116 lines
No EOL
6.6 KiB
Text
116 lines
No EOL
6.6 KiB
Text
BUNDESGERICHTSHOF
|
||
BESCHLUSS
|
||
AnwZ (B) 30/99
|
||
vom
|
||
13. März 2000
|
||
in dem Verfahren
|
||
|
||
wegen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
|
||
|
||
-2-
|
||
|
||
Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende
|
||
Richterin Dr. Deppert, die Richter Basdorf, Dr. Ganter und Terno, die Rechtsanwälte Dr. von Hase und Dr. Kieserling sowie die Rechtsanwältin Dr. Christian
|
||
nach mündlicher Verhandlung am 13. März 2000
|
||
|
||
beschlossen:
|
||
|
||
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 5. März 1999 aufgehoben.
|
||
|
||
Es wird festgestellt, daß der von der Antragsgegnerin in ihrem
|
||
Gutachten vom 13. August 1998 angeführte Versagungsgrund
|
||
nicht vorliegt.
|
||
|
||
Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
|
||
|
||
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
|
||
100.000 DM festgesetzt.
|
||
|
||
-3-
|
||
|
||
Gründe :
|
||
I.
|
||
Der 1944 geborene Antragsteller war von 1976 bis zum bestandskräftig
|
||
gewordenen Widerruf wegen Vermögensverfalls im Jahre 1983 in BadenWürttemberg zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Wegen Veruntreuung von
|
||
Mandantengeldern in 18 Fällen zwischen 1981 und 1983 wurde er zu einer
|
||
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verurteilt. Das Urteil ist
|
||
seit 1985 rechtskräftig, nach Ablauf der Bewährungszeit wurde die Strafe im
|
||
Jahre 1988 erlassen. Anschließend wurde der Beschwerdeführer, der in den
|
||
Jahren 1982, 1983 und 1989 eidesstattliche Versicherungen zur Offenbarung
|
||
seines Vermögens hatte ableisten müssen, wegen Betruges und zweimal wegen Fahrens ohne Versicherungsschutz verurteilt. Die Sanktion für die in den
|
||
Jahren 1989 und 1990 begangenen Vergehen wurde auf eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 DM zurückgeführt. Der - damals nach Aufgabe einer zwischenzeitlichen kaufmännischen Tätigkeit arbeitslose - Beschwerdeführer bezahlte die Strafe nach vergeblichen Vollstreckungsversuchen erst nach Ladung zum Strafantritt. In seinem Antrag auf Wiederzulassung
|
||
hat er jene weitere Bestrafung unerwähnt gelassen. Seit Ende 1995 arbeitet
|
||
der Antragsteller als Angestellter in der Rechtsanwaltskanzlei seines jetzigen
|
||
Verfahrensbevollmächtigten in M.
|
||
|
||
Auf den Zulassungsantrag des Antragstellers hat der Vorstand der Antragsgegnerin in dem am 13. August 1998 erstatteten Gutachten den Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO geltend gemacht. Den hiergegen gerichteten
|
||
Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen und festgestellt, daß der vom Vorstand der Antragsgegnerin angeführte
|
||
|
||
-4-
|
||
|
||
Versagungsgrund vorliege. Gegen den Beschluß des Anwaltsgerichtshofs
|
||
richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
|
||
|
||
II.
|
||
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 1 BRAO) und muß - im
|
||
Blick auf den weiteren eingetretenen Zeitablauf - nunmehr auch in der Sache
|
||
Erfolg haben. Die vom Anwaltsgerichtshof gebilligte Einschätzung der Antragsgegnerin, daß der Versagungsgrund der Unwürdigkeit (§ 7 Nr. 5 BRAO) beim
|
||
Antragsteller vorliegt, ist jetzt im Ergebnis nicht mehr gerechtfertigt.
|
||
|
||
Das dem Antragsteller angelastete Fehlverhalten vielfacher Veruntreuung von Mandantengeldern war allerdings besonders schwerwiegend (st.
|
||
Rspr.; vgl. BGH, Beschluß vom 21. Juni 1999 – AnwZ (B) 79/98 -, NJW 1999,
|
||
3048 = BRAK-Mitt. 1999, 269, 270; Feuerich/Braun BRAO 4. Aufl. § 7 Rdn. 45;
|
||
jeweils m.w.N.). Indes kann auch eine hierdurch begründete Unwürdigkeit
|
||
durch Zeitablauf und Wohlverhalten des Bewerbers derart an Bedeutung verloren haben, daß sie der Zulassung des Bewerbers nicht mehr im Wege steht.
|
||
Das namentlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse des Bewerbers
|
||
an beruflicher und sozialer Wiedereingliederung einerseits, das berechtigte
|
||
Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes andererseits sind gegeneinander abzuwägen (vgl.
|
||
BGH, Beschluß vom 12. April 1999 – AnwZ(B) 67/98 -, BRAK-Mitt. 1999, 187).
|
||
Die Frage, welche Zeitspanne zwischen Fehlverhalten und Möglichkeit der
|
||
Wiederzulassung verstrichen sein muß, ist nicht schematisch zu beantworten.
|
||
Verlangt ist eine einzelfallbezogene Entscheidung; deren Zeitpunkt ist für die
|
||
Beurteilung maßgeblich (vgl. BGH, Beschluß vom 6. Juli 1998 – AnwZ(B) 10/98
|
||
|
||
-5-
|
||
|
||
-, BRAK-Mitt. 1999, 234, 235). In schweren Fällen kann die in Frage stehende
|
||
Zeitspanne 15 bis 20 Jahre, ausnahmsweise sogar noch mehr betragen (st.
|
||
Rspr.; vgl. BGH, Beschluß vom 18. November 1996 – AnwZ(B) 11/96 -, BRAKMitt. 1997, 168, 169; Feuerich/Braun aaO Rdn. 41).
|
||
|
||
Hier liegt nunmehr ein ganz beträchtlicher Zeitablauf vor: Die Untreuehandlungen des im 57. Lebensjahr stehenden Antragstellers liegen mittlerweile
|
||
mehr als 16 Jahre zurück; seit Ablauf der Bewährungszeit sind über elf Jahre
|
||
verstrichen. Abgesehen von der Gewichtigkeit jener Verstöße ist allerdings
|
||
auch kein durchgehendes Wohlverhalten des Antragstellers während dieser
|
||
Zeit festzustellen. Die sonstigen Straftaten des Antragstellers sind aber weit
|
||
weniger gewichtig und gehen letztlich auf dieselbe Ursache zurück wie die besonders schwerwiegenden Untreuehandlungen, nämlich auf einen Vermögensverfall und dessen Nichtbewältigung. In diesem Zusammenhang konnte zwar
|
||
für die Annahme fortdauernder Unwürdigkeit zunächst noch auf die Begleitumstände der Geldstrafenvollstreckung Bedacht genommen werden, welche die
|
||
Fortwirkung jener spezifischen Ursache verdeutlicht (vgl. auch Feuerich/Braun
|
||
aaO Rdn. 54); schließlich war das Verschweigen der weiteren Straffälligkeit bei
|
||
Antragstellung als weiteres Indiz für mangelndes Wohlverhalten ergänzend zu
|
||
berücksichtigen (vgl. Feuerich/Braun aaO Rdn. 48). Auch diese Vorgänge liegen nunmehr aber schon wieder längere Zeit zurück - der Antrag auf Wiederzulassung mehr als zwei Jahre - und haben dadurch an Bedeutung verloren.
|
||
Hätte der Antragsteller bereits bei Antragstellung besonderes Wohlverhalten
|
||
dadurch bewiesen, daß er den Schaden seiner früheren Mandanten vollständig
|
||
wieder gut gemacht hätte, hätte schon seinerzeit ein durchgreifender Grund
|
||
gegen die Annahme fortdauernder Unwürdigkeit bestanden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch läßt sich selbst unter Berücksichtigung aller gegen ihn
|
||
|
||
-6-
|
||
|
||
vorliegenden Belastungsmomente der Vorwurf einer Unwürdigkeit nicht mehr
|
||
rechtfertigen. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist nicht etwa
|
||
davon auszugehen, daß sich der Antragsteller konkret gegen ihn geltend gemachten entsprechenden Schadensersatzforderungen entzieht.
|
||
|
||
Da die Sachlage bei Gutachtenerstattung noch anders beurteilt werden
|
||
konnte, sieht der Senat indes von einer Anordnung der Auslagenerstattung ab.
|
||
|
||
Deppert
|
||
|
||
Basdorf
|
||
v. Hase
|
||
|
||
Ganter
|
||
Kieserling
|
||
|
||
Terno
|
||
Christian
|
||
|
||
|