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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 140/16
vom
23. Mai 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:230516B4STR140.16.0
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 23. Mai 2016 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 8. Dezember 2015 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier
Jahren verurteilt. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit ihrer
Revision rügt die Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.
2
Die Rüge der Verletzung formellen Rechts greift aus den Gründen der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 24. März 2016 nicht durch. Das
Rechtsmittel hat jedoch mit der Sachbeschwerde Erfolg.
-3-
I.
3
Nach den Feststellungen war die Angeklagte mit dem später Geschädigten
S.
im Frühsommer 2015 eine Beziehung eingegangen. Beide
hatten oft Streit, insbesondere warfen sie sich gegenseitig vor, zu viel und zu
häufig Alkohol zu trinken. Es kam zu gegenseitigen Beleidigungen und Bedrohungen, auch über soziale Netzwerke. Das Paar trennte sich deshalb mehrmals. Am Abend des 13. August 2015 wollte sich die Angeklagte mit
S.
treffen, um sich mit ihm zu prügeln. Sie begab sich, bewaffnet mit
einem Totschläger und einem Messer, zu einer Tankstelle in der Nähe von
S.
s Wohnung. Der lehnte es ab, zu der Tankstelle zu kommen. In
der Nacht vom 27. auf den 28. August 2015 ärgerte sich die Angeklagte über
eine ihr mit Billigung des
S.
übersandte sexuell anzügliche Foto-
grafie. Sie beschloss, sich an
S.
einem Bekannten zur Wohnung des
zu rächen. Sie ließ sich von
U.
fahren, wo sich
S.
nach einer Geburtstagsfeier aufhielt. Bei Ankunft der Angeklagten lief
S.
mit nacktem Oberkörper vor das Haus, auch
U.
lief auf die
Straße. Die Angeklagte steckte sich ein Messer mit einer Klingenlänge von
18 cm in den Hosenbund und stieg aus dem Fahrzeug. Gegen 1.30 Uhr traf sie
auf
S.
. Beide schrien sich kurz gegenseitig wütend an. Anschlie-
ßend stach die Angeklagte
S.
mit dem Küchenmesser, das sie mit
der linken Hand aus ihrem Hosenbund gezogen hatte, einmal horizontal in die
rechte Seite des Oberkörpers, hierbei wurde auch der rechte Unterarm verletzt.
Der völlig überraschte
S.
sackte zu Boden. Als die Angeklagte An-
stalten machte, erneut auf ihn einzustechen, lief
vor
S.
U.
herbei, stellte sich
und versuchte, der Angeklagten das Messer aus der Hand
zu schlagen. Es kam zu einer Rangelei, bei der die Angeklagte sinngemäß rief:
-4-
„Lass es, sonst steche ich dich auch ab.“ Schließlich ergriff sie mit dem Messer
in der Hand die Flucht zum Pkw.
4
S.
hatte eine stark blutende Stichverletzung an der rechten
Brustkorbwand ungefähr auf der Höhe des siebten Zwischenrippenraums. Die
Brusthöhle wurde nicht eröffnet und die Lunge nicht verletzt. Der horizontal,
möglicherweise etwas schräg verlaufende Stichkanal endete im Unterhautfettgewebe. Die Wundtiefe betrug weniger als fünf Zentimeter. Außerdem verursachte das Messer eine ungefähr fünf Zentimeter lange Schnittwunde am
rechten Unterarm auf der Beugeseite.
II.
5
Das Urteil hat keinen Bestand.
6
1. Die Revision beanstandet die Beweiswürdigung zur inneren Tatseite
zu Recht. Das Landgericht hat die Annahme, die Angeklagte habe
S.
aus Rache für erlittene Demütigungen verletzen wollen und seinen
Tod billigend in Kauf genommen, nicht in rechtlich tragfähiger Weise begründet.
7
Das Urteil enthält keinerlei Ausführungen zur inneren Tatseite des versuchten Tötungsdelikts. Insoweit hätten vorsatzkritische Umstände, insbesondere die zur Tiefe der Verletzung am Oberkörper getroffenen Feststellungen
sowie der Umstand, dass die Angeklagte, eine Rechtshänderin, das Messer mit
der linken Hand geführt hat, der Erörterung bedurft. Auch nicht erwogen hat das
Landgericht, dass sich die Angeklagte bei dem früheren Vorfall, als sie ebenfalls mit einem Messer bewaffnet eine Auseinandersetzung suchte, lediglich mit
-5-
S.
„prügeln“ wollte und dass sie bei der Tat erheblich unter Alko-
holeinfluss stand. Umstände, die gleichwohl auf einen bedingten Tötungsvorsatz schließen lassen, sind nicht dargetan.
8
2. Im Übrigen hält auch die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs
der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, da das Urteil jegliche Feststellungen
zum Rücktrittshorizont der Angeklagten vermissen lässt. Nach den bisherigen
Feststellungen ist nicht ausgeschlossen, dass der Versuch des Totschlags aus
der insoweit maßgeblichen Sicht der Angeklagten unbeendet war und sie die
weitere Tatausführung mit ihrer Flucht freiwillig aufgegeben hat. Bis zur ihrer
Flucht war es
U.
nicht gelungen, ihr das Messer aus der Hand zu
schlagen oder zu treten.
9
3. Schließlich begegnet auch die Strafzumessung rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht hat eine Strafrahmenmilderung nach § 213 StGB rechtsfehlerhaft nicht geprüft. Unter den gegebenen Umständen hätte sich das Gericht aber
zu der Erörterung gedrängt sehen müssen, ob nicht jedenfalls unter Berücksichtigung der im Rahmen der konkreten Strafzumessung zugunsten der Angeklagten angeführten Strafmilderungsgründe in Verbindung mit dem vertypten Strafmilderungsgrund des § 23 StGB die Voraussetzungen eines sonst minder
schweren Falles des Totschlages nach § 213 Alt. 2 StGB vorlagen.
-6-
10
4. Die Aufhebung erfasst nicht den Adhäsionsausspruch (Meyer-Goßner/
Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 406a Rn. 8 mwN).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Mutzbauer
Franke
Quentin