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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 499/02
vom
25. Februar 2003
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 25. Februar 2003 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Dortmund vom 12. Juli 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in vier
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat mit einer Aufklärungsrüge Erfolg; auf die weiteren Verfahrensrügen und auf die Sachbeschwerde kommt es deshalb nicht an.
1. Die Revision rügt mit Recht, daß die Strafkammer, die die Verurteilung des die Taten bestreitenden Angeklagten allein auf die Aussage der Geschädigten stützt, ihre Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) dadurch verletzt
hat, daß sie die vom Angeklagten getrennt lebende dritte Ehefrau, Beatrix
B.
, nicht als Zeugin vernommen hat.
a) Der Rüge liegt folgendes Prozeßgeschehen zugrunde:
-3-
Am ersten Hauptverhandlungstag (9. Juli 2002) stellte der Verteidiger
des Angeklagten den Antrag, Beatrix B.
unter anderem dazu zu ver-
nehmen, daß sie zu keinem Zeitpunkt gegenüber der Geschädigten, der
Schwiegertochter des Angeklagten, geäußert habe, der Angeklagte habe von
ihr den Geschlechtsverkehr mit Gewalt oder Androhung von Gewalt erzwungen. Antragsziel war, die gegenteiligen Bekundungen der Geschädigten bei
der Polizei zu widerlegen und damit die Glaubwürdigkeit der Geschädigten zu
erschüttern. Das Landgericht lehnte den Beweisantrag mit der Begründung ab,
die Zeugin habe in einem Telefongespräch nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht erklärt, sie werde im Falle einer Ladung zur Hauptverhandlung das Zeugnis verweigern.
Am letzten Hauptverhandlungstag stellte der Verteidiger des Angeklagten den Hilfsbeweisantrag, eine Faxmitteilung der benannten Zeugin Beatrix
B.
vom 11. Juli 2002 zum Beweis der Tatsache zu verlesen, daß die
Geschädigte ihr gegenüber erklärt habe, sie sei von ihrem Arbeitgeber sexuell
belästigt worden. Diesen vom Landgericht erweiternd als Antrag auf Vernehmung der Zeugin ausgelegten Hilfsbeweisantrag hat das Landgericht im Urteil mit der Begründung abgelehnt, "auch für den Fall einer umfassenden Aufgabe (des) Zeugnisverweigerungsrechts" seien sowohl die in dem Hilfsbeweisantrag als auch die in dem in der Hauptverhandlung am 9. Juli 2002 abgelehnten Beweisantrag unter Beweis gestellten Behauptungen aus tatsächlichen
Gründen für die Entscheidung ohne Bedeutung.
b) Bei der durch die Faxmitteilung in Bezug auf die Aussagebereitschaft
der Zeugin Beatrix B.
geänderten prozessualen Situation hätte sich
-4-
dem Landgericht jedoch angesichts der hier gegebenen Beweislage die Ladung und Vernehmung der Zeugin aufdrängen müssen:
Zwar lassen Gründe, die zur Ablehnung eines Beweisantrages berechtigen, grundsätzlich auch die Aufklärungspflicht entfallen (vgl. BGH NStZ 1991,
399, 400; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 244 Rdn. 12). Solche Gründe liegen
hier aber entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht vor.
Allerdings durfte das Landgericht den am 9. Juli 2002 gestellten Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin Beatrix B.
zunächst deshalb
ablehnen, weil sich die Zeugin (telefonisch) auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht
berufen hatte (vgl. BGHSt 21, 12 f.; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Unerreichbarkeit 17; BGH NStZ 1982, 126 f.; 2001, 48). Da sich aber der Faxmitteilung der Zeugin vom 11. Juli 2002, wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist, die Bereitschaft der Zeugin zu einer möglicherweise „umfassenden
Aufgabe ihres Zeugnisverweigerungsrechts“ entnehmen ließ, war das Landgericht nach § 244 Abs. 2 StPO nunmehr gehalten, aufzuklären, ob dies der Fall
war, und - gegebenenfalls - die Zeugin zu vernehmen. Denn die Annahme des
Landgerichts, einer Klärung der Aussagebereitschaft der Zeugin habe es nicht
bedurft, weil die in den beiden Beweisanträgen in das Wissen der Zeugin gestellten Beweisbehauptungen für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen
ohne Bedeutung seien, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Ob die vom Gericht mittels der verwendeten Beweismittel gewonnene
Überzeugungsgrundlage ausreicht oder ob zu ihrer Absicherung oder Überprüfung weitere Beweismittel heranzuziehen sind, ist auf der Grundlage von
Verfahrensablauf und Beweislage des Einzelfalls zu beurteilen. Je weniger ge-
-5-
sichert ein Beweisergebnis erscheint, je gewichtiger die Unsicherheitsfaktoren
sind, je mehr Widersprüche bei der Beweiserhebung zu Tage getreten sind,
desto größer ist der Anlaß für das Gericht, trotz der erlangten Überzeugung
weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu benutzen (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 244 Rdn. 68 m. Nachw.). In besonderem Maße
gilt dies dann, wenn wie hier Aussage gegen Aussage steht und objektive
Beweisanzeichen fehlen. Die Anforderungen, die nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs an die Beweiswürdigung in derartigen Fällen zu stellen sind (vgl. hierzu BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH StV 1992,
556 f.; BGH bei Kusch NStZ 1994, 228; NStZ 2003, 164, 165, jeweils
m.w.Nachw.), nämlich alle für die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen
wesentlichen Umstände festzustellen (vgl. auch BGHR StPO § 244 Abs. 2
Zeugenvernehmung 9), gelten auch für den Umfang der Aufklärungspflicht (vgl.
BGH StV 1990, 99; 1996, 249).
Soweit das Landgericht der Behauptung, die Geschädigte habe ihrer
Schwiegermutter erklärt, sie sei in der Vergangenheit von ihrem Vater und von
ihren Arbeitgebern „sexuell belästigt“ worden (vgl. Nr. 4 des Beweisantrages
vom 9. Juli 2002 und den Hilfsbeweisantrag), für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Geschädigten keine Bedeutung zugemessen hat, ist dies zwar
für sich genommen rechtlich nicht zu beanstanden. Der Tatrichter ist nicht stets
gehalten, Zeugen über mögliche Lügen einer Beweisperson zu vernehmen,
wenn die behaupteten Vorgänge mit dem Tatgeschehen in keinem Zusammenhang stehen (vgl. BGHR § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO Bedeutungslosigkeit 21). In
das Wissen der Zeugin Beatrix B.
sind aber auch Beweistatsachen
gestellt worden, die den Angeklagten betreffen und deshalb mit dem Tatgeschehen - wenn auch mittelbar - im Zusammenhang stehen. Dies gilt insbe-
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sondere für die in dem Beweisantrag vom 9. Juli 2002 aufgestellte Behauptung,
die Zeugin habe der Geschädigten - entgegen deren Bekundungen bei der polizeilichen Vernehmung - zu keinem Zeitpunkt erklärt, von dem Angeklagten
zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden zu sein. Daß die Geschädigte
möglicherweise bei der Anzeigeersttattung hierzu falsche Angaben gemacht
hat, ist bei der hier gegebenen Beweislage ein für die Beurteilung der (speziellen) Glaubwürdigkeit der Geschädigten und damit auch der Glaubhaftigkeit
ihrer Aussage zum eigentlichen Tatgeschehen wesentlicher Umstand und hätte
deshalb nicht von vornherein als bedeutungslos behandelt werden dürfen.
Der Senat kann nicht sicher ausschließen, daß die Zeugin, wäre sie geladen worden, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch gemacht hätte und daß die Strafkammer angesichts der hohen Bedeutung, die sie
der Konstanz und der - soweit es das Kerngeschehen betrifft gegebenen Widerspruchsfreiheit der Aussagen der Geschädigten bei der Polizei und in der
Hauptverhandlung beigemessen hat, die Glaubhaftigkeit deren Aussage anders beurteilt hätte, wenn die Zeugin die Beweisbehauptungen bestätigt hätte.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
a) Die sexuelle Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist erst mit der
Ausführung der durch Gewalt erzwungenen sexuellen Handlung vollendet;
Gewalthandlungen, die nur ihrer Vorbereitung dienen, reichen zur Vollendung
nicht aus (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 292). Zwar kann bereits eine (äußerlich
ambivalente) Gewalthandlung Teil eines sexualbezogenen Gesamtverhaltens
-7-
sein (BGH, Beschluß vom 22. Mai 1996 5 StR 153/96); dazu bedarf es allerdings regelmäßig näherer Feststellungen (vgl. auch BGH NStZ 1990, 490;
BGHR StGB § 178 Abs. 1 Sexuelle Handlung 2).
b) Sollte der neue Tatrichter zur Annahme (nur) versuchter sexueller
Nötigungen kommen, so wird er die Frage etwaigen Rücktritts vom Versuch
(§ 24 Abs. 1 StGB) jedenfalls in den Fällen zu prüfen haben, in denen bislang
autonome Gründe des Angeklagten, massivere Gewalt nicht anzuwenden,
möglich erscheinen.
c) Schließlich wird darauf hingewiesen, daß im Falle eines erneuten
Schuldspruchs die Annahme minder schwerer Fälle nahe liegt, wenn die Taten
die Erheblichkeitsschwelle des § 184 c Nr. 1 StGB nur unwesentlich überschreiten (vgl. BGH, Beschluß vom 25. Juni 1992 4 StR 238/92; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 177 Rdn. 52; Schäfer, Praxis der Strafzumessung,
3. Aufl. Rdn. 869).
Tepperwien
Maatz
Athing
Kuckein
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