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Nachschlagewerk:
ja
BGHSt:
ja I.
Veröffentlichung:
ja
StPO § 414 Abs. 2
Der Antrag auf Durchführung des Sicherungsverfahrens kann im Strafverfahren von
der Staatsanwaltschaft noch im Beschwerdeverfahren nach Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens gestellt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 136/01
vom
6. Juni 2001
in dem Sicherungsverfahren
gegen
-2wegen Beleidigung u.a.
-3-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. Juni 2001,
an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Detter,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-4-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 3. November 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die auf die
Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Die Verfahrensvoraussetzung einer zulässigen Antragsschrift und eines demgemäß wirksamen Eröffnungsbeschlusses ist gegeben. Im einzelnen:
Dem Verfahren liegen zwei ursprünglich an das Amtsgericht St. Goar gerichtete Anklagen vom 12. August und 9. November 1999 zugrunde. In dem
-5-
einen Strafverfahren hat die Staatsanwaltschaft Koblenz vom 23. Dezember
1999 die einstweilige Unterbringung des Beschuldigten nach § 126 a StPO beantragt und im Hinblick auf die zu erwartende Maßregelanordnung die Vorlage
der Akten an das Landgericht gemäß § 209 Abs. 2 StPO oder § 225 a StPO
angeregt. Durch Beschluß vom 7. Februar 2000 hat das Landgericht Koblenz
nach Verbindung der beiden Verfahren das Sicherungsverfahren bezüglich der
Tat II.4. eröffnet und im übrigen die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.
Gegen die teilweise Nichteröffnung des Sicherungsverfahrens hat die Staatsanwaltschaft Koblenz fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt und in der
Beschwerdebegründung ausdrücklich die Eröffnung des Sicherungsverfahrens
beantragt. Das Oberlandesgericht Koblenz hat mit Beschluß vom 15. März
2000 auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft das Sicherungsverfahren auch hinsichtlich der weiteren Taten eröffnet.
Die Antragsschrift nach § 414 Abs. 2 StPO ist Prozeßvoraussetzung für
das Sicherungsverfahren und wird durch eine Anklageschrift nicht ersetzt (Fischer in KK 4. Aufl. Rdn. 9 ff; Gössel in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl.
Rdn. 18; Pfeiffer StPO 3. Aufl. Rdn. 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44.
Aufl. Rdn. 3 jeweils zu § 414). Auf eine die Durchführung des Strafverfahrens
bezweckende Anklageschrift kann das Hauptverfahren im Sicherungsverfahren
nicht eröffnet werden, weil der Eröffnungsrichter damit in unzulässiger Weise in
das hinsichtlich der Durchführung des selbständigen Sicherungsverfahrens
bestehende Ermessen der Staatsanwaltschaft eingreifen würde (RGSt 72,
143). Am Fehlen des erforderlichen Antrags nach § 414 Abs. 2 StPO vermag
auch die nachträgliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Eröffnung des
Sicherungsverfahrens nichts zu ändern.
-6-
Der Antrag auf Durchführung des Sicherungsverfahrens kann jedoch von
der Staatsanwaltschaft als Hilfsantrag mit einer Anklageschrift verbunden
(RGSt aaO, Fischer aaO Rdn. 10; Gössel aaO) oder im weiteren Verlauf des
Zwischenverfahrens gestellt werden (aA wohl Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO
§ 416 Rdn. 1). Auch in diesem Fall ist das Einleitungsermessen der Staatsanwaltschaft gewahrt. Im übrigen ist die Staatsanwaltschaft bis zu einer Eröffnungsentscheidung des Gerichts ohnehin befugt, die Anklageschrift zurückzunehmen und eine Antragsschrift nach § 414 Abs. 2 StPO neu einzureichen. Die
Stellung eines Sicherungsverfahrensantrags ist darüber hinaus auch noch im
Beschwerdeverfahren nach Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens
möglich. Die Entscheidungsfreiheit der Staatsanwaltschaft wird nicht eingeschränkt und die Verteidigungsinteressen des Beschuldigten sind durch dessen Beteiligung im Beschwerdeverfahren gewahrt. Daß eine Anklage über den
Wortlaut des § 156 StPO hinaus auch nach einem die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnenden Beschluß von der Staatsanwaltschaft nicht mehr zurückgenommen werden kann (OLG Frankfurt JR 1986, 470; Schoreit in KK 4.
Aufl. § 156 Rdn. 4; Rieß in Löwe/Rosenberg 24. Aufl. § 156 Rdn. 7), steht dem
nicht entgegen. Denn diese Beschränkung der Rücknahmemöglichkeit dient
dazu, dem Angeschuldigten die Sperrwirkungen des § 211 StPO zu erhalten
(Rieß aaO; Meyer-Goßner JR 1986, 471, 472). Die Vorschrift des § 211 StPO
steht aber bei einer Ablehnung der Eröffnung des Strafverfahrens wegen
Schuldunfähigkeit der anschließenden Durchführung eines Sicherungsverfahrens gerade nicht entgegen (Tolksdorf in KK 4. Aufl. § 211 Rdn. 5; Rieß aaO
§ 211 Rdn. 7).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 23. Dezember 1999 nicht als Hilfsantrag auf Durchführung
des Sicherungsverfahrens ausgelegt werden. Die einstweilige Unterbringung in
-7-
§ 126 a StPO ist ebenso wie die Unterbringung nach § 63 StGB ohne weiteres
im Strafverfahren möglich. In der Antragsbegründung wird ausgeführt, daß aufgrund der vorliegenden gutachterlichen Äußerungen von einer zumindest verminderten Schuldfähigkeit des Beschuldigten auszugehen und das Vorliegen
der Maßregelvoraussetzungen durch eine ausführliche Begutachtung im Verlauf des weiteren Strafverfahrens zu klären sei.
Der Antrag auf Durchführung des Sicherungsverfahrens ist jedoch bezüglich der vom Landgericht nicht eröffneten Taten II.1.-3. und 5.-8. von der
Staatsanwaltschaft in dem sofortigen Beschwerdeverfahren - nach dem oben
Ausgeführten wirksam - gestellt worden. Hinsichtlich dieser Taten liegen somit
die Verfahrensvoraussetzungen einer Antragsschrift nach § 414 Abs. 2 StPO
und eines Eröffnungsbeschlusses vor. Da die Taten II.3. und II.4. (Nr. 3 und 4
der Anklageschrift vom 12. August 1999 - Sachakten Bd. II AS 248) einen einheitlichen geschichtlichen Lebensvorgang und damit eine prozessuale Tat im
Sinne von § 264 StPO darstellen und eine Verfahrensbeschränkung nach
§ 154 a StPO nicht gewollt war - aufgrund der Verfahrenskonstellation stellte
sich diese Frage im Beschwerdeverfahren weder für die Staatsanwaltschaft
noch für das Oberlandesgericht -, erfaßt die Eröffnungsentscheidung des
Oberlandesgerichts Koblenz vom 15. März 2000 auch die Tat II.4.. Der Eröffnungsbeschluß des Landgerichts vom 7. Februar 2000 steht dem nicht entgegen, da die Eröffnung des Sicherungsverfahrens durch das Landgericht wegen
des Fehlens eines dahingehenden Antrags der Staatsanwaltschaft unwirksam
war.
II.
Nach den Feststellungen wurde bei dem Beschuldigten, der in den Jahren 1973 und 1981 jeweils wegen Totschlags verurteilt worden ist, anläßlich
-8-
seiner letzten Verurteilung eine schwere Persönlichkeitsstörung festgestellt.
Diese zeigte sich darin, daß der Beschuldigte in seinem Verhalten und seiner
Einstellung jegliche Schwäche und eigenes Versagen leugnete und auf Kritik
an Fehlverhalten mit verbalen Attacken gegen diejenigen Personen reagierte,
die ihn tatsächlich oder vermeintlich kritisierten oder herabsetzten. Nach der
Verurteilung im Jahre 1981 entwickelte sich beim Beschuldigten eine von der
sachverständig beratenen Strafkammer als krankhafte seelische Störung qualifizierte chronische wahnhafte Störung, die durch die Wahnvorstellung geprägt
ist, Personen der Justiz, unfähige Gutachter und andere Feinde wollten ihn
vernichten. Infolge dessen fühlte sich der Beschuldigte zunehmend von einem
undurchschaubaren System von “Naziseilschaften” bedroht und verfolgt.
Nach seiner Haftentlassung zog der Beschuldigte 1989 nach Bo.
Bu.
-
. Nachdem er im Herbst 1996 den späteren Bürgermeister von Bo.
Dr. B.
anläßlich eines von diesem während des Wahlkampfs durchge-
führten Hausbesuchs kennengelernt hatte, ging der Beschuldigte davon aus,
daß Dr. B.
Bestandteil des undurchschaubaren Systems sei, das ihn bedro-
he und verfolge. Um sich dagegen zur Wehr zu setzen, beschmierte er im Oktober 1997 eine öffentliche Unterführung mittels eines nicht abwaschbaren
Filzstiftes mit der Aufschrift "SPD-Bürgermeister
B.
benutzt Nazi-
methoden gegen erwerbsunfähige Sozialhilfeempfänger !!!" (Fall II.1.). In der
Folgezeit warf er Dr. B.
u.a. in Flugblättern vor, ihn zu terrorisieren, und kün-
digte dabei an, sich gegen diese Terrorakte zu wehren. Dr. B.
, der sich und
seine Familie bedroht fühlte, versuchte daraufhin vergeblich, die Einweisung
des Beschuldigten in eine psychiatrische Klinik zu erreichen. Nach dem
Scheitern dieser Versuche wandte er sich an die Medien, worauf im April 1999
der S.
und im September 1999 das Nachrichtenmagazin F.
über
den Beschuldigten berichteten. Am 7. Juni 1999 stellte sich der Beschuldigte in
-9-
eine Unterführung in Bo.
und hielt ein Schild mit der Aufschrift "B.
,
das kalte Herz" vor seinen Körper (Fall II.2.). Am 25. Juni 1999 demonstrierte
der Beschuldigte an einer Bushaltestelle gegen den Bürgermeister, indem er
ein Schild mit der Aufschrift "Jesus wäre gegen Dr. B.
den Bus wartende Zeugin A. -W.
" trug. Als die auf
äußerte, daß das doch nichts bringe,
reagierte er heftig und fragte die Zeugin, ob sie den "Arsch" auch gewählt habe
(Fall II.3.). Daß der Beschuldigte anschließend ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8 cm zog, es der Zeugin vor den Bauch hielt und dabei äußerte,
wer mit Dr. B.
Dr. B.
zusammenarbeite, werde ihn kennenlernen, genauso wie
ihn kennenlernen werde, hat die Strafkammer nicht festgestellt (Fall
II.4.). Am 26. Juli 1999 trug der an der Straße stehende Beschuldigte ein Schild
mit der Aufschrift "B.
jagt Menschen wie Tiere" um den Hals. Von Polizeibe-
amten hierauf angesprochen äußerte er, Dr. B.
verfolge und vernichte Men-
schen ähnlich der Judenverfolgung im Dritten Reich (Fall II.5.). Nachdem der
Bericht über den Beschuldigten im Nachrichtenmagazin F.
erschienen
war, stand der Beschuldigte an drei Tagen im September 1999 jeweils an einer
Straße in Bo.
, wobei er einmal ein Schild mit der Aufschrift "B.
Ruf-
mord für TV" und an den beiden anderen Tagen ein Plakat mit der Aufschrift
"Bürgermeister begeht Rufmord" trug (Fall II.6.-8.).
Dem Beschuldigten fehlte wegen seiner chronischen wahnhaften Störung im gesamten Tatzeitraum jedes Unrechtsbewußtsein. Aufgrund seines
Verfolgungswahns besteht die Gefahr, daß der Beschuldigte an sich harmlose
Situationen derart verzerrt wahrnimmt, daß ihm eine gewaltsame Notwehr gerechtfertigt erscheint. Daraus ergibt sich die erhöhte Gefahr, daß er Gewalttaten begehen wird, durch die die Opfer erheblich geschädigt werden können.
- 10 -
III.
Das Landgericht hat die Tat II.1. als gemeinschädliche Sachbeschädigung nach § 304 Abs. 1 StGB und die Taten II.3. und 5. als Beleidigungen
nach § 185 StGB gewertet und auf dieser Grundlage die Voraussetzungen für
eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB
bejaht. Unter Hinweis auf § 62 StGB hat es dennoch die Anordnung der Maßregel abgelehnt, weil die Unterbringung angesichts der geringfügigen Anlaßtaten unverhältnismäßig sei. Diese Erwägung der Strafkammer hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Ablehnung der Maßregelanordnung kann schon deshalb keinen
Bestand haben, weil die von der Strafkammer vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung den sich aus § 62 StGB ergebenden rechtlichen Anforderungen nicht gerecht wird.
Nach der Vorschrift des § 62 StGB darf die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen oder zu erwartenden Taten sowie zu dem
Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Die Norm nennt
damit drei voneinander zu unterscheidende Kriterien, die als Bezugpunkte der
Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde zu legen sind. Dabei darf die Zulässigkeit der Maßregel jedoch nicht nach ihrem Verhältnis zu jedem einzelnen der in
§ 62 StGB bezeichneten Elemente beurteilt werden. Vielmehr sind alle Merkmale insgesamt zu würdigen und zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen (BGHSt 24, 134, 135; BGH StV 1999,
489). Da die Unterbringung nach § 63 StGB ihrem Zweck nach auf die Verhinderung künftiger Taten abzielt, wird bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung regelmäßig der Bedeutung der in Zukunft zu erwartenden Rechtsverlet-
- 11 -
zungen besonderes Gewicht zukommen. Die Anordnung der Maßregel kann
deshalb auch dann zulässig sein, wenn die bisherigen Taten für sich betrachtet
weniger gewichtig erscheinen, in Zukunft aber Taten von erheblicher Schwere
zu erwarten sind (BGHSt 24, 134, 135; Stree in Schönke/Schröder StGB 26.
Aufl. § 62 Rdn. 2; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 62 Rdn. 5). Daß die festgestellten Anlaßtaten die Erheblichkeitsschwelle nicht überschreiten, berührt somit weder das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen nach § 63 StGB
(BGH NStZ 86, 237 und JR 1977, 169; Tröndle/Fischer aaO § 63 Rdn. 2 a;
Stree aaO § 63 Rdn. 18), noch stellt es - für sich allein betrachtet - die Verhältnismäßigkeit der Unterbringung in Frage.
Diesen Grundsätzen trägt das angefochtene Urteil nicht ausreichend
Rechnung. Die Strafkammer leitet ihre sich mit der Frage der Verhältnismäßigkeit befassenden Urteilsausführungen zwar mit der wörtlichen Wiedergabe des
§ 62 StGB ein. Die nachfolgenden Erörterungen befassen sich aber nahezu
ausschließlich mit dem Gewicht der festgestellten Anlaßtaten. Eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung der nach den Feststellungen vom Beschuldigten
zu erwartenden Gewalttaten, die mit einer erheblichen Schädigung der Opfer
einhergehen können, sowie mit dem Grad der Wahrscheinlichkeit solcher Taten im Rahmen einer alle Kriterien des § 62 StGB umfassenden Gesamtwürdigung läßt das Urteil demgegenüber vermissen. Soweit die Strafkammer bei der
Würdigung der beiden Tötungsdelikte auf das Fehlen gewalttätiger Reaktionen
in der Zeit nach der Haftentlassung abhebt, setzt sie sich zudem in Widerspruch zu ihren Feststellungen zur Gefährlichkeit des Beschuldigten.
2. Weitere durchgreifende sachlich-rechtliche Bedenken erheben sich
darüber hinaus gegen die tatrichterliche Bewertung der als Anlaßtaten in Betracht kommenden Fälle II.2., 4., 6.-8..
- 12 -
a) Soweit das Landgericht sich im Fall II.4. nicht von einer vom Beschuldigten begangenen Drohung mit seinem gezogenen Taschenmesser hat überzeugen können, hält die Beweiswürdigung der Strafkammer der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
Die Zeugin A. -W.
hat in der Hauptverhandlung angegeben, der Be-
schuldigte habe das Opinel-Messer gezogen, es in kurzem Abstand vor ihr in
ihre Richtung gehalten und dabei die Drohung wiederholt, wer mit B.
zu-
sammenarbeite, werde ihn kennenlernen. Als eine alte Frau gekommen sei,
habe der Beschuldigte das Messer wieder weggesteckt. Einige Zeit später habe sie - ebenso wie der Beschuldigte - den Bus bestiegen und sei nach Hause
gefahren. Von dort habe sie Dr. B.
angerufen, ihn gefragt, welches Pro-
blem er mit dem Beschuldigten habe, und auf Nachfrage von Dr. B.
von
dem Vorfall berichtet.
Von der Richtigkeit dieser Schilderung hat sich die Strafkammer nicht zu
überzeugen vermocht, weil die Zeugin sich nicht an die Polizei oder, um ihn
von sich aus als Amtsperson zum Einschreiten zu bewegen, an den Bürgermeister gewandt, sondern erst auf dessen Nachfrage hin von dem Vorfall berichtet habe. Darüber hinaus habe sie in ihrer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung am 26. Juli 1999 ausgesagt, nach dem Vorfall völlig erschrocken gewesen zu sein, so daß sie vor lauter Angst eine Woche nicht in die Stadt gegangen sei, während die Angelegenheit nach ihren Bekundungen in der
Hauptverhandlung für sie keine große Bedeutung gehabt habe. Bei der Würdigung der Aussage der Zeugin hat die Strafkammer indessen nicht berücksichtigt, daß der den Messereinsatz bestreitende Beschuldigte eingeräumt hat, das
Opinel-Messer bei der Begegnung mit der Zeugin in seiner Bauchtasche mit
sich geführt zu haben, und daß das Messer kurze Zeit nach dem Vorfall von
- 13 -
der Polizei bei ihm sichergestellt wurde. Da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Zeugin unabhängig von dem Vorfall Kenntnis von dem Mitführen
des Messers hatte, spricht dieser Umstand eher für die Richtigkeit ihrer Schilderung. Des weiteren hat sich das Landgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt, welchen Anlaß die Zeugin, der der Beschuldigte bis zu dem Vorfall
unbekannt war, dafür haben sollte, den Beschuldigten fälschlicherweise zu
belasten. Bei der Bewertung des Verhaltens der Zeugin nach der Tat ist
schließlich die naheliegende Möglichkeit unbeachtet geblieben, daß die Zeugin
in dem Telefonat mit Dr. B.
von der strafrechtlichen Vorbelastung des Be-
schuldigten erfuhr und ihre Einschätzung des Vorfalls durch diese Information
nachhaltig verändert wurde.
b) In den Fällen II. 2., 6.-8. bei denen schon zweifelhaft sein kann, ob
der Tatbestand der Beleidigung überhaupt als erfüllt anzusehen ist, was der
Tatrichter zu prüfen hat, ist die Annahme des Landgerichts, die Kundgaben des
Beschuldigten seien als Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt,
ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern. Der Rechtfertigungsgrund des § 193
StGB setzt voraus, daß bei Abwägung der einander widerstreitenden Interessen der Beteiligten (BGHSt 18, 182, 184) sich die Ehrverletzung nach den konkreten Umständen als angemessenes Mittel der Interessenwahrnehmung darstellt (Tröndle/Fischer aaO § 193 Rdn. 9). Die hiernach erforderliche umfassende Interessenabwägung fehlt im angefochtenen Urteil. Insoweit wird der
neu entscheidende Tatrichter zu beachten haben, daß die Auseinandersetzung
vom Beschuldigten begonnen und durch sein Verhalten u.a. bei der Tat II.1. in
die Öffentlichkeit getragen wurde.
c) Das im Fall II.1. festgestellte Verhalten des Beschuldigten erfüllt nicht
den Tatbestand der gemeinschädlichen Sachbeschädigung nach § 304 Abs. 1
- 14 -
StGB, da die Beschädigung der Unterführung durch den Schriftzug deren dem
öffentlichen Nutzen dienende Funktion nicht beeinträchtigte (vgl. BayObLG StV
1999, 543; Stree aaO § 304 Rdn. 9). Es liegt jedoch eine Sachbeschädigung
gemäß § 303 Abs. 1 StGB vor, hinsichtlich derer die Staatsanwaltschaft in der
Anklage vom 12. August 1999 das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung
bejaht hat.
Vizepräsident Dr. Jähnke
befindet sich in Urlaub und
kann deshalb nicht unterschreiben.
Detter
Fischer
Detter
Otten
Elf