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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
AnwZ (Brfg) 56/11
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
Verkündet am:
26. November 2012
Boppel,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
-2-
Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Kayser, den Richter Prof. Dr. König, die Richterin
Dr. Fetzer, den Rechtsanwalt Dr. Wüllrich und die Rechtsanwältin Dr. Hauger
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des II. Senats des
Hessischen Anwaltsgerichtshofs vom 5. September 2011 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 12.500 € festgesetzt.
Tatbestand:
1
Der Kläger führt seit 2001 die Bezeichnung "Fachanwalt für Strafrecht".
In den Jahren 2002 und 2004 kam er der in § 15 FAO bestimmten Fortbildungspflicht nicht nach, 2005 wies er nur acht statt der in § 15 Abs. 2 FAO vorgeschriebenen zehn Zeitstunden nach. Nachdem er im Jahr 2007 abermals
seinen Fortbildungspflichten und deren Nachweis nicht genügt hatte, gab ihm
die Beklagte die Gelegenheit, die Fortbildung für das Jahr 2007 im Jahr 2008
nachzuholen. Der Kläger wies daraufhin lediglich zehn im Jahr 2008 erbrachte
Zeitstunden nach. Mit Bescheid vom 14. Dezember 2009 widerrief die Beklagte
die Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung. Den Widerspruch des
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Klägers wies sie mit Bescheid vom 13. September 2010 zurück. Auf die hiergegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof den Widerrufsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, weil der Widerruf nicht innerhalb
der Jahresfrist seit Kenntnis von den rechtfertigenden Tatsachen ergangen sei.
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Mit ihrer durch den Senat mit Beschluss vom 20. März 2012 zugelassenen Berufung erstrebt die Beklagte die Aufhebung des genannten Urteils und
die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung hat Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom
14. Dezember 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Berufung führt daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Abweisung der
Klage.
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1. In Einklang mit dem angefochtenen Urteil sieht der Senat die Prozessvoraussetzung eines rechtzeitigen Widerspruchs (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO,
§ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO) als gewahrt an.
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Der Widerrufsbescheid ist am 15. Dezember 2009 an der ehemaligen
Kanzleiadresse des Klägers durch Einlegung in den Hausbriefkasten und damit
nicht wirksam zugestellt worden. Wie auch aus der anwaltlichen Versicherung
seines vormaligen Sozius hervorgeht, hatte der Kläger nämlich seit August
2009 keinen Zugang zur Kanzlei sowie zur Briefkastenanlage mehr. Ferner war
kein Hinweis auf einen Kanzleisitz des Klägers vorhanden. Die Ersatzzustellung
nach §§ 178 bis 181 ZPO setzt aber voraus, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tat-
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sächlich vom Adressaten genutzt wird (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2009 - IX ZB 248/08, NJW-RR 2010, 489 Rn. 15; vom 2. Juli 2008
- IV ZB 5/08, ZIP 2008, 1747 Rn. 7). Der bloße, dem Empfänger zurechenbare
Rechtsschein, dieser unterhalte unter der Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume, genügt für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht (vgl. BGH,
Urteil vom 16. Juni 2011 - III ZR 342/09, NJW 2011, 2440 Rn. 13 m.w.N.).
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Die hiergegen durch die Beklagte unter dem Aspekt nicht erfüllter Aufklärungspflicht (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 86 VwGO) gerichteten Angriffe gehen fehl. Angesichts der anwaltlichen Versicherung musste sich der Anwaltsgerichtshof nicht deswegen zu weiteren Beweiserhebungen gedrängt sehen, weil
die Beklagte die Verlegung des Kanzleisitzes des Klägers "mit Nichtwissen"
bestritten hat. Schließlich bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger
den Zustellungsmangel gezielt herbeigeführt haben könnte (vgl. BGH, aaO
Rn. 15 m.w.N.).
7
2. Der Widerrufsbescheid vom 14. Dezember 2009 ist entgegen der Auffassung des Anwaltsgerichtshofs innerhalb der in § 25 Abs. 2 FAO bestimmten
Jahresfrist ergangen.
8
Die Vorschrift des § 25 Abs. 2 FAO ist den in § 48 Abs. 4 Satz 1, auch in
Verbindung mit § 49 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG enthaltenen Regelungen zur Rücknahme und zum Widerruf von Verwaltungsakten entlehnt. Hier wie
dort handelt es sich bei der Jahresfrist um eine Entscheidungsfrist; sie beginnt
erst zu laufen, wenn der Behörde sämtliche - auch für die Ermessenausübung relevanten Tatsachen bekannt sind, mithin Entscheidungsreife eingetreten ist
(vgl. BVerwGE 118, 174, 179; BVerwG, NVwZ 2002, 485 m.w.N.). Auch eine
notwendige Anhörung muss grundsätzlich bereits erfolgt sein (BVerwG, aaO;
BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - 7 B 80/04 m.w.N.; Sachs in
-5-
Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rn. 229; Gayer in Bader/
Ronellenfitsch, BeckOK-VwVfG, Stand 1. Oktober 2012, § 49 Rn. 68, 68.1).
9
Nach Maßgabe dieser Grundsätze war im August 2008 noch keine Entscheidungsreife eingetreten. Zwar hatte der Kläger in seinem Schreiben vom
6. August 2008 für das Jahr 2007 den (im weiteren Verlauf dann nicht vorgelegten) Nachweis einer nur vierstündigen Fortbildung angekündigt. Die Beklagte
konnte diesem Schreiben indessen allenfalls entnehmen, dass der Kläger im
Jahr 2007 säumig gewesen war, schon aber nicht, in welchem Umfang und aus
welchem Grund. Wie auch aus einem auf dem genannten Schreiben angebrachten Vermerk hervorgeht, sollte dem Kläger ferner Gelegenheit gegeben
werden, die im Jahr 2007 versäumte Fortbildung im Jahr 2008 nachzuholen. An
der Berechtigung der Beklagten, unter solchen Vorzeichen auf den Widerruf der
Erlaubnis (zunächst) zu verzichten, ist dabei nicht zu zweifeln (vgl. auch BGH,
Beschluss vom 2. April 2001 - AnwZ (B) 37/00, NJW 2001, 1945; Hartung in
Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 25 FAO Rn. 3). Ferner wurde die in § 25
Abs. 3 Satz 1 FAO vorgeschriebene Anhörung erst Mitte des Jahres 2009
durchgeführt, also weniger als ein Jahr vor dem Widerrufsbescheid vom 14. Dezember 2009.
10
3. Der Widerrufsbescheid ist auch in der Sache nicht zu beanstanden.
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a) Der Kläger hat, was er nicht in Abrede stellt, im Jahr 2007 seiner Fortbildungspflicht sowie deren Nachweis nach § 15 FAO nicht genügt. Damit lagen
die Voraussetzungen des § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO im Zeitpunkt des Widerrufs vor. Auf die durch den Anwaltsgerichtshof im Zusammenhang mit der
Rechtzeitigkeit des Widerspruchs aufgeworfene Frage, ob Fortbildungen zwischen den Jahren 2007 und 2008 "verrechnet" werden durften, kommt es schon
deswegen nicht an, weil der Kläger im Jahr 2008 lediglich zehn Stunden Fort-
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bildung nachgewiesen hat, und damit in diesem Zeitraum jedenfalls ein Fortbildungsdefizit von zehn Stunden besteht.
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b) Zu Unrecht rügt der Kläger, die Beklagte habe von dem ihr nach § 43c
Abs. 4 Satz 2 BRAO zustehenden Ermessen (hierzu eingehend BGH, aaO
Rn. 4 ff.) keinen Gebrauch gemacht. Dass sich die Beklagte des ihr zustehenden Ermessensspielraums bewusst war, ergibt sich bereits aus dem im Widerrufsbescheid erörterten Umstand wiederholter Fristsetzungen zur Nachholung
der Fortbildung. Soweit der Kläger beanstandet, die Beklagte habe etwaige
Hinderungsgründe (z.B. Krankheit, Terminprobleme, Ausfall von Veranstaltungen) nicht abgewogen, sind solche Hinderungsgründe seinem Vortrag nicht zu
entnehmen noch sonst ersichtlich und konnten mithin nicht in die Abwägung
eingestellt werden. Mit Rücksicht darauf, dass die Erwägungen, von denen sich
die Beklagte beim Widerruf hat leiten lassen, auch mit Blick auf frühere Versäumnisse des Klägers eindeutig erscheinen (vgl. BVerwG, NVwZ 1988, 525,
526; Eyermann/Rennert, VwGO, 13. Aufl., § 114 Rn. 18), bedarf keiner Entscheidung, ob bei Fehlen besonderer Gründe hinsichtlich des Gestattungswiderrufs gar eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen ist (so Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, aaO § 43c BRAO Rn. 39). Aus denselben
Gründen schadet es nicht, dass der Widerspruchsbescheid im Rahmen einer
Hilfserwägung nur knapp die Rechtmäßigkeit des Bescheids betont.
13
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52
Abs. 1 GKG. Die Bemessung eines Streitwerts von 12.500 € in Verfahren betreffend das Führen der Fachanwaltsbezeichnung entspricht der ständigen Pra-
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xis des Senats. Umstände, die im vorliegenden Fall ein Abweichen von dieser
Praxis anzeigen könnten, sind nicht ersichtlich.
Kayser
König
Wüllrich
Fetzer
Hauger
Vorinstanz:
AGH Frankfurt, Entscheidung vom 05.09.2011 - 2 AGH 14/10 -