|
BUNDESGERICHTSHOF
|
|
BESCHLUSS
|
|
XII ZB 86/13
|
|
vom
|
|
6. November 2013
|
|
in der Betreuungssache
|
|
Nachschlagewerk:
|
|
|
|
ja
|
|
|
|
BGHZ:
|
|
|
|
nein
|
|
|
|
BGHR:
|
|
|
|
ja
|
|
|
|
VBVG § 2 Satz 1; FamFG § 168 Abs. 1 Satz 4; JBeitrO § 8
|
|
a) Die materielle Ausschlussfrist des § 2 Satz 1 VBVG findet keine analoge Anwendung auf die Rückforderung überzahlter Betreuervergütung durch die Staatskasse.
|
|
b) Einer Rückforderung überzahlter Betreuervergütung kann der Vertrauensgrundsatz entgegenstehen, wenn eine Abwägung ergibt, dass dem Vertrauen des Berufsbetreuers auf die Beständigkeit der eingetretenen Vermögenslage gegenüber
|
|
dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung einer dem Gesetz entsprechenden Vermögenslage der Vorrang einzuräumen ist.
|
|
BGH, Beschluss vom 6. November 2013 - XII ZB 86/13 - LG Berlin
|
|
AG Tempelhof-Kreuzberg
|
|
|
|
-2-
|
|
|
|
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. November 2013 durch den
|
|
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. NeddenBoeger und Dr. Botur
|
|
beschlossen:
|
|
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluss
|
|
der 87. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 18. Januar 2013
|
|
aufgehoben.
|
|
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
|
|
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
|
|
Beschwerdewert: bis 900 €
|
|
|
|
Gründe:
|
|
1
|
|
|
|
Das Verfahren betrifft die gerichtliche Festsetzung der Betreuervergütung
|
|
nach §§ 292 Abs. 1, 168 Abs. 1 Satz 4 FamFG zum Zweck der Rückforderung
|
|
überzahlter Beträge.
|
|
|
|
I.
|
|
2
|
|
|
|
Die Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Betreuerin) wurde 2006 als Berufsbetreuerin der mittellosen Betroffenen bestellt. Während die Betreuerin im ersten
|
|
Betreuungsjahr (27. November 2006 bis 26. November 2007) für die Betreuungsführung Vergütungen aus der Landeskasse auf der Grundlage eines Stun-
|
|
|
|
-3-
|
|
|
|
densatzes von 27 € beantragt hatte, machte sie im zweiten, dritten und vierten
|
|
Betreuungsjahr (27. November 2007 bis 26. November 2010) einen Stundensatz von 33,50 € geltend. Den erhöhten Stundensatz begründete sie damit,
|
|
dass sie seit 2001 als Berufsbetreuerin arbeite, zahlreiche Betreuungen führe,
|
|
die dazu erforderlichen Kenntnisse im Selbststudium und durch praktische Anwendung gefestigt und darüber hinaus an verschiedenen Weiterbildungsveranstaltungen teilgenommen habe. Im Wege der Verwaltungsanweisung wurden
|
|
der Betreuerin jeweils antragsgemäß Vergütungen aus der Landeskasse bewilligt und für den Betreuungszeitraum vom 27. November 2007 bis 26. November
|
|
2010 im Dezember 2008, Januar 2010 und Januar 2011 in Höhe von insgesamt
|
|
4.130,55 € ausgezahlt.
|
|
3
|
|
|
|
Auf Anregung des Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Bezirksrevisor) hat
|
|
das Amtsgericht gemäß § 168 Abs. 1 Satz 1 FamFG die Vergütung für die Betreuerin für den Zeitraum vom 27. November 2007 bis 26. November 2010 auf
|
|
der Grundlage eines Stundensatzes von 27 € auf insgesamt 3.329,10 € festgesetzt. Zugleich hat es die Erstattung der während dieses Zeitraums zu viel ausgezahlten Vergütung in Höhe von 801,45 € an die Landeskasse angeordnet.
|
|
Weiter hat es angekündigt, dass der überzahlte Betrag mit dem nächsten Vergütungsantrag der Betreuerin verrechnet werde, sofern keine Erstattung erfolge.
|
|
|
|
4
|
|
|
|
Die Beschwerde der Betreuerin hat das Landgericht mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Aufforderung zur Erstattung der zu viel ausgezahlten
|
|
Vergütung in Höhe von 801,45 € an die Landeskasse entfalle. In der Sache habe das Amtsgericht allerdings zutreffend angenommen, dass der Betreuerin für
|
|
die berufsmäßige Betreuung nur eine Vergütung nach einem Stundesatz in Höhe von 27 € zustehe.
|
|
|
|
-4-
|
|
|
|
5
|
|
|
|
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Betreuerin die
|
|
Festsetzung ihrer Betreuervergütung auf der Grundlage eines Stundensatzes
|
|
von 33,50 €.
|
|
|
|
II.
|
|
6
|
|
|
|
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
|
|
|
|
7
|
|
|
|
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Betreuerin
|
|
durch die gerichtliche Festsetzung der Betreuervergütung beschwert, weil diese
|
|
eine Beitreibung des überzahlten Betrags im Wege des Justizbeitreibungsverfahrens nach § 1 Abs. 1 Nr. 8 JBeitrO vorbereitet (vgl. OLG Köln FGPrax 2006,
|
|
116; LG Braunschweig Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 8 T 955/07 - juris
|
|
Rn. 17).
|
|
|
|
8
|
|
|
|
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
|
|
|
|
9
|
|
|
|
a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
|
|
|
|
10
|
|
|
|
Das Amtsgericht sei in dem auf Anregung des Bezirksrevisors eingeleiteten gerichtlichen Festsetzungsverfahren nach § 292 Abs. 1 FamFG iVm § 168
|
|
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FamFG nicht an die zuvor erfolgten Anweisungen der Vergütungen im Verwaltungsverfahren gebunden gewesen. Zutreffend sei das
|
|
Amtsgericht auch davon ausgegangen, dass eine erstmalige förmliche Festsetzung der Betreuervergütung für die Zeit vom 27. November 2007 bis zum
|
|
26. November 2010 noch habe ergehen können. Zwar werde von Teilen der
|
|
Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass die Frist des § 2 VBVG auf die
|
|
|
|
-5-
|
|
|
|
Rückforderung überzahlter Betreuervergütung entsprechend anwendbar sei.
|
|
Danach wäre eine Rückforderung der Vergütungen für die bis zum 27. Februar
|
|
2010 erbrachten Betreuerleistungen angesichts des erst am 22. Juni 2011 bei
|
|
Gericht eingegangenen Antrags des Bezirksrevisors ausgeschlossen gewesen.
|
|
Dieser Ansicht sei nicht zu folgen. Zweck der Ausschlussfrist des § 2 VBVG sei
|
|
es zu verhindern, dass ein Betreuer durch säumige Abrechnung erhebliche Ansprüche anhäufe, so dass er nach § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG die Staatskasse in
|
|
Anspruch nehmen könne, wenn der Betreute jedenfalls zur vollständigen Begleichung der Betreuervergütung nicht in der Lage sei und deshalb als mittellos
|
|
gelte. Schon diese Zielrichtung der Vorschrift verbiete es, einen Rückforderungsanspruch der Staatskasse wegen überzahlter Vergütung der Ausschlussfrist des § 2 VBVG zu unterstellen. Der Rückforderungsanspruch unterliege lediglich der dreijährigen Verjährungsfrist des § 2 Abs. 4 JVEG, die aber im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Bezirksrevisor noch nicht abgelaufen gewesen sei.
|
|
11
|
|
|
|
b) Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten der rechtlichen
|
|
Nachprüfung stand.
|
|
|
|
12
|
|
|
|
aa) Allerdings ist es nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht
|
|
keinen erhöhten Stundensatz für die Tätigkeit der Betreuerin festgesetzt hat.
|
|
Die tatrichterliche Würdigung des Beschwerdegerichts, nach der die Betreuerin
|
|
nicht über besondere für die Betreuung nutzbare Kenntnisse verfügt, die sie
|
|
durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule, eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben hat,
|
|
hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Das Beschwerdegericht hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats zur Höhe des dem Berufsbetreuer gemäß § 4 VBVG zu vergütenden Stundensatzes (Senatsbeschlüsse
|
|
vom 18. Januar 2012 - XII ZB 409/10 - FamRZ 2012, 629 Rn. 11; vom 4. April
|
|
|
|
-6-
|
|
|
|
2012 - XII ZB 447/11 - NJW-RR 2012, 774 Rn. 16 ff. und vom 22. August 2012
|
|
- XII ZB 319/11 - NJW-RR 2012, 1475 Rn. 16 ff.) in nicht zu beanstandender
|
|
Weise entschieden, dass das von der Betreuerin abgeschlossene Hochschulstudium im Studiengang Chemie keine besonderen, für die Führung der Betreuung nutzbaren Kenntnisse vermittelt und die von ihr absolvierten Fort- und
|
|
Weiterbildungsmaßnahmen ohne staatlich reglementierten Abschluss einer abgeschlossenen Lehre nicht vergleichbar sind (Senatsbeschlüsse vom 18. Januar 2012 - XII ZB 461/10 - FamRB 2012, 119 Rn. 11 f. und vom 26. Oktober
|
|
2011 - XII ZB 312/11 - FamRZ 2012, 113 Rn. 14 ff.).
|
|
13
|
|
|
|
bb) Ebenso hat das Beschwerdegericht zutreffend eine analoge Anwendung des § 2 VBVG auf die amtswegige gerichtliche Festsetzung nach § 168
|
|
Abs. 1 Satz 1 FamFG mit dem Ziel der Rückforderung überzahlter Betreuervergütung abgelehnt.
|
|
|
|
14
|
|
|
|
Gemäß § 292 Abs. 1 FamFG iVm § 168 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FamFG setzt
|
|
das Amtsgericht auf Antrag des Betreuers oder des Betreuten oder von Amts
|
|
wegen in einem gerichtlichen Festsetzungsverfahren die dem Betreuer zu bewilligende Vergütung fest. Schließt sich das gerichtliche Festsetzungsverfahren
|
|
- wie hier - an eine Festsetzung und Auszahlung der Betreuervergütung im vereinfachten Justizverwaltungsverfahren nach § 292 Abs. 1 FamFG iVm § 168
|
|
Abs. 1 Satz 4 FamFG durch den Kostenbeamten des Gerichts an, ist das Gericht nicht an die vorherige Festsetzung gebunden; es kann diese über- oder
|
|
unterschreiten. Mit der gerichtlichen Entscheidung wird die Anweisung des Kostenbeamten des Gerichts wirkungslos (OLG Köln FGPrax 2006, 116; Keidel/
|
|
Engelhardt FamFG 17. Aufl. § 168 Rn. 5; Deinert/Lütgens Die Vergütung des
|
|
Betreuers 6. Aufl. Rn. 1495; Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 4. Aufl. § 168
|
|
Rn. 5; Zöller/Lorenz ZPO 29. Aufl. § 168 FamFG Rn. 3; Jurgeleit/Maier Betreu-
|
|
|
|
-7-
|
|
|
|
ungsrecht 2. Aufl. § 168 FamFG Rn. 9; vgl. auch Senatsbeschluss vom
|
|
27. Februar 2013 - XII ZB 492/12 - FamRZ 2013, 781 Rn. 7 mwN).
|
|
15
|
|
|
|
Ist die Tätigkeit des Betreuers gemäß § 4 VBVG entsprechend seiner
|
|
Ausbildung tatsächlich mit einem geringeren als dem bei der Anweisung im
|
|
vereinfachten Justizverwaltungsverfahren zugrunde gelegten Stundensatz zu
|
|
vergüten, kann die Staatskasse den überzahlten Betrag grundsätzlich zurückfordern. Ihr steht insoweit ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu
|
|
(OLG Köln FGPrax 2006, 116; LG Braunschweig Beschluss vom 20. Dezember
|
|
2007 - 8 T 955/07 - juris Rn. 13; vgl. zur Rückforderung zu viel gezahlter Sachverständigenvergütung Bach/Meyer/Höver JVEG 25. Aufl. § 2 JVEG Rn. 2.10),
|
|
welcher im Wege des Justizbeitreibungsverfahrens nach § 1 Abs. 1 Nr. 8,
|
|
Abs. 2 JBeitrO nach vorheriger Festsetzung im gerichtlichen Festsetzungsverfahren beizutreiben ist.
|
|
|
|
16
|
|
|
|
In der Rechtsprechung und Literatur ist streitig, ob die Rückforderung der
|
|
im vereinfachten Justizverwaltungsverfahren zu viel gezahlten Betreuervergütung einer zeitlichen Begrenzung durch § 2 VBVG unterliegt. Gemäß § 2 Satz 1
|
|
VBVG erlischt der Vergütungsanspruch des Betreuers, wenn er nicht binnen
|
|
15 Monaten nach seiner Entstehung beim Familiengericht geltend gemacht
|
|
wird.
|
|
|
|
17
|
|
|
|
(1) Von Teilen der Rechtsprechung und Literatur wird vertreten, dass im
|
|
umgekehrten Fall der Rückforderung überzahlter Betreuervergütung entsprechend § 2 VBVG ebenfalls eine Frist von 15 Monaten ab dem Schluss der jeweiligen Abrechnungsperiode des § 9 VBVG gilt (LG Braunschweig Beschluss
|
|
vom 20. Dezember 2007 - 8 T 995/07 - juris Rn. 19; LG Münster FamRZ 2011,
|
|
1689; LG Dessau-Roßlau BtPrax 2012, 173; Knittel Betreuungsgesetz [Stand:
|
|
1. September 2011] § 2 VBVG Rn. 30). Eine nachträgliche Festsetzung der Be-
|
|
|
|
-8-
|
|
|
|
treuervergütung im gerichtlichen Verfahren nach § 168 Abs. 1 Satz 1 FamFG
|
|
mehr als 15 Monate nach der Entstehung des Anspruchs wäre nach dieser Ansicht ausgeschlossen.
|
|
18
|
|
|
|
(2) Nach anderer Ansicht unterliegt die Rückerstattung jedenfalls nicht
|
|
der Ausschlussfrist des § 2 VBVG (LG Detmold NJW-RR 2012, 390, 391;
|
|
Jürgens Betreuungsrecht 4. Aufl. 2010 § 2 VBVG Rn. 3; jurisPK-BGB/
|
|
Jaschinski 6. Aufl. § 2 VBVG Rn. 20; Palandt/Götz 72. Aufl. § 2 VBVG Rn. 1),
|
|
so dass eine gerichtliche Festsetzung nach § 168 Abs. 1 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch nach Ablauf von 15 Monaten nach der Entstehung des Anspruchs
|
|
möglich wäre.
|
|
|
|
19
|
|
|
|
(3) Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen. § 2 VBVG richtet sich nach
|
|
seiner Stellung im Gesetz ausschließlich an den Vormund bzw. Betreuer. Für
|
|
den Fall der Rückforderung zu viel gezahlter Betreuervergütung findet sich hingegen keine ausdrückliche Regelung.
|
|
|
|
20
|
|
|
|
Einer analogen Anwendung des § 2 VBVG steht jedenfalls entgegen,
|
|
dass eine vergleichbare Interessenlage nicht gegeben ist. Sinn und Zweck der
|
|
mit § 2 VBVG geregelten fünfzehnmonatigen Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Vergütungsanspruchs ab dessen Entstehung ist es, den Betreuer
|
|
zur zügigen Geltendmachung seiner Ansprüche anzuhalten. Damit soll verhindert werden, dass Ansprüche in einer Höhe auflaufen, die die Leistungsfähigkeit
|
|
des Betreuten überfordert, dessen Mittellosigkeit begründet und damit eine Einstandspflicht der Staatskasse auslöst, die bei rechtzeitiger Inanspruchnahme
|
|
des Betreuten nicht begründet gewesen wäre. Die Inanspruchnahme der
|
|
Staatskasse soll in allen Fällen vermieden werden, in denen die Vergütungsansprüche bei fristgerechter Geltendmachung aus dem einzusetzenden Einkommen und Vermögen des Betroffenen befriedigt werden können. Die Obliegen-
|
|
|
|
-9-
|
|
|
|
heit zur fristgerechten Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs dient
|
|
wesentlich dem Interesse der Staatskasse; sie kann nach ihrem Sinn und
|
|
Zweck nicht die Staatskasse selbst treffen (BT-Drucks. 13/7158 S. 27 und
|
|
S. 22 f. zur Vorgängervorschrift § 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB).
|
|
21
|
|
|
|
Soweit die Rechtsbeschwerde demgegenüber einwendet, auch die
|
|
Staatskasse sei zur zügigen Geltendmachung ihrer Rückforderungsansprüche
|
|
anzuhalten, um der Gefahr zu begegnen, dass ein Rückforderungsanspruch ins
|
|
Leere gehe, wenn der Betreuer seinerseits zwischenzeitlich mittellos werde, ist
|
|
dem nicht zu folgen. Sonst würde nach Ablauf der materiellen Ausschlussfrist
|
|
des § 2 VBVG auch ein noch realisierbarer Rückforderungsanspruch erlöschen
|
|
und damit ein Rechtsverlust der Staatskasse eintreten, der dem Sinn und
|
|
Zweck der Vorschrift erkennbar zuwiderläuft.
|
|
|
|
22
|
|
|
|
cc) Allerdings hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft nicht erwogen,
|
|
ob eine nachträgliche Herabsetzung der Betreuervergütung im gerichtlichen
|
|
Festsetzungsverfahren zum Zweck der Rückforderung überzahlter Betreuervergütung nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ausgeschlossen sein könnte.
|
|
|
|
23
|
|
|
|
Zwar ist die Staatskasse dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verpflichtet, so dass ihr Interesse darauf gerichtet sein muss, eine ohne
|
|
Rechtsgrund eingetretene Vermögensverschiebung zu beseitigen und den
|
|
rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen. Nachdem das Gericht in dem Festsetzungsverfahren nach § 168 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht an die vorangegangene Anweisung der Betreuervergütung im Wege des vereinfachten Justizverwaltungsverfahrens gebunden ist, kann die zu viel gezahlte Betreuervergütung
|
|
grundsätzlich zurückgefordert werden.
|
|
|
|
- 10 -
|
|
|
|
24
|
|
|
|
Allerdings kann einer (Neu-)Festsetzung der Betreuervergütung, welche
|
|
eine Rückforderung überzahlter Beträge zur Folge hätte, im Einzelfall der Vertrauensgrundsatz entgegenstehen, wenn das Vertrauen des Betreuers auf die
|
|
Beständigkeit einer ihm in der Vergangenheit rechtswidrig gewährten Vergütung
|
|
schutzwürdig ist. Der Vertrauensschutz ist bereits bei der Festsetzung der Betreuervergütung im gerichtlichen Verfahren nach § 168 Abs. 1 Satz 1 FamFG zu
|
|
prüfen, denn mit der gerichtlichen Festsetzung der Vergütung wird im Falle bereits zuviel erhaltener Leistungen zugleich der Rechtsgrund für deren Rückforderung geschaffen. Das nachfolgende Verfahren der Justizbeitreibungsordnung
|
|
lässt keinen Raum für Einwendungen der vorbezeichneten Art, denn es dient
|
|
lediglich dem Vollzug der Rückforderung. Dies folgt aus § 8 Abs. 1 Satz 1
|
|
JBeitrO, wonach im Fall des § 1 Abs. 1 Nr. 8 JBeitrO (Ansprüche gegen Betreuer auf Erstattung von zuviel gezahlten Beträgen; vgl. insoweit BR-Drucks.
|
|
960/96 S. 41) solche Einwendungen, die den beizutreibenden Anspruch selbst
|
|
betreffen, nach den Vorschriften über die Feststellung des Anspruchs gerichtlich geltend zu machen sind. Dabei ist der Begriff der Einwendung i.S.d. § 8
|
|
JBeitrO weit zu verstehen; er umfasst sämtliche Einwendungen gegen den zu
|
|
vollstreckenden Anspruch (vgl. LG Braunschweig Beschluss vom 20. Dezember
|
|
2007 - 8 T 955/07 - juris Rn. 18 unter Hinweis auf BFH Beschluss vom 25. Februar 2003 - VII K 1/03 - juris Rn. 3). Denn der Streit über die Frage, ob eine
|
|
Leistungs- oder Duldungspflicht besteht, ist nicht im Vollstreckungsverfahren
|
|
auszutragen (vgl. BT-Drucks. 2/2545 S. 211; App MDR 1996, 769, 770). Das
|
|
gilt auch für Rückforderungsansprüche gegen Betreuer auf Erstattung zuviel
|
|
gezahlten Leistungen der Staatskasse. Zwar sind Vormünder, Betreuer, Pfleger
|
|
und Verfahrenspfleger in § 8 Abs. 1 Satz 1 JBeitrO nicht ausdrücklich erwähnt.
|
|
Hierbei handelt es sich jedoch um ein offensichtliches Redaktionsversehen des
|
|
Gesetzgebers, der die Rückforderung zuviel gezahlter Leistungen in diesen Fällen wie bei den übrigen in § 1 Abs. 1 Nr. 8 JBeitrO aufgeführten Personengrup-
|
|
|
|
- 11 -
|
|
|
|
pen regeln wollte (vgl. BR-Drucks. 960/96 S. 41) und bei der Änderung des § 1
|
|
Abs. 1 Nr. 8 JBeitrO übersah, auch den korrespondierenden Wortlaut des § 8
|
|
Abs. 1 Satz 1 JBeitrO entsprechend anzupassen. Nach der Systematik des § 8
|
|
JBeitrO sollen besondere Rechtsbehelfe außerhalb des den Rechtsgrund für
|
|
die Beitreibung schaffenden Festsetzungsverfahrens nämlich nur dort eröffnet
|
|
sein, wo der Prüfungsumfang des Festsetzungsverfahrens besonderen inhaltlichen Beschränkungen unterliegt, insbesondere im Bereich der Kostenfestsetzung, wo nur Einwendungen erhoben werden können, die dem Kostenrecht
|
|
entnommen sind (vgl. BT-Drucks. 2/2545 S. 211).
|
|
25
|
|
|
|
Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch auf Rückforderung überzahlter Betreuervergütung kann entfallen, wenn eine Abwägung im Einzelfall
|
|
ergibt, dass dem Vertrauen des Berufsbetreuers auf die Beständigkeit der eingetretenen Vermögenslage gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung einer dem Gesetz entsprechenden Vermögenslage der Vorrang
|
|
einzuräumen ist (OLG Köln FGPrax 2006, 116 unter Berufung auf BVerwG
|
|
NJW 1985, 2436, 2437; LG Braunschweig Beschluss vom 20. Dezember 2007
|
|
- 8 T 955/07 - juris Rn. 21; LG Detmold Beschluss vom 12. Mai 2010
|
|
- 3 T 8/10 - juris Rn. 3; Keidel/Engelhardt FamFG 17. Aufl. § 168 Rn. 5;
|
|
Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 4. Aufl. § 168 Rn. 5; Zöller/Lorenz ZPO 30. Aufl.
|
|
§ 168 FamFG Rn. 3; vgl. auch zur Rückforderung zu viel gezahlter Sachverständigenvergütung OLG Karlsruhe Justiz 1991, 208). In diesem Fall wäre
|
|
schon eine abweichende Festsetzung im gerichtlichen Festsetzungsverfahren
|
|
ausgeschlossen.
|
|
|
|
26
|
|
|
|
Die Betreuerin hat sich im Festsetzungsverfahren nach §§ 292 Abs. 1,
|
|
168 Abs. 1 FamFG darauf berufen, dass sie sich auf die Beständigkeit der Auszahlung ihrer im Verwaltungsverfahren erfolgten Vergütung verlassen habe.
|
|
Auch entstehe ihr ein finanzieller Schaden, weil sie auf der Grundlage der Ein-
|
|
|
|
- 12 -
|
|
|
|
künfte Einkommen- und Gewerbesteuer entrichtet sowie Krankenkassenbeiträge abgeführt habe. Dies stelle eine unbillige Härte dar. Das Beschwerdegericht
|
|
hätte daher prüfen müssen, ob dieses Vorbringen einen die Rückforderung
|
|
ganz oder teilweise ausschließenden Vertrauenstatbestand begründet.
|
|
27
|
|
|
|
3. Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht abschließend in der
|
|
Sache entscheiden, weil der von der Betreuerin geltend gemachte Vertrauenstatbestand einer tatrichterlichen Beurteilung bedarf, die der Senat nicht ersetzen
|
|
kann.
|
|
|
|
28
|
|
|
|
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
|
|
|
|
29
|
|
|
|
Bei der Beurteilung, ob im Rahmen der Herabsetzung der Betreuervergütung das Vertrauen der Betreuerin in die Beständigkeit der eingetretenen Vermögenslage schützenswert ist, wird einerseits zu berücksichtigen sein, dass die
|
|
schlichte Anweisung der Vergütung im Justizverwaltungsverfahren wirkungslos
|
|
wird, wenn in einem Verfahren auf Festsetzung der Vergütung nach § 168
|
|
Abs. 1 FamFG eine Entscheidung ergeht. In dem förmlichen Festsetzungsverfahren ist das Gericht nicht an die vorherige formlose Verwaltungsanordnung
|
|
(§ 168 Abs. 2 Satz 4 FamFG) gebunden; es kann diese überschreiten oder
|
|
- wie vorliegend - unterschreiten (Senatsbeschluss vom 8. Februar 2012
|
|
- XII ZB 230/11 - juris Rn. 14 f.; vgl. auch OLG Köln FGPrax 2006, 116). Damit
|
|
muss ein Betreuer, der die förmliche Festsetzung seiner Vergütung auch selbst
|
|
zunächst nicht beantragt hatte, grundsätzlich rechnen.
|
|
|
|
30
|
|
|
|
Andererseits ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Berufsbetreuer
|
|
seinen Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus den Einnahmen der Betreuervergütung bestreitet und die formlos festgesetzten und ausgezahlten Beträge
|
|
im Zeitpunkt der späteren förmlichen Festsetzung regelmäßig bereits ver-
|
|
|
|
- 13 -
|
|
|
|
braucht sind. Daher kann eine Zumutbarkeitsschwelle überschritten sein, wenn
|
|
bereits ausgezahlte Vergütungen für einen übermäßig langen Zeitraum rückgefordert werden.
|
|
31
|
|
|
|
Das Kostenrecht hat den Vertrauensschutzgesichtspunkt aufgegriffen,
|
|
indem es für einen Fall mit vergleichbarer Interessenlage, nämlich der Nachforderung ursprünglich zu niedrig festgesetzter Kosten, in § 20 Abs. 1 GNotKG
|
|
(früher: § 20 Abs. 1 GKG) eine Regelung getroffen hat, wonach diese nur nachgefordert werden dürfen, wenn der berichtigte Ansatz dem Zahlungspflichtigen
|
|
vor Ablauf des nächsten Kalenderjahres nach Absendung der den Rechtszug
|
|
abschließenden Kostenrechnung (Schlusskostenrechnung) mitgeteilt worden
|
|
ist; dies gilt nur dann nicht, wenn die Nachforderung auf vorsätzlich oder grob
|
|
fahrlässig falschen Angaben des Kostenschuldners beruht oder wenn der ursprüngliche Kostenansatz unter einem bestimmten Vorbehalt erfolgt ist. Hierdurch wird dem Bezirksrevisor auferlegt, die kostenrechtlichen Interessen der
|
|
Staatskasse binnen der genannten Fristen zur Geltung zu bringen, andernfalls
|
|
das gutgläubige Vertrauen in die verwaltungsmäßig getroffene Regelung Vorrang genießt.
|
|
|
|
32
|
|
|
|
Zwar ist die in § 20 Abs. 1 GNotKG bestimmte Ausschlussfrist auf den
|
|
vorliegenden Fall nicht unmittelbar anzuwenden, da es sich hier nicht um eine
|
|
Kostennachforderung, sondern um die Rückerstattung überzahlter Beträge
|
|
handelt. Die in der Vorschrift zum Ausdruck gekommene Wertung, dass das
|
|
Kosteninteresse der Staatskasse zurücktreten kann, wenn es von der zuständigen Stelle nicht innerhalb angemessener Frist verfolgt wird und sich das Gegenüber auf die getroffene Regelung gutgläubig eingerichtet hat, kann jedoch
|
|
auch bei der Beurteilung des schutzwürdigen Vertrauens des Betreuers in die
|
|
Beständigkeit seiner Vermögenslage berücksichtigt werden (vgl. bereits OLG
|
|
Stuttgart BtPrax 2011, 134). Für eine entsprechende zeitliche Begrenzung der
|
|
|
|
- 14 -
|
|
|
|
Rückforderungsmöglichkeit spricht auch, dass das vereinfachte Verfahren der
|
|
Festsetzung der Betreuervergütung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gezielt erhalten blieb, um gerichtliche Entscheidungen entbehrlich zu machen und damit erheblichen Verwaltungsaufwand bei den Gerichten einzusparen (BT-Drucks. 13/10709 S. 2). Es würde indessen der Stellung eines berufsmäßigen Betreuers nicht gerecht und entspricht auch nicht der erkennbaren
|
|
Intention des Gesetzgebers, diese gerichtliche Aufwandsersparnis mit einer auf
|
|
Jahre rückwirkenden erheblichen Rechtsunsicherheit der Betreuer in die Beständigkeit ihrer Vermögenslage zu erkaufen.
|
|
|
|
Dose
|
|
|
|
Schilling
|
|
Nedden-Boeger
|
|
|
|
Günter
|
|
Botur
|
|
|
|
Vorinstanzen:
|
|
AG Tempelhof-Kreuzberg, Entscheidung vom 04.07.2011 - 53 XVII G 1465 LG Berlin, Entscheidung vom 18.01.2013 - 87 T 221/11 -
|
|
|
|
|