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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 205/15
Verkündet am:
25. Mai 2016
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 2285
Die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten
durch einen Dritten wird nicht in entsprechender Anwendung von § 2285 BGB beschränkt.
BGH, Urteil vom 25. Mai 2016 - IV ZR 205/15 - OLG Stuttgart
LG Heilbronn
ECLI:DE:BGH:2016:250516UIVZR205.15.0
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richter
Felsch,
Lehmann,
die
Richterinnen
Dr. Brockmöller und Dr. Bußmann auf die mündliche Verhandlung vom
25. Mai 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom
19. März 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Alleinerbenstellung
nach ihrer verstorbenen Mutter.
2
Die Klägerin und die Beklagte sind die beiden leiblichen Töchter
des Ehepaares M.
. Die Eltern der Parteien errichteten am
7. April 1977 ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament, in dem
sie sich gegenseitig als Erben einsetzten. Sie bestimmten die Klägerin
zur Erbin des zuletzt versterbenden Ehegatten, enterbten die Beklagte
und entzogen ihr den Pflichtteil.
-3-
3
Der Vater der Parteien verfasste außerdem im Jahr 1985 ein Einzeltestament, in dem er seine Ehefrau als Alleinerbin einsetzte. Nach
seinem Tod im Jahr 1995 lag dem Nachlassgericht nur dieses von der
Mutter abgelieferte Einzeltestament vor.
4
Die Mutter verstarb am 22. Januar 2012. Das Nachlassgericht erteilte einen Erbschein, der die Parteien je zur Hälfte als ihre Erben auswies.
5
Nachdem die Klägerin am 15. Juli 2013 das gemeinschaftliche
Testament im Tresor des Elternhauses gefunden hatte, lieferte sie es
beim Nachlassgericht ab und beantragte die Erteilung eines Erbscheins
als Alleinerbin der Mutter. Die Beklagte erklärte daraufhin mit Schreiben
vom 27. Juli 2013 gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung des
Testaments wegen eines Motivirrtums ihrer Eltern. Diese seien damals
wütend auf sie gewesen, weil sie entgegen deren Wunsch Sozialpädagogik statt Medizin studiert und ihre Eltern außerdem erfolgreich auf Unterhaltsleistung verklagt habe. Bereits etwa ein Jahr später hätten sich
ihre Eltern jedoch wieder mit ihr versöhnt.
6
Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das
Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren Revision, mit der sie weiter die Abweisung der
Klage erstrebt.
Entscheidungsgründe:
7
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
-4-
8
I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in ZEV 2015,
476 (mit Anmerkung Weidlich) abgedruckt ist, hat ausgeführt, die Klägerin sei aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 7. April 1977
Alleinerbin der Mutter geworden, da das Testament weder wirksam widerrufen noch angefochten worden sei. Die Verfügungen der Ehegatten
zur Schlusserbeneinsetzung der Klägerin seien wechselbezüglich im
Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB. Die Beklagte habe die Verfügung der Mutter zur Schlusserbeneinsetzung gemäß § 2285 BGB analog nicht anfechten können, da die Mutter als letztverstorbener Ehegatte ihr Recht zur
Selbstanfechtung der wechselbezüglichen Verfügung bereits durch Fristablauf verloren gehabt habe. Die Jahresfrist des § 2283 BGB habe mit
dem Tod des Vaters zu laufen begonnen, da die Mutter nach dem Vortrag der Beklagten zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis von dem behaupteten Motivirrtum gehabt habe. Den Fragen, ob ein Motivirrtum vorgelegen habe und ob der Vater ggf. einen Widerruf seiner wechselbezüglichen Verfügung trotz Erkennens dieses Irrtums bewusst unterlassen
habe, müsse nicht nachgegangen werden. Entgegen der in der Literatur
überwiegend vertretenen Ansicht sei auch eine Anfechtung der wechselbezüglichen Verfügung des erstversterbenden Ehegatten durch einen
Dritten gemäß § 2285 BGB analog ausgeschlossen. Andernfalls würde
man der Beklagten ein Recht einräumen, das zum Nachteil des überlebenden Ehegatten zu dem gleichen Ergebnis führte wie das Recht zum
Widerruf, von dem der Vater aber trotz Kenntnis des "Anfechtungsgrundes" keinen Gebrauch gemacht habe. Hätte der Vater zu Lebzeiten seine
wechselbezügliche Verfügung widerrufen, hätte die Mutter darauf durch
eine eigene letztwillige Verfügung angemessen reagieren können. Wenn
man nun der Beklagten nach dem Tod der Eltern ein Anfechtungsrecht
hinsichtlich der wechselbezüglichen Verfügung des erstverstorbenen Va-
-5-
ters zubilligte, verletzte man die durch § 2271 Abs. 1 BGB geschützten
Interessen der Mutter.
9
Das Gericht halte außerdem dafür, dass die Eltern durch die Beibehaltung des Testaments eine Bestätigung vorgenommen hätten oder
der behauptete Motivirrtum nicht kausal geworden sei. Auch aus diesem
Grund sei eine Anfechtung nicht möglich.
10
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
11
1. Nach den in der Revisionsinstanz nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Verfügungen zur Schlusserbeneinsetzung der Klägerin durch beide Ehegatten in dem gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB. Eine wirksame Anfechtung der Verfügung des Vaters zur Schlusserbenei nsetzung hätte daher gemäß § 2270 Abs. 1 BGB auch die Unwirksamkeit
der entsprechenden Verfügung der Mutter zur Folge.
12
2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass
die Beklagte die Verfügung der Mutter zur Schlusserbeneinsetzung gemäß § 2285 BGB analog nicht anfechten konnte. Nach dieser Regelung
kann ein Dritter vertragsmäßige Verfügungen im Erbvertrag nicht mehr
auf Grund der §§ 2078, 2079 BGB anfechten, wenn das Recht des Erblassers, die Verfügung aus demselben Grund anzufechten, zur Zeit des
Erbfalls erloschen ist. Die erbvertragliche Vorschrift des § 2285 BGB ist
auf die wechselbezüglichen Verfügungen des letztverstorbenen Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament entsprechend anwendbar (Senatsbeschluss vom 15. Juni 2010 - IV ZR 21/09, ZEV 2010, 364 Rn. 7; Se-
-6-
natsurteile vom 15. Mai 1985 - IVa ZR 231/83, FamRZ 1985, 1123 unter
IV 2; vom 18. Januar 1956 - IV ZR 199/55, FamRZ 1956, 83, 84). Die
entsprechende Anwendung folgt aus der engen Verwandtschaft und völligen Gleichheit der Rechtslage, die gegenüber dem durch Erbvertrag
gebundenen Erblasser und dem überlebenden Ehegatten besteht, soweit
jener das ihm wechselbezüglich Zugewendete nicht ausgeschlagen hat
(RGZ 77, 165, 167 f.). Das Recht zum Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung erlischt gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BGB mit
dem Tod des anderen Ehegatten, so dass der überlebende Ehegatte von
diesem Zeitpunkt an wie der Erblasser beim Erbvertrag grundsätzlich an
seine Verfügung gebunden ist. Es gibt daher keinen Grund, den anfechtungsberechtigten Dritten gegenüber dem gemeinschaftlichen Testament
besser zu stellen und den überlebenden, gebundenen Ehegatten nicht
ebenso wie den Vertragserblasser in die Lage zu versetzen, durch das
Unterlassen der Anfechtung nach freiem Belieben das Anfechtungsrecht
des Dritten zu zerstören (vgl. RG aaO S. 169).
13
Im vorliegenden Fall war die Jahresfrist des § 2283 Abs. 1 BGB für
eine Selbstanfechtung durch die Mutter zur Zeit des Erbfalls bereits a bgelaufen, da sie nach dem Beklagtenvortrag den behaupteten Motivir rtum als Anfechtungsgrund bereits bei ihrer Versöhnung mit der Bekla gten etwa ein Jahr nach Verfassen des gemeinschaftlichen Testaments
erkannt hatte, so dass die Anfechtungsfrist mit dem Tod des Vaters im
Jahr 1995 als frühestmöglichem Anfechtungszeitpunkt zu laufen begonnen hätte.
14
3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aber angenommen, auf einen Motivirrtum des Vaters komme es nicht an, weil auch die Anfechtung
der Verfügung des Vaters zur Schlusserbeneinsetzung durch die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 2285 BGB ausgeschlossen sei.
-7-
Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf die Dritta nfechtung einer
wechselbezüglichen Verfügung des erstversterbenden Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament kommt nicht in Betracht. Es fehlt an der vergleichbaren Interessenlage, die für eine Analogie neben einer planwidrigen Regelungslücke erforderlich ist.
15
a) Die herrschende Meinung in der Literatur geht davon aus, dass
§ 2285 BGB auf die Anfechtung von wechselbezüglichen Verfügungen
des erstversterbenden Ehegatten durch Dritte - vor oder nach dem Tod
des Überlebenden - nicht entsprechend angewendet werden kann, weil
dem erstversterbenden Ehegatten selbst kein Anfechtungsrecht, sondern
ein Widerrufsrecht hinsichtlich seiner wechselbezüglichen Verfügungen
zusteht
(vgl.
Palandt/Weidlich,
BGB
75. Aufl.
§ 2271
Rn.
31;
MünchKomm-BGB/Musielak, 6. Aufl. § 2271 Rn. 43; Staudinger/Kanzleiter, BGB Bearbeitung 2014 § 2271 Rn. 67; Soergel/Wolf, BGB 13. Aufl.
§ 2271 Rn. 38; Mayer in Reimann/Bengel/Mayer, Testament und Erbvertrag 6. Aufl. § 2271 BGB Rn. 91; BeckOGK/Braun, BGB Stand: 4. Januar
2016 § 2271 Rn. 145; Klessinger in Damrau/Tanck, Praxiskommentar
Erbrecht 3. Aufl. § 2271 Rn. 102; NK-BGB/Müßig, 4. Aufl. § 2271
Rn. 100 f.; Litzenburger in Bamberger/Roth, BGB 3. Aufl. § 2271 Rn. 39;
Erman/S. u. T. Kappler, BGB 14. Aufl. § 2271 Rn. 23; Muscheler, Erbrecht I Rn. 2171; a.A. LG Karlsruhe NJW 1958, 714; in einem obiter dictum an der h.M. zweifelnd auch BayObLG ZEV 2004, 152, 153). Diese
Ansicht ist zutreffend.
16
b) Wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung des Widerruf srechts des erstversterbenden Ehegatten und des beim Erbvertrag bestehenden Anfechtungsrechts ist weder § 2285 BGB zur entsprechenden
Anwendung auf die wechselbezügliche Verfügung des erstversterbenden
-8-
Ehegatten geeignet noch ist diese Analogie angesichts der dort bestehenden Interessenlage erforderlich.
17
§ 2285 BGB ergänzt das Selbstanfechtungsrecht, das dem Erbla sser beim Erbvertrag gemäß § 2281 BGB und in entsprechender Anwendung auch dem überlebenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen Te stament (BGH, Urteile vom 3. November 1969 - III ZR 52/67, FamRZ
1970, 79 unter I 1; vom 4. Juli 1962 - V ZR 206/60, BGHZ 37, 331 unter
1) hinsichtlich seiner vertragsmäßigen bzw. wechselbezüglichen Verfügungen zusteht. Die Selbstanfechtung erfordert dieselben Anfechtungsgründe im Sinne von §§ 2078, 2079 BGB wie die Anfechtung durch einen
Dritten und kann gemäß § 2283 Abs. 1, 2 BGB nur innerhalb eines Jahres ab Kenntnis vom Anfechtungsgrund oder Beendigung der Zwangslage erklärt werden. Falls das Anfechtungsrecht des Erblassers durch Ablauf der Anfechtungsfrist oder durch Bestätigung, § 2284 BGB, beim Erbfall bereits erloschen ist, ist daher gemäß § 2285 BGB auch eine Anfechtung durch einen Dritten, die auf denselben Anfechtungsgrund gestützt
werden soll, ausgeschlossen. Hat der Erblasser dagegen keine Kenntnis
vom Anfechtungsgrund, beginnt auch die Anfechtungsfrist für ihn nicht zu
laufen, so dass sein Anfechtungsrecht beim Erbfall nicht erloschen sein
kann und eine Drittanfechtung daher möglich bleibt.
18
Dieser besondere Schutz des Willens des Erblassers durch die
Beschränkung der Drittanfechtung nach § 2285 BGB folgt aus der Bindung des Vertragserblassers an seine eigene Verfügung, der er bereits
zu Lebzeiten unterliegt. § 2285 BGB bringt den allgemeinen Gedanken
zum Ausdruck, dass stets der Wille des Erblassers dafür maßgebend
bleibt, ob ein Dritter seinerseits den Bestand der letztwilligen Verfügung
angreifen darf oder nicht (RGZ 77, 165, 170). Wenn sich der gebundene
Erblasser durch Bestätigung seiner Verfügung oder Verstreichenlassen
-9-
der Anfechtungsfrist dafür entscheidet, die anfechtbare Verfügung trotz
Kenntnis des Anfechtungsgrundes gelten zu lassen, sollen an diese En tscheidung auch seine (potentiellen) Erben gebunden sein und nicht auf
Grund eines eigenen Anfechtungsrechts eine dem Willen des Erbl assers
nicht entsprechende Korrektur seiner Nachlassregelung vornehmen kö nnen (MünchKomm-BGB/Musielak, aaO § 2285 Rn. 1; vgl. auch Mayer
aaO § 2285 Rn. 7).
19
Dagegen ist der erstversterbende Ehegatte beim gemeinschaftlichen Testament nicht an seine wechselbezüglichen Verfügungen gebunden und auf ein Anfechtungsrecht beschränkt. Zu Lebzeiten beider Eh egatten kann jeder von ihnen seine wechselbezüglichen Verfügungen g emäß § 2271 Abs. 1 BGB widerrufen und hat dabei nur die Vorschriften
über Form und Zugang der Widerrufserklärung nach § 2271 Abs. 1
Satz 1 BGB i.V.m. § 2296 BGB zu beachten. Anders als die Anfechtung
erfordert der Widerruf weder einen Grund noch besteht für ihn eine dem
§ 2283 Abs. 1 BGB vergleichbare Frist. Das Anfechtungsrecht eines Dritten reicht von vornherein nicht über dieses Recht des Erblassers, sich
von seiner Verfügung zu lösen, hinaus, ohne dass es dazu einer Beschränkung der Drittanfechtung durch § 2285 BGB bedarf. Das Widerrufsrecht des erstversterbenden Ehegatten kann auch nicht "zur Zeit des
Erbfalls" im Sinne von § 2285 BGB bereits erloschen sein, sondern es
erlischt mit seinem Tod. Eine uneingeschränkte analoge Anwendung von
§ 2285 BGB auf das Erlöschen des Widerrufsrechts durch den Erbfall
hätte daher zur Folge, dass eine Anfechtung durch Dritte immer und unabhängig davon ausgeschlossen wäre, ob der Erblasser Kenntnis von
Tatsachen hatte, die ein Anfechtungsrecht begründen. Damit wäre es
nicht mehr möglich, dem wahren Willen des Erblassers Geltung zu verschaffen. Für einen solch umfassenden Ausschluss der Drittanfechtung
- 10 -
bei wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament
lässt sich dem Gesetz jedoch nichts entnehmen.
20
c) Die analoge Anwendung des § 2285 BGB kann aber auch nicht
auf Fälle beschränkt werden, in denen der erstversterbende Ehegatte
seine Verfügung trotz Kenntnis der später zur Begründung der Anfechtung angeführten Gründe nicht widerruft. Auch in diesen Fällen fehlt es
mangels materieller Bindung des Erstversterbenden an einer Vergleichbarkeit mit dem in den §§ 2281, 2285 BGB geregelten Fall (vgl.
BeckOGK/Braun aaO). Der erstversterbende Ehegatte befindet sich anders als der Letztversterbende trotz Kenntnis von einem möglichen Anfechtungsgrund nicht in der Situation, fristgebunden entscheiden zu
müssen, ob er die Verfügung anfechten oder andernfalls eine grundsätzlich nicht mehr zu beseitigende Bindung eingehen will. Bleibt er untätig,
kann dieses Unterlassen allein daher nicht als Verstreichenlassen einer
- fiktiven - Anfechtungsfrist mit entsprechenden Rechtsfolgen gedeutet
werden. Seinem Willen wird vielmehr ausschließlich durch die Prüfung,
ob die Voraussetzungen eines Drittanfechtungsrechtes vorliegen, Geltung verschafft, ohne diese Anfechtung von vornherein durch § 2285
BGB zu beschränken. Entscheidend ist insoweit stets der Wille des Erblassers. Über dessen Recht, sich von seiner Verfügung zu lösen, geht
das Drittanfechtungsrecht nicht hinaus.
21
d) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann eine entspr echende Anwendung von § 2285 BGB auf die Verfügung des erstversterbenden Ehegatten nicht mit den Interessen des letztversterbenden Ehegatten, der auf den Bestand der wechselbezüglichen Verfügung vertraut
hat, begründet werden. § 2285 BGB dient nicht dem Schutz des Vertragserben beim Erbvertrag oder des letztversterbenden Ehegatten beim
gemeinschaftlichen Testament. Der Gesetzgeber begründete die Vor-
- 11 -
schrift allein damit, dass anderen Personen ein Anfechtungsrecht nicht in
größerem Umfang zugestanden werden könne als dem Erblasser selbst
(Motive Bd. V S. 325). Geschützt wird daher das Interesse des Erblassers daran, dass sich sein - frei von Irrtum oder Drohung im Sinne von
§ 2078 BGB gebildeter - Wille durchsetzt (Staudinger/Kanzleiter aaO).
Wenn aber durch die erfolgreiche Anfechtung seiner Verf ügung die dazu
wechselbezügliche Verfügung des anderen Ehegatten gemäß § 2270
Abs. 1 BGB unwirksam wird, so entspricht dies gerade dem die Wechselbezüglichkeit begründenden Willen der Ehegatten, dass ihre Verf ügungen miteinander stehen oder fallen sollen.
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Auch der Verweis des Berufungsgerichts auf den Schutz des Eh egatten durch die Empfangsbedürftigkeit des Widerrufs gemäß § 2271
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2296 Abs. 2 Satz 1 BGB (ebenso BayObLG ZEV
2004, 152, 153) vermag eine Beschränkung der Drittanfechtung nicht zu
begründen. Bei einem Widerruf zu Lebzeiten beider Ehegatten wird der
andere Ehegatte durch den Zugang der Widerrufserklärung in die Lage
versetzt, darauf durch eine neue letztwillige Verfügung zu reagieren. Im
Regelfall wird er diese Möglichkeit auch bei einer Drittanfechtung nach
dem ersten Erbfall haben, da die fristgebundene (§ 2082 BGB) Anfechtung noch zu seinen Lebzeiten erfolgen und das Nachlassgericht ihm die
Anfechtungserklärung mitteilen wird, § 2081 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Begründung des Berufungsgerichts für eine Analogie bezieht sich daher allein auf den hier vorliegenden Sonderfall, in dem das gemeinschaftliche
Testament dem Nachlassgericht nach dem ersten Erbfall nicht vorlag und
daher eine Drittanfechtung nicht zu Lebzeiten des letztverstorbenen
Ehegatten erfolgen konnte. Doch ein allgemeiner Grundsatz, dass die
Ehegatten auf den Bestand der eigenen wechselbezüglichen Verfügungen nach ihrem Tod vertrauen können, besteht beim gemeinschaftlichen
- 12 -
Testament nicht. Das Interesse eines Ehegatten an der Wirksamkeit der
eigenen Verfügungen tritt auch in anderen Konstellationen unabhängig
davon zurück, ob er noch mit einer neuen Verfügung auf eine Veränd erung reagieren kann (vgl. Weidlich, ZEV 2015, 480, 481; BeckOGK/
Braun, aaO Rn. 145.1). So kann auch das Recht des überlebenden Ehegatten, sich durch Ausschlagung gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2
BGB von dem gemeinschaftlichen Testament zu lösen, nicht abbedungen
werden (Senatsurteil vom 12. Januar 2011 - IV ZR 230/09, NJW 2011,
1353 Rn. 11). Hebt er anschließend die eigenen Verfügungen auf, hat
dies gemäß § 2270 Abs. 1 BGB grundsätzlich die Unwirksamkeit der d amit wechselbezüglich verbundenen Verfügungen des erstversterbenden
Ehegatten zur Folge (Senatsurteil aaO Rn. 15).
23
4. Die Hilfserwägung des Berufungsgerichts trägt die angefochtene
Entscheidung mit den bisher getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht.
Seiner nicht näher begründeten Annahme, die Eltern hätten durch die
Beibehaltung des Testaments eine Bestätigung vorgenommen oder der
behauptete Motivirrtum sei nicht kausal für ihre Verfügung geworden,
fehlt eine ausreichende Tatsachengrundlage.
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Zwar kann ein bewusstes Bestehenlassen der letztwilligen Verf ügung dafür sprechen, dass der behauptete Irrtum nicht ursächlich für die
Verfügung war oder sie jedenfalls zur Zeit des Erbfalles dem Willen des
Erblassers entsprach und eine Anfechtung daher ausgeschlossen ist
(BayObLG NJW-RR 1995, 1096, 1098; MünchKomm-BGB/Musielak aaO
§ 2271 Rn. 43; Mayer aaO § 2271 Rn. 91; Palandt/Weidlich aaO § 2078
Rn. 9). Dies setzt aber voraus, dass der Erblasser die Verfügung ta tsächlich bewusst beibehält, sich also im Wissen um den Inhalt dieser
Verfügung und in Kenntnis des Irrtums dafür entscheidet, daran festz uhalten, und er nicht nur aus Nachlässigkeit, Passivität oder aus sonst i-
- 13 -
gen anderen Gründen eine Abänderung unterlässt (vgl. BayObLG
NJW-RR 2002, 367, 370; Staudinger/Otte, BGB Bearbeitung 2013 § 2078
Rn. 30; MünchKomm-BGB/Leipold, 6. Aufl. § 2078 Rn. 50). Das Berufungsgericht hat jedoch ausdrücklich offengelassen, ob der Vater den
Widerruf seiner wechselbezüglichen Verfügung trotz Erkennens des b ehaupteten Motivirrtums bewusst unterließ. Damit fehlt es aber auch an
der Feststellung, dass er das Testament bewusst bestehen ließ. Ohne
solche Feststellungen zum Willen des Erblassers kann allein aus dem
Umstand, dass das Testament weiter existierte, nicht geschlossen werden, der Erblasser habe das Testament bestätigt oder der behauptete
Motivirrtum sei nicht kausal für seine Verfügung gewesen.
25
III. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus
anderen Gründen als richtig.
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Die Mutter der Parteien verfügte in dem gemeinschaftlichen Testament neben der Schlusserbeneinsetzung der Klägerin die Enterbung
der Beklagten. Es steht jedoch nicht fest, dass auch im Falle einer Unwirksamkeit der Schlusserbeneinsetzung die Enterbung der Beklagten
fortbestünde und daher die gesetzliche Erbfolge zugunsten der Klägerin
einträte. Vielmehr deutet das Berufungsgericht an, dass seiner Ansicht
nach eine wirksame Anfechtung der Schlusserbeneinsetzung auch die
gleichzeitig verfügte Enterbung der Beklagten durch die Mutter entfallen
ließe, ohne aber ausdrückliche Feststellungen zum Willen der Erblass erin zu treffen. Dies hätte es im Falle einer wirksamen Anfechtung der
Schlusserbeneinsetzung nachzuholen. Andernfalls wäre zu prüfen, ob
die Beklagte auch ihre - gemäß § 2270 Abs. 3 BGB nicht wechselbezügliche - Enterbung durch die Mutter wirksam angefochten hat.
- 14 -
27
IV. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, da
das Berufungsgericht noch ergänzende Feststellungen zu treffen hat.
Mayen
Felsch
Dr. Brockmöller
Lehmann
Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
LG Heilbronn, Entscheidung vom 04.09.2014 - 3 O 32/14 I OLG Stuttgart, Entscheidung vom 19.03.2015 - 19 U 134/14 -