Cyberlaywer/build/tfgpu-cyberlaywer/EndDokumente/iv_zr_255-17.pdf.txt
2023-03-06 15:36:57 +01:00

934 lines
No EOL
58 KiB
Text
Raw Blame History

This file contains invisible Unicode characters

This file contains invisible Unicode characters that are indistinguishable to humans but may be processed differently by a computer. If you think that this is intentional, you can safely ignore this warning. Use the Escape button to reveal them.

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 255/17
Verkündet am:
19. Dezember 2018
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
VVG § 203 Abs. 2 Satz 1
Im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung in der Krankenversicherung gemäß
§ 203 Abs. 2 Satz 1 VVG ist die Unabhängigkeit des zustimmenden Treuhänders
von den Zivilgerichten nicht gesondert zu überprüfen.
BGH, Urteil vom 19. Dezember 2018 - IV ZR 255/17 - LG Potsdam
AG Potsdam
ECLI:DE:BGH:2018:191218UIVZR255.17.0
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann,
die Richterinnen Dr. Brockmöller und Dr. Bußmann auf die mündliche
Verhandlung vom 19. Dezember 2018
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Lan dgerichts Potsdam - 6. Zivilkammer - vom 27. September
2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren beträgt bis
3.000 €.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger, der bei der Beklagten eine Krankheitskostenversicherung nach dem Tarif "Vision 1-4500" und eine Krankentagegeldversicherung nach dem Tarif "TV 42" unterhält, wendet sich mit seiner Klage gegen Beitragserhöhungen durch die Beklagte zum 1. Januar 2012 und
zum 1. Januar 2013.
-3-
2
Mit Schreiben vom November 2011 erhöhte die Beklagte die monatliche Prämie im Tarif "TV 42" mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 um
3,91 €. Mit weiterem Schreiben vom November 2012 passte sie die monatlichen Beiträge zum 1. Januar 2013 im Tarif "Vision 1-4500" um
23,03 € und im Tarif "TV 42" um 1,51 € an. Den Prämienanpassungen
hatte jeweils ein von der Beklagten bestellter Treuhänder zugestimmt,
der von 1996 bis 2014 für sie und ihre Rechtsvorgängerin tätig war. Der
Kläger zahlte fortan die erhöhten Beiträge.
3
Mit seiner im Jahr 2016 erhobenen Klage wendet sich der Kläger
gegen die vorgenannten Beitragserhöhungen. Er begehrt die Rückzahlung der bis einschließlich Dezember 2015 auf die Erhöhungen entfalle nden Prämienanteile, insgesamt 1.071,12 € nebst Zinsen, ferner die Feststellung, dass die Prämienerhöhungen unwirksam seien und er nicht zur
Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet sei. Weiter möchte er festgestellt wissen, dass die Beklagte zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet sei, die sie bis zum 29. Februar 2016 aus seinen Zahlungen auf die Beitragserhöhungen gezogen habe, und sie diese Nutzungen ab dem 1. März 2016 mit dem gesetzlichen Zinssatz zu verzinsen habe. Schließlich nimmt er die Beklagte auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Anspruch.
4
Der Kläger hält die Erhöhungen aus formellen und materiellen
Gründen für unwirksam. Sie seien bereits nicht ordnungsgemäß im Sinne
von § 203 Abs. 5 VVG begründet. Insbesondere fehle es aber an der
nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG erforderlichen Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders. Der von der Beklagten bestellte Treuhänder sei
von ihr nicht wirtschaftlich unabhängig gewesen.
-4-
5
Die Beklagte meint, die Prämienanpassungen entsprächen den
vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben. Sie erhebt die Einrede der
Verjährung und beruft sich auf Verwirkung.
6
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der Re vision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
7
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
8
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung
in r+s 2018, 24 und VersR 2018, 471 veröffentlicht ist, sind die streitgegenständlichen Prämienerhöhungen unwirksam, weil der ihnen zustimmende Treuhänder nicht unabhängig gewesen sei.
9
Wirksamkeitsvoraussetzung der Prämienanpassung sei nach § 203
Abs. 2 Satz 1 VVG, dass "ein unabhängiger Treuhänder" zugestimmt h abe. Die den Zivilgerichten auf Veranlassung eines Versicherten obli egende Prüfung, ob die Prämienerhöhung wirksam ist, beziehe sich nicht
nur auf die inhaltliche versicherungsmathematische Berechnung der
Prämienerhöhung, sondern umfasse aufgrund verfassungsgerichtlicher
Vorgaben auch die Fragen zur Person des Treuhänders einschließlich
seiner Unabhängigkeit.
-5-
10
Die durch § 12b VAG a.F. vorgesehene Prüfung des auch in § 203
Abs. 2 Satz 1 VVG genannten Tatbestandsmerkmals durch die Aufsichtsbehörde könne die zivilrechtliche Prüfungskompetenz nicht au sschließen. Eine Überprüfung der treuhänderischen "Unabhängigkeit"
ausschließlich im Verfahren nach § 12b Abs. 3 bis 5 VAG a.F. vorzunehmen, ohne dass der Versicherte dies angreifen könne, sei mit den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht in Einklang zu bringen.
11
Hinsichtlich der Anforderungen an die Unabhängigkeit des Tre uhänders sei nach dem Sinn und Zweck des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG eine Gesamtwürdigung erforderlich, ob bei objektiv-generalisierender, verständiger Würdigung das Vertrauen gerechtfertigt sei, der Treuhänder
werde die Interessen der Gesamtheit der Versicherungsnehmer ang emessen wahrnehmen. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung seien die in
§ 319 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 HGB geregelten Anforderungen als ein Gesichtspunkt zu berücksichtigen.
12
Bei einer solchen Würdigung ergebe sich die fehlende Unabhängigkeit des bei der Beklagten tätig gewordenen Treuhänders aus dem
Umfang seiner von ihr bezogenen Vergütung, dem Umstand, dass er für
sie über einen Zeitraum von über 15 Jahren tätig gewesen sei und hierbei alle Prämienanpassungen der Beklagten geprüft habe, aber auch von
einem mit ihr verbundenen Unternehmen ein Ruhegehalt bezogen habe.
13
Die geltend gemachten Ansprüche des Klägers seien nicht verjährt. Für den Verjährungsbeginn sei erforderlich, dass er Kenntnis von
den Umständen der Unwirksamkeit der Zustimmung des Treuhänders
gehabt oder grob fahrlässig nicht gehabt habe. Dies sei frühestens 2015
der Fall gewesen. Die Ansprüche seien auch nicht verwirkt.
-6-
14
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
15
1. Soweit sich die Revision gegen die Zulässigkeit der Festste llungsanträge richtet, bleiben ihre Angriffe allerdings ohne Erfolg.
16
a) Ein feststellungsfähiges gegenwärtiges Rechtsverhältnis liegt
auch insoweit vor, als der Kläger die Unwirksamkeit der Beitragsanpassung zum 1. Januar 2012 festgestellt wissen möchte.
17
Die Revision nimmt zu Unrecht an, dass diese Beitragsanpassung
wegen der zeitlich nachfolgenden Erhöhung zum 1. Januar 2013 überholt
sei und sich gegenwärtige Rechtsfolgen aus ihr nur noch mit Blick auf
die Rückforderung eines etwaig überzahlten Betrages ergeben könnten,
die bereits Gegenstand des bezifferten Leistungsantrags sei. Allein mit
dem vom Kläger erstrebten Leistungsurteil wäre nicht rechtskräftig festgestellt, dass er zukünftig nicht zur Zahlung des sich aus der Beitragsanpassung zum 1. Januar 2012 ergebenden Erhöhungsbetrages
verpflichtet ist. Ein gegenwärtiges Feststellungsinteresse kann daher
hinsichtlich früherer Prämienanpassungen allenfalls dann zu verneinen
sein, wenn sich der Versicherungsnehmer - anders als im Streitfall - nicht
zugleich gegen die Wirksamkeit einer nachfolgenden Prämienanpassung
wendet (vgl. Reinhard, VersR 2000, 216, 217 f.). Zudem ist die begehrte
Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung eine Vorfrage für
den Leistungsantrag und geht zugleich über das dort erfasste Rechtsschutzziel des Klägers hinaus. Sie ist deshalb auch als Zwischenfeststellungsklage im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO zulässig (vgl. BGH, Urteil
vom 23. April 2013 - II ZR 74/12, BGHZ 197, 162 Rn. 29 m.w.N.).
18
b) Ebenfalls ohne Erfolg beanstandet die Revision, die Klage
scheitere am Vorrang der Leistungsklage, soweit sie auf Feststellung der
Verpflichtung zur Herausgabe von Nutzungen gerichtet sei.
-7-
19
Zwar ist eine auf Feststellung des Anspruchsgrundes gerichtete
Klage unzulässig, wenn dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und
zumutbar ist und diese das Rechtsschutzziel erschöpft, weil er im Sinne
einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess
klären kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017
- XI ZR 467/15, NJW 2017, 1823 Rn. 14; Urteil vom 10. Oktober 2017
- XI ZR 456/16, NJW 2018, 227 Rn. 12; jeweils m.w.N.).
20
Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, weil die von der Beklagten
gezogenen Nutzungen aus den nach Auffassung des Klägers rechtsgrundlos gezahlten Prämienanteilen für ihn im Zeitpunkt der Klageerhebung nur teilweise bezifferbar waren und es daher an der Zumutbarkeit
der Erhebung einer Leistungsklage fehlte. Ein Versicherungsnehmer, der
vom beklagten Versicherer die Herausgabe von Nutzungen aus rechtsgrundlos geleisteten Beitragszahlungen verlangt, ist für Anfall und Höhe
tatsächlich gezogener Nutzungen darlegungs- und beweisbelastet. Dies
verlangt ihm, wie der Senat wiederholt entschieden hat, einen Tats achenvortrag ab, der nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen
Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in
bestimmter Höhe - etwa in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz - gestützt werden kann (vgl. Senatsurteile vom 29. Juli 2015
- IV ZR 384/14, r+s 2015, 435 Rn. 46; IV ZR 448/14, r+s 2015, 438
Rn. 51; vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14, r+s 2016, 20 Rn. 48).
Wie die Revisionserwiderung zu Recht hervorhebt, hat der Kläger bereits
in der Klageschrift darauf hingewiesen, dass ihm ein derartiger Tatsachenvortrag für die Jahre 2015 und 2016 nicht möglich sei, weil es zum
damaligen Zeitpunkt an veröffentlichten Geschäftsberichten der Bekla gten für diesen Zeitraum fehlte. Befindet sich aber ein anspruchsbegründender Sachverhalt im Zeitpunkt der Klageerhebung noch in der Entwick-
-8-
lung, so steht der Umstand, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung eine
Bezifferung teilweise möglich wäre, der Bejahung des Feststellungsint eresses jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Anspruch seiner Natur
nach sinnvollerweise erst nach Abschluss seiner Entwicklung beziffert
werden kann (BGH, Urteil vom 30. März 1983 - VIII ZR 3/82, NJW 1984,
1552 unter A I 2 c [juris Rn. 27] m.w.N.). Die Feststellungsklage ist dann
insgesamt zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2016 - VI ZR 506/14,
r+s 2016, 533 Rn. 6, 8 m.w.N.).
21
Ist eine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO - wie hier - in zulässiger Weise erhoben worden, braucht ein Kläger auch nicht nachträglich
zur Leistungsklage überzugehen, wenn diese im Laufe des Rechtsstreits
möglich wird (vgl. Senatsurteil vom 28. September 2005 - IV ZR 82/04,
BGHZ 164, 181, 183 m.w.N. [juris Rn. 8]; st. Rspr.).
22
2. Ebenso erfolglos bleibt der Angriff der Revision, dass die Klage
jedenfalls wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben oder unter
dem Gesichtspunkt der Verwirkung abweisungsreif sei. Beides hat das
Berufungsgericht - auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens - rechtsfehlerfrei verneint.
23
Insbesondere hat es eine Heranziehung der vom Bundesgericht shof nach gefestigter Rechtsprechung bei Unwirksamkeit von Preisanpassungsklauseln in Energieversorgungsverträgen angewandten so genan nten "Dreijahreslösung" mangels Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen zu
Recht abgelehnt (entgegen Kalis in Sodan, Handbuch des Krankenvers icherungsrechts 3. Aufl. § 44 Rn. 219). Diese Dreijahreslösung besagt,
dass der Kunde die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen, die zu einem
den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht ge ltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeit raums von drei
Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Prei s-
-9-
erhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (vgl. z uletzt Urteile vom 6. April 2016 - VIII ZR 79/15, BGHZ 209, 337 Rn. 21;
vom 5. Oktober 2016 - VIII ZR 241/15, NJW-RR 2017, 557 Rn. 12; jeweils m.w.N.). Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, mi ttels einer ergänzenden Vertragsauslegung eine durch die Unwirksamkeit
der Preisanpassungsklausel entstandene Lücke im Vertrag zu verme iden, um ein dem ursprünglichen Regelungsplan der Parteien widersprechendes untragbares Ergebnis, die Gesamtnichtigkeit des Versorgung svertrages, im Interesse beider Vertragsteile zu vermeiden (vgl. BGH , Urteil vom 6. April 2016 aaO Rn. 23, 32 ff.). Um eine derartige Gesamtnichtigkeit geht es hier nicht.
24
Anders als die Revision meint, trifft den Versicherungsnehmer
auch keine "Obliegenheit", binnen eines Jahres zumindest einen Vorb ehalt zu erklären, wenn er sich eine Überprüfung der Berechtigung der
Beitragsanpassung offenhalten möchte. Das Gesetz sieht im Gegenteil
für Klagen gegen Prämienanpassungen gerade keine Fristen vor (siehe
MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 925). Der Gesetzgeber hat
bei der Reform des Versicherungsvertragsrechts durch Streichung des
§ 12 Abs. 3 VVG a.F. vielmehr zum Ausdruck gebracht, auf Sonderregelungen, die dem Versicherer die Möglichkeit geben, die Verjährungsfrist
zu Lasten des Vertragspartners einseitig zu verkürzen, verzichten zu
wollen (BT-Drucks. 16/3945 S. 64 li. Sp.). Entgegen der Auffassung der
Revision lässt sich eine solche Beschränkung auch nicht mit gesteige rten Loyalitätspflichten des Versicherungsnehmers gegenüber dem Vers icherer und der Gemeinschaft der Versicherten rechtfertigen.
25
Schließlich liegt in der Geltendmachung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs keine widersprüchliche und damit unzulässige Recht sausübung. Der Einwand der Revision, mit Blick auf die aufsichtsrechtl i-
- 10 -
che Verpflichtung des Versicherers zur Beitragsanpassung sei dieser bei
ihrer Unwirksamkeit zu deren Nachholung verpflichtet, weshalb eine
Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr ein schutzwürdiges Interesse an der
Geltendmachung eines formalen Mangels ausschließe, berücksichtigt
nicht, dass der Kläger die streitgegenständlichen Prämienanpassungen
auch in materieller Hinsicht angreift.
26
3. Zu Recht wendet sich die Revision demgegenüber gegen die
Annahme des Berufungsgerichts, die Klage sei begründet, weil der den
Prämienerhöhungen zustimmende Treuhänder nicht unabhängig gewesen sei und die Erhöhungen damit unwirksam seien.
27
a) Richtig ist allerdings, dass der Versicherer bei einer Krankenversicherung, in der sein ordentliches Kündigungsrecht gesetzlich oder
vertraglich ausgeschlossen ist, zu einer Neufestsetzung der Prämie nach
§ 203 Abs. 2 Satz 1 VVG nur berechtigt ist, sofern unter anderem ein
"unabhängiger Treuhänder" die technischen Berechnungsgrundlagen
überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat. Ob die Unabhängigkeit des Treuhänders damit eine konstitutive Voraussetzung für die
materiell-rechtliche Wirksamkeit seiner Zustimmung ist, die in vollem
Umfang der zivilgerichtlichen Kontrolle unterliegt, ist hingegen umstritten.
28
Von einem Teil der Rechtsprechung und der Literatur wird dies a ngenommen (vgl. etwa LG Berlin VersR 2018, 465, 466 f. [juris Rn. 34 ff.];
Urteil vom 24. Mai 2018 - 23 O 144/17; LG Frankfurt (Oder) VersR 2018,
669 f. [juris Rn. 69 f.]; LG Aschaffenburg, Urteil vom 4. April 2018 - 33 O
125/17; LG Hamburg, Urteil vom 18. April 2018 - 314 O 90/17; LG
Landshut, Urteil vom 9. Mai 2018 - 73 O 1526/17; LG Koblenz, Urteil vom
17. Mai 2018 - 16 O 219/17; LG Kleve, Urteil vom 21. Juni 2018 - 6 O
34/17, BeckRS 2018, 13526 Rn. 17 f.; LG Offenburg, Urteil vom 27. Juli
- 11 -
2018 - 2 O 379/17, BeckRS 2018, 16523 Rn. 20 ff.; LG Köln, Urteil vom
26. September 2018 - 23 O 95/18, BeckRS 2018, 25497 Rn. 25 f.;
MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 553 f.; ders., Private Krankenversicherung § 12b VAG Rn. 44 f.; HK-VVG/Marko, 3. Aufl. § 203
Rn. 17; PK-VersR/Ortmann/Rubin, 3. Aufl. § 163 VVG Rn. 13; Schüffner/Franck in Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts 3. Aufl.
§ 47 Rn. 123a ff.; BK-VVG/Schwintowski, § 172 Rn. 18; Ossyra, VuR
2018, 373, 379 f.; Renger, VersR 1994, 1257, 1259).
29
Nach der Gegenauffassung unterliegt die ordnungsgemäße und
wirksame Bestellung des Treuhänders wegen ihrer aufsichtsrechtlichen
Natur allein der Kontrolle durch die zuständige Aufsichtsbehörde. Als
formelle Voraussetzung der Wirksamkeit der Zustimmung sei von den
Zivilgerichten nur zu prüfen, ob letztere von einem unter Mitwirkung der
Aufsichtsbehörde verfahrensrechtlich ordnungsgemäß bestellten Tre uhänder erklärt worden sei (OLG Celle r+s 2018, 547 Rn. 62 ff.; Grote,
Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG [2002] S. 505 f., 603 f.; ders.,
ZVersWiss 91 [2002], 621, 627; Peters, Der Prämien- und der Bedingungsanpassungstreuhänder in der substitutiven privaten Krankenversicherung [2007] S. 288 ff., 315; Kalis in Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts 3. Aufl. § 44 Rn. 217; ders., r+s 2018, 464, 467; Voit, VersR 2017, 727, 730 ff.; Werber, VersR 2017, 1115, 1116; D. Wendt,
VersR 2018, 449, 450 f.; Thüsing/Jänsch, VersR 2018, 837, 847 ff.;
Schnepp/Icha-Spratte, VersR 2018, 1221, 1228; vgl. auch AG Freiburg,
Urteil vom 27. April 2018 - 4 C 2543/13). Teilweise wird hierbei nach einzelnen Anforderungen an die Person des Treuhänders differenziert und
jedenfalls dessen wirtschaftliche Unabhängigkeit als allein aufsichtsb ehördlicher
Kontrolle
unterliegende
Voraussetzung
angesehen
(HK-
VAG/Brand, § 157 Rn. 27 f.; ders. in Festschrift Schwintowski [2017] S.
- 12 -
19, 42; Voit in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 203 Rn. 25). Andere Autoren betrachten es als entscheidend, ob der Treuhänder bei unterstellter
Unabhängigkeit die Zustimmung hätte erteilen müssen, verlagern die
Reichweite der zivilgerichtlichen Prüfung mithin auf die materielle Ebene
(so Wiemer/Richter, r+s 2017, 404, 405; ähnlich dies., VersR 2018, 641,
644 ff.; vgl. auch Schnepp/Icha-Spratte aaO S. 1229).
30
b) Zutreffend ist die Auffassung, nach der die Unabhängigkeit des
Treuhänders von den Zivilgerichten im Rechtsstreit über eine Prämie nanpassung nicht gesondert zu prüfen ist. Soweit § 203 Abs. 2 Satz 1
VVG die Berechtigung des Versicherers zur Neufestsetzung der Prämie
von der Zustimmung eines "unabhängigen Treuhänders" abhängig
macht, handelt es sich dabei nur um eine Bezeichnung für diejenige Person, die nach den Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes
(VAG) - im Streitfall § 12b VAG in der bis zum 31. Dezember 2015 gültigen Fassung (im Folgenden § 12b VAG a.F.), heute §§ 155, 157 VAG für diese Aufgabe bestellt worden ist. Dagegen stellt die Unabhängigkeit
des Treuhänders kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal dar, das von
den Zivilgerichten im Rechtsstreit um die Berechtigung einer Prämiena npassung gesondert zu prüfen ist. Dies folgt aus einer Auslegung des
§ 203 VVG, die ausgehend von dem Wortlaut (dazu unter aa)) und der
Systematik der gesetzlichen Regelung (dazu unter bb) ) ihre Entstehungsgeschichte (dazu unter cc)), ihren Sinn und Zweck (dazu unter dd))
sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung
eines effektiven Rechtsschutzes (dazu unter ee)) berücksichtigt.
31
aa) Allerdings knüpft § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG die Berechtigung
des Versicherers zur Prämienanpassung an die Zustimmung eines "u nabhängigen Treuhänders" und erwähnt damit ausdrücklich eine der au fsichtsrechtlichen Voraussetzungen des § 12b Abs. 3 Satz 1 VAG a.F. für
- 13 -
die Treuhänderbestellung. Dies lässt, berücksichtigt man nur den Wortlaut, ein Verständnis als materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal immerhin möglich erscheinen. Anders als die Revisionserwiderung meint,
führt dies aber bereits keineswegs eindeutig zu dem Ergebnis, dass die
Unabhängigkeit des Treuhänders als auch materielle Wirksamkeitsb edingung seiner Zustimmung zur Prämienanpassung einer umfassenden
zivilgerichtlichen Kontrolle unterliegt.
32
Doch selbst wenn man den Wortlaut im Sinne einer materiellen
Wirksamkeitsvoraussetzung verstehen wollte, so darf die Auslegung der
Norm bei einer solchen reinen Wortlautinterpretation nicht Halt machen.
Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist vielmehr der
zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, dessen
Erfassung die nebeneinander zulässigen, sich ergänzenden Methoden
der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, aus ihrem Zusammenhang,
aus ihrem Zweck sowie aus den Gesetzgebungsmaterialien und der En tstehungsgeschichte dienen (Senatsurteil vom 8. November 2017 - IV ZR
551/15, r+s 2018, 54 Rn. 18 m.w.N.; zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
33
bb) Für ein Verständnis dahingehend, dass die Unabhängigkeit nur
Voraussetzung für die Bestellung des Treuhänders, nicht aber für die
Wirksamkeit der von ihm nach Bestellung abgegebenen Erklärung ist,
spricht zunächst die Systematik der gesetzlichen Regelungen.
34
Die Bestimmung des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG wiederholt den in
der aufsichtsrechtlichen Vorschrift des § 12b Abs. 1 Satz 1 VAG a.F.
(jetzt § 155 Abs. 1 Satz 1 VAG) verwendeten Begriff, ohne zugleich - insoweit anders als das Aufsichtsrecht in § 12b Abs. 3 und 4 VAG a.F.
(jetzt § 157 VAG) - eine Aussage darüber zu treffen, von welchen Voraussetzungen die Unabhängigkeit des Treuhänders abhängt (vgl. OLG
- 14 -
Celle r+s 2018, 547 Rn. 66) und welche Rechtsfolgen sich aus ihrem
Fehlen ergeben (vgl. auch Voit, VersR 2017, 727, 731; Thüsing/Jänsch,
VersR 2018, 837, 849). Auch greift die Vorschrift die weiteren Voraussetzungen, an die § 12b Abs. 3 VAG a.F. (jetzt § 157 Abs. 1 VAG) die
Bestellung des Treuhänders knüpft, nicht auf. Schon das deutet darauf
hin, dass es sich beim Vorliegen der im Versicherungsaufsichtsgesetz
geregelten Bestellungsvoraussetzungen nicht um ein tatbestandliches
Merkmal einer vertragsrechtlich wirksamen Prämienanpassung handeln
soll.
35
cc) Insbesondere lässt sich aber den Gesetzesmaterialien entnehmen, dass der Gesetzgeber weder mit der Einführung des Zusti mmungserfordernisses durch einen unabhängigen Treuhänder im Jahre
1994 noch bei der Reform des Versicherungsvertragsrechts durch das
Gesetz vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) eine dahingehende
Überprüfungsmöglichkeit für den einzelnen Versicherungsnehmer beabsichtigt hat. Ausweislich der Gesetzesmaterialien spricht vielmehr alles
dafür, dass der Gesetzgeber mit dem in § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG bzw.
dessen Vorläuferbestimmung in § 178g Abs. 2 VVG a.F. und § 12b
Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. übereinstimmend verwendeten Begriff des "u nabhängigen Treuhänders" jene Person bezeichnen wollte, die nach den
im Aufsichtsrecht bestimmten Voraussetzungen unter Einhaltung des
dort geregelten Verfahrens wirksam vom Versicherer zum Treuhänder
bestellt worden ist, ohne damit eine eigenständige materiell -rechtliche
Wirksamkeitsvoraussetzung der Prämienanpassung zu verbinden (s o
auch Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG [2002] S. 505 f.;
Peters, Der Prämien- und der Bedingungsanpassungstreuhänder in der
substitutiven privaten Krankenversicherung [2007] S. 288 ff.).
- 15 -
36
(1) Das Erfordernis der Zustimmung eines unabhängigen Treuhä nders zur Prämienanpassung bei einer Krankenversicherung, bei der das
ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich
ausgeschlossen ist, geht zurück auf die mit Wirkung vom 29. Juli 1994
durch das Dritte Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher
Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durc hführungsgesetz/EWG zum VAG) vom 21. Juli 1994 (BGBl. I S. 1630) in
das Versicherungsvertragsgesetz eingefügte Bestimmung des § 178g
Abs. 2 VVG a.F. Der Gesetzgeber sah mit Rücksicht darauf, dass Krankenversicherungen langfristig angelegt sind und das ordentliche Künd igungsrecht des Versicherers entweder gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen ist, aus Gründen der Gewährleistung der dauernden Erfüllbarkeit der Versicherungsleistung und auch wegen der nicht auszuschließenden Notwendigkeit, Änderungen der Verhältnisse des Gesun dheitswesens Rechnung zu tragen, einen fortbestehenden Anpassung sbedarf. Da das bisherige Instrumentarium - Prämien-, Bedingungs- und
Tarifgenehmigung durch die Aufsichtsbehörde - mit Rücksicht auf die
unionsrechtlichen Vorgaben der Dritten Richtlinie Schadenversicherung
(Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koord inierung
der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit
Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien
73/239/EWG und 88/357/EWG) nicht mehr zur Verfügung stand, musste
ein neues Instrumentarium entwickelt werden (BT-Drucks. 12/6959
S. 105 re. Sp.).
37
Dabei sollte aber das bewährte Verfahren, den Versicherer zu verpflichten, zumindest jährlich die erforderlichen mit den kalkulierten Vers icherungsleistungen zu vergleichen und bei einer Veränderung von mehr
als 10 vom Hundert alle Tarifbeiträge zu überprüfen und, soweit erforde rlich, nach aufsichtsbehördlicher Genehmigung anzupassen, für die nach
- 16 -
Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherung im Kern
beibehalten werden; an die Stelle der Aufsichtsbehörde sollte ein unabhängiger Treuhänder treten (BT-Drucks. 12/6959 S. 62 re. Sp.).
- 17 -
38
Die genannte Verpflichtung der Versicherer wurde - auf der Grundlage des durch Art. 54 der Dritten Richtlinie Schadenversicherung eröffneten Gestaltungsspielraums (vgl. BT-Drucks. 12/6959 S. 105 re. Sp.;
BVerwG VersR 1999, 1001, 1002 f. [juris Rn. 28]; Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem
VVG und dem VAG [2002] S. 437 f.; Küntzel, VersR 1996, 148, 150) durch die entsprechende Regelung in § 12b Abs. 2 VAG a.F. (jetzt § 155
Abs. 3 VAG) sichergestellt. Dem Treuhänder wurden hierbei mittels eines
an die Stelle des früheren Genehmigungserfordernisses getretenen Pr üfungssystems (BVerwG aaO [juris Rn. 26]) Funktionen übertrage n, die im
bisherigen System von der Aufsicht wahrgenommen wurden (Grote aaO
S. 419 m.w.N.; Peters, Der Prämien- und der Bedingungsanpassungstreuhänder in der substitutiven privaten Krankenversicherung [2007]
S. 106, 158; BK-VVG/Schwintowski, § 172 Rn. 14; Winter in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 163 Rn. 21; Präve, VW 1994, 800, 804; ders., VersR
1995, 733, 739; Kirscht, VersR 2003, 1072, 1073; D. Wendt, VersR 2018,
449, 450; anders Renger, Die Verantwortung des Treuhänders in der pr ivaten Krankenversicherung [1997] S. 22). Der Maßstab der Treuhänderentscheidung sollte dabei grundsätzlich kein anderer sein, als es bis
1994 der der Aufsichtsbehörde war (Winter in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl.
§ 163 Rn. 21). Der Gesetzgeber hat damit an einer - wenn auch gegenüber dem bisherigen Recht modifizierten - Vorabkontrolle festgehalten
(vgl. BVerwG aaO [juris Rn. 28]).
39
Welche Anforderungen an den Treuhänder zu stellen sind, sollte
sich allein nach dem Aufsichtsrecht bestimmen, wie in der Gesetzesbegründung zum Treuhänder in der Lebensversicherung ausdrücklich betont wird (BT-Drucks. 12/6959 S. 102 li. Sp.). Aus dem Umstand, dass in
der Gesetzesbegründung zu § 178g VVG a.F. wenige Seiten später nur
noch die fachlichen Qualifikationen ausdrücklich er wähnt sind (aaO
- 18 -
S. 105 re. Sp.), kann angesichts der im Übrigen gleichgelagerten Systemumstellung nicht auf einen Willen des Gesetzgebers zu einer insoweit
differenzierenden Regelung geschlossen werden, für die kein Grund erkennbar wäre.
40
Insgesamt gibt das Aufsichtsrecht damit die Anforderungen an den
Treuhänder vor und sichert zugleich die zu beachtenden Interessen der
Versicherten. Um die Aufsichtsbehörde in die Lage zu versetzen, auch
weiterhin Maßnahmen ergreifen zu können, wenn das Versicherungsunternehmen nach Auffassung des Treuhänders eine notwendige Erhöhung
oder Senkung der Prämien nicht durchführt, hat der Gesetzgeber in
§ 12b Abs. 2 Satz 5 VAG a.F. (jetzt § 155 Abs. 3 Satz 5 VAG n.F.) dem
Treuhänder eine Unterrichtungspflicht gegenüber der Aufsichtsbe hörde
auferlegt (BT-Drucks. 12/6959 S. 63 li. Sp.). Dadurch hat er die Bedeutung des Treuhänders als "vorgeschaltete Informationsquelle" der Au fsichtsbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Aufgaben betont (Grote,
Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG [2002] S. 420; vgl. auch Präve,
VersR 1995, 733, 739). Die Mitwirkung der Aufsichtsbehörde im Bestellungsverfahren gemäß § 12b Abs. 4 VAG a.F. wiederum soll sicherstellen, dass das Versicherungsunternehmen mit der Prüfung der Prämienkalkulation einen unabhängigen und sachkundigen Treuhänder betraut
(so BT-Drucks. 12/6959 S. 63 li. Sp.), und so die Belange der an der Bestellung des Treuhänders nicht beteiligten Versicherten hinreichend g ewahrt bleiben, insbesondere die Unabhängigkeit des Treuhänders gewährleistet ist (Grote aaO S. 478). Ferner berechtigte § 12b Abs. 4
Satz 3 VAG a.F. (jetzt § 157 Abs. 2 Satz 3 VAG) die Aufsichtsbehörde,
die Bestellung eines anderen Treuhänders zu verlangen, wenn nachträglich Umstände bekannt werden, die seiner Bestellung entgegenstehen
würden oder der Treuhänder die ihm obliegenden Aufgaben nicht ord-
- 19 -
nungsgemäß erfüllt, insbesondere bei Zustimmung zu einer den Recht svorschriften nicht entsprechenden Prämienänderung.
41
(2) Auch durch die Reform des Versicherungsvertragsrechts durch
das Gesetz vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) hat sich daran
nichts geändert.
42
Der Gesetzgeber hat bei dieser Gelegenheit in § 203 Abs. 2 Satz 4
VVG auf die Vorschriften des § 12b Abs. 1 bis 2a VAG a.F. (nunmehr
§ 155 VAG) und auf die aufgrund der Ermächtigungsgrundlage in § 12c
VAG a.F. (jetzt § 160 VAG) erlassene Verordnung über die versich erungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berec hnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung
(Kalkulationsverordnung - KalV) vom 18. November 1996 (BGBl. I
S. 1783) - vgl. nunmehr Verordnung betreffend die Aufsicht über die G eschäftstätigkeit in der privaten Krankenversicherung (Krankenversich erungsaufsichtsverordnung - KVAV) vom 18. April 2016 (BGBl. I S. 780) verwiesen und so den materiellen Kern dieser Bestimmungen im Ve rtragsrecht abgebildet (vgl. BT-Drucks. 16/3945 S. 113 re. Sp.). Hinsichtlich der aufsichtsrechtlichen Anforderungen an den Treuhänder hat der
Gesetzgeber dagegen von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
Damit bietet die Vorschrift des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG weiterhin keinen
Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber über die aufsichtsrechtlichen
Vorgaben für die Treuhänderbestellung und das dabei einzuhaltende
Verfahren hinaus entsprechende Anforderungen auch für das Vertrag srecht aufstellen wollte.
43
dd) Gegen eine solche Annahme spricht nicht zuletzt der Zweck
der Regelung, wie er im Wortlaut des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG selbst
ebenfalls zum Ausdruck kommt. Dieser Zweck, Gründe der Rechtssicherheit und die in § 12 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 VAG a.F. (vgl.
- 20 -
nunmehr § 146 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 138 Abs. 2 VAG n.F.) für die substitutive Krankenversicherung angeordnete Gleichbehandlung aller Ve rsicherungsnehmer gebieten es, die Entscheidung über die Bestellung svoraussetzungen einheitlich zu treffen.
44
(1) Die Bestimmung des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG berechtigt den
Versicherer unter den dort aufgestellten Voraussetzungen zur Prämie nanpassung "auch für bestehende Versicherungsverhältnisse". Dem liegt
der Gedanke zugrunde, dass der Versicherer sein unter den gesetzlichen
Voraussetzungen bestehendes Gestaltungsrecht nicht für einzelne, so ndern nur für eine Mehrzahl gleichartig betroff ener Verträge ausüben soll
(siehe auch § 12b Abs. 2 Satz 2 VAG a.F.: "alle Prämien dieses Tarifs";
vgl. Wriede, VersR 1994, 251, 253). Das gesetzliche Anpassungsrecht
des Versicherers zielt nämlich vorrangig darauf ab, die dauernde Erfül lbarkeit der Verträge zu gewährleisten (so ausdrücklich BT-Drucks.
12/6959 S. 105 re. Sp.; vgl. Präve, VersR 1995, 733, 737; Renger, VersR
1993, 678, 681). Es dient damit der Wahrung der Belange aller Versicherten. Auch die Regelungen der §§ 5, 11a, 12, 12b und 13d VAG a.F.
sollen sicherstellen, dass die Versicherungsprämie in einer Weise kalkuliert wird, die zum einen die dauernde Erfüllbarkeit der vom Versich erungsunternehmen versprochenen Leistungen gewährleistet und zum
anderen spätere Prämiensteigerungen ausschließt, soweit sie nicht au f
vom Versicherungsunternehmen nicht beeinflussbaren Gründen beruhen.
Die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge ist das Hauptziel
der Versicherungsaufsicht und im Bereich der substitutiven Krankenve rsicherung ein Schutzgut von erhöhter Bedeutung (BVerwG VersR 1999,
1001, 1003 [juris Rn. 28]).
45
(2) Damit erfüllt § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG als vertragsrechtliches
Korrelat zur entsprechenden aufsichtsrechtlichen Verpflichtung des Ve r-
- 21 -
sicherers eine Aufgabe, die im Allgemeinen der Aufsichtsbehörde im
Rahmen ihrer Rechts- und Finanzaufsicht über die Versicherungsunternehmen zugewiesen ist (siehe § 81 Abs. 1 Satz 2 VAG a.F.; nunmehr
§ 294 Abs. 2 Satz 2 VAG n.F.). Der die Zustimmung erklärende Treuhänder ist Vertreter der Interessen der Gesamtheit der Versicherungsnehmer. Seine Einschaltung soll einen Ausgleich dafür schaffen, dass
das Gesetz dem Versicherer ein einseitiges Vertragsänderungsrecht ei nräumt und dadurch die Vertragsfreiheit der Versicherungsnehmer ei nschränkt (Senatsurteil vom 12. Oktober 2005 - IV ZR 162/03, BGHZ 164,
297, 312 [juris Rn. 35] m.w.N.). Seine Entscheidung dient dabei der
Wahrung der Belange aller Versicherten, die mit den individuellen Int eressen einzelner Versicherungsnehmer nicht durchweg übereinzusti mmen brauchen (vgl. BVerfG VersR 2000, 214, 216 [juris Rn. 14] und auch
BVerwG VersR 1996, 1133 [juris Rn. 4]; Kalis, r+s 2018, 464, 467).
46
(3) Diese Anbindung der Aufgabenwahrnehmung des Treuhänders
an das Versichertenkollektiv (vgl. Peters, Der Prämien - und der Bedingungsanpassungstreuhänder in der substitutiven privaten Krankenvers icherung [2007] S. 145 f. m.w.N.) steht einem subjektiven Recht des einzelnen Versicherungsnehmers auf zivilgerichtliche Überprüfung der aufsichtsrechtlich definierten Bestellungsvoraussetzungen des Treuhänders
entgegen. Die Entscheidung über diese Voraussetzungen ist vielmehr
allein im Aufsichtsrecht zu suchen, das in § 12b Abs. 4 VAG a.F. der
Aufsichtsbehörde die Aufgabe übertragen hat, über die Unabhängigkeit
des Treuhänders zu wachen (vgl. Buchholz, VersR 2005, 866, 867 und
auch Winter in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 163 Rn. 21 zum Prämientreuhänder in der Lebensversicherung). Ein solches aufsichtsrechtlich
geregeltes und einheitliches Verfahren dient dazu, rasche und einheitl iche Klarheit zu schaffen, um Gefährdungs- und Zergliederungserscheinungen zu begegnen (vgl. auch OLG Stuttgart NVersZ 2002, 164, 168
- 22 -
[juris Rn. 120]; Kirscht, VersR 2003, 1072, 1080; Kalis, r+s 2018, 464,
469). Diese gesetzliche Kompetenzzuweisung würde durch eine sachl iche Überprüfung einzelner Bestellungsvoraussetzungen im Rechtsstreit
des einzelnen Versicherungsnehmers um die Wirksamkeit der Prämie nanpassung mangels Rechtskraftwirkung für andere Versicherungsnehmer
unterlaufen (in diese Richtung auch Wiemer/Richter, VersR 2018, 641,
647; Thüsing/Jänsch, VersR 2018, 837, 852 f.).
47
(4) Dagegen bestünde bei der Überprüfung der Unabhängigkeit
des Treuhänders im Zivilrechtsstreit in erhöhtem Maße die Gefahr dive rgierender Entscheidungen mit der Folge einer Störung der Beitrags- und
Leistungsstabilität. Die Unabhängigkeit des Treuhänders könnte von verschiedenen Gerichten unterschiedlich beurteilt werden mit der Folge,
dass auch eine materiell gerechtfertigte Prämienerhöhung bei einzelnen
Versicherungsnehmern desselben Tarifs Bestand hat, bei anderen jedoch nicht (so zutreffend OLG Celle r+s 2018, 547 Rn. 78 f.).
48
Mit der von den Zivilgerichten durchzuführenden materiellen Prüfung von Voraussetzungen und Umfang der vorgenommenen Prämienerhöhung (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159,
323, 325 [juris Rn. 7]) erfolgt zugleich eine umfassende Überprüfung der
Ordnungsgemäßheit der vorgenommenen Beitragsanpassung, was für
die Stabilität der Prämien unabdingbar ist. Müsste das Zivilgericht dagegen die Unabhängigkeit des Treuhänders überprüfen und führte bereits
diese Prüfung zur Unwirksamkeit der Beitragsanpassung, würde das die
Gefahr bergen, dass eine Überprüfung ihrer Richtigkeit im Übrigen unterbliebe und eine diesbezüglich nicht zu beanstandende Anpassun g für
unwirksam erklärt würde, obwohl auch ein anderer Treuhänder ebenso
die Zustimmung hätte erteilen müssen (ebenso OLG Celle aaO Rn. 82)
und sich eine etwa fehlende Neutralität oder Unabhängigkeit des ta t-
- 23 -
sächlich tätig gewordenen Treuhänders damit gar nicht ausgewirkt hätte,
weil dieser aufgrund des Vorliegens der materiellen Anpassungsvorau ssetzungen verpflichtet war, der Beitragserhöhung zuzustimmen (vgl. Voit,
VersR 2017, 727, 732 f.; Wiemer/Richter, VersR 2018, 641, 646).
49
Es liefe jedoch dem Zweck der Regelungen in § 12b Abs. 2, 2a
VAG a.F. (jetzt § 155 VAG) und § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG zuwider, wenn
eine Prämienanpassung trotz Vorliegens der inhaltlichen Voraussetzu ngen allein an einer fehlenden Unabhängigkeit des zuständigen Treuhä nders scheiterte (so zutreffend BeckOK-VAG/Franz/Frey, § 157 Rn. 30a
[Stand: 1. September 2018]). Denn die Vorschriften zur Prämienanpassung bezwecken es, die Einhaltung des Äquivalenzprinzips und die dauerhafte Erfüllbarkeit der Versicherungsleistungen zu gewährleisten (BTDrucks. 12/6959 S. 105 re. Sp.). Demgemäß berechtigt die Regelung in
§ 12b Abs. 2, 2a VAG a.F. (jetzt § 155 VAG) den Versicherer nicht nur
zur Vornahme einer Prämienanpassung unter den dort genannten V oraussetzungen, sondern begründet zugleich eine entsprechende Verpflichtung. Daraus ergibt sich, dass - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - auch eine vorübergehende Äquivalenzstörung im Interesse der Beitragsstabilität vermieden werden muss. Eine solche träte
ein, wenn eine Prämienanpassung, zu der der Versicherer zwecks Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit aus materiellen Gründen verpflichtet ist,
nur wegen fehlender Unabhängigkeit des Treuhänders für unwirksam
erklärt würde, diese aber im Zuge der nächsten jährlichen Überprüfung
vom Versicherer nachgeholt werden müsste, wobei die dann vorzunehmende Anpassung wegen der zwischenzeitlich entstandenen Lücke bei
den Prämienzahlungen gegebenenfalls sogar höher ausfallen könnte.
- 24 -
50
(5) Anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - auch nicht unter Berücksichtigung der dem Prämientre uhänder durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000) vom
22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2626) mit Wirkung vom 1. Januar 2000 in
§ 12b Abs. 1a VAG a.F. (nunmehr § 155 Abs. 2 VAG) übertragenen Mitwirkung bei der Verwendung der Mittel aus den Rückstellungen für Be itragsrückerstattung (a.A. Ossyra, VuR 2018, 373, 379). Der Zweck der
Einschaltung des Prämientreuhänders bei dieser Aufgabe erfordert ebenfalls keine Überprüfungsmöglichkeit seiner Unabhängigkeit durch den
einzelnen Versicherungsnehmer im Rechtsstreit über eine Prämiena npassung.
51
Die Verwendung der Mittel aus der Rückstellung für Beitragsrüc kerstattung ist in systematischer Hinsicht Teil der Prämienberechnung
(MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 408; vgl. auch Senatsurteile vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 332 f. [juris
Rn. 22 ff.]; vom 1. Juli 1992 - IV ZR 191/91, BGHZ 119, 55, 58 [juris
Rn. 13 ff.]). Die Feststellung, ob die im Rahmen einer Nachkalkulation
nach § 12b Abs. 2 Satz 2 VAG a.F. errechneten Anpassungen limitiert
werden müssen und inwieweit dem Versicherer dafür Mittel aus den
Rückstellungen für Beitragsrückerstattung zur Verfügung ste hen, ist Bestandteil der Neukalkulation der Prämie (so auch Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem
VVG und dem VAG [2002], S. 576 ff.).
52
Bei der Frage, ob und in welcher Höhe die Mittel aus den Rückste llungen für Beitragsrückerstattung zu verwenden sind, handelt es sich
aber im Kern um eine unternehmerische Entscheidung, die - mit Ausnahme der nach § 12a Abs. 3 VAG a.F. vorgeschriebenen Verwendung,
- 25 -
die alleine älteren Versicherten zugutekommt - gerade nicht durch inhaltliche gesetzliche Vorgaben determiniert werden sollte (vgl. Gutachten
der Unabhängigen Expertenkommission zur Untersuchung der Problem atik steigender Beiträge der privat Krankenversicherten im Alter, BT Drucks. 13/4945 S. 40). Aus diesem Grunde verbleibt auch das originäre
Entscheidungsrecht über die Mittelverwendung zunächst beim Versich erer. Der Treuhänder hat lediglich eine Kontrollfunktion und darf sein Veto
nur einlegen, wenn sich die Entscheidung des Versicherers nicht im
Rahmen dessen hält, was bei Beachtung der gesetzlichen Beurteilungsspielräume, deren Einhaltung der Treuhänder unter Anwendung eines
objektiv generalisierenden Maßstabs (siehe BT-Drucks. 14/1245 S. 122
li. Sp.) überwachen soll, zulässig ist; einen darüber hinausgehende n
Spielraum, dem sich der Versicherer unterordnen müsste, hat er nicht
(vgl. Präve in Prölss/Dreher, VAG 13. Aufl. § 155 Rn. 13 a.E.; Reinhard,
VersR
2003,
952,
955;
MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 435, 594 f.).
53
Die Grenzen der dem Versicherer zustehenden Beurteilungsspielräume sind dabei im Rahmen der materiellen Überprüfung der Berechtigung des Versicherers zur Prämienanpassung voll gerichtlich überprüfbar (vgl. MünchKomm-VVG/Boetius aaO Rn. 435, 595; für eine unter
Umständen zur Unwirksamkeit der Beitragsanpassung führende Überprüfung der nach § 12b Abs. 1a Satz 3 VAG a.F. zu beachtenden "Zumutbarkeit" einer Prämiensteigerung ausdrücklich Gerwins, NVersZ 2000,
353, 360).
54
(6) Entgegen einzelner Stimmen in der Literatur (siehe insoweit nur
Kaulbach in Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG 5. Aufl. § 11b Rn. 5,
§ 12b Rn. 25; vgl. auch Göertz in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG 6. Aufl.
§ 142 Rn. 5) macht das vorstehend dargelegte Verständnis des § 203
- 26 -
Abs. 2 Satz 1 VVG die Einbindung des Treuhänders in das Prämienerhöhungsverfahren auch nicht etwa entbehrlich. Sie beschränkt vielmehr die
Möglichkeiten des Versicherers, die Berechtigung der Prämienerhöhung
durch das Nachschieben von Unterlagen im Prozess darlegen zu kö nnen, weil nur die Unterlagen, die der Versicherer dem Treuhänder zur
Prüfung gemäß § 12b VAG a.F., § 15 KalV a.F. (nunmehr § 17 KVAV)
vorgelegt hat, Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sind (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 329 f. [juris
Rn. 15 f., 25]; vgl. auch Senatsurteil vom 9. Dezember 2015 - IV ZR
272/15, r+s 2016, 85 Rn. 26 sowie Gerwins, NVersZ 1999, 53, 54). Zugleich verhindert die Verweigerung der Zustimmung eine Prämienanpassung durch den Versicherer und erspart dem einzelnen Versicherungsnehmer so eine gerichtliche Überprüfung. Dem Treuhänder kommt damit
auch weiterhin seine vom Gesetzgeber intendierte "Filterfunktion" (vgl.
Voit, VersR 2017, 727, 732) zu.
55
(7) Anders als die Revisionserwiderung meint, ist die Einhaltung
des Unabhängigkeitserfordernisses durch die aufsichtsrechtlichen Kontrollinstrumente zudem hinreichend gesichert. Das Gesetz räumt den
Aufsichtsbehörden verschiedene Möglichkeiten ein, die Anforderungen
des § 12b Abs. 3 VAG a.F. an die fachliche Qualifikation und Unabhä ngigkeit des Treuhänders durchzusetzen und notfalls selbst den Treuhä nder zu bestellen, § 12b Abs. 4 Satz 4 VAG a.F. (jetzt § 157 Abs. 2 Satz 4
VAG). Damit ist ein Höchstmaß an Aufsichtsbefugnissen gewährleistet
(so auch Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 S. 185; vgl. ferner Bürkle, VersR
2004, 826, 831; Brand, Festschrift Schwintowski [2017] S. 19, 37). Alle
übrigen Fragen im Zusammenhang mit einer Beitragsanpassung können
bei deren materieller Überprüfung geklärt werden.
- 27 -
56
ee) Der aufgrund des Rechtsstaatsprinzips notwendige wirkungsvolle Rechtsschutz gegen vom Versicherer vorgenommene Beitragsa npassungen ist ebenfalls gewährleistet, ohne dass dem einzelnen Versicherungsnehmer hierfür eine gesonderte Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders und damit der aufsichtsrechtlichen Voraussetzungen für die Bestellung zum Treuhänder ermöglicht werden müsste.
57
Die Rechtsordnung muss dafür sorgen, dass die verfassungsrechtlich geschützten Interessen derjenigen, die von der gesetzlichen Einschränkung der Vertragsfreiheit betroffen sind, hinreichend gewahrt we rden (Senatsurteil vom 12. Oktober 2005 - IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297,
306 [juris Rn. 21]; vgl. auch BVerfG VersR 2005, 1109, 1117 f. [juris
Rn. 131 ff.] und VersR 2005, 1127, 1130 f. [juris Rn. 59 ff.]). Eine solche
wirkungsvolle richterliche Kontrolle auf Veranlassung und unter Mitwi rkung des einzelnen Versicherungsnehmers ist aber bereits dadurch garantiert, dass die Prämienanpassung im Individualprozess in sachlicher
Hinsicht einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch
die Zivilgerichte anhand der maßgeblichen privatrechtlichen Normen u nterliegt (vgl. Senatsurteile vom 9. Dezember 2015 - IV ZR 272/15, r+s
2016, 85 Rn. 9, 21; vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323,
325 [juris Rn. 7]; BVerfG VersR 2000, 214, 215 f. [juris Rn. 11 ff.]). Diese
Überprüfung erfolgt anhand der ins Einzelne gehenden engen und ve rbindlichen materiellen Vorgaben. Der Treuhänder hat die ihm obliegende
Zustimmung zu erteilen, wenn die Beitragsberechnung mit diesen Vorg aben in Einklang steht (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 aaO S. 328 f. [juris
Rn. 13]). Bestandteil der insoweit stattfindenden Überprüfung sind wie
dargelegt alle vom Treuhänder zu beachtenden materiell-rechtlichen
Vorgaben für die Beitragskalkulation einschließlich der Verwendung der
Mittel aus den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung und deren
Auswirkung auf die Anpassungen der einzelnen Tarife. Dazu gehört nicht
- 28 -
nur das Vorliegen der Anpassungsvoraussetzungen, sondern auch, ob
die vom Versicherer vorgenommene Neuberechnung der Prämie nach
aktuariellen Grundsätzen mit den bestehenden Rechtsvorschriften und
eventuell zugunsten des Versicherten davon abweichenden vertraglichen
Bestimmungen in Einklang steht. Diese Überprüfung hat sich sowohl auf
die Ermittlung des Anpassungsfaktors als auch auf die Limitierungsma ßnahmen zu erstrecken (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 aaO S. 332 f. [juris Rn. 22-24]). Der Maßstab für die letztgenannte Prüfung ergibt sich
dabei aus § 12b Abs. 1a Satz 2 und 3 VAG a.F. (vgl. zu den Einzelheiten
insoweit Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG [2002] S. 584 ff.;
Gerwins, NVersZ 2000, 353, 359). Somit kann im Rahmen dieser materiellen Überprüfung abschließend geklärt werden, ob eine Prämienerh öhung nach Grund und Höhe zu Recht erfolgt ist (zutreffend OLG Celle
r+s 2018, 547 Rn. 70); die sachliche Richtigkeit der Zustimmung des
Treuhänders zur Prämienanpassung wird insofern inzident mitgeprüft
(Rixecker, ZfS 2018, 645).
58
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich auch
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Dezember
1999 (1 BvR 2203/98, VersR 2000, 214) nicht entnehmen, dass die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes daneben eine gesonderte Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders durch die Zivilgerichte verlangt. Gegenstand des dieser Entscheidung zugrunde li egenden Ausgangsverfahrens waren Prämienerhöhungen vor und nach
der Rechtsänderung im Jahr 1994. Insoweit hat das Bundesverfassung sgericht berücksichtigt, dass dem Versicherungsnehmer hinsichtlich der
für die Wirksamkeit der Prämienerhöhung bis 1994 notwendigen Gene hmigung der Aufsichtsbehörde keine verwaltungsgerichtliche Überprüfung
eröffnet war, da sie dem einzelnen Versicherungsnehmer gegenüber kei-
- 29 -
ne unmittelbaren Rechtswirkungen entfaltete (vgl. BVerfG aaO S. 216
[juris Rn. 13] mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwa ltungsgerichts: BVerwGE 30, 135; 75, 147; BVerwG VersR 1996, 1133);
für entscheidend hat das Bundesverfassungsgericht gehalten, dass den
Versicherungsnehmern eine umfassende tatsächliche und rechtliche
Überprüfung der Berechnung der Prämienerhöhungen durch die (Zivil )Gerichte ermöglicht werden muss. Eine solche aber ist ihnen auch heute
- wie dargelegt - eröffnet.
59
c) Das vorstehend aufgezeigte, durch Auslegung ermittelte Nor mverständnis steht nicht im Widerspruch zur Entscheidung des erkenne nden Senats vom 12. Oktober 2005 (IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297). Zwar
hat der Senat dort nähere Ausführungen dazu, welche Anforderungen an
die Unabhängigkeit des Treuhänders zu stellen sind, deshalb als nicht
erforderlich angesehen, weil der damalige Kläger insoweit keine konkr eten, auf die Person des Treuhänders bezogenen Bedenken erhoben ha tte (aaO S. 312 [juris Rn. 34 f.]). Jener Entscheidung lag aber ein vom
jetzt zur Entscheidung stehenden Fall abweichender Sachverhalt zugrunde.
60
In dem damaligen Verfahren war über die Wirksamkeit einer im
Treuhänderverfahren gemäß § 172 Abs. 2 VVG in seiner bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung durchgeführten Ersetzung von Klauseln
in Allgemeinen Bedingungen der Lebensversicherung zu entscheiden,
die der Senat durch Urteile vom 9. Mai 2001 (IV ZR 121/00, BGHZ 147,
354 und IV ZR 138/99, BGHZ 147, 373) wegen Verstoßes gegen das
Transparenzgebot für unwirksam erklärt hatte. Insoweit oblag dem Treuhänder bei der Bedingungsanpassung im Wesentlichen eine rechtliche
Beurteilung, so dass er in einem im Streitfall den Zivilgerichten zugewiesenen Aufgabenbereich tätig wurde. Auf den auch hierin liegenden U n-
- 30 -
terschied der Treuhändertätigkeit im Vergleich zur Prämienanpassung
hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 16. Juni 2004 (IV ZR 117/02,
BGHZ 159, 323) hingewiesen (aaO S. 328 f. [juris Rn. 13 f.]; ebenso
OLG Celle r+s 2018, 547 Rn. 73; Thüsing/Jänsch, VersR 2018, 837, 848;
Wiemer/Richter, VersR 2018, 641, 646).
61
Bei der Reform des Versicherungsvertragsrechts im Jahre 2008
hat der Gesetzgeber dann sowohl in der Lebens- als auch in der Krankenversicherung bewusst davon abgesehen, die bis dahin in den §§ 172
Abs. 2, 178g Abs. 3 Satz 2 VVG a.F. vorgesehene Mitwirkung eines
Treuhänders bei der Anpassung unwirksamer Versicherungsbedingungen
in das neue Recht zu übernehmen, eben weil dem Bedingungstreuhänder im Wesentlichen eine rechtliche Beurteilung oblag und seine Z ustimmung deshalb beim Versicherungsnehmer den Eindruck erwecken
konnte, dass eine gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der ne uen
Klausel von vornherein erfolglos wäre (siehe BT-Drucks. 16/3945 S. 100
re. Sp.; S. 113 re. Sp.). Schon wegen dieser Unterschiede lässt sich aus
dem genannten Senatsurteil vom 12. Oktober 2005 (IV ZR 162/03, BGHZ
164, 297) jedenfalls für die Rechtslage nach der VVG-Reform nicht entnehmen, dass eine gesonderte Überprüfung der Unabhängigkeit des
Treuhänders im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung erforderlich
wäre.
62
4. Soweit im vorliegenden Rechtsstreit die Prämienanpassung
nicht nur in der Krankheitskostenversicherung, sondern auch in der
Krankentagegeldversicherung des Klägers betroffen ist, lassen die bish erigen Feststellungen des Berufungsgerichts darüber hinaus nicht erke nnen, dass es sich bei letzterer um eine Versicherung handelt, bei der das
ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich
- 31 -
ausgeschlossen ist. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Vorschrift
des § 203 Abs. 2 VVG jedoch anwendbar.
63
III. Die Sache ist nach alledem an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da es zur Entscheidung des Rechtsstreits noch weiterer Fes tstellungen bedarf.
64
1. Insoweit wird das Berufungsgericht nicht nur die Frage der U nkündbarkeit der Krankentagegeldversicherung zu klären, sondern auch
der - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - bisher nicht behandelten Frage nachzugehen haben, ob die Prämienanpassungen au sreichend im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG begründet worden sind (vgl.
zum Streitstand hinsichtlich der Anforderungen an die Mitteilung OLG
Celle r+s 2018, 547 Rn. 91; MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203
Rn. 1157; ders., Private Krankenversicherung § 203 VVG Rn. 206;
Brand, VersR 2018, 453, 457 einerseits und LG Neuruppin VersR 2018,
469; LG Berlin VersR 2018, 465; Klimke, VersR 2016, 22, 24; D. Wendt,
VersR 2018, 449, 453; PK-VersR/Brömmelmeyer, 3. Aufl. § 203 VVG
Rn. 47 andererseits; differenzierend Reinhard in Looschelders/Pohl mann, VVG 3. Aufl. § 203 Rn. 19).
65
Der Senat weist dabei für das weitere Verfahren darauf hin, dass
eine etwaige zunächst unzureichende Mitteilung der Gründe möglicherweise nur den Zahlungsanträgen auf Rückzahlung der bis einschließlich
2015 geleisteten Prämienzahlungen, nicht aber auch den darüber hinaus
reichenden Feststellungsanträgen zum Erfolg verhelfen würde, sofern
eine ausreichende Mitteilung der Gründe in den detaillierten Angaben in
der Klageerwiderung erblickt werden könnte.
66
Wenn eine Mitteilung der Prämienanpassung zunächst ohne eine
den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügende Begründung e r-
- 32 -
folgt, diese aber später nachgeholt wird, wird dadurch die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt
(so auch MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 1160). Dies folgt
aus einer Auslegung der Norm.
67
a) Schon der Wortlaut der Regelung macht deutlich, dass sie lediglich den Zeitpunkt des Eintritts der Wirkung der Anpassungserklärung an
die Mitteilung der Neufestsetzung als solcher einerseits und der für sie
maßgeblichen Gründe andererseits knüpft. Dagegen gibt der Wortlaut
der Vorschrift keinen Anhalt dafür, dass die Wirksamkeit der Gesta ltungserklärung des Versicherers selbst von der Mitteilung der für sie
maßgeblichen Gründe abhängen soll. Diese bestimmt sich vielmehr nach
allgemeinen
Regeln
(vgl.
insoweit
auch
MünchKomm-VVG/Wandt,
2. Aufl. § 163 Rn. 72, 75).
68
b) Gegen ein abweichendes Normverständnis spricht weiter, dass
das Versicherungsvertragsgesetz, soweit es an die Verletzung einer dem
Versicherer gesetzlich auferlegten Hinweis- oder Begründungspflicht eine endgültige Sanktion knüpft, dies ausdrücklich anordnet (vgl. etwa § 5
Abs. 3 VVG). Ansonsten lässt es eine Nachholung gesetzlich gebotener
Informationen und Hinweise und einen daran anknüpfenden Lauf von
Fristen zu (vgl. § 8 Abs. 2 VVG). Demgemäß wird auch für die vom Versicherer aufgrund einer Anpassungsklausel vorgenommene Prämiene rhöhung überwiegend vertreten, dass der gebotene Hinweis auf das Kü ndigungsrecht des Versicherungsnehmers gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VVG
nachgeholt werden kann (vgl. HK-VVG/Karczewski, 3. Aufl. § 40 Rn. 15;
Stagl/Brand in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 40 Rn. 10; Reiff
in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 40 Rn. 21 f.).
69
c) Vor allem aber sprechen die Gesetzgebungsgeschichte sowie
der Sinn und Zweck des § 203 Abs. 5 VVG für die Heilungsmöglichkeit
- 33 -
eines Begründungsmangels. Zu der Vorgängerregelung in § 178g Abs. 4
VVG a.F., die das Wirksamwerden der Prämienanpassung allerdings nur
an eine "Benachrichtigung" des Versicherungsnehmers knüpfte, ohne
weitergehende inhaltliche Anforderungen aufzustellen, wurde es nicht in
Zweifel gezogen, dass bei Fehlen einer ordnungsgemäßen Benachricht igung oder einer Nichtbeweisbarkeit ihres Zugangs dem Versicherer das
Recht zur Nachholung nicht abgeschnitten sein sollte (vgl. LG Köln, U rteil vom 4. Juli 2007 - 23 O 367/04, juris Rn. 43 sowie zur entsprechenden Bestimmung für die Lebensversicherung Kollhosser in Prölss/Martin,
VVG 27. Aufl. § 172 Rn. 39; zum neuen Recht siehe Schneider in
Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 163 Rn. 16).
70
Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien waren mit der Neufassung des Gesetzes wesentliche inhaltliche Änderungen gegenüber dem
früheren Gesetzeszustand lediglich insoweit beabsichtigt, als der Reg elungsinhalt der dispositiven Bestimmung des § 178g Abs. 4 VVG a.F.
nunmehr halbzwingend ausgestaltet werden sollte (siehe BT-Drucks.
16/3945 S. 114 li. Sp. sowie S. 99 re. Sp. zur Parallelbestimmung in
§ 163 Abs. 3 VVG). Danach spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber
mit der neugefassten Bestimmung des § 203 Abs. 5 VVG die endgültige
Unwirksamkeit einer Beitragsanpassung im Falle nicht ausreichender
Mitteilung der Gründe herbeiführen wollte; im Wortlaut der Vorschrift
kommt dies nicht zum Ausdruck. Die Norm zielt vielmehr - wie ihre Vorläuferbestimmung - in erster Linie darauf ab, dem Versicherungsnehmer
einen gewissen Zeitraum zu belassen, um sich auf eine ihm mitgeteilte
Vertragsänderung einstellen zu können und sich darüber klar zu werden,
ob er innerhalb der zeitgleich ausgestalteten Frist des § 205 Abs. 4 VVG
sein Kündigungsrecht ausübt oder die Prämienänderung zum Anlass
nimmt, von seinem Tarifwechselrecht nach § 204 VVG Gebrauch zu machen, auf das ihn der Versicherer bei der substitutiven Krank enversiche-
- 34 -
rung nach § 6 Abs. 2 VVG-InfoV bei der Prämienerhöhung ebenfalls hinzuweisen hat (vgl. auch MünchKomm-VVG/Wandt, 2. Aufl. § 163 Rn. 75).
71
2. Soweit das Berufungsgericht eine ausreichende Mitteilung der
maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie bejaht, wird es
sodann die materiellen Voraussetzungen der Prämienanpassung zu prüfen haben.
72
3. Sollte es danach die geltend gemachten Zahlungsansprüche
ganz oder teilweise für berechtigt halten, wird es auch die Frage der Verjährung neu zu beurteilen haben, die angesichts der dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB sowie der Klageerhebung im Jahre 2016 allerdings nur für die im Jahre 2012 geleisteten Prämienanteile in Betracht
kommt.
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Dr. Brockmöller
Lehmann
Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
AG Potsdam, Entscheidung vom 18.10.2016 - 29 C 122/16 LG Potsdam, Entscheidung vom 27.09.2017 - 6 S 80/16 -