Cyberlaywer/build/tfgpu-cyberlaywer/EndDokumente/i_zr_120-09.pdf.txt
2023-03-06 15:36:57 +01:00

236 lines
No EOL
12 KiB
Text
Raw Blame History

This file contains invisible Unicode characters

This file contains invisible Unicode characters that are indistinguishable to humans but may be processed differently by a computer. If you think that this is intentional, you can safely ignore this warning. Use the Escape button to reveal them.

Berichtigt durch Beschluss
vom 15. Mai 2014
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZR 120/09
Verkündet am:
26. Februar 2014
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-2-
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Oktober 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Dr. h.c. Bornkamm und die Richter Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff, Dr. Grabinski und
Dr. Löffler
beschlossen:
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gründe:
1
I. Die Beklagte, eine niederländische Versandapotheke, bietet gesetzlich
krankenversicherten Kunden in Deutschland, die bei ihr Privatrezepte über verschreibungspflichtige Arzneimittel einlösen, einen sogenannten Garantie-Bonus
in Höhe von 3% des Preises des jeweiligen Medikaments, mindestens aber
2,50 € und höchstens 15 € an.
2
Der Kläger, der Bayerische Apothekerverband e.V., in dem rund
2.700 selbständige Apotheker organisiert sind, sieht dieses Bonussystem als
- wie er zuletzt klargestellt, in erster Linie - wegen Verstoßes gegen die arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften, in zweiter Linie wegen unangemessener unsachlicher Beeinflussung der Verbraucher und höchst hilfsweise wegen Verstoßes gegen das heilmittelwerberechtliche Zuwendungsverbot unlauter
und unzulässig an.
3
Der Kläger hat beantragt, es der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken
des Wettbewerbs
-3-
a) gesetzlich versicherten Kunden in Deutschland, die nicht gemäß § 62 SGB V
zuzahlungsbefreit sind, beim Erwerb eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels, das in Deutschland preisgebunden ist, einen Bonus in Höhe von
2,50 € bis 15 € anzubieten und/oder zu gewähren und/oder hierfür zu werben
und/oder werben zu lassen und/oder
b) gesetzlich Versicherten in Deutschland, die von der Zuzahlung gemäß § 62
SGB V befreit sind, beim Erwerb eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels, das in Deutschland preisgebunden ist, einen Bonus in Höhe von 2,50 €
bis 15 € anzubieten und/oder zu gewähren und/oder hierfür zu werben
und/oder werben zu lassen und/oder
c) gesetzlich Versicherten in Deutschland für jedes verschreibungspflichtige
Medikament, das in Deutschland preisgebunden ist und nicht von der Krankenkasse übernommen wird, einen Bonus in Höhe von 10% und maximal
15 € anzubieten und/oder zu gewähren und/oder hierfür zu werben und/oder
werben zu lassen.
4
Darüber hinaus hat der Kläger ihm vorprozessual entstandene Abmahnkosten in Höhe von 1.379,80 € nebst Zinsen erstattet verlangt.
5
Das Landgericht hat der Klage im vollen Umfang stattgegeben. Die von
der Beklagten dagegen eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger
beantragt hat, hat die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.
6
In der mündlichen Revisionsverhandlung hat die Beklagte erklärt, dass
sie sich nach der Klärung der Streitfrage durch den Gesetzgeber, ob ihre Versandhandelstätigkeit in Deutschland unter die deutschen Preisbindungsvorschriften fällt, selbstverständlich an das deutsche Gesetz hält. Die Klägerin hat
daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte
hat der Erledigungserklärung zugestimmt.
7
II. Nach der - auch im Revisionsverfahren noch möglichen (vgl. BGH,
Beschluss vom 18. November 2010 - I ZR 86/09, GRUR-RR 2011, 291 Rn. 6
mwN) - Erklärung der Klägerin, dass die Hauptsache erledigt sei, ist, nachdem
die Beklagte der Erledigungserklärung zugestimmt hat, gemäß § 91a Abs. 1
-4-
Satz 1 ZPO über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen durch Beschluss zu
entscheiden. Dabei ist maßgeblich, ob die Revision Erfolg gehabt hätte, wenn
es nicht zur Erledigung der Hauptsache gekommen wäre (BGH, GRUR-RR
2011, 291 Rn. 8 mwN). Da das Rechtsmittel der Beklagten in diesem Fall keinen Erfolg gehabt hätte, entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des
Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen. Das Berufungsgericht hat zutreffend
ein im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers verneint (dazu sogleich unter II 1). Mit Recht hat es ferner angenommen,
dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht bereits im Zeitpunkt seiner Entscheidung auch für im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte
Arzneimittel galt (dazu unter II 2) und die weiteren Voraussetzungen für den
Klageanspruch, soweit die Klägerin ihn auf §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 AMG, § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 AMPreisV gestützt hatte, ebenfalls erfüllt waren (dazu unter II 3). Die Wiederholungsgefahr
als materiell-rechtliche Voraussetzung für den in die Zukunft gerichteten klagegegenständlichen Verletzungsunterlassungsanspruch war auch nicht schon mit
dem Inkrafttreten des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG nF weggefallen (dazu unter II 4).
8
1. Das Berufungsgericht hat mit Recht ein im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG
rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers verneint.
9
a) Das Berufungsgericht hat ein Interesse des Klägers, das die gesonderte Inanspruchnahme der Beklagten im Blick auf privat krankenversicherte
Personen einerseits und gesetzlich krankenversicherte Personen andererseits
rechtfertigte und damit der Annahme eines Rechtsmissbrauchs gemäß § 8
Abs. 4 UWG entgegenstand, darin gesehen, dass der Kläger im Zeitpunkt der
Klageerhebung damit rechnen musste, dass die Beklagte im Blick auf ihr beanstandetes Verhalten gegenüber den gesetzlich krankenversicherten Personen
die Zulässigkeit des Rechtswegs rügen würde. Die Rechtslage sei erst durch
-5-
den nach Erhebung der Klagen im vorliegenden Rechtsstreit einerseits und im
wegen Bonuszahlungen an privat krankenversicherte Personen geführten
Rechtsstreit andererseits durch die Senatsentscheidung "Treuebonus" geklärt
worden, wo ausgesprochen worden sei, dass für einen Streit über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Sonderzahlungen eines Apothekers an krankenversicherte Personen bei Einlösung von Rezepten auch insoweit, als die
Gewährung von Bonuszahlung an gesetzlich versicherte Personen in Rede stehe, der Rechtsweg zu den Zivilgerichten nach § 13 GVG eröffnet sei (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2008 - I ZB 8/07, GRUR 2008, 447 Rn. 12 ff., 16 bis 19
= WRP 2008, 675).
10
b) Diese Sichtweise entspricht der Senatsrechtsprechung, wonach ein
sachlicher Grund für die Erhebung gesonderter Klagen sprechen und daher der
Annahme eines Rechtsmissbrauchs gemäß § 8 Abs. 4 UWG entgegenstehen
kann, wenn die rechtliche Beurteilung oder die Beweisbarkeit des jeweiligen
Wettbewerbsverstoßes unterschiedlich sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 22. April
2009 - I ZR 14/07, GRUR 2009, 1180 Rn. 20 - 0,00 Grundgebühr; Urteil vom
22. Oktober 2009 - I ZR 58/07, GRUR 2010, 454 Rn. 21 = WRP 2010, 640
- Klassenlotterie). Ein Grund für die Erhebung gesonderter Klagen kann sich
insbesondere daraus ergeben, dass sich die Rechtsdurchsetzung in der einen
Hinsicht anders - und insbesondere zeitaufwendiger - gestalten kann als in der
anderen Hinsicht und daher bei Erhebung einer einheitlichen Klage die - gerade
bei in die Zukunft gerichteten Unterlassungsansprüchen relevante - Gefahr besteht, dass ein an sich ohne viel Aufwand durchsetzbarer Anspruch zunächst
nicht ausgeurteilt wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Prozesstrennung
gemäß § 145 ZPO zwar möglich ist, aber im nicht überprüfbaren und auch nicht
mit Rechtsmitteln anfechtbaren Ermessen des Prozessgerichts liegt. Dies gilt im
besonderen Maße, wenn die beklagte Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs
rügt (§ 17a Abs. 3 Satz 2 GVG) und diese Frage daher vorab - gegebenenfalls
-6-
durch drei Instanzen - geprüft werden muss (vgl. § 17a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4
GVG).
11
2. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat
die ihm vom erkennenden Senat in der Sache "Sparen Sie beim Medikamenteneinkauf! I" (I ZR 72/08) mit Beschluss vom 9. September 2010 (GRUR 2010,
1130 = WRP 2010, 1485) vorgelegte Rechtsfrage, ob die deutschen Vorschriften für den Apothekenabgabepreis auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel gelten, die Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im Wege des Versandhandels nach Deutschland an Endverbraucher abgeben, bejaht (GmS-OGB, Beschluss vom 22. August 2012 GmS-OGB 1/10, BGHZ 194, 354 Rn. 12 ff.). In Übereinstimmung damit hat der
Gesetzgeber durch die mit Wirkung vom 26. Oktober 2012 in Kraft getretene
Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 3 AMG zusätzlich klargestellt, dass die aufgrund
von § 78 Abs. 1 Satz 1 AMG erlassene Arzneimittelpreisverordnung auch für
gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG in den Geltungsbereich dieses Gesetzes
verbrachte Arzneimittel gilt.
12
3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass auch die weiteren Voraussetzungen für den auf §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 78 Abs. 2
Satz 2 und 3 AMG, § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 AMPreisV gestützten Klageanspruch
erfüllt sind, entspricht der Senatsrechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 9. September 2010 - I ZR 193/07, GRUR 2010, 1136 Rn. 16-22 = WRP 2010, 1482
- UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE) und wird auch von der Revision nicht beanstandet. Wie der Senat mittlerweile entschieden hat, ist ein Verstoß gegen
die Bestimmungen des § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG, § 1
Abs. 1 und 4, § 3 AMPreisV geeignet, die Interessen von Mitbewerbern und
sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, wenn der Wert der für
den Bezug eines Arzneimittels gewährten Werbegabe einen Euro übersteigt
-7-
(BGH, Urteil vom 8. Mai 2013 - I ZR 98/12, GRUR 2013, 1264 Rn. 18 ff., 20 =
WRP 2013, 1587- RezeptBonus).
13
4. Die Begehungsgefahr - hier in Form der Wiederholungsgefahr - ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs (vgl. BGH,
Urteil vom 29. Oktober 2009 - I ZR 180/07, GRUR 2010, 455 Rn. 16 = WRP
2010, 746 - Stumme Verkäufer II; Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG,
32. Aufl., § 8 Rn. 1.10, jeweils mwN). Die für den Verletzungsunterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr kann dabei auch ohne Abgabe einer
hinreichend strafbewehrten Unterlassungserklärung dann wegfallen, wenn der
Verstoß unter der Geltung einer zweifelhaften Rechtslage erfolgt ist, diese
Zweifel aber durch eine Gesetzesänderung beseitigt sind und außer Frage
steht, dass das beanstandete Verhalten verboten ist (vgl. BGH, Urteil vom
25. Oktober 2001 - I ZR 29/99, GRUR 2002, 717, 719 = WRP 2002, 679
- Vertretung der Anwalts-GmbH; Bornkamm in Köhler/Bornkamm aaO § 8
Rn. 1.43, jeweils mwN). Die zuletzt genannte Voraussetzung war im Streitfall
erst dadurch erfüllt, dass die Beklagte in der mündlichen Revisionsverhandlung
erklärt hat, dass sie sich nach der Klärung der Streitfrage durch den Gesetzgeber, ob ihre Versandhandelstätigkeit in Deutschland unter die deutschen Preisbindungsvorschriften fällt, selbstverständlich an das deutsche Gesetz hält. Zuvor hatte die Beklagte stets den Standpunkt vertreten, dass der Anwendung
-8-
dieser Vorschriften auf im Wege des Versandhandels aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland eingeführte Arzneimittel
das primäre Unionsrecht entgegenstünde.
Bornkamm
Schaffert
Grabinski
Kirchhof
Löffler
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 18.06.2008 - 1 HKO 20716/07 OLG München, Entscheidung vom 02.07.2009 - 29 U 3648/08 -
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZR 120/09
vom
15. Mai 2014
in dem Rechtsstreit
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Mai 2014 durch die Richter
Prof. Dr. Büscher, Pokrant, Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
beschlossen:
Der Beschluss vom 26. Februar 2014 wird wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 319 Abs. 1 ZPO wie folgt berichtigt:
In Rn. 11 in der 11. Zeile muss es heißen "§ 78 Abs. 1 Satz 4
AMG" statt "§ 78 Abs. 1 Satz 3 AMG".
Büscher
Pokrant
Kirchhoff
Schaffert
Koch
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 18.06.2008 - 1 HKO 20716/07 OLG München, Entscheidung vom 02.07.2009 - 29 U 3648/08 -