betriebs-Haftpflichtversicherung. Im Februar 1997 wurde festgestellt, daß aus den Leitungen der auf dem Betriebsgrundstück befindlichen Heizöltanks über längere Zeit Öl ausgetreten
war. Zur Beseitigung des Schadens an ihrem Grundstück mußte die Insolvenzschuldnerin 57.305,18 DM aufwenden. Der Beklagte lehnte eine
Regulierung mit der Begründung ab, die mit der Lagerung von Heizöl
verbundenen
Risiken
hätten
durch
eine
Gewässerschaden-
Haftpflichtversicherung abgesichert werden müssen. Deswegen nimmt
die Insolvenzschuldnerin den Beklagten wegen Beratungs- und Aufklärungsverschuldens auf Schadensersatz in Anspruch. Dem Zeugen S. sei
ein Beratungsverschulden vorzuwerfen, weil er auf ausdrückliche Nachfrage im Jahre 1992 erklärt habe, es bestehe ein umfassender Versicherungsschutz, der die sich aus der mit der Lagerung von Heizöl verbundenen Gefahren einschließe. Der Beklagte selbst habe aufgrund der von
ihm unter anderem in den Jahren 1995 und 1996 versandten Fragebögen von dem besonderen Umweltrisiko gewußt, das von den Heizöltanks
ausgegangen sei. Für ihn sei erkennbar geworden, daß sich bei ihr die
Vorstellung gebildet habe, das Risiko sei von der vorhandenen BetriebsHaftpflichtversicherung abgedeckt.
Das Landgericht hat den Beklagten in Höhe eines Betrages von
52.805,18 DM verurteilt. Der Beklagte habe für ein Beratungsverschulden des Zeugen S. einzustehen. Unabhängig davon hafte er aufgrund
-4-
eigenen Aufklärungsverschuldens. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen wendet er sich
mit der Revision.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 547 ZPO unbeschränkt statthafte Revision hat Erfolg
und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Es hat die Berufung des Beklagten mangels ordnungsgemäßer
Begründung als unzulässig verworfen. Der Beklagte habe sich nur mit
einer der beiden jeweils tragenden Begründungen des angefochtenen
Urteils auseinandergesetzt, nämlich mit der Frage, ob ein zurechenbares
Beratungsverschulden seines Agenten vorliege. Zur weiteren Begründung des Landgerichts, er hafte daneben auch wegen eigener Aufklärungspflichtverletzung im Zusammenhang mit der alljährlich durchgeführten Fragebogenaktion, liege noch nicht einmal eine - ohnehin unzulässige - pauschale Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag vor.
II. Das hält der Nachprüfung nicht stand.
1. Die Berufungsbegründung muß nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die
bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der
Anfechtung (Berufungsgründe) sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel
und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer
-5-
Berufung anzuführen hat. Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, formale und nicht auf den konkreten Streitfall bezogene Berufungsbegründungen auszuschließen, um dadurch auf die Zusammenfassung und Beschleunigung des Verfahrens im zweiten Rechtszug hinzuwirken; allein
schon aus der Berufungsbegründung sollen Gericht und Gegner erkennen können, welche Gesichtspunkte der Berufungskläger seiner Rechtsverfolgung oder -verteidigung zugrunde legen, insbesondere welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils er
bekämpfen und auf welche Gründe er sich hierfür stützen will (BGH, Urteil vom 24. Januar 2000 - II ZR 172/98 - NJW 2000, 1576 unter II). Die
Rechtsmittelbegründung muß das gesamte Urteil in Frage stellen. Dabei
kann es für die Zulässigkeit der Berufung genügen, daß der Berufungskläger sich lediglich mit einem der Streitpunkte auseinandersetzt, soweit
sein diesbezüglicher Angriff geeignet ist, dem angefochtenen Urteil insgesamt die Grundlage zu entziehen. So reicht es, wenn sie Ausführungen nur zu einem prozessualen Anspruch enthält, das erstinstanzliche
Urteil aber in diesem Zusammenhang mit Erwägungen beanstandet, die
hinsichtlich der anderen prozessualen Ansprüche gleichermaßen Geltung beanspruchen. Decken sich die Voraussetzungen für die verschiedenen Ansprüche, genügt es, wenn die Berufungsbegründung einen einheitlichen Rechtsgrund im ganzen angreift (BGH, Urteil vom 22. Januar
1998 - I ZR 177/95 - NJW 1998, 1399 unter II 1). Es bedarf differenzierender Beanstandungen lediglich dann, wenn die Vorinstanz die erhobenen Ansprüche aus jeweils unterschiedlichen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für begründet erachtet hat. Nur wenn das Landgericht
seine Entscheidung mit mehreren, voneinander unabhängigen und selbständig tragenden rechtlichen Erwägungen begründet, muß der Beru-
-6-
fungskläger für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner
Auffassung die angefochtene Entscheidung nicht stützen (BGHZ 143,
169, 170 f.; BGH, Urteil vom 16. Dezember 1999 - VII ZR 25/98 - NJWRR 2000, 685 unter II 1). Ob die Angriffe in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht beachtlich sind, ist unerheblich. Die angeführten Berufungsgründe brauchen weder schlüssig noch rechtlich haltbar zu sein. Es geht
allein darum, daß sie den formellen Anforderungen genügen (BGH, Urteil
vom 6. Mai 1999 - III ZR 265/98 - NJW 1999, 3126 unter II 1 c).
2. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, daß ein auf
eine der beiden selbständigen Urteilsbegründungen beschränkter Angriff
nicht ausgereicht hätte, um die landgerichtliche Entscheidung insgesamt
in Zweifel zu ziehen. Wird nämlich das Urteil nur hinsichtlich des Beratungsverschuldens des Zeugen S. zu Fall gebracht, bleibt noch das eigene Aufklärungsverschulden des Beklagten, auf dem die Verurteilung
gleichfalls beruht.
Jedoch ist dem Berufungsgericht nicht darin zu folgen, daß sich
der Beklagte in seiner Berufungsbegründung nur mit einer der tragenden
Erwägungen auseinandergesetzt hat. Es hat den Inhalt der Begründungsschrift nicht vollständig berücksichtigt und die Reichweite der darin
vorgetragenen Angriffe verkannt.
a) Der Beklagte hat schon zu Beginn seiner Berufungsbegründung
die eine positive Vertragsverletzung bejahende landgerichtliche Entscheidung umfassend zur Überprüfung gestellt. Es wird unter urkundlicher Auswertung der von ihm an die Insolvenzschuldnerin versandten
-7-
Fragebögen zur Betriebs-Haftpflichtversicherung ausgeführt, im Jahre
1996 seien dieser bzw. ihrem geschäftsführenden Mitarbeiter die Grenzen des Haftpflicht-Versicherungsvertrages bewußt gewesen. Sie hätten
spätestens am 30. April 1996 positive Kenntnis davon gehabt, daß die in
Abschnitt 7 des Fragebogens abgehandelten, beispielhaft mit "Tankanlagen ... Anlagen für die Lagerung und Verwendung gewässerschädlicher Stoffe" beschriebenen Umweltrisiken nicht (separat) versichert seien. Daraus sei der Schluß zu ziehen, daß die Insolvenzschuldnerin eine
solche Versicherung nicht gewollt habe.
b) Darin sind Angriffe gegen die rechtliche und tatsächliche Würdigung des in erster Instanz vorgebrachten Streitstoffs zu erkennen, die
die Aufklärungs- und Beratungsbedürftigkeit der Insolvenzschuldnerin
insgesamt in Frage stellen. Denn für ein Aufklärungsverschulden des
Beklagten ist die Aufklärungsbedürftigkeit der Insolvenzschuldnerin notwendige Voraussetzung, für ein ihm zuzurechnendes Beratungsverschulden des Zeugen S., daß der spätere Schaden auf der vorangegangenen fehlerhaften Beratung beruht. Beides kann bei Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Unvollständigkeit des Versicherungsschutzes entfallen. Das gilt erst recht, wenn sich der Versicherungsnehmer
bewußt gegen eine das noch offene Risiko abdeckende Versicherung
entschieden hat. Mit der behaupteten Kenntnis des Versicherungsnehmers
von
der
fehlenden
Deckung
des
Gewässerschaden-
Haftpflichtrisikos hat der Beklagte die rechtliche Grundlage sowohl eines
auf ein Beratungsverschulden des Agenten als auch eines auf ein Aufklärungsverschulden des Beklagten gestützten Anspruchs angegriffen.
-8-
c) Daß der Beklagte den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf
das Beratungsverschulden des Zeugen S. gelegt hat, schadet nicht. Seine Berufungsbegründung läßt nicht erkennen, daß er sich auf diesen
Streitgegenstand beschränken und den weiteren, sein Aufklärungsverschulden betreffenden Angriff ausnehmen wollte. Eine inhaltliche Trennung der einzelnen Angriffspunkte setzt § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht
voraus. Es reicht, wenn die Berufungsbegründung in ihrer Gesamtschau
erkennen läßt, aus welchen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, solange nur seine Angriffe auf den konkreten Fall bezogen bleiben. Eine besondere Gliederung der Berufungsbegründung, eine sprachliche Hervorhebung des jeweiligen Angriffs oder
eine ausdrückliche Bezugnahme auf einzelne Abschnitte des angefochtenen Urteils ist nicht erforderlich. Entscheidend ist, daß die Rechtsmittelbegründung in hinreichend deutlicher Form zum Ausdruck bringt, welche Gesichtspunkte der Rechtsmittelkläger im Berufungsrechtszug zugrunde legen möchte (BGH, Urteil vom 7. November 1996 - VII ZR
120/96 - ZfBR 1997, 83 unter III c; Urteil vom 25. Juni 1992 - VII ZR
8/92 - NJW-RR 1992, 1340 unter II 1 c).
Terno
Seiffert
Wendt
Ambrosius
Dr. Kessal-Wulf