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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZB 95/16
vom
14. Juni 2017
in der Rechtsbeschwerdesache
ECLI:DE:BGH:2017:140617BIZB95.16.0
-2-
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juni 2017 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Büscher, die Richter Dr. Kirchhoff, Prof. Dr. Koch,
Dr. Löffler und Feddersen
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des
Landgerichts
Tübingen
- 5. Zivilkammer
(Einzelrichter) -
vom
20. September 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Einzelrichter) zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht
erhoben.
Gegenstandswert: 250,32 €
Gründe:
I. Der Gläubiger, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, ist die unter der Be1
zeichnung "Südwestrundfunk" tätige Landesrundfunkanstalt in den Ländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Er betreibt gegen den Schuldner die
Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Rundfunkbeiträge.
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Der Gläubiger richtete an das Amtsgericht Rottenburg - Gerichtsvollzieherverteilerstelle - ein Vollstreckungsersuchen, in dem er die Durchführung von
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen - unter anderem der Bestimmung eines Termins zur Abnahme der Vermögensauskunft gemäß § 802f Abs. 1 ZPO - gegen
den Schuldner beantragte. Die letzte Seite des Vollstreckungsersuchens enthielt eine "Aufstellung der rückständigen Forderungen" und den vorangestellten
Hinweis: "Dem Beitragsschuldner sind bereits Festsetzungsbescheide und
Mahnungen mit folgenden Daten unter der Beitragsnummer ... zugesandt worden". Mit Schreiben vom 8. Dezember 2015 lud der Gerichtsvollzieher den
Schuldner zur Abgabe der Vermögensauskunft. Nachdem der Schuldner zu
dem Termin erschienen war, die Abgabe der Vermögensauskunft aber verweigert hatte, ordnete der Gerichtsvollzieher die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis an.
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Mit Beschluss vom 10. März 2016 hat das Vollstreckungsgericht die gegen
die Vollstreckungsmaßnahmen gerichtete Erinnerung des Schuldners vom
10. Februar 2016 zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht (Einzelrichter) den Beschluss des Vollstreckungsgerichts aufgehoben und die Zwangsvollstreckung
aus dem Vollstreckungsersuchen des Gläubigers für unzulässig erklärt. Mit der
vom Beschwerdegericht (Einzelrichter) zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Antrag auf Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Vollstreckungsgerichts vom
10. März 2016 weiter.
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II. Das Beschwerdegericht (Einzelrichter) ist von der Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde des Schuldners ausgegangen. Zur Begründung
hat es ausgeführt:
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Die Beschwerde sei bereits wegen fehlender Zustellung des Vollstreckungstitels begründet. Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung sei eine
Zustellung der Bescheide. Der Schuldner habe den Zugang bestritten. Das
Vollstreckungsgericht habe sich zu Unrecht auf die Zugangsvermutung gemäß
§§ 41, 43 Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg (LVwVfG BW)
gestützt. Diese Vorschriften seien gemäß § 2 LVwVfG BW nicht anwendbar.
Die Zustellung richte sich vielmehr nach den allgemeinen Vorschriften gemäß
§§ 130, 132 BGB. Für eine entsprechende Anwendung der Grundsätze der Zustellungsfiktion durch Aufgabe bei der Post gemäß § 41 LVwVfG BW sei angesichts dieser Vorschriften kein Raum.
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Die Beschwerde des Schuldners sei zudem begründet, weil es an der materiellen Behördeneigenschaft des Gläubigers fehle. Diese sei ebenfalls als
Vollstreckungsvoraussetzung vom Vollstreckungsgericht zu prüfen.
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III. Die vom Beschwerdegericht (Einzelrichter) zugelassene Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses
und zur Zurückverweisung an das Beschwerdegericht.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3
Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). Ihre Zulassung ist nicht
deshalb unwirksam, weil der Einzelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO
anstelle des Kollegiums entschieden hat (BGH, Beschluss vom 13. März 2003
- IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 201).
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2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene
Beschluss des Einzelrichters ist aufzuheben, weil er unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG).
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a) Der Einzelrichter durfte über die Beschwerde nicht selbst entscheiden,
sondern hätte das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten
Kammer übertragen müssen. Dem originären Einzelrichter nach § 568 ZPO ist
die Entscheidung von Rechtssachen grundsätzlicher Bedeutung schlechthin
versagt (st. Rspr.; vgl. BGHZ 154, 200, 202; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2012
- I ZB 65/11, NJW 2012, 3518 Rn. 4; Beschluss vom 7. Januar 2016
- I ZB 110/14,
NJW
2016,
645 Rn. 10; Beschluss vom 21. Juli 2016
- I ZB 121/15, juris Rn. 5). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung ist im weitesten Sinne zu verstehen, so dass nicht der Einzelrichter, sondern das Kollegium auch dann entscheiden muss, wenn zur Fortbildung des Rechts oder - wie
vorliegend vom Einzelrichter angenommen - zur Wahrung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts geboten ist
(st. Rspr.; vgl. BGHZ 154, 200, 202; Beschluss vom 24. November 2011
- VII ZB 33/11, NJW-RR 2012, 441 Rn. 9; BGH, NJW 2016, 645 Rn. 10; BGH,
Beschluss vom 27. April 2017 - I ZB 91/16). Damit hat der Einzelrichter das Gebot des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt. Die Nichtübertragung des
Verfahrens auf die voll besetzte Kammer erfüllte die Voraussetzungen der objektiven Willkür. Sie war offensichtlich unvertretbar und lag außerhalb der Gesetzlichkeit, so dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist (vgl. BGHZ 154, 200,
203).
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b) Die Rechtsbeschwerde hat den Verstoß gegen das Verfassungsgebot
des gesetzlichen Richters gerügt. Im Übrigen war der Verstoß vom Senat von
Amts wegen zu berücksichtigen (BGHZ 154, 200, 203). Der Berücksichtigung
der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht § 568 Satz 3 ZPO nicht
entgegen (BGHZ 154, 200, 204).
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3. Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an den Einzelrichter, der den angefochtenen Beschluss erlassen hat. Wegen der durch die
Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 GKG Gebrauch. Diese Kosten wären bei richtiger Behandlung
der Sache durch den Einzelrichter nicht entstanden.
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IV. Für die neue Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
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1. Die Annahme des Beschwerdegerichts, die Beschwerde des Schuldners sei begründet, weil eine wirksame Zustellung nicht nachgewiesen sei und
damit eine Grundvoraussetzung der Zwangsvollstreckung fehle, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Zustellung eines "Titels" ist ebenso wenig
Voraussetzung der Beitreibung von Rundfunkbeiträgen wie die Zustellung des
Vollstreckungsersuchens der Gläubigerin. Entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts ist auch die wirksame Zustellung eines Beitragsbescheids
keine Vollstreckungsvoraussetzung (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2017
- I ZB 91/16).
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2. Die weitere Annahme des Beschwerdegerichts, die Beschwerde des
Schuldners sei außerdem begründet, weil dem Gläubiger die "materielle Behördeneigenschaft" fehle, hält der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand
(vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2017 - I ZB 91/16).
Büscher
Kirchhoff
Löffler
Koch
Feddersen
Vorinstanzen:
AG Rottenburg am Neckar, Entscheidung vom 10.03.2016 - M 159/16 LG Tübingen, Entscheidung vom 20.09.2016 - 5 T 98/16 -