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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 180/06
vom
16. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
12. Oktober 2006 in der Sitzung am 16. Oktober 2006, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin
wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 6. Oktober 2005
mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
1
Das Landgericht Karlsruhe hatte den Angeklagten am 16. Januar 1998
wegen versuchten Totschlags zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt.
Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 12. August 1998. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens
hat nunmehr das Landgericht Mannheim das Urteil des Landgerichts Karlsruhe
vom 16. Januar 1998 aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Gegen
diesen Freispruch wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der
Nebenklägerin mit Rügen der Verletzung materiellen und formellen Rechts. Die
Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist nicht frei von Rechtsfehlern. Erfolg hat auch eine Verfahrensrüge
(Verstoß gegen § 261 StPO) der Nebenklägerin. Auf die weiteren Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.
-4-
I.
Dem Angeklagten H.
2
geborene Z.
W.
wird vorgeworfen, seine Ehefrau A.
,
, von der er getrennt lebte, in den frühen Morgenstunden des
29. April 1997 - zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr - in deren Wohnung mit einem
Schal stranguliert und so versucht zu haben, sie zu töten.
3
1. Die Strafkammer hat dazu Folgendes festgestellt:
4
A.
W.
den - wieder Z.
B.
straße
in G.
, nach Scheidung der Ehe - und deshalb auch im Folgen, war am 7. März 1996 aus der ehelichen Wohnung in der
ausgezogen. Sie wohnte schließlich - seit Fe-
bruar 1997 - in der Erdgeschosswohnung des elterlichen Reihenhauses in der
E.
straße
in Bi.
. Ihr Vater, Wo.
Z.
, übernachtete häufig in
der darunter liegenden Einliegerwohnung. In dieser Souterrainwohnung hatten
auch der Angeklagte und seine Frau zu Beginn ihrer Ehe kurzfristig - von September bis Weihnachten 1994 - gewohnt. Erneut hatte die Geschädigte dort
unmittelbar nach der Trennung vorübergehend - von März bis Mai 1996 - Unterschlupf gefunden. Die Wohnungen sind durch die Kellertreppe verbunden.
5
Im Schlafzimmer der Erdgeschosswohnung hatte sich A.
Z.
in
der Nacht vom 28. auf den 29. April 1997 zu Bett begeben, einem Doppelbett in
dem auch der damals zwei Jahre und einen Monat alte gemeinsame Sohn K.
schlief. Spätestens kurz vor 2.18 Uhr betrat eine der Geschädigten bekannte
männliche Person die Wohnung. Zugang hatte sich der Mann entweder mit Hilfe eines Schlüssels verschafft oder er war von A.
Z.
selbst eingelas-
sen worden. Ein Einbruch scheidet aus. Im Wohnzimmer kam es zu einem
Streit, in deren Verlauf der Mann laut und erregt drohte: „Ich bring dich um, ich
-5-
schlag dich tot - mit mir kannsch du des nett machen!“ A.
Z.
erwider-
te mit weinerlicher, wimmernder Stimme: „Was willschen von mir - i heb dir
doch nix getan!" In dieser Zeit - so die Strafkammer - entschloss sich der Besucher, A.
Z.
, die sich zwischenzeitlich in ihr Schlafzimmer begeben
hatte, zu töten. Der Mann zog sich zwei aus einer Plastiktüte entnommene Vinyleinweghandschuhe über und schlang einen Wollschal aus der Wohnung der
Geschädigten um deren Hals, zog dessen Enden mindestens zwei Minuten
lang kräftig zusammen, bis A.
Z.
, die sich wehrte, das Bewusstsein
verlor. Der Täter schleppte sein Opfer in den Flur. Dann wurde er vom Vater der
Geschädigten gestört, der an diesem Tag in der darunter befindlichen Einliegerwohnung übernachtete. Um 2.34 Uhr war er durch Poltergeräusche, als deren
Ursache er Möbelrücken im Zusammenhang mit laufenden Renovierungsarbeiten seiner Tochter vermutete, geweckt worden und wollte sich bei seiner Tochter über diese nächtliche Störung beschweren, weshalb er die Treppe zur Erdgeschosswohnung hoch stieg. Dem Täter gelang es jedoch, die Kellertüre der
Wohnung der Geschädigten zuzuschlagen und durch die Haupteingangstür der
Erdgeschosswohnung unerkannt zu entkommen. Wo.
ne Tochter von der Strangulation. A.
Z.
Z.
befreite sei-
überlebte zwar. Aufgrund der
zeitweisen Unterbrechung der Blutzufuhr und damit der Sauerstoffversorgung
des Gehirns wurden dessen Nervenzellen jedoch dauerhaft so schwer und weitreichend geschädigt, dass sich die heutige Hirnfunktion im Wesentlichen auf
vegetative Funktionen beschränkt.
6
Die Strafkammer vermochte sich nicht mit der für die Verurteilung notwendigen Sicherheit davon zu überzeugen, dass der Angeklagte der nächtliche
Besucher und damit der Täter war.
-6-
II.
7
Zu den Grundlagen des Tatverdachts:
8
1. A.
Z.
konnte zur Aufklärung der Tat nichts mehr beitragen.
Sie ist aufgrund der erlittenen Schädigungen nicht mehr in der Lage, Sachverhalte aufzunehmen, sinnvoll zu verarbeiten und hierauf zu reagieren. Kommunikation, sei es sprachlich, schriftlich oder auch nur mimisch ist mit ihr nicht mehr
möglich.
9
2. Der zur Tatzeit zweijährige Sohn K. W. hat aus entwicklungspsychologischen Gründen (kindliche Amnesie) keine Erinnerung mehr an die damaligen Geschehnisse und entfiel damit für die Hauptverhandlung vor dem Landgericht ebenfalls als geeigneter Zeuge.
10
3. Auf den Angeklagten fiel der Tatverdacht insbesondere aufgrund folgender Erkenntnisse:
11
A) Den Gründen des angefochtenen Urteils des Landgerichts Mannheim
ist dazu zu entnehmen:
12
a) Es war ein Mann, der A.
Z.
zu töten versuchte.
13
b) Der Täter war mit der Geschädigten bekannt. Eine Beziehungstat lag
nahe. Die Geschädigte betrieb die Scheidung. In diesem Zusammenhang kam
es zu Auseinandersetzungen, insbesondere über das Umgangsrecht des Angeklagten mit dem Sohn K. . Dies hätte Anlass zu auch körperlichen Angriffen
geben können.
-7-
14
c) Am Tatort fanden sich zwei Finger von Vinyleinweghandschuhen, einer im Bett von A.
Z.
, einer im Flur. Sie stammen von zwei Einweghand-
schuhen unterschiedlicher Größe, die der Täter bei der Tat trug, und wurden
beim Kampf - das Doppelbett wurde verschoben - zwischen dem Täter und der
Geschädigten abgerissen. Denn an der Außenseite beider Teile fanden sich
ausschließlich DNA-Anhaftungen, die von der Geschädigten stammen. An der
Innenseite der Fingerteile wurde jeweils eine DNA-Mischspur gesichert, die
Merkmale von mehreren, auch unbekannten Personen enthalten. Nur die DNA
des Angeklagten und der Geschädigten konnte in beiden Fingern festgestellt
werden. In einem der abgerissenen Handschuhfinger (der im Flur) waren sämtliche Merkmale der DNA des Angeklagten zu finden.
15
d) Der Angeklagte trägt wegen der Schmerzempfindlichkeit zweier teilamputierter Finger im Alltagsleben häufig Einwegplastikhandschuhe, über die er
in seiner Wohnung auch in großer Zahl verfügte.
16
e) Am Tatort fand sich im Flur eine Plastiktüte, stammend von der Stadtapotheke P.
, darin ein olivfarbenes Dreieckshalstuch, ein Baumwollta-
schentuch, ein Latexeinmalhandschuh, vier Vinyleinweghandschuhe, eine Zigarettenschachtel der Marke „Marlboro-Lights“ mit sieben Gramm Amphetamin,
verpackt in sieben verschweißten Plastiktütchen, sowie eine rote Zigarettenschachtel der Marke „Marlboro“, die auf der Vorder- und Rückseite jeweils von
Hand mit einem Kreuz markiert war und drei aufgeschnittene und wieder verklebte Folienbeutel aus Cellophan-Umverpackungen von Zigarettenschachteln
enthielt. Das Dreieckshalstuch, das Baumwolltaschentuch und die Vinyleinweghandschuhe stammen - so wurde festgestellt - aus dem Haushalt des Angeklagten.
-8-
f) An den Enden des zur Strangulierung verwendeten Wollschals fanden
17
sich DNA-Mischspuren. Auch hier kommt der Angeklagte als Miturheber in Betracht.
18
g) An einer Jeanshose der Geschädigten, die am Tatort - im Flur auf dem
Boden liegend - sichergestellt wurde, fand sich eine DNA-Mischspur. Der Angeklagte kommt als Mitverursacher in Betracht.
19
h) Als die Wohnung des Angeklagten am Tattag durchsucht wurde, fanden sich im Badezimmer - in der Badewanne ausgebreitet - ein T-Shirt und eine
Jogginghose, die noch nass waren.
20
i) Während des Ermittlungsverfahrens legte der Angeklagte am 13. Mai
1997 den Ermittlungsbeamten der Polizei gegenüber ein pauschales Geständnis ab. Zu Einzelheiten befragt verwickelte er sich allerdings in Widersprüche.
Der Angeklagte widerrief sein Geständnis alsbald wieder, es habe sich um ein
„Gefälligkeitsgeständnis“ gehandelt, zu dem Mitgefangene ihm geraten hätten.
21
j) Des weiteren ergaben sich während der - neuen - Hauptverhandlung
vor dem Landgericht Mannheim folgende belastende Aspekte:
22
aa) Der Angeklagte behauptete (erstmals), er habe seinen Sohn an dessen zweitem Geburtstag am 6. März 1997 in der E.
straße
besucht. Dieser
Besuch sei harmonisch verlaufen. Er habe mit K. gespielt und mit ihm unter
anderem - zusammen mit A.
Z.
- Blumenzwiebeln im Garten des An-
wesens gepflanzt. Bei dieser Gelegenheit habe er wie üblich zum Schutz seiner
kälteempfindlichen, teilamputierten Finger Einmalhandschuhe getragen. Diese
-9-
habe er anschließend im Anwesen E.
straße
auf dem gemauerten Grill der
Terrasse zurückgelassen. Dieser Besuch fand nach den Feststellungen des
Landgerichts tatsächlich nicht statt. K.
war an seinem zweiten Geburtstag
krank, da er tags zuvor eine Erdnuss verschluckt hatte, die im Krankenhaus aus
dem linken Hauptbronchus entfernt worden war.
23
bb) Darüber hinaus hat der Angeklagte Teile seiner Einlassung vor dem
Landgericht Karlsruhe wahrheitswidrig widerrufen. So stellte er beispielsweise
erstmals in der neuen Hauptverhandlung in Abrede, jemals ein olivfarbenes
Dreieckshaltstuch, wie es am Tatort in der weißen Kunststofftüte aufgefunden
wurde, besessen zu haben. Dies ist nach den Feststellungen der Strafkammer
widerlegt.
24
B) Hinzu kommt ein weiterer Umstand, der in den Urteilsgründen zwar
nicht erwähnt ist, dem Revisionsgericht aber in der Revisionsbegründungsschrift der Nebenklägerin mitgeteilt wird. Danach war Gegenstand der Hauptverhandlung das im Internet veröffentlichte Dokument „H.
s Tagebuch“ (ein-
geführt im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO), unter
anderem mit folgendem Eintrag zum Inhalt eines beschlagnahmten Briefs des
Angeklagten an seine damalige Freundin:
25
„Samstag, 03.05.1997
1. Brief an C.
(beschlagnahmt)
Ich hoffe Du bekommst diesen Brief, wenn es auch über Umwege ist.
Scheiß egal. Die wollen mich verurteilen wegen 1. Einbruch, 2. versuchter Mord mit einem B-W-Schal, 3. Drogen. Alle roten Pullis sind sichergestellt worden. Wenn sie sagt, „ja, er wars“ bin ich für Jahre im Knast.
Gestern Mittag habe ich nichts zu essen bekommen (wegen der Fahrt
von P nach He.
). Abends, Wurst mit trockenem Brot."
(Unterstreichung nur in der Revisionsbegründung)
- 10 -
Die Mitteilung dieses Sachverhalts erfolgt zwar im Zusammenhang mit
26
Ausführungen zur Sachrüge. Der Sache nach ist dies jedoch eine - zulässig
erhobene - Rüge der Verletzung des § 261 StPO (Inbegriffsrüge).
III.
27
Die Beweiswürdigung der Strafkammer:
28
1. Die Strafkammer hat die oben genannten unter II. 3. A aufgeführten
Indizien entweder nicht bestätigt gesehen und im Übrigen als nicht ausreichend
zur Überzeugungsbildung hinsichtlich einer Täterschaft des Angeklagten bewertet.
29
a) Die Strafkammer hat insbesondere ausgeschlossen, dass der Täter dies müsste dann der Angeklagte gewesen sein - die Plastiktüte, aus der er die
Einweghandschuhe entnahm, in der Tatnacht mitbrachte, „es war nicht der Angeklagte, der diese Tüte in das Tatortanwesen brachte“. Das Landgericht ist
vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass A.
Z.
te - derartige Tüten wurden von der Stadtapotheke P.
die weiße Plastiktüab Juni 1995
ausgeteilt - mit den vom Angeklagten stammenden Gegenständen, nämlich
dem Dreieckstuch, dem Taschentuch sowie den Einweghandschuhen, bei ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung im März 1996 mitnahm, also schon
vor der Tat bei sich verwahrt hatte, und dass sie selbst dann die beiden Zigarettenschachteln und das Amphetamin in die Tüte legte. Denn die Zigarettenschachteln stammten - so hat die Strafkammer festgestellt - nicht vom Ange-
- 11 -
klagten, sondern von der Geschädigten, die eine der Schachteln mit einem
Kreuz markiert hatte. Dies schließt das Landgericht aus den Bekundungen von
Zeugen, wonach die Geschädigte zuweilen Haschisch und Marihuana konsumiert, entsprechend markierte Zigarettenschachteln „zur Aufbewahrung weicher
Drogen genutzt“ und „noch im Jahre 1994 gelegentlich Zigarettenschachteln mit
einem Kreuz markiert“ habe. Außerdem „war die markierte Zigarettenpackung
vom Tatort erst sieben Monate nach der Trennung der Eheleute W.
- im Ok-
tober 1996 - in den Handel gelangt“. „Die Kammer hat weiter keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung unwiderlegt erklärt hat, von der Eigenart seiner geschiedenen Ehefrau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren, nichts gewusst zu haben, auf sonstige Weise in den Besitz der von A.
Z.
markierten Zigaret-
tenschachteln gekommen sein könnte". Die Strafkammer hat dann noch ausgeschlossen, dass der Angeklagte das in der Tüte befindliche Amphetamin „unterschieben“ wollte, um anschließend nach einer „inszenierten“ Aufdeckung eines
vermeintlichen Betäubungsmittelbesitzes seiner Frau im Scheidungsverfahren
die von ihm gewünschte Ausweitung seines Umgangsrechts mit seinem Sohn
zu erreichen, zumal es hierzu keines nächtlichen Besuches bedurft hätte.
30
b) Hinsichtlich der DNA-Spuren, die vom Angeklagten stammten bzw.
herrühren können, hat die Strafkammer jeweils angenommen, dass der Angeklagte diese Spuren zu anderer Zeit ohne Bezug zur Tat hinterlassen haben
kann. Die Einweghandschuhe konnte er schon früher benutzt haben. Mit dem
Wollschal und mit der Jeanshose konnte er aufgrund familiärer Kontakte ebenfalls auf andere Art und Weise vorher in Berührung gekommen sein.
31
c) Da die in den abgerissenen Fingerteilen der Einweghandschuhe sichergestellte DNA-Mischspur Merkmale von drei beziehungsweise vier Men-
- 12 -
schen, darunter von einer nicht bekannten Person enthalte und zudem nicht
jede Berührung zur Hinterlassung von Hautpartikeln führen müsse - so die
sachverständig beratene Strafkammer -, kommen weitere, auch unbekannte
Personen als Täter in Betracht.
d) Einen Schlüssel zur einmal auch von ihm genutzten Wohnung in der
32
E.
straße
hatte der Angeklagte nach den Feststellungen des Landge-
richts nicht mehr.
33
e) Die - wechselnde - Erklärung des Angeklagten zu den nassen Kleidungsstücken in der Badewanne (Hantieren mit Heizöl oder Duschen) nimmt
die Strafkammer hin.
34
f) Im Aussageverhalten des Angeklagten - behaupteter Besuch beim
Sohn K.
in der E.
straße , Widerruf von Angaben in der ersten Hauptver-
handlung - sieht die Strafkammer sein Bestreben, einer erneuten - falschen Verurteilung zu entgehen, weshalb er auch Zuflucht zu falschen Einlassungen
genommen haben mag.
35
g) Dem im Mai 1997 abgelegten und dann widerrufenen Pauschalgeständnis maß die Strafkammer keine belastende Beweisbedeutung zu. Die ergänzenden Angaben des Angeklagten zum Tatgeschehen waren falsch oder
widersprüchlich. Das Landgericht folgt der Einlassung des Angeklagten, dass er
dieses falsche Geständnis seinerzeit abgegeben habe, „weil er endlich Ruhe
vor den Ermittlungsbehörden habe haben wollen und im Übrigen auf ein mildes
Urteil gehofft habe“.
- 13 -
36
2. Mit dem Inhalt des in „H.
s Tagebuch“ zitierten Brief, d.h. mit dem
Satz „Wenn sie sagt, 'ja, er wars' bin ich für Jahre im Knast“, hat sich die Strafkammer mit keinem Wort auseinandergesetzt, sie hat ihn nicht erwähnt.
IV.
37
1. Die Revisionen haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung
des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern.
38
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht
hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn ein Angeklagter deshalb freigesprochen wird, weil das Instanzgericht Zweifel an der Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene
Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze
und gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Der Prüfung unterliegt auch, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; BGH NJW 2005, 1727; BGH, Urteil vom 16. März
2004 - 5 StR 490/03 -; BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH NStZ 2002, 48; BGH
NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jeweils
m.w.N.). Ein Rechtsfehler kann auch darin liegen, dass eine nach den Feststellungen nicht nahe liegende Schlussfolgerung gezogen wurde, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen könnten. Denn es ist
weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des
- 14 -
Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten
Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. BGH NJW 2005, 1727; NStZ-RR 2005, 147,
148).
Gemessen an diesen Grundsätzen zeigen sich durchgreifende Mängel in
39
der Beweiswürdigung des Landgerichts:
a) Die Strafkammer ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Täter
40
während der verbalen Auseinandersetzung spontan zur Tötung von A.
Z.
entschlossen hat. Mit der Möglichkeit einer schon früher geplanten, je-
denfalls für den Fall des Eintritts bestimmter Umstände schon zuvor ins Auge
gefassten Tat, setzt sich die Strafkammer in der Beweiswürdigung nicht auseinander. Die Erörterung dieser Variante hätte sich jedoch aufgedrängt. Denn
konkrete Anhaltspunkte für eine Spontantat hat die Strafkammer nicht festgestellt. Allein aus der ausgestoßenen Drohung „Ich bring dich um, ich schlag
dich tot - mit mir kannsch du des nett machen!“ kann dies jedenfalls nicht geschlossen werden. Demgegenüber kann die Verwendung von Einweghandschuhen nach der Bewertung durch den Sachverständigen KHK D.
in seiner
Fallanalyse in den vom Landgericht festgestellten Tatablauf nicht ohne weiteres
eingepasst werden. Der Charakter der Tat als eskaliertes soziales Geschehen
spreche dagegen, dass der Täter Handschuhe überlegt vor dem Angriff auf das
Opfer angelegt habe. Dies liegt an sich auf der Hand. Gleichwohl meint das
Landgericht lapidar: „Diesem - keinesfalls zwingenden - Schluss des Sachverständigen schließt sich die Kammer jedoch aufgrund der bereits dargelegten
Beweisergebnisse nicht an“. Die gebotene Erörterung der zumindest ebenso
nahe liegenden Möglichkeit einer geplanten Tat hätte jedoch die übrigen Beweisumstände in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen können.
- 15 -
b) In der Konsequenz dieser verkürzten Sichtweise unterlässt das Land-
41
gericht die gebotene Erörterung eines weiteren Punktes: Die Strafkammer
schließt zwar - von ihrem Standpunkt aus - ohne Rechtsfehler aus, dass der
Angeklagte die Absicht hatte, der Geschädigten die Amphetamine mitten in der
Nacht „unterzuschieben“, um so Vorteile im Streit um das Umgangsrecht mit
K. zu gewinnen. Das Landgericht erörtert aber nicht die bei einer geplanten
Tat nahe liegende Möglichkeit, dass mit dem Betäubungsmittel eine falsche
Spur hinsichtlich des potentiellen Täterkreises gelegt werden sollte.
c) Grundlage der verkürzten Sicht der Strafkammer ist, dass sie „auf-
42
grund der mit einem Kreuz markierten Marlboroschachtel [davon ausgeht], dass
sich die am Tatort sichergestellte weiße Kunststofftüte der Stadtapotheke
P.
früher im Besitz von A.
Z.
befand“; „es war nicht der Ange-
klagte, der diese Tüte in der Tatnacht in das Tatortanwesen brachte“. Die Feststellung, die Zigarettenschachteln und das Amphetamin stammten von A.
Z.
, beruht jedoch ihrerseits auf einer fehlerhaften (lückenhaften) Beweis-
würdigung, da wesentliche Aspekte unerörtert geblieben sind.
Für die Strafkammer folgt der Besitz der Geschädigten an den Zigaret-
43
tenschachteln und am Amphetamin aus den Angaben von Zeugen, wonach
A.
Z.
Rauschmittel konsumierte und dieses in mit Kreuzen gekenn-
zeichneten Zigarettenschachteln verwahrte. Erwähnt, aber nicht in die Beweiswürdigung einbezogen hat die Strafkammer, dass die entsprechenden Beobachtungen spätestens im Jahre 1994/Januar 1995 endeten und sich die Bekundungen, soweit sie glaubhaft waren, nur auf den - gelegentlichen - Konsum
von Marihuana und Haschisch bezogen, nicht aber auf Amphetamine. Mit der
Variante, der Angeklagte könnte in Kenntnis der (früheren) Übung seiner Frau
die Zigarettenschachtel - als Täter - zu Täuschungszwecken selbst entspre-
- 16 -
chend vorbereitet haben, setzt sich die Strafkammer bei weitem nicht erschöpfend auseinander: „Die Kammer hat weiter keinen Anhaltspunkt dafür gefunden,
dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung unwiderlegt erklärt hat, von
der Eigenart seiner geschiedenen Ehefrau, Zigarettenschachteln gelegentlich
mit einem Kreuz zu markieren nichts gewusst zu haben, auf sonstige Weise in
den Besitz der von A.
Z.
markierten Zigarettenschachteln gekommen
sein könnte.“ Die - nur nebenbei erwähnte - Einlassung des Angeklagten, er
habe die Angewohnheit seiner Frau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren, nicht gekannt, hätte den Feststellungen nicht ohne
genaueres Hinterfragen zugrunde gelegt werden dürfen. Denn das Gegenteil
liegt nahe, wenn diese Gewohnheit selbst im Bekanntenkreis nicht verborgen
blieb. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu
Gunsten des Angeklagten allein seinen Angaben folgend eher fern liegende
Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte
erbracht sind. In diesem Zusammenhang hätte es auch nahe gelegen, den Fragen nachzugehen, ob der Angeklagte selbst Betäubungsmittel konsumierte, ob
er in den Wochen vor der Tat Kontakt zu Betäubungsmittelhändlern hatte, ob er
rauchte, gegebenenfalls welche Marke. Fanden sich Zigarettenschachteln in
der Wohnung des Angeklagten, waren - gegebenenfalls - bei diesen dann die
Cellophan-Umverpackungen noch vorhanden? Nutzte er sie als Behältnisse
auch für andere Dinge?
44
Dass die Geschädigte, sofern sie die Plastiktüte bei ihrem Auszug aus
der ehelichen Wohnung mitnahm, damit dann noch zwei Mal umzog, bewertet
die Strafkammer ebenfalls nicht.
45
d) Die Strafkammer würdigt weiter nicht, dass es außer dem Angeklagten
und dem Tatopfer keine Person gibt, die Spuren an den Innenseiten beider ab-
- 17 -
gerissener Fingerteile, die von beiden Einmalhandschuhen stammen, hinterlassen hat.
46
e) Dass die vom Täter verwendeten Vinyleinmalhandschuhe aus einer
vom Tatopfer selbst in ihrer Wohnung verwahrten Kunststofftüte entnommen
worden seien, folgert die Strafkammer auch daraus, dass sich A.
Z.
zuordenbare DNA-Spuren an der Innenseite der aufgefundenen Fingerteile fanden. „Dies lasse den Schluss zu, …. dass das Opfer die Handschuhe bereits
vor der Tat in Besitz gehabt und selbst getragen habe.“ Dies ist zwar für sich
betrachtet ein grundsätzlich möglicher und dann revisionsrechtlich hinzunehmender Schluss. Hier hätte es aber der Erörterung bedurft, warum die Strafkammer damit inzident die bloße Verschleppung von Hautepithelzellen des Opfers ausschließt, eine Möglichkeit, die sie hinsichtlich der DNA-Spuren anderer
Personen in den Fingerteilen selbst anspricht.
47
f) Selbst wenn es sich um eine Spontantat handelte und die Tüte, aus
der der Täter die Einweghandschuhe entnahm, sich schon längere Zeit im Besitz der Geschädigten befand, war dem Angeklagten die Existenz der Plastikhandschuhe in der Tüte jedenfalls bekannt, während dies bei anderen potentiellen Tätern eher fern liegt. Ihm war damit ein rascher Zugriff am ehesten möglich. Dies könnte auch bei einer Spontantat für seine Täterschaft sprechen, was
jedenfalls der Erörterung bedurft hätte.
48
g) Bei der Bewertung der in der Badewanne des Angeklagten am 29. April 1997 vorgefundenen Kleidungsstücke lässt die Strafkammer unerörtert, dass
der Nässegrad zum Zeitpunkt der Durchsuchung nur schwer mit seiner ursprünglichen Einlassung vereinbar ist, wonach er diese am Tag vor der Tat (bis
16.00 Uhr) wegen Heizölgeruchs „oberflächlich ausgewaschen“ hat. Vor diesem
- 18 -
Hintergrund könnte die neue, in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht
Mannheim vorgetragene Einlassung, er könne sich nicht mehr erinnern, ob er
die Kleidungsstücke ausgewaschen habe oder ob sie, nachdem er sie wegen
ihres Geruchs in die Badewanne gelegt hatte, beim Haare waschen oder Duschen nass geworden sind, in einem anderen Licht erscheinen. Auch dies hätte
der Erörterung bedurft.
49
2. Erfolg hat neben der Sachrüge - rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung auch die von der Nebenklägerin - der Sache nach - zulässig erhobene Formalrüge der Verletzung des § 261 StPO, Nichtverwertung des gemäß § 249 Abs. 2
StPO als Inhalt von „H.
s Tagebuch“ eingeführten Briefes (Original in Ordner
III Seite 139) des Angeklagten, den er „über Umwege“ an seine Freundin C.
schicken wollte. Mit der Verfahrensbeschwerde kann geltend gemacht werden, dass eine verlesene Urkunde oder Erklärung unvollständig oder unrichtig
im Urteil gewürdigt worden sei (BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung
30; Wahl, Prüfung des rechtlichen Gehörs durch das Revisionsgericht, Sonderheft G. Schäfer S. 73 f.). Dass der Beschwerdeführer seine Beanstandung im
Zusammenhang mit seinen Darlegungen zur Sachrüge und ohne ausdrücklichen Hinweis auf § 261 StPO vorgetragen hat, ist unerheblich. Denn ein Irrtum
in der Bezeichnung der Rüge als Sach- oder Verfahrensrüge ist unschädlich,
vorausgesetzt, dass der Inhalt der Begründungsschrift - wie hier - deutlich erkennen lässt, welche Rüge gemeint ist. Entscheidend ist die wirkliche rechtliche
Bedeutung des Revisionsangriffs, wie er dem Sinn und Zweck des Revisionsvorbringens zu entnehmen ist; eine Bezeichnung der verletzten Gesetzesvorschrift ist nicht erforderlich (vgl. BGHSt 19, 273, 275, 279; BGH, Urteil vom
23. Mai 2006 - 5 StR 62/06 - Rdn. 7; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl.
§ 344 Rdn. 72; Kuckein in Karlsruher Kommentar zur StPO 5. Aufl. § 344 Rdn.
19; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 344 Rdn. 10). In der Revisionsbegründung
- 19 -
werden die tatsächlichen Grundlagen zu dieser Rüge umfassend vorgetragen.
Dies genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Weitergehender
Ausführungen bedarf es nicht (§ 352 Abs. 2 StPO). In der Revisionshauptverhandlung hat der Nebenklägervertreter auf Nachfrage bestätigt, dass er mit seiner Revisionsbegründung die fehlende Verwertung des verlesenen Tagebuchabschnitts beanstanden wollte - Rüge der Verletzung des § 261 StPO -.
50
Mit diesem Beweismittel von erheblichem Gewicht, mit dem entscheidenden Satz dieses Briefes „Wenn sie sagt, 'ja ich wars bin ich für Jahre im
Knast.“ hätte sich die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung auseinandersetzen müssen. Denn Anhaltspunkte dafür, die Geschädigte könnte den
Angeklagten zu Unrecht belasten, wenn er nicht der Täter ist, und dass sie damit den wahren Angreifer vor Verfolgung schützen wollte, sind nach dem Inhalt
der Urteilsgründe nicht ersichtlich, auch nicht dafür, dass der Angeklagte dies
hätte befürchten müssen. Diese schriftliche Äußerung des Angeklagten könnte
auch sein widerrufenes Pauschalgeständnis während seiner polizeilichen Vernehmung in einem anderen Licht erscheinen lassen. Dies hätte dann jedenfalls
der Erörterung bedurft, wobei dann auch das sonstige Aussageverhalten (Offenbarung von Täterwissen?) zu bewerten gewesen wäre.
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Dass die Beweisbedeutung dieses den Angeklagten erheblich belastenden Satzes im Lauf der Hauptverhandlung vor der Strafkammer für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich entfallen sein könnte, so dass es einer Erörterung
in den Urteilsgründen nicht mehr bedurft hätte, kann bei der Bedeutung dieses
Beweismittels hier ausgeschlossen werden.
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3. Der Senat vermag deshalb nicht auszuschließen, dass die Strafkam-
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mer bei Vermeidung der aufgezeigten Fehler anders entschieden hätte. Die
Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Nack
Wahl
Hebenstreit
Boetticher
Graf