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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 346/11
vom
11. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
-2-
Der
2.
Strafsenat
des
Bundesgerichtshofs
hat
am
11. Januar
2012
beschlossen:
1. Es wird festgestellt, dass der Senat nicht ordnungsgemäß besetzt ist.
2. Die Hauptverhandlung wird ausgesetzt.
Gründe:
1
Der Senat ist nicht ordnungsgemäß besetzt. Der Geschäftsverteilungsplan, mit dem Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann ab
1. Januar 2012 dem 2. Strafsenat als Vorsitzender zugewiesen ist, steht mit
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Einklang. Das hat der Senat, auch ohne dass
eine ausdrückliche Besetzungsrüge vorliegt, von Amts wegen zu prüfen. Dies
führt zur Aussetzung der Hauptverhandlung.
I.
2
Die Stelle des Vorsitzenden des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs
ist seit dem ruhestandsbedingten Ausscheiden der vormaligen Vorsitzenden
-3-
zum 31. Januar 2011 unbesetzt; der Geschäftsverteilungsplan weist seit diesem
Zeitpunkt den Vorsitz mit "N.N." aus. Die Funktion des Vorsitzenden im Senat,
dem im Hinblick auf eine voraussichtlich längere Vakanz zum 1. Februar 2011
als Ersatz für die ausgeschiedene Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Berger zugeteilt worden ist, hat vom 1. Februar bis 31. Dezember 2011 der
stellvertretende Vorsitzende, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
wahrgenommen.
3
Die Stelle des Vorsitzenden des 2. Strafsenats ist weiterhin vakant. Der
stellvertretende Vorsitzende dieses Senats, der sich neben anderen um diese
Stelle beworben hat, hat die ihm erteilte Anlassbeurteilung angefochten und
gegen die beabsichtigte Ernennung eines anderen Bewerbers Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Mit Beschluss vom 24. Oktober 2011 hat daraufhin das Verwaltungsgericht Karlsruhe im Wege der einstweiligen Anordnung
untersagt, die Stelle zu besetzen, bevor Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu beurteilt worden ist. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
4
Am
11. Januar
2012
ist
dem
Richter
am
Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer eine neue Beurteilung ausgehändigt worden. Das Besetzungsverfahren, dessen weitere Dauer derzeit nicht absehbar ist, kann daher seinen Fortgang nehmen.
5
Das Präsidium des Bundesgerichtshofs hat am 15. Dezember 2011 mehrere Mitglieder des 2. Strafsenats zu einer geplanten Änderung des Geschäftsverteilungsplans für das Geschäftsjahr 2012 angehört und sodann diese Änderung beschlossen. Danach ist mit Wirkung vom 1. Januar 2012 dem Vorsitzenden
des
4. Strafsenats,
Vorsitzender
Richter
am
Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann, der zum 30. Juni 2012 in den Ruhestand treten wird, auch der
-4-
Vorsitz des 2. Strafsenats übertragen worden; zugleich bestimmt der Geschäftsverteilungsplan, dass die Tätigkeit im 2. Senat Vorrang gegenüber derjenigen im 4. Strafsenat hat. Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schmitt,
der bisher allein Mitglied des 2. Strafsenats war, wurde mit jeweils 50% seiner
Arbeitskraft dem 2. und 4. Strafsenat zugewiesen.
6
Grund für diese Änderung des Geschäftsverteilungsplans war, dass das
Präsidium des Bundesgerichtshofs eine weitere Wahrnehmung der Aufgaben
des Senatsvorsitzenden durch den Stellvertreter im 2. Strafsenat nicht mehr für
zulässig hielt, weil es sich nach Ablauf von elf Monaten der Vakanz nicht mehr
um eine vorübergehende Verhinderung im Sinne des § 21f Abs. 2 GVG handele.
II.
7
Der Geschäftsverteilungsplan, mit dem Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann ab 1. Januar 2012 zugleich dem 2. und dem 4. Strafsenat als Vorsitzender zugewiesen ist, steht nicht mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
in Einklang.
8
1. Jeder Spruchkörper hat bei auftretenden Bedenken die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung - von Amts wegen - zu prüfen und darüber in eigener
Verantwortung zu entscheiden (vgl. BVerfGE 95, 322, 330). Dies gilt unabhängig vom Vorliegen eines Besetzungseinwands von Verfahrensbeteiligten. Dem
steht auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegen,
wonach ein Geschäftsverteilungsplan solange als verbindlich anzusehen ist, bis
seine Rechtswidrigkeit (im verwaltungsgerichtlichen Verfahren) festgestellt oder
er anderweitig aufgehoben ist (vgl. BVerwGE 50, 11 ff.). Diese bezieht sich
-5-
allein auf die Rechtslage bei der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung eines
Geschäftsverteilungsplans durch Richter, die sich durch die Geschäftsverteilung
in eigenen Rechten verletzt sehen. Es entbindet deshalb die Fachgerichte im
Rahmen der ihnen obliegenden Pflicht zur Justizgewährung nicht davon, die
Rechtmäßigkeit ihrer Besetzung jeweils eigenständig zu prüfen und darüber zu
entscheiden (vgl. BVerwG NJW 1980, 900). Denn ein gesetzwidrig besetztes
Gericht ist nicht zur Sachentscheidung berufen (vgl. etwa auch § 338 Nr. 1
StPO).
9
Zu beachten ist freilich, dass die Überprüfung von Geschäftsverteilungsplänen im Hinblick auf deren Rechtsnatur Grenzen unterliegt. Geschäftsverteilungspläne werden vom Präsidium eines Gerichts in Wahrnehmung der ihm
nach § 21e GVG übertragenen Aufgabe in richterlicher Unabhängigkeit beschlossen (vgl. BGHZ 46, 147, 148 f). Die Verteilung der richterlichen Aufgaben
liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Präsidiums, dem dabei ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum eingeräumt ist. Dieser ist nach ständiger
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte erst überschritten, wenn für die Entscheidungen kein sachlicher Grund ersichtlich ist und die Verteilung der Geschäfte maßgeblich durch sachfremde Erwägungen geprägt, also die Grenze
zur objektiven Willkür überschritten ist (vgl. BVerwG NJW 1982, 2274; s. auch
BVerfG NJW 2008, 909). Dies führt naturgemäß dazu, dass der Geschäftsverteilungsplan insoweit nur einer beschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich
ist, die sich nicht darauf zu erstrecken hat, ob sich die getroffene Regelung als
die zweckmäßigste darstellt oder sich bessere Alternativen angeboten hätten.
10
Davon unberührt bleibt aber die Prüfung, ob im Rahmen des Geschäftsverteilungsplans der Grundsatz des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG mit seinen Gewährleistungen hinreichende Beachtung gefunden hat
(vgl. BVerfGE 95, 322, 330).
-6-
11
2. Schon angesichts des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs stellt der
Senat die Ausgangsüberlegung des Präsidiums, der Vorsitz im 2. Strafsenat
könne nach elf Monaten der Vakanz nicht länger von dem geschäftsplanmäßigen Vertreter wahrgenommen werden, nicht in Frage. Die Ansicht, es liege angesichts der Dauer des Besetzungsverfahrens eine nicht nur vorübergehende
Verhinderung des Vorsitzenden vor, die eine Vertretung durch den Stellvertreter
gemäß § 21f Abs. 2 Satz 1 GVG nicht mehr erlaube, ist nach Ansicht des Senats zwar nicht zwingend, aber jedenfalls vertretbar und ersichtlich frei von Willkür (vgl. hierzu BGH NJW 2006, 154; BFHE 190, 47; BVerwG NJW 2001,
3493; BSG NJW 2007, 2717).
12
Soweit der Senat anderer Auffassung ist und im Falle einer Vakanz bei
Durchführung eines gesetzlich geregelten Konkurrentenstreitverfahrens, an
dessen Ende - anders etwa als bei unabsehbarer Erkrankung, die auch mit
dauernder Dienstunfähigkeit enden kann - in jedem Fall eine Besetzung der
ausgeschriebenen Stelle erfolgt, in der Regel eine nur vorübergehende Verhinderung des Vorsitzenden annehmen will, steht dies zu der Entscheidung des
Präsidiums und zu den genannten Entscheidungen anderer Bundesgerichte
nicht in Widerspruch. Die zitierte Rechtsprechung hat eine solche Fallkonstellation nicht zum Gegenstand, ist einzelfallbezogen ergangen und wollte ausdrücklich starre Fristen und allgemein geltende Regeln für die Auslegung des Begriffs
der "vorübergehenden" Verhinderung im Sinne von § 21f Abs. 2 GVG nicht aufstellen. Zudem besteht in der zugrundeliegenden Konstellation, in der Gerichte
zur Klärung von im Zusammenhang mit der eingeleiteten Stellenbesetzung entstandenen Rechtsfragen aufgerufen sind, nicht die Gefahr, die Exekutive könne
durch unvertretbares oder sachlich nicht begründetes Zuwarten mit der Stellenbesetzung Einfluss auf die konkrete Besetzung des Gerichts nehmen (vgl.
BVerfGE 18, 423, 426; BayVerfGH NJW 1986, 1326).
-7-
13
Gegenstand der Prüfung durch den Senat ist daher nicht etwa die Frage,
ob das Präsidium überhaupt hätte tätig werden können oder müssen, sondern
allein, ob die aufgrund der vom Präsidium vertretbar angenommenen Pflicht
zum Tätigwerden konkret getroffene Entscheidung, den 2. und den 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit demselben Richter als Vorsitzenden zu besetzen, mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in Einklang steht.
14
3. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet das Recht auf den gesetzlichen Richter. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen
Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen,
die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte (BVerfGE 95, 322, 327). Damit sollen die
Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden. Deshalb verpflichtet Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zunächst den Gesetzgeber dazu, eine klare und abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist. Normen, die gerichtliche
Zuständigkeiten bestimmen, sind so zu fassen, dass aus ihnen der im Einzelfall
zuständige Richter möglichst eindeutig erkennbar wird. Das Gebot der normativen Vorausbestimmung wendet sich aber auch an die Judikative, die neben den
Organen von Legislative und Exekutive ebenfalls Adressat der Garantie des
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist (BVerfGE 82, 286, 298). Daher sind sowohl das
Präsidium eines Gerichts beim Beschluss der Geschäftsverteilungspläne als
auch die gerichtlichen Spruchkörper in ihren Mitwirkungsregelungen von Verfassungs wegen gehalten, hinreichend bestimmte Regelungen zur Zuständigkeit des einzelnen Richters zu schaffen.
-8-
15
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darüber hinaus einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtssuchende im Einzelfall
vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für
Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (BVerfGE
82, 286, 298; 89, 28, 36). Der Normgeber einer Zuständigkeits- oder Besetzungsregelung hat deshalb Vorsorge dafür zu treffen, dass die Richterbank im
Einzelfall mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden
Streitfall mit der erforderlichen professionellen Distanz gegenüberstehen und ihr
Amt in inhaltlicher Unabhängigkeit sachgerecht ausüben können.
16
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist somit nicht nur als formale Bestimmung zu
verstehen, die schon erfüllt ist, wenn die Richterzuständigkeit abstrakt-generell
für alle anhängig werdenden Verfahren geregelt ist. "Ungesetzlich" ist auch derjenige Richter, der in seiner Person nicht den materiellen Anforderungen des
Grundgesetzes entspricht (vgl. BVerfGE 82, 286, 298).
17
a) Der vom Präsidium des Bundesgerichtshofs mit Wirkung ab 1. Januar
2012 beschlossene Geschäftsverteilungsplan, durch den dem Vorsitzenden
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann der Vorsitz in zwei Strafsenaten
zugleich übertragen worden ist, scheint auf den ersten Blick dem Gebot der
normativen Vorausbestimmung zu genügen. Zwar fehlt - anders als bei Richter
am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schmitt, der beiden Senaten jeweils mit der
Hälfte seiner Arbeitskraft zugewiesen ist - eine ausdrückliche Bestimmung darüber, wie die Arbeitskraft des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann auf die Senate zu verteilen ist. Bei Auslegung der getroffenen
Regelungen für den 2. und 4. Strafsenat ergibt sich aber, dass ihm - ohne dass
es insoweit auf die Frage der Verteilung seiner Arbeitskraft ankäme - jeweils
allein und eigenverantwortlich, somit in vollem Umfang, die Wahrnehmung des
-9-
Vorsitzes in beiden Senaten obliegt. Damit erfährt die Zuweisung des Vorsitzenden im Ausgangspunkt eine hinreichend bestimmte Regelung, die auch in
der Vergangenheit - etwa bei zusätzlicher Übertragung eines Vorsitzes in einem
Spezialsenat - verfassungsrechtlich unbeanstandet geblieben ist.
18
Zu berücksichtigen ist hier freilich die Besonderheit, dass dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann der Vorsitz in zwei voll ausgelasteten Strafsenaten des Bundesgerichtshofs übertragen worden ist, die für
sich, wie bisher unbezweifelt geblieben ist, jeweils die volle Arbeitskraft eines
Vorsitzenden Richters beanspruchen. Daher könnten Zweifel aufkommen, wie
der im Geschäftsverteilungsplan vorgesehene, allerdings nicht näher erläuterte
Vorrang des Vorsitzes im 2. Strafsenat zu verstehen ist und ob er dem Gebot
der normativen Vorausbestimmung hinsichtlich gleichzeitiger Anforderungen
durch den 2. und 4. Strafsenat entspricht. Denn es liegt auf der Hand, dass es
im Geschäftsablauf zweier Strafsenate - bezogen auf den Vorsitz - ständig zu
Kollisionen hinsichtlich unterschiedlicher zu erfüllender Aufgaben kommen
kann. Dies gilt unabhängig davon, dass beide Senate in ihren Mitwirkungsgrundsätzen jeweils alternierende Beratungswochen vorgesehen haben.
Gleichwohl können Organisations- und Verwaltungsangelegenheiten, Beratungs- und Verhandlungstermine des einen Senats zeitgleich mit Aufgaben im
anderen Senat zusammentreffen. Ob jede Form einer dienstlichen Beanspruchung im 2. Strafsenat, etwa auch die Auslastung mit Verwaltungsangelegenheiten, es rechtfertigt, die Wahrnehmung des Vorsitzes im 4. Strafsenat zurückzustellen, lässt sich der Vorrangregelung nicht eindeutig entnehmen; diese
könnte auch auf Terminskollisionen hinsichtlich aller oder einzelner richterlicher
Aufgaben beschränkt sein.
19
Insoweit spricht Einiges dafür, dass im Geschäftsverteilungsplan ein
vermeidbarer Spielraum verbleibt, weil er offen lässt, in welchen Fällen mögli-
- 10 -
cher dienstlicher Verhinderung im 2. Strafsenat die richterliche Tätigkeit im
4. Strafsenat zurücktreten darf. Der Senat braucht dies nicht zu entscheiden, da
nach seiner Ansicht die Übertragung eines Doppelvorsitzes jedenfalls mit der
materiell-rechtlichen Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in
Einklang zu bringen ist.
20
b) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG stellt - wie oben dargelegt - materielle Anforderungen an den gesetzlichen Richter, die auch das Präsidium bei der Aufstellung seiner Geschäftsverteilungspläne zu beachten hat. Nur der neutrale,
unparteiliche und unabhängige Richter ist "gesetzlicher Richter" im Sinne der
Verfassungsnorm. Herausragende Bedeutung kommt dabei der durch Art. 97
GG geschützten Unabhängigkeit des Richters zu, die ihrerseits nicht nur zu den
grundlegenden verfassungsgestaltenden Strukturprinzipien des Grundgesetzes
zählt, sondern vor allem auch notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung
des Justizgewährungsanspruchs ist (vgl. Papier NJW 1990, 8, 9). Grundrechtlich garantierter effektiver Rechtsschutz ist (unter anderem) nur durch sachlich
und persönlich unabhängige Richter möglich. Aus diesem Grund sind sie prinzipiell unabsetzbar und unversetzbar (BVerfGE 14, 156, 193; 17, 252, 259).
21
Darin aber erschöpft sich die Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit nicht; sie fordert auch Minimalbedingungen für die freie Ausübung der
richterlichen Tätigkeit. So wenig ein Richter durch Maßnahmen der Geschäftsverteilung aus seinem Amt verdrängt werden darf (vgl. BVerfGE 17, 252, 259;
BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 28. November
2007 - 2 BvR 1431/07 - NJW 2008, 909), indem ihm durch den Geschäftsverteilungsplan praktisch kaum noch Aufgaben zugewiesen werden, so wenig darf er
mit unerfüllbaren Aufgaben beauftragt werden, indem ihm ein Pensum auferlegt
wird, das sich in sachgerechter Weise nicht mehr erledigen lässt (vgl. BGH, Urt.
vom 3. Dezember 2009 - RiZ(R) 1/09 - juris). Eine sichere oder auch nur in Kauf
- 11 -
genommene dauerhafte Überlastung eines Richters beeinträchtigt ohne Weiteres die gleichmäßige Verwirklichung des Justizgewährungsanspruchs der
Rechtssuchenden
(vgl.
OVG
Nordrhein-Westfalen,
Beschluss
vom
14. November 2005 - 1 A 494/05 - juris) und stellt damit die Unabhängigkeit des
Richters bei der Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben in Frage (vgl.
BVerwGE 78, 211 ff.).
22
Maßgeblich für die Beurteilung, ob das übertragene Pensum sich (noch)
sachgerecht erledigen lässt, ist ein abstrakt-genereller Maßstab. Es ist nicht auf
die individuelle Belastbarkeit des einzelnen Richters abzustellen (vgl. BGH, Urt.
vom 3. Dezember 2009 - RiZ(R) 1/09 - juris), erst Recht nicht darauf, ob ein
Richter bereit und subjektiv willens ist, ein beliebiges, gegebenenfalls weit
überdurchschnittliches Pensum zu leisten. Vielmehr ist zu fragen, ob es sich um
ein Arbeitspensum handelt, das sich allgemein - nach der Lebenserfahrung,
den für Fälle der betreffenden Art üblichen Maßstäben und den Anforderungen,
welche an Richter in der entsprechenden Funktion nach allgemeiner Erfahrung
gestellt werden können - auf Dauer erledigen lässt, oder ob es diese Grenze
überschreitet.
23
Von wesentlicher Bedeutung ist dabei, dass ein Richter - obgleich er keiner festen Arbeitszeitregelung unterliegt - nicht zur zeitlich unbegrenzten Erfüllung dienstlicher Angelegenheiten verpflichtet ist. Seine Arbeitsleistung orientiert sich unter Beachtung dienstlicher Notwendigkeiten, die vorübergehend einen höheren Arbeitseinsatz erfordern können, an der für Beamte geltenden Regelarbeitszeit und an dem von Richtern in vergleichbarer Position in dieser Zeit
geleisteten Arbeitspensum (BVerwGE 78, 211 ff.). Nur im Rahmen dieser Verpflichtung ist er zur Wahrnehmung dienstlicher Belange verpflichtet; nur in diesem Rahmen kann auch der Rechtssuchende davon ausgehen, dass der Rich-
- 12 -
ter seinen Teil zur Erfüllung des grundrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruchs beiträgt.
24
c) Legt man diesen Maßstab zugrunde, stellt sich die Frage, ob die Übertragung eines Doppelvorsitzes in zwei Strafsenaten des Bundesgerichtshofs ein
Arbeitspensum beinhaltet, das sich nach abstrakt-genereller Betrachtung sachgerecht von einem Vorsitzenden so bewerkstelligen lässt, dass der Justizgewährungsanspruch rechtsuchender Beschwerdeführer dadurch nicht beeinträchtigt wird. Der Senat verneint dies.
25
aa) Für diese Einschätzung ist es nicht entscheidend, wie an anderen
Bundesgerichten verfahren wird. Sowohl die Arbeitsweise wie auch die tatsächliche Belastungssituation an den verschiedenen Bundesgerichten mit jeweils
unterschiedlichen Verfahrensordnungen weichen so stark voneinander ab, dass
aus der Handhabung dort (zwingende) Rückschlüsse auf die Belastungssituation in den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs nicht gezogen werden können.
So können sich sowohl aus der von einem Senat zu bearbeitenden Anzahl von
Verfahren als auch aus der konkreten Bearbeitungsweise erhebliche Unterschiede ergeben. Die Arbeit der Strafsenate des Bundesgerichtshofs ist
dadurch geprägt, dass der weitaus größte Teil der Verfahren - mehr als 90% im Beschlussverfahren nach § 349 Abs. 1 bis 4 StPO erledigt werden. In diesen
Verfahren werden die Sachen nicht vorvotiert, sondern vom Berichterstatter in
der Beratung vorgetragen. Dies stellt an die Leitungs- und Überwachungsfunktion des Vorsitzenden hohe Anforderungen, die nicht dadurch umgangen oder
gemindert werden können, dass durch Bestellung eines "Zweitberichterstatters"
das so genannte "Vier-Augen-Prinzip" ohne Beteiligung des Vorsitzenden gewahrt wird.
26
- 13 -
Eine sachgerechte Ausübung der Leitungsfunktion durch den Vorsitzenden - als regelmäßig besonders erfahrenen, qualifizierten und leistungsstarken
Richter - setzt voraus, dass dieser die im Senat zu entscheidenden Fälle kennt,
die inmitten stehenden Rechtsprobleme wahrnimmt und überdenkt, mögliche
Lösungen ins Auge fasst und die Beratung ggf. entsprechend lenkt (zum normativ begründeten richtungsweisenden Einfluss des Vorsitzenden auf die
Rechtsprechung, die sich auch auf seine Vorbereitung auszuwirken hat; vgl.
BGH NJW 2009, 931; s. auch BVerfG NJW 2004, 3482). Dies ist ohne vertiefte
Fallkenntnis nicht möglich; entsprechende Kenntnisse können dem Vorsitzenden auch nicht zuverlässig durch bloßen mündlichen Vortrag eines anderen
Richters in einem Maß vermittelt werden, das eine inhaltliche "Leitung" der Beratung ermöglicht.
27
Kern der Tätigkeit der Strafsenate des Bundesgerichtshofs ist die rechtliche Überprüfung schriftlicher, oft umfangreicher Urteilsgründe anhand ebenfalls
schriftlicher - teilweise sehr umfangreicher, komplexer und differenzierter, oft
auch wenig strukturierter und problematisch abgefasster - Revisionsschriftsätze. Diese Aufgabe kann sachgerecht nur erfüllt werden, wenn die in den sog.
"Senatsheften" - die mitunter viele hundert Seiten umfassen können - enthaltenen Revisionsunterlagen sorgfältig durchgearbeitet werden. So verlangt beispielsweise oft schon die Auslegung von - umfangreichen - Revisionsrügen und
das Erkennen von darin enthaltenen Rechtsproblemen eine vertiefte Kenntnis
der Problematik oder lang zurück reichender Rechtsprechungs-Entwicklung. All
dies kann dem Vorsitzenden nicht durch den Vortrag eines - unter Umständen
weniger erfahrenen - Berichterstatters vermittelt werden.
- 14 -
28
bb) Unerheblich für die hier zu entscheidende Konstellation ist auch,
dass an Landgerichten, auch an Oberlandesgerichten, ein Doppel- oder sogar
Mehrfachvorsitz durchaus vorkommt (vgl. etwa BGHSt 8, 17; OLG Koblenz
MDR 1966, 1023; Hans. OLG Hamburg StV 2003, 11; VGH Kassel, ESVGH 48,
241; s. auch die einen Sonderfall betreffende Entscheidung BGH NJW 1967,
1566, 1567 = BGHZ 47, 289 in Widerspruch zu BGHZ 37, 210 und ohne Hinweis auf eine tatsächliche Belastung des Vorsitzenden).
29
Grundlage dafür ist, dass an diesen Gerichten häufig Spruchkörper gebildet sind oder von Gesetzes wegen zu bilden sind, denen in der gerichtlichen
Praxis nur eine geringe Geschäftsaufgabe zufällt. Das kann im Bereich der
Strafrechtspflege etwa Auffangkammern oder Strafkammern für besondere Geschäftsaufgaben nach §§ 74 Abs. 2, 74a, 74b, 74c GVG betreffen. In solchen
Spruchkörpern kann ein Vorsitzender Richter den Vorsitz je nach konkretem
Zuschnitt mit einem so geringen Teil seiner gesamten Arbeitskraft ausfüllen,
dass er daneben noch einen anderen Vorsitz wahrnehmen kann.
30
Dies ist in den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs nicht der Fall. Diese
sind sämtlich voll ausgelastet. Der 4. Strafsenat hatte im Jahr 2011 682 Neueingänge, der 2. Strafsenat 623, zusätzlich 325 Beschwerden und Gerichtsstandsbestimmungen. Der 4. Strafsenat ist für das Geschäftsjahr 2012 für die
OLG-Bezirke Rostock und Saarbrücken entlastet worden; dies wird zu einer
Reduzierung der Geschäftslast um ca. 120 Revisionen führen.
31
cc) Für die Beurteilung des Senats ist auch die individuelle Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann nicht entscheidungserheblich. Dies entspricht der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Beurteilung des Leistungsverhaltens von Richtern, ergibt sich aber auch aus Folgendem:
- 15 -
32
Abgesehen davon, dass sich eine formelle Dokumentation seiner Leistungsbereitschaft weder im Geschäftsverteilungsplan noch in den Mitwirkungsgrundsätzen der betroffenen Senate noch an anderer Stelle findet, sind schon
im Vorfeld der Änderung der Geschäftsverteilung zum 1. Januar 2012, aber
auch danach Gestaltungsmöglichkeiten erörtert worden, die zu einer Reduzierung der Arbeitslast des Vorsitzenden führen können. Umfang und Ausmaß
dessen, was der Vorsitzende über seine rechtliche Verpflichtung hinaus zu leisten bereit und imstande ist, können aber auf diese Weise insbesondere aus
Sicht des rechtssuchenden Bürgers im Voraus weder bestimmt noch auch nur
erkannt werden. Der Umfang überobligatorischer Arbeitsleistung bis an die
Grenze des Möglichen kann jederzeit - aus beliebigen Gründen - eingeschränkt
oder verändert werden, ohne dass ihre Erfüllung von dem Vorsitzenden rechtlich verlangt werden oder er auch nur zu einer verbindlichen Auskunft angehalten werden könnte.
33
dd) Die Übertragung eines Doppelvorsitzes bei zwei Strafsenaten des
Bundesgerichtshofs stellt ein Arbeitspensum dar, das dem Vorsitzenden
- unabhängig von seiner konkreten Person - nicht mehr die verantwortungsvolle
Ausübung der richterlichen Tätigkeit in beiden Senaten ermöglicht (vgl. zum
gleichzeitigen Vorsitz in mehreren Strafkammern beim Landgericht BGHSt 2,
71, 73, wo der BGH aber - wie bei BGHSt 8, 17, 18 - nicht auf die damit verbundene Belastung des Vorsitzenden und den Einfluss auf dessen Unabhängigkeit, sondern auf dessen fehlenden richtungsgebenden Einfluss zur Leitung
der Spruchkörper abstellt). Das gilt auch unter Berücksichtigung von denkbaren, rechtlich zulässigen Entlastungen. Dies führt zu einer die Unabhängigkeit
beeinträchtigenden Überbelastung und dazu, dass der überbelastete Vorsitzende Richter nicht mehr der "gesetzliche Richter" im Sinne von Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG ist. Mit der Übertragung eines weiteren Vorsitzendenamts wird dem
Richter - ungeachtet der konkreten Belastung im einzelnen Senat - ein über
- 16 -
dem bisherigen Maß voller Belastung liegendes Arbeitspensum auferlegt, das
sich nicht nur gegenüber früherer Belastung, sondern auch im Verhältnis zu
anderen Vorsitzenden von Strafsenaten beim Bundesgerichtshof im Januar
2012 einer doppelten Belastung annähern dürfte. Es ist bislang nicht in Frage
gestellt worden, dass bereits die Leitung eines Strafsenats beim Bundesgerichtshof die Arbeitskraft eines Vorsitzenden im Wesentlichen ausschöpft.
34
Es liegt demnach auf der Hand, dass der gleichzeitige Vorsitz in zwei voll
belasteten Strafsenaten nicht ohne gravierende, den Justizgewährungsanspruch substanziell einschränkende Qualitätseinbußen ausgeübt werden kann.
Dies gilt auch, soweit man davon ausginge, dass Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann durch die Vorrangregelung zu Gunsten des
2. Strafsenats im Ergebnis eine bis zu 25% reichende Entlastung der Aufgaben
im 4. Strafsenat (vgl. BGHZ 37, 210, 216; zur möglichen Vertretung auch
BGHSt 28, 290, 293) erfahren könnte (insoweit allerdings fraglich; vgl. dazu
Hans. OLG Hamburg StV 2003, 11, wonach dann, wenn dem Vorsitzenden eines Spruchkörpers zusätzliche Aufgaben - insbesondere der Vorsitz in einem
weiteren Spruchkörper - übertragen werden, die er in Folge ohnehin bestehender Arbeitsbelastung voraussehbar nicht erbringen kann, in Bezug auf die zusätzlichen Aufgaben ein Fall der Verhinderung nach § 21f Abs. 2 GVG nicht
vorliegen soll). Auch ein Arbeitspensum, das "nur" 175% desjenigen eines
durchschnittlichen Vorsitzenden Richters ausmacht, ist ohne eine exorbitante
Steigerung der Arbeitsleistung nicht zu bewältigen. Ein solches Maß an Arbeitsaufwand schuldet der Richter, wenn überhaupt, allenfalls bei ganz besonderer, nicht vorhersehbarer dienstlicher Notwendigkeit, und dies auch nur "vorübergehend". Keinesfalls ist er aber verpflichtet, planmäßig und für einen längeren Zeitraum, der hier angesichts der Unabsehbarkeit des Besetzungsverfahrens bis zu sechs Monaten (bis zur Pensionierung des Vorsitzenden Richters
- 17 -
am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann) dauern kann, gleichzeitig nahezu zwei
volle Stellen als Vorsitzender auszufüllen.
35
ee) Ein anderes Ergebnis könnte sich ergeben, wenn es - rechtlich zulässig im Hinblick auf Aufgaben und Funktion eines Vorsitzenden Richters Möglichkeiten gäbe, ihn ohne Beeinträchtigung des Justizgewährungsanspruchs von gewissen Aufgaben freizustellen, um ihm so Freiräume für den
gleichzeitigen Vorsitz in zwei Senaten des Bundesgerichtshofs zu schaffen. Bereits im Vorfeld der Änderung der Geschäftsverteilung zum 1. Januar 2012, insbesondere auch im Rahmen der Anhörung durch das Präsidium am 15. Dezember 2011, sind mögliche organisatorische Maßnahmen erörtert worden, die
zu einer Reduzierung der Arbeitslast des Vorsitzenden führen und es ihm so
überhaupt erst ermöglichen könnten, den Vorsitz in zwei Strafsenaten zugleich
zu führen (weil Einigkeit bestand, dass eine Verdopplung der Arbeitsleistung
durch Leitung von zwei Senaten mit insgesamt mehr als 1.300 Revisionssachen
im Jahr nicht möglich ist, wenn nach "normalen" Regeln gearbeitet werde). Der
Senat sieht solche Möglichkeiten nicht. Sie ergeben sich insbesondere nicht
aus einem teilweisen Verzicht auf das Studium des Revisionsheftes (vgl. schon
oben).
36
Nach § 21f Abs. 1 GVG führt der Vorsitzende Richter in den Senatsspruchkörpern den Vorsitz, er nimmt prinzipiell an allen Verfahren teil. Der Vorsitzende leitet die Beratung, er stellt die Fragen und sammelt die Stimmen
(§ 194 Abs. 1 GVG). Er übernimmt in der Regel keine eigenen Berichterstattungen und beschränkt sich regelmäßig - ohne besondere Gestaltung in einzelnen
Verfahren - darauf, durch die Leitung von Beratung und Hauptverhandlung die
Einheitlichkeit der Rechtsprechung des Senats sicherzustellen.
- 18 -
37
Die Begleitung und Kontrolle des Berichterstatters durch den Vorsitzenden erweist sich als notwendig, um einen grundrechtlich garantierten effektiven
Rechtsschutz durch den erforderlichen substanziellen Zugriff auf die inmitten
stehenden Rechtsfragen sicherzustellen. Würde man hierauf verzichten, so wäre das Amt eines Senatsvorsitzenden insgesamt überflüssig, da es auf eine
"Lenkung der Rechtsprechung" durch einen besonders qualifizierten Richter
nicht mehr ankäme.
38
Daher hat sich in langjähriger Praxis des Bundesgerichtshofs ein bisher
auch nicht in Frage gestelltes Verständnis herausgebildet, wonach es selbstverständliche Pflicht eines Strafsenatsvorsitzenden ist, selbst jedes Senatsheft
zu lesen und sich aufgrund dessen eine (der Auffassung des Berichterstatters
gegenüberzustellende und in die Rechtsprechung des Senats einzuordnende)
Ansicht von den in dem jeweiligen Verfahren anfallenden Rechtsfragen zu bilden. Eine Delegation dieser Aufgabe, etwa an den stellvertretenden Vorsitzenden oder an einen Zweitberichterstatter, verträgt sich mit einem solchen Verständnis nicht; die Lektüre etwa der Zuschriften des Generalbundesanwalts
kann zwar einen allgemeinen Überblick über die inmitten stehenden Rechtsfragen verschaffen, keinesfalls aber die eigene Kenntnis des Senatshefts ersetzen.
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Zudem wäre eine Selbststeuerung der Arbeitslast durch den Vorsitzenden Richter auch kein legitimer Grund für ein daran orientiertes Verständnis von
Zuständigkeits- oder Mitwirkungsregeln (vgl. BVerfGE 54, 277, 295). Die Effektivität der Kontrolle und damit des gerichtlichen Rechtsschutzes in Strafsachen
mit ihrer hohen Eingriffsintensität hängt mangels Kenntnis der Revisionsunterlagen der übrigen Mitglieder des Senats in Beschlussberatungen stark von der
Maßstabslenkung und Erörterungsleitung durch den Vorsitzenden ab. Die
Kenntnis des in den Akten zugrunde liegenden Streitstoffs ist und bleibt ange-
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sichts der derzeitigen Handhabung grundsätzlich vom Justizgewährungsanspruch geforderte und damit rechtstaatlich unabdingbare Voraussetzung für die
Leitung und Führung eines Strafsenats beim Bundesgerichtshofs (vgl. auch
VGH Kassel ESVGH 48, 241 zur Wahrnehmung eines Vorsitzes bei einem
Verwaltungsgerichtshof, bei dem - nicht zuletzt im Interesse einer sachgerechten und verantwortungsvollen Ausübung der Leitungsfunktion - von einem Vorsitzenden die Übernahme von Berichterstattertätigkeiten erwartet wird).
40
d) Dieses Ergebnis wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die
vom Präsidium des Bundesgerichtshofs beschlossene Einrichtung eines Doppelvorsitzes in der vorliegenden Form als einzig denkbare Lösung des oben
unter Ziff. II. 2 dargestellten Problems in Betracht käme. Dies ist nämlich nicht
der Fall. Vielmehr sind Alternativen denkbar, die bei entsprechender Ausgestaltung nicht Gefahr laufen, mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG voraussichtlich in Konflikt zu geraten. Dies könnte etwa eine vorübergehende Verkleinerung der Geschäftsaufgabe des 2. und/oder 4. Strafsenats auf ein Maß sein, welches einen
Doppelvorsitz ermöglicht. Denkbar wäre auch eine Zuweisung des Vorsitzenden des 4. Strafsenats allein an den 2. Strafsenat - unter Inkaufnahme einer
vorübergehenden Vakanz im 4. Strafsenat -; schließlich, auf der Grundlage der
Senatsmeinung zu § 21f Abs. 2 GVG, auch eine weitere Fortführung der Vertretung.
III.
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Die Feststellung der Unvereinbarkeit der Geschäftsverteilungsregelung
mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, die nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Vorlage
an das Bundesverfassungsgericht zwingt, hat der Senat von Amts wegen zu
berücksichtigen. Sie führt zur Aussetzung der Revisionshauptverhandlung, um
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dem Präsidium Gelegenheit zu geben, eine mit der Verfassung in Einklang stehende Regelung herbeizuführen.
Ernemann
Fischer
Eschelbach
Krehl
Ott