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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZB 38/04
vom
4. Mai 2005
in der Rechtsbeschwerdesache
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Mai 2005 durch die
Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher, Dr. Schaffert und
Dr. Bergmann
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß des
2. Zivilsenats des Kammergerichts vom 10. Dezember 2004 aufgehoben.
Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 12.219,63 €
festgesetzt.
Gründe:
I. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Juli 2004 abgewiesen.
Das Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 18. August 2004 in
einer Ausfertigung zugestellt worden, bei der am rechten Seitenrand einzelne
Buchstaben und teilweise auch ganze Wörter fehlten. Die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, denen eine in gleicher Weise mängelbehaftete Urteilsausfertigung zugestellt worden ist, haben diese unter Hinweis auf den Mangel an das
Landgericht zurückgereicht. Dessen Geschäftsstelle hat daraufhin beiden Par-
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teien eine berichtigte Ausfertigung des Urteils vom 28. Juli 2004 zugestellt. Das
beigefügte Begleitschreiben vom 26. August 2004 endete mit dem Hinweis, daß
die zuerst erteilte fehlerhafte Ausfertigung als gegenstandslos betrachtet werden könne.
Die Klägerin, der die berichtigte Ausfertigung am 31. August 2004 förmlich zugestellt worden ist, hat gegen das Urteil am Montag, den 20. September
2004 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2004, der
an diesem Tag als Faxschreiben beim Berufungsgericht eingegangen ist, begründet. Der Vorsitzende des Berufungssenats hat die Klägerin darauf hingewiesen, daß hinsichtlich der Wahrung der Berufungsbegründungsfrist Bedenken
bestünden. Die Klägerin hat daraufhin mit am 15. November 2004 beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
beantragt.
Mit Beschluß vom 10. Dezember 2004 hat das Berufungsgericht der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung versagt und deren Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II. Das Berufungsgericht hat die Berufung für unzulässig erachtet, weil sie
nicht innerhalb der schon durch die erste Zustellung des angefochtenen Urteils
am 18. August 2004 in Lauf gesetzten Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten begründet worden sei und auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand keinen Erfolg habe. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Zustellung einer berichtigungsbedürftigen Urteilsausfertigung setze
die an sie geknüpften Notfristen im Fall der späteren Zustellung einer berichtigten Ausfertigung nur dann nicht in Lauf, wenn erst die Berichtigung eine Be-
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schwer erkennbar mache oder die Mängel insgesamt so schwerwiegend oder
essentiell seien, daß die unberichtigte Fassung der Partei keine taugliche
Grundlage für die Entschließung biete, ob ein Rechtsmittel einzulegen sei. Ein
solcher Fall sei hier nicht gegeben. Die für die Beurteilung, ob überhaupt ein
rechtsmittelfähiges Urteil vorliege, erforderlichen Formalien des Urteils seien
völlig beanstandungsfrei. Der Tenor sei trotz des Fehlens von Buchstaben
leicht, zweifelsfrei und vollständig verständlich. Das Verständnis des Tatbestands und der Entscheidungsgründe sei zwar stellenweise wegen der fehlenden Buchstaben erschwert, aber selbst an diesen Stellen keineswegs vereitelt.
Der Umstand, daß die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die fehlerhafte Ausfertigung in ihrem Entschuldigungsschreiben als gegenstandslos bezeichnet
habe, habe die wirksame und den Fristenlauf auslösende Zustellung nicht ungeschehen machen können. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand sei unbegründet, weil der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin bei der
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist schuldhaft gehandelt habe. Diesem hätte es oblegen, beim Verfassen der Berufungsschrift die Berechnung der
in der Akte von der Kanzleiangestellten vermerkten Fristen zu überprüfen. Eine
solche Prüfung hätte entweder zur Klärung der Rechtslage oder zumindest zu
Zweifeln an der (fehlerhaften) Fristberechnung geführt. Bei der dann gebotenen
Wahl des sichersten Weges wäre entweder die Berufungsbegründungsfrist eingehalten oder rechtzeitig ein Antrag auf Verlängerung der Frist gestellt worden.
III. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1
Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, weil die Fortbildung des
Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574
Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 ZPO).
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IV. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung
der angefochtenen Entscheidung. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die
beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht versagt.
1. Das Berufungsgericht hat mit Recht und von der Rechtsbeschwerde
unangegriffen angenommen, daß das Fehlen von Buchstaben und (kurzen)
Wörtern das Verständnis des Tatbestands und der Entscheidungsgründe des
landgerichtlichen Urteils zwar stellenweise erschwert, aber nicht vereitelt und
daher die Wirksamkeit der am 18. August 2004 erfolgten ersten Zustellung unberührt gelassen habe (vgl. BGH, Beschl. v. 13.4.2000 - V ZB 48/99, NJW-RR
2000, 1665, 1666; Beschl. v. 24.1.2001 - XII ZB 75/00, NJW 2001, 1653, 1654,
jeweils m.w.N.).
2. Der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht kein
der Klägerin zurechenbares Verschulden (§ 85 Abs. 2 ZPO) ihres Prozeßbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist entgegen.
Mit seiner gegenteiligen Ansicht überspannt das Berufungsgericht die
Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin. Dessen irrige Annahme, erst die zweite Zustellung habe die Berufungsbegründungsfrist in Lauf gesetzt, weil die erste Zustellung unwirksam gewesen sei,
ist in erster Linie durch die vom Gericht veranlaßte erneute Zustellung des Urteils ausgelöst worden. Ein solcher Irrtum gereicht ihm nicht zum Verschulden.
Die erneute Zustellung des Urteils mußte den Eindruck erwecken, das Gericht
habe die erste Zustellung als unwirksam angesehen, da nur in diesem Fall Veranlassung bestand, das Urteil nochmals zuzustellen. Wenn aber das Gericht
eine zweite Zustellung als notwendig ansah, durfte der Anwalt darauf vertrauen,
daß es sich bei der erneuten Zustellung um eine sinnvolle Maßnahme handelte,
und davon ausgehen, daß erst diese Zustellung die Berufungsbegründungsfrist
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in Lauf gesetzt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 26.10.1994 - IV ZB 12/94, VersR 1995,
680, 681).
Dies gilt hier um so mehr, als die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bei
der zweiten Zustellung in einem Begleitschreiben ausdrücklich bat, die Mängel
der ersten Ausfertigung zu entschuldigen, und dazu erklärte, die zuerst erteilte
Ausfertigung könne als gegenstandslos betrachtet werden. Mit Rücksicht auf die
Zuständigkeit eines Urkundsbeamten im Bereich der Zustellung konnte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin auf diese Erklärung in gleicher Weise vertrauen
wie auf eine durch einen Richter veranlaßte Erklärung über die Wirksamkeit
einer Zustellung (vgl. BGH VersR 1995, 680, 681).
Die erneute Zustellung des landgerichtlichen Urteils ist nicht durch den
Prozeßbevollmächtigten der Klägerin veranlaßt worden, sondern durch den
Prozeßbevollmächtigten der Gegenpartei. Es ist nicht einmal ersichtlich, daß
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dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin das Schreiben des Beklagtenvertreters mitgeteilt worden ist, mit dem dieser die ihm zuerst zugestellte Urteilsausfertigung zurückgereicht und um die Übersendung eines vollständigen Urteils
gebeten hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt der vorliegende Fall deshalb anders als der Sachverhalt, über den der V. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs durch Beschluß vom 13. April 2000 (V ZB 48/99, NJW-RR
2000, 1665 f.) entschieden hat.
v. Ungern-Sternberg
Pokrant
Schaffert
Büscher
Bergmann