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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
EnVR 86/10
Verkündet am:
9. Oktober 2012
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
-2Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom
19. Juni
2012
durch
den
Präsidenten
des
Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Tolksdorf und die Richter Dr. Raum, Dr. Strohn, Dr. Grüneberg und
Dr. Bacher
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der am 21. Juli 2010
verkündete Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts
Düsseldorf aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Bundesnetzagentur vom 27. Januar 2009 aufgehoben. Die Bundesnetzagentur wird verpflichtet, die Betroffene unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Die weitergehenden Rechtsmittel werden zurückgewiesen.
Von den Kosten und Auslagen des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens tragen die Betroffene drei Viertel und die
Bundesnetzagentur ein Viertel.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5,6 Millionen
Euro festgesetzt.
-3-
Gründe:
1
I.
Die Betroffene betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz. Mit Schreiben
vom 2. September 2008 eröffnete die Bundesnetzagentur gegen sie von Amts
wegen das Verfahren zur Festlegung der Erlösobergrenzen für die Jahre 2009
bis 2013. Die Betroffene beantragte unter anderem die Einbeziehung eines Erweiterungsfaktors sowie die Anpassung der Erlösobergrenze wegen Vorliegens
einer nicht zumutbaren Härte im Hinblick auf gestiegene Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie.
2
Mit Beschluss vom 27. Januar 2009 legte die Bundesnetzagentur die Erlösobergrenzen niedriger als von der Betroffenen begehrt fest. Sie legte hierbei
einen Effizienzwert von 92,8 % zugrunde. Bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus nach § 6 ARegV nahm sie Kürzungen beim Zinssatz für Fremdkapital,
beim zu berücksichtigenden Eigenkapital und bei der kalkulatorischen Gewerbesteuer vor. Abweichend vom Begehren der Betroffenen stellte sie in die Berechnung ferner den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor nach § 9 ARegV
ein. Die Anträge auf Berücksichtigung eines Erweiterungsfaktors im Sinne von
§ 10 ARegV und auf Anerkennung eines Härtefalls im Sinne von § 4 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 ARegV lehnte sie ab.
3
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Betroffene mit der vom
Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie ihr Begehren
aus der Beschwerdeinstanz im Wesentlichen weiterverfolgt. Hinsichtlich der
Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie verfolgt sie nach Abgabe einer
freiwilligen Selbstverpflichtung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 4 ARegV nur noch den
Antrag auf Anerkennung eines Härtefalls weiter. Hinsichtlich des generellen
-4sektoralen Produktivitätsfaktors haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der
Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
4
Die Bundesnetzagentur tritt dem Rechtsmittel entgegen.
5
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat nur zu einem Teil Erfolg. Im
Übrigen ist sie unbegründet.
6
1.
Bestimmung des Ausgangsniveaus
7
Begründet ist die Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Bestimmung des Ausgangsniveaus für die Bestimmung der Erlösobergrenzen gemäß
§ 6 ARegV wendet.
8
a)
Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, nach § 6 Abs. 2 ARegV sei
für die erste Regulierungsperiode das Ergebnis der Kostenprüfung der letzten
Genehmigung der Netzentgelte heranzuziehen. Für eine Anpassung an spätere
Entwicklungen sei kein Raum. Eine Anpassung an die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, nach der weitere Kostenpositionen hätten berücksichtigt
werden müssen, und die Heranziehung anderer Preisindizes seien deshalb
nicht möglich. Die Bundesnetzagentur sei auch nicht verpflichtet gewesen, die
kalkulatorische Gewerbesteuer mit Blick auf die von ihr zu Gunsten der Betroffenen vorgenommene Anpassung der Eigenkapitalverzinsung zu aktualisieren.
9
b)
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
10
Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus nach § 6 Abs. 2 ARegV - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung und
-5Anwendung der Stromnetzentgeltverordnung zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2010 - EnVR 48/10, RdE 2011, 308 Rn. 7 ff. - EnBW Regional AG). Das Ergebnis der letzten Kostenprüfung darf nicht übernommen
werden, soweit es zu dieser Rechtsprechung in Widerspruch steht.
11
Ein Widerspruch in diesem Sinne setzt allerdings voraus, dass der Netzbetreiber im Entgeltgenehmigungsverfahren Kostenpositionen geltend gemacht
hat, deren Anerkennung die Regulierungsbehörde zu Unrecht abgelehnt hat.
Soweit der Netzbetreiber bestimmte Kostenpositionen im Entgeltgenehmigungsverfahren nicht geltend gemacht hat, muss er sich daran auch im Zusammenhang mit § 6 Abs. 2 ARegV festhalten lassen (BGH, Beschluss vom
31. Januar 2012 - EnVR 16/10, RdE 2012, 203 Rn. 13 - Gemeindewerke Schutterwald).
12
aa) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hätte die Bundesnetzagentur danach einen Risikozuschlag bei den Fremdkapitalzinsen (hierzu
BGH, Beschluss vom 14. August 2008 - KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395
Rn. 54 ff. - Rheinhessische Energie) berücksichtigen müssen. Dies wird sie
nachzuholen haben.
13
Dem steht nicht entgegen, dass die Betroffene auf eine Beschwerde gegen die letzte Genehmigung der Netzentgelte verzichtet hat. Für die Einbeziehung von zu Unrecht nicht berücksichtigten Kostenpositionen ist erforderlich
und ausreichend, dass der Netzbetreiber diese im Entgeltgenehmigungsverfahren vor der Regulierungsbehörde geltend gemacht hat. Unerheblich ist demgegenüber, ob er die mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Widerspruch
stehende Entgeltgenehmigung angefochten hat.
14
bb) Zu berücksichtigen sind auch geleistete Anzahlungen und Kosten für
Anlagen im Bau (hierzu BGH, Beschluss vom 14. August 2008 - KVR 39/07,
-6RdE 2008, 323 Rn. 32 ff. - Vattenfall). Diese Kostenpositionen hat die Betroffene im Entgeltgenehmigungsverfahren in hinreichender Weise geltend gemacht.
15
Dem steht nicht entgegen, dass die Betroffene im Entgeltgenehmigungsverfahren in der Aufstellung des kalkulatorischen Eigenkapitals entsprechend
den damaligen Vorgaben der Bundesnetzagentur keine entsprechende Position
ausgewiesen hat. Die Betroffene hat, wie sich aus den von der Bundesnetzagentur beigezogenen Akten des letzten Entgeltgenehmigungsverfahrens (BK807/179, Blatt 78) ergibt, in ihrer zusammen mit dem Antrag auf Genehmigung
der Netzentgelte eingereichten Bilanz zum 31. Dezember 2006 für geleistete
Anzahlungen und Anlagen im Bau einen Betrag von 360.573,29 Euro ausgewiesen. Hieraus hätte die Bundesnetzagentur bei zutreffender rechtlicher Beurteilung folgern können und müssen, dass diese Position auch beim kalkulatorischen Eigenkapital zu berücksichtigen ist. Die Betroffene war nicht gehalten,
den Betrag in weitere Formulare, Aufstellungen oder sonstige Anlagen zum
Entgeltgenehmigungsantrag zu übernehmen, weil dort ohnehin keine entsprechende Rubrik vorgesehen war.
16
cc)
Anzupassen ist ferner die kalkulatorische Gewerbesteuer im Hinblick
auf die von der Bundesnetzagentur vorgenommenen Änderungen bei der Eigenkapitalverzinsung wegen der Neufestlegung der Zinssätze vom 7. Juli 2008.
17
Wie der Senat bereits entschieden hat, folgt aus der in § 8 StromNEV vorgeschriebenen Anbindung der kalkulatorischen Gewerbesteuer an die Bemessungsgrundlage der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung, dass bei einer
Veränderung der Bemessungsgrundlage auch die Gewerbesteuer anzupassen
ist. Aus § 7 Abs. 6 StromNEV ergibt sich entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur nichts anderes (BGH RdE 2012, 203 Rn. 10 - Gemeindewerke
Schutterwald).
-718
Ob die Betroffene eine entsprechende Anpassung bereits im - vor der
Neufestlegung der Zinssätze abgeschlossenen - Entgeltgenehmigungsverfahren beantragt hat, ist unerheblich. Die Anpassung der kalkulatorischen Gewerbesteuer ergibt sich als rechnerische Folge aus der Änderung der Bemessungsgrundlage und bedarf, anders als die oben behandelten Kostenpositionen,
keines zusätzlichen tatsächlichen Vorbringens seitens des Netzbetreibers.
19
2.
20
Zu Recht hat das Beschwerdegericht eine Verpflichtung der Bundesnetz-
Effizienzwert
agentur zur Bereinigung des Effizienzwerts gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV
verneint.
21
a)
Das Beschwerdegericht hat offengelassen, ob die von der Betroffe-
nen angeführten Gesichtspunkte eine Besonderheit im Sinne der genannten
Vorschrift darstellen. Eine Bereinigung des Effizienzwerts sei jedenfalls deshalb
ausgeschlossen, weil die Betroffene nicht nachgewiesen habe, dass diese Umstände zu einer Erhöhung der relevanten Kosten um mindestens drei Prozent
geführt hätten. Zur Führung des in § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV vorgeschriebenen
Nachweises sei erforderlich, dass die Mehrkosten nach den gleichen Maßstäben berechnet würden wie die Ausgangskostenbasis. Dem sei die Betroffene
nicht nachgekommen. Insbesondere habe sie keine Berechnung der kalkulatorischen Abschreibungen gemäß § 6 StromNEV und der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung gemäß § 7 StromNEV vorgenommen. Auch aus dem ergänzenden Vorbringen nach Erteilung eines gerichtlichen Hinweises ergebe sich
nicht, welche Mehrkosten durch die höhere Anzahl von Zählpunkten verursacht
worden seien und in welcher Höhe diese in die Kostenpositionen des Jahres
2006 eingeflossen seien, die die Aufwandsparameter des Effizienzvergleichs
bildeten.
-822
b)
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis
stand. Die Betroffene hat eine Erhöhung der relevanten Kosten um mindestens
drei Prozent nicht dargelegt.
23
aa) Durch das Erfordernis einer Erhöhung der nach § 14 Abs. 1 Nr. 1
und 2 ARegV ermittelten Kosten um mindestens drei Prozent soll gewährleistet
werden, dass die Prüfung struktureller Besonderheiten grundsätzlich nur in wirtschaftlich bedeutsamen Einzelfällen den allgemeinen Effizienzvergleich nach
den §§ 12 bis 14 ARegV ergänzt (BR-Drucks. 417/07, S. 60). Um dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung zu tragen, wurde der dafür maßgebliche Schwellenwert im Laufe des Normsetzungsverfahrens von einem auf drei
Prozent erhöht. Ausschlaggebend dafür war die Erwägung, dass grundsätzlich
bei jedem Netzbetreiber mit Besonderheiten der Versorgungsaufgabe zu rechnen ist, die teils kostenerhöhend, teils kostenreduzierend wirken und sich deshalb häufig ausgleichen werden. Eine Bereinigung soll nur in Ausnahmefällen
erfolgen, d.h. wenn Besonderheiten bestehen, die deutlich höhere Kosten zur
Folge haben (BR-Drucks. 417/07 (Beschluss), S. 11 f.).
24
Daraus ergibt sich, dass Mehrkosten nur insoweit berücksichtigt werden
können, als sie durch die in Rede stehende Besonderheit der Versorgungsaufgabe verursacht werden. Besteht die Besonderheit darin, dass eine mit Kosten
verbundene Leistung - hier die Einrichtung und der Betrieb von Zählpunkten überdurchschnittlich häufig erbracht werden muss, genügt es deshalb nicht, die
Mehrkosten allein anhand der Zahl der Leistungseinheiten und der für eine
Leistungseinheit durchschnittlich anfallenden Kosten zu berechnen.
25
Das Vorbringen der Betroffenen, die lediglich die Differenz zwischen der
Anzahl der in ihrem Netz vorhandenen Zählpunkte und der theoretischen Anzahl, die sich bei einem durchschnittlichen Verhältnis zwischen Anschluss- und
Zählpunkten ergäbe, ermittelt und mit dem im letzten Entgeltgenehmigungsverfahren genehmigten Preis für Messung, Messstellenbetrieb und Abrechnung
-9mulitpliziert hat, genügt deshalb zum Nachweis der in § 15 Abs. 1 Satz 1
ARegV normierten Voraussetzungen nicht. Die Betroffene hätte vielmehr darlegen und unter Beweis stellen müssen, in welchem Umfang die Kosten für die
Zählpunkte gerade dadurch angestiegen sind, dass pro Anschlusspunkt mehr
Zählpunkte vorhanden sind, als dies dem Durchschnitt entspricht. Der Ansatz
der genehmigten Preise ist dafür selbst dann ungeeignet, wenn diese die
durchschnittlichen Kosten eines Zählpunktes widerspiegeln. Aus dieser Berechnungsweise ergibt sich nämlich nicht, ob die Kosten eines Zählpunktes an
einem Anschlusspunkt, dem weitere Zählpunkte zugeordnet sind, diesen durchschnittlichen Kosten entsprechen oder ob sie - zum Beispiel im Hinblick auf die
mit der Zuordnung zu einem gemeinsamen Anschlusspunkt zu erwartende
räumliche Nähe der Zählpunkte oder wegen anderer Besonderheiten - deutlich
geringer sind. Erforderlich wäre daher ein Nachweis der Mehrkosten, die gerade dadurch entstehen, dass die Anzahl von Zählpunkten pro Anschlusspunkt
über dem Durchschnitt liegt. Dies hat das Beschwerdegericht zutreffend erkannt.
26
bb) Die Bundesnetzagentur war nicht gehalten, die entstandenen Mehrkosten von Amts wegen zu ermitteln.
27
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV kommt eine Bereinigung des Effizienzwerts nur dann in Betracht, wenn der Netzbetreiber nachweist, dass die dort
genannten Voraussetzungen vorliegen. Die der Regulierungsbehörde grundsätzlich obliegende Pflicht zur Ermittlung von Amts wegen, die sich gemäß § 27
Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ARegV auch auf die erforderlichen Tatsachen zur Ermittlung
der bereinigten Effizienzwerte bezieht, ist insoweit eingeschränkt. Die Regulierungsbehörde ist deshalb grundsätzlich nicht gehalten, den Sachverhalt nach
Besonderheiten zu erforschen, die zur Bereinigung des Effizienzwerts führen
können. Vielmehr obliegt es dem Netzbetreiber, solche Besonderheiten aufzuzeigen und erforderlichenfalls nachzuweisen. Die Regulierungsbehörde hat
aber relevantes Vorbringen des Netzbetreibers zu berücksichtigen, diesen bei
- 10 Bedarf zu Ergänzungen desselben zu veranlassen und für die Beurteilung zusätzlich erforderliche Tatsachen - zum Beispiel Daten anderer Netzbetreiber,
soweit diese für die Beurteilung relevant sind - gegebenenfalls von Amts wegen
zu ermitteln.
28
Im Streitfall lag es damit an der Betroffenen, die relevanten Kosten darzulegen und unter Beweis zu stellen. Dies ist auch nach dem vom Beschwerdegericht erteilten Hinweis nicht geschehen. Das Beschwerdegericht hat das
Rechtsmittel insoweit deshalb zu Recht als unbegründet angesehen.
29
cc)
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war die Bundes-
netzagentur nicht gehalten, die Frage, ob sich die Kostenbelastung mit steigender Anzahl von Zählpunkten proportional entwickelt, durch Heranziehung der
Daten von anderen Netzbetreibern durch Ermittlungen von Amts wegen zu klären.
30
Für die Frage, ob eine nach § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV relevante Kostenerhöhung vorliegt, ist lediglich die Kostensituation des betroffenen Netzbetreibers von Bedeutung. Es obliegt deshalb diesem, darzulegen und unter Beweis
zu stellen, welche Mehrkosten ihm aufgrund der in Rede stehenden Besonderheit der Versorgungsaufgabe entstehen. Diesen Anforderungen wird auch der
auf den Hinweis des Beschwerdegerichts ergänzte Vortrag der Betroffenen
nicht gerecht. Die Betroffene hat ihr Vorbringen damit zwar insoweit modifiziert,
als sie nicht das zuletzt genehmigte Messentgelt, sondern die auf die Zählpunkte entfallenden Kosten angegeben hat. Auch dabei hat sie jedoch für die Kosten
jedes Zählpunkts einen anhand der gesamten Messkosten ermittelten Durchschnittswert angesetzt. Entsprechendes gilt für die nochmals modifizierten Berechnungen, die als Anlage zur Rechtsbeschwerdebegründung vorgelegt worden sind.
- 11 31
Dass die Betroffene die konkreten Mehrkosten nach ihrem Vorbringen
nicht ermitteln kann, weil sie nicht über das dafür erforderliche Datenmaterial
verfügt, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Der Nachweis einer relevanten Kostensteigerung obliegt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV dem Netzbetreiber. Er trägt deshalb das Risiko der Nichterweislichkeit. Dass die Betroffene
aufgrund der allgemeinen handels- und steuerrechtlichen Vorschriften nicht
mehr gehalten war, die zur ordnungsgemäßen Darlegung erforderlichen Unterlagen aufzubewahren, oder dass solche Unterlagen aus unternehmensinternen
Gründen nicht zur Verfügung stehen, führt nicht zu einer Verlagerung dieses
Risikos.
32
3.
Erweiterungsfaktor
33
Erfolg hat die Rechtsbeschwerde, soweit die Betroffene die Berücksichtigung eines Erweiterungsfaktors für das erste Jahr der Regulierungsperiode begehrt.
34
a)
Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, für das erste Jahr der Regu-
lierungsperiode komme die Berücksichtigung eines Erweiterungsfaktors nach
Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung in § 10 ARegV nicht
in Betracht.
35
b)
36
Nach der Rechtsprechung des Senats ist § 10 Abs. 1 ARegV in der zu be-
Dies hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis nicht stand.
urteilenden Konstellation zwar nicht unmittelbar, wohl aber entsprechend anzuwenden (BGH, RdE 2011, 308 Rn. 52 ff. - EnBW Regional AG). Die Bundesnetzagentur hätte deshalb dem Vorbringen der Betroffenen, wonach die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift für das Jahr 2009 erfüllt sind, nachgehen müssen. Dies wird sie nachzuholen haben.
- 12 37
4.
38
Ohne Erfolg bleibt die Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Be-
Kosten für Verlustenergie
handlung der Kosten für Verlustenergie wendet.
39
a)
Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Betroffene müsse zu-
nächst die Anpassung der individuellen Effizienzvorgabe gemäß § 16 Abs. 2
ARegV anstreben. Nur wenn und soweit dies nicht ausreiche, komme nachrangig eine Anpassung nach § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EnWG in Betracht. Für ein
Begehren nach § 16 Abs. 2 ARegV habe die Betroffene noch nichts vorgetragen. Die Bundesnetzagentur sei deshalb nicht gehalten gewesen, die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Einzelnen zu prüfen.
40
b)
41
aa) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Anwen-
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
dung von § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV allerdings nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Betroffene nicht auf eine individuelle Anpassung der Effizienzvorgabe gemäß § 16 Abs. 2 ARegV hingewirkt hat.
42
Wie der Senat bereits entschieden hat, kommt die Anwendung der allgemeinen Regelung in § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV stets in Betracht, wenn eine
unzumutbare Härte auf Ursachen beruht, die von anderen Regelungen, die wie
§ 16 ARegV nur einzelne Teilaspekte betreffen, nicht erfasst werden. Zwar darf
die Anwendung der Härtefallregelung nicht zu einer allgemeinen Billigkeitskontrolle der sich aus den einzelnen Vorschriften der Anreizregulierungsverordnung
ergebenden Erlösobergrenzen führen. Der Eintritt eines unvorhersehbaren Ereignisses ist deshalb zu verneinen, wenn der betreffende Umstand durch speziellere Anpassungs- und Korrekturregelungen abschließend geregelt oder dem
Risikobereich des Netzbetreibers zugewiesen ist. Letzteres ist bei einem unvor-
- 13 hergesehenen Anstieg der Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie indes
nicht der Fall (BGH, RdE 2011, 308 Rn. 70 ff. - EnBW Regional AG).
43
bb) Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur stellt der von der
Betroffenen geltend gemachte Anstieg der Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie innerhalb eines Jahres um rund 50% ein unvorhersehbares Ereignis
im Sinne von § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV dar.
44
Der Senat hat bereits mehrfach Kostensteigerungen in der Größenordnung von 50% oder 100% als unvorhersehbares Ereignis angesehen (BGH,
RdE 2011, 308 Rn. 75 - EnBW Regional AG; Beschluss vom 18. Oktober 2011
- EnVR 13/10, N&R 2012, 94 Rn. 35 - PVU Energienetze GmbH; BGH, RdE
2012, 203 Rn. 41 - Gemeindewerke Schutterwald). Die hier vorgetragene Steigerung liegt in derselben Größenordnung.
45
cc)
Das Beschwerdegericht hat jedoch das Begehren der Betroffenen im
Ergebnis zu Recht als unbegründet angesehen, weil die Betroffene nicht dargelegt hat, dass der Anstieg der Kosten für sie zu einer unzumutbaren Härte geführt hat.
46
Nach der Rechtsprechung des Senats darf zur Beantwortung der Frage,
ob für den Netzbetreiber durch den Eintritt des unvorhersehbaren Ereignisses
eine nicht zumutbare Härte entstanden ist, nicht nur die gestiegene einzelne
Kostenposition in den Blick genommen werden. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung der Kosten- und Vermögenssituation des Netzbetreibers anzustellen.
Die Unzumutbarkeit setzt voraus, dass die Entgeltbildung nach den Maßgaben
der Anreizregulierungsverordnung zu einem für den Netzbetreiber wirtschaftlich
untragbaren Ergebnis führt. Insbesondere muss dem Netzbetreiber eine angemessene und wettbewerbsfähige Verzinsung seines Eigenkapitals verbleiben.
Eine "gesetzlich garantierte" Eigenkapitalverzinsung in einer bestimmten Höhe
wird damit nicht gefordert. Treten die Kostensteigerungen von vornherein nur
- 14 für einen begrenzten Zeitraum auf, ist dem Netzbetreiber eher zuzumuten, vorübergehend eine geringere Verzinsung seines Eigenkapitals hinzunehmen, als
dies bei dauerhaften, für einen erheblichen Teil der Regulierungsperiode zu
erwartenden Kostensteigerungen der Fall ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen,
ob der Netzbetreiber die durch eine einzelne Kostensteigerung verursachte Gesamtbelastung seiner Kosten- und Vermögenssituation durch wirtschaftlich vertretbare Rationalisierungsmaßnahmen zumindest teilweise auffangen kann. Der
Netzbetreiber hat daher - bezogen auf das gesamte Netz - darzulegen, wie sich
die gestiegenen Kosten unter Berücksichtigung aller sonstiger Veränderungen
in der Kosten- und Vermögenssituation auf die kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung auswirken. Insoweit wird die Amtsaufklärungspflicht der Regulierungsbehörde (§ 68 Abs. 1 EnWG, § 27 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ARegV) durch die Mitwirkungslast des Netzbetreibers begrenzt, dem es obliegt, bei der Ermittlung des
Sachverhalts mitzuhelfen und insbesondere die ihm bekannten Tatsachen und
Beweismittel anzugeben (BGH, RdE 2011, 308 Rn. 86 ff. - EnBW Regional
AG).
47
Im vorliegenden Verfahren hat die Betroffene lediglich einen Anstieg der
Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie im Jahr 2007 geltend gemacht.
Zu ihrer sonstigen Kosten- und Vermögenssituation hat sie nicht vorgetragen.
48
Die angefochtenen Entscheidungen bedürfen auch nicht deshalb der Aufhebung, um der Betroffenen insoweit Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben. Die Betroffene hatte spätestens nach dem vom Beschwerdegericht mit
Beschluss vom 8. März 2010 erteilten Hinweis Anlass zu einer entsprechenden
Ergänzung ihres Vortrags. Das Beschwerdegericht hat zwar auch in dem Hinweisbeschluss § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV schon deshalb für nicht anwendbar bezeichnet, weil die Möglichkeit einer Anpassung der Effizienzvorgabe nach
§ 16 Abs. 2 ARegV vorrangig sei. Auch nach dieser Vorschrift ist aber erforderlich, dass die Betroffene umfassend zu ihrer Kosten- und Vermögenssituation
vorträgt. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die Betroffene ihren Vor-
- 15 trag im Hinblick darauf ergänzt hat. Sie erhebt auch keine Verfahrensrüge, mit
der eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes durch das Beschwerdegericht geltend gemacht und aufgezeigt wird, welche konkreten Ermittlungen das
Beschwerdegericht unterlassen haben soll und zu welchem Ergebnis diese geführt hätten.
49
III.
Der Senat verweist die Sache nicht an das Beschwerdegericht zu-
rück. Die noch offenen Fragen können durch die Bundesnetzagentur in dem
neu eröffneten Verwaltungsverfahren entschieden werden. Für die Neubescheidung ist der rechtliche Rahmen durch die Entscheidung des Senats
vorgegeben.
50
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG.
Tolksdorf
Raum
Grüneberg
Strohn
Bacher
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 21.07.2010 - VI-3 Kart 182/09 (V) -