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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 346/00
Verkündet am:
25. Februar 2002
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO a.F. §§ 139, 278 Abs. 3
Erkennbar mehrdeutigen Parteivortrag muß das Gericht zum Anlaß nehmen,
sein Fragerecht auszuüben, damit der Partei eine Klarstellung ihres Vorbringens ermöglicht wird.
BGH, Urteil vom 25. Februar 2002 - II ZR 346/00 -
OLG Oldenburg
LG Oldenburg
-2-
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 25. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die
Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze, Kraemer und die Richterin Münke
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 20. Oktober 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Geschäftsführer der Klägerin schuldet der Beklagten gemäß notariellem Schuldanerkenntnis vom 5. Januar 1996 900.000,00 DM. Die Beklagte
betreibt daraus gegen ihn die Zwangsvollstreckung. Sie hat unter anderem am
7. Februar
2000
auf
Pferde pfänden lassen.
dem
Reiterhof
K.
in
L.
16
untergestellte
-3-
Die Klägerin hat Widerspruchsklage erhoben mit der Behauptung, die
gepfändeten Pferde seien ihr Eigentum. Das Landgericht hat durch Teilurteil
hinsichtlich
des
Pferdes
G.
(Vater
Gr./Muttervater
A.)
ent-
schieden und die Zwangsvollstreckung insoweit für unzulässig erklärt. Auf die
Berufung der Beklagten ist die Klage hinsichtlich des Pferdes G. abgewiesen
worden. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
I. 1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei und von der Revision unbeanstandet angenommen, daß die Klägerin ihr Eigentum an dem Pferd durch
Vorlage von Abstammungsnachweis und Zuchtbuch nicht nachgewiesen habe
und die Vermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht für sie streite, weil zureichende Anhaltspunkte dafür fehlten, daß sie im Zeitpunkt der Pfändung mittelbare Besitzerin des Tieres gewesen sei.
2. Zu Recht rügt die Revision jedoch, das Berufungsgericht sei verfahrensfehlerhaft zu der Auffassung gelangt, daß die Klägerin auch zu einem früheren Zeitpunkt keinen mittelbaren Besitz an dem Pferd gehabt habe, § 1006
Abs. 2 BGB. Das Berufungsgericht hätte den nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz der Klägerin vom 12. Oktober 2000 zum
Anlaß nehmen müssen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
-4-
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Gericht zur Wiedereröffnung der bereits geschlossenen mündlichen Verhandlung
verpflichtet, wenn sich aus dem neuen Vorbringen einer Partei ergibt, daß die
bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte (vgl. Sen.Urt. v. 8. Februar 1999 - II ZR 261/97, NJW
1999, 2123, 2124 m.w.N.). So lag es hier.
Das Berufungsgericht hat auf Grund der Berufungserwiderung der Klägerin angenommen, daß R. W., dem die Züchterin das von ihr am
15. Mai 1996 auf dem Versteigerungswege veräußerte Tier am 13. Oktober
1996 anlieferte, nicht als Besitzmittler für die Klägerin tätig war, weil der Unterstellvertrag mit W. nach dem Vortrag der Klägerin von ihrer - unstreitig nicht
vertretungsbefugten - Gesellschafterin Ri. V. geschlossen worden sei, so
daß W. Besitzmittler nicht für die Klägerin, sondern für deren Gesellschafterin
gewesen sei. Diese Annahme beruhte jedoch auf einem zumindest nachträglich
erkennbaren Mißverständnis.
Die klagende GmbH hatte in der Berufungserwiderung im Hinblick auf
das Schreiben vom 8. Oktober 1996, in dem die Züchterin gebeten wurde, das
von ihr veräußerte Pferd am 13. Oktober 1996 bei R. W. anzuliefern,
wörtlich vorgetragen: "Der Geschäftsführer der Klägerin hat auf Weisung der
Alleingesellschafterin das Schreiben verfaßt, da sie mit Herrn W. einen Unterstellvertrag abgeschlossen hatte." Das Berufungsgericht bezog das Pronomen
"sie" im letzten Halbsatz auf das Substantiv "Alleingesellschafterin" und entnahm daraus, die Klägerin habe vorgetragen, daß ihre Alleingesellschafterin
den Unterstellvertrag mit W. geschlossen habe. Es mag dahinstehen, ob diese
-5-
Auslegung zunächst noch entgegen der Ansicht der Revision ohne Verstoß
gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze möglich gewesen wäre. Jedenfalls
war es ebenso gut möglich, daß sich das Pronomen "sie" auf das Substantiv
"Klägerin" beziehen sollte. In diesem Falle wäre der Vortrag in der Berufungserwiderung dahingehend zu verstehen gewesen, daß die klagende GmbH den
Unterstellvertrag
mit
W.
geschlossen
habe,
so
daß
W.
ihr
den
Besitz vermittelte. Schon diese unschwer zu erkennende Mehrdeutigkeit des
Vorbringens der Klägerin in der Berufungserwiderung hätte dem Berufungsgericht Anlaß zur Ausübung seines Fragerechts geben müssen.
Hinzu kommt, daß die Klägerin mit ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 12. Oktober 2000 klargestellt hat, daß ihr Vorbringen anders gemeint
war, als es das Berufungsgericht verstanden hatte. Sie hat dort ausdrücklich
ausgeführt: "Mittelbarer Besitzer ist die Klägerin dadurch geworden, daß Frau
Ric. das Pferd dem Besitzmittler, Herrn R. W. als Geheißperson der Klägerin
ausgehändigt hat, der den Besitz auf Grund eines Unterstellvertrages für die
Klägerin ausübte." Dieses Vorbringen ließ keinen Zweifel daran zu, daß die
Klägerin einen zwischen ihr und W. zustande gekommenen Unterstellvertrag
behaupten wollte und das Berufungsgericht sie mißverstanden hatte. So verstand auch das Berufungsgericht den neuen Vortrag der Klägerin. Aus ihm ergab sich, daß die bisherige Verhandlung des Berufungsgerichts lückenhaft
war, weil sie die Differenz zwischen seinem Verständnis der klägerischen Darstellung zum Unterstellvertrag und dem Verständnis der Klägerin trotz erkennbarer Mehrdeutigkeit des Vortrags nicht aufgedeckt hatte, und das bisherige
Verfahren fehlerhaft war, weil das Berufungsgericht die erforderliche Klärung
der erkennbaren Mehrdeutigkeit des klägerischen Vorbringens unterlassen
hatte.
-6-
b) Das Berufungsgericht war seiner demnach gegebenen Wiederöffnungspflicht weder wegen der Erörterung der mit dem Eigentumserwerb im Zusammenhang stehenden Tatsachen in der Berufungsverhandlung enthoben
noch wegen der Erklärung des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, er könne
über den schriftsätzlichen Vortrag hinausgehende Angaben nicht machen.
Nach §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO hätte das Oberlandesgericht die Klägerin auf
sein Verständnis der Berufungserwiderung unmißverständlich hinweisen müssen, um ihr eine sachdienliche Klarstellung ihres Vortrags zu ermöglichen (vgl.
Senat aaO). Die Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen ebenso wenig wie das Protokoll der Berufungsverhandlung erkennen, daß ein solcher
Hinweis erfolgt ist. Damit geht auch die Auffassung der Revisionserwiderung
fehl, die Klägerin hätte bei sorgfältiger Prozeßführung vorsorglich einen Antrag
nach § 283 ZPO stellen müssen, der den Verfahrensfehler des Berufungsgerichtes kompensiert hätte.
3. Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als
richtig, § 563 ZPO a.F..
Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts spricht vieles dafür,
daß ihr Geschäftsführer das Pferd auf der Auktion vom 15. Mai 1996 für die
Klägerin ersteigerte. Nach den Umständen liegt es nahe, daß der Geschäftsführer der Klägerin, obwohl er Alleingesellschafter und allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer der Gesellschaft erst am 12. August 1996 wurde, auf
Grund seiner schon damals beherrschenden Stellung in der Gesellschaft - er
hielt vier Fünftel des Stammkapitals der Gesellschaft - in deren Vollmacht und
Vertretung handelte. Er betrieb die Hengstaufzucht und -ausbildung über die
-7-
Klägerin. Angesichts seiner beherrschenden Stellung in der Gesellschaft kann
seine Vollmacht, die Klägerin vertraglich zu verpflichten, nicht ernstlich in
Zweifel gezogen werden. Sein Gebot wurde entweder als solches der Klägerin
verstanden, ohne daß es insoweit einer ausdrücklichen Erklärung bedurft hätte,
weil den beteiligten Verkehrskreisen und damit auch dem Veranstalter der
Auktion,
dem
Verein
zur
Absatzförderung
des
O.
e.V.,
der
die
Tiere im eigenen Namen und für Rechnung der Züchter verkaufte, bekannt war,
daß er Geschäfte über Pferde jeweils für die Klägerin abschloß, oder es ist jedenfalls nach den Grundsätzen des unternehmensbezogenen Geschäfts, um
das es sich bei dem Erwerb des Tieres handelte, der Klägerin zuzurechnen.
Die vorstehende Beurteilung findet Bestätigung zum einen darin, daß die
Rechnung
des
Vereins
zur
Absatzförderung
des
O.
e.V.
vom
4. Dezember 1996 an die Klägerin gerichtet ist, und zum anderen darin, daß in
den von der Steuerberatungsgesellschaft der Klägerin gefertigten Aufstellungen der Hengst per 31. Dezember 1996 und 31. Dezember 1997 im Anlagevermögen der Klägerin geführt wurde. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht schließlich auch kein Zweifel daran, daß das Schreiben vom
8. Oktober 1996, mit dem die Züchterin zur Ablieferung des ersteigerten Pferdes bei W. aufgefordert wurde, der Klägerin zugerechnet werden muß. Es ist
auf einem Briefbogen der Klägerin gefertigt; die handschriftlich vorgenommene
Änderung an seinem unteren Rand macht ausdrücklich auf die Eigenschaft des
unterzeichnenden H. V. als Geschäftsführer der Klägerin aufmerksam. Demgegenüber kommt der Tatsache, daß die Bezeichnung der Klägerin und ihre Anschrift auf dem Firmenbriefbogen nur unzureichend an die zuvor anläßlich der
Übernahme des restlichen Fünftels der Gesellschaftsanteile durch den Ge-
-8-
schäftsführer der Klägerin am 12. August 1996 vorgenommenen Änderungen
des Gesellschaftsvertrages angepaßt worden waren, keine Bedeutung zu.
II. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da dem
Senat eine eigene Entscheidung über die Frage, mit wem W. den Unterstellvertrag geschlossen hat, nicht möglich ist. Aus der Erwiderung der Beklagten
vom 13. Oktober 2000 auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin
vom 12. Oktober 2000 ergibt sich, daß die Beklagte den Vortrag der Klägerin
über einen Unterstellvertrag mit W. bestreitet. Das Berufungsgericht wird daher, nachdem die Parteien Gelegenheit zu abschließendem Vortrag zu diesem
Komplex erhalten haben, den Beweisantritten der Klägerin nachzugehen haben.
Röhricht
Hesselberger
Kraemer
Henze
Münke