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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 30/15
vom
15. Juli 2015
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 63, 162; SGB VIII § 85; AG KJHG BE § 33
Zur Bestimmung des zur Mitwirkung in einem die Personensorge betreffenden
Verfahren sachlich zuständigen Jugendamts in Berlin (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 20. November 2013 - XII ZB 569/12 - FamRZ 2014, 375).
BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 - XII ZB 30/15 - Kammergericht Berlin
AG Tempelhof-Kreuzberg
-2-
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Juli 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter,
Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 wird der
Beschluss des 15. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des
Kammergerichts in Berlin vom 28. November 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Kammergericht zurückverwiesen.
Wert: 3.000 €
Gründe:
I.
1
Der Betroffene reiste am 12. Dezember 2013 als minderjähriger Flüchtling aus Guinea unbegleitet nach Deutschland ein. Er meldete sich in der Erstaufnahme- und Clearingstelle Berlin Steglitz-Zehlendorf und wurde dort in Obhut genommen. Die Beteiligte zu 2, die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend
und Wissenschaft des Landes Berlin (im Folgenden: Senatsverwaltung), hat die
Anordnung einer Vormundschaft und Bestellung eines Vormunds angeregt. Das
Amtsgericht hat Vormundschaft angeordnet. Der Beschluss ist der Senatsverwaltung am 18. Februar 2014 zugestellt worden.
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2
Der Beteiligte zu 1, das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf (im Folgenden:
Bezirksamt), ist durch das Amtsgericht weder vom Verfahren benachrichtigt
noch ist ihm der Beschluss zugestellt worden. Es hat gegen den amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde eingelegt, die am 30. Mai 2014 beim Amtsgericht
eingegangen ist. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde als unzulässig
verworfen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Bezirksamts, das während des Beschwerdeverfahrens zum Vormund des Betroffenen bestellt worden ist.
II.
3
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht, an die der Senat gebunden ist, nach § 70 Abs. 1 FamFG
statthaft und auch sonst zulässig.
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Das Bezirksamt ist als Behörde im Rechtsbeschwerdeverfahren beschwerdeberechtigt. Unabhängig von der im vorliegenden Verfahren zu klärenden Frage, welche Behörde für die Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren zuständig ist, ist für die Rechtsbeschwerdeinstanz zu unterstellen, dass das Bezirksamt als zuständige Behörde nach §§ 59 Abs. 3, 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG
beschwerdeberechtigt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2013
- XII ZB 569/12 - FamRZ 2014, 375 Rn. 8 mwN).
6
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet.
7
a) Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Beschwerde nicht
mehr innerhalb der Monatsfrist gemäß § 63 Abs. 1 FamFG eingegangen. Die
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Rechtsmittelfrist sei bereits durch die am 18. Februar 2014 bewirkte Zustellung
an die Senatsverwaltung in Gang gesetzt worden, so dass die Beschwerde bis
spätestens am 18. März 2014 beim Amtsgericht habe eingehen müssen. Da die
Beschwerde erst am 30. Mai 2014 eingegangen sei, sei das Rechtsmittel verfristet.
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Soweit das Bezirksamt nicht Verfahrensbeteiligter im formellen Sinn sei,
sondern das Gesetz in § 162 Abs. 3 Satz 1 FamFG lediglich eine Benachrichtigungspflicht gegenüber dem Jugendamt festschreibe, unterfalle auch diese
Form der Einbeziehung dem Begriff der Beteiligung nach § 63 Abs. 3
Satz 1 FamFG mit der Folge, dass die gemäß § 162 Abs. 3 Satz 1 FamFG erfolgte Bekanntmachung der Entscheidung den Lauf der Beschwerdefrist auslöse.
9
Zwar müsse die Bekanntmachung an das sachlich und örtlich zuständige
Jugendamt erfolgen. Dies sei aber hier nicht das Bezirksamt, sondern die Senatsverwaltung gewesen. Die Zuständigkeit der Senatsverwaltung ergebe sich
aus Nummer 2 Abs. 1 der Ausführungsvorschriften über die Gewährung von
Jugendhilfe für alleinstehende minderjährige Ausländer vom 21. Mai 2013 (AVJAMA). Zumindest seit der Föderalismusreform richte sich die Zuständigkeitsbestimmung im Bundesland Berlin nicht mehr unmittelbar nach den vormals
bundesweit verbindlichen Vorschriften der §§ 85 ff. SGB VIII. Denn nach der
neu gefassten Regelung des Art. 84 Abs. 1 GG sei den Ländern, soweit sie
Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführten, das Recht zugestanden worden, von bundesrechtlichen Vorgaben zur Behördeneinrichtung und
zum Verwaltungsaufbau abzuweichen. Das beinhalte auch die Bestimmung der
örtlichen, sachlichen und funktionellen Zuständigkeit. Von dieser Option habe
der Berliner Landesgesetzgeber in Gestalt der Regelung des § 33 des Berliner
Ausführungsgesetzes zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (AG KJHG Berlin)
-5-
Gebrauch gemacht. Hiernach komme den genannten Ausführungsvorschriften
(AV-JAMA) Vorrang vor den Zuständigkeitsregelungen im Achten Buch Sozialgesetzbuch zu. § 33 Abs. 2 Satz 2 AG KJHG Berlin enthalte keine Vorgabe,
Zuständigkeitsvorschriften zwingend durch Rechtsverordnung zu erlassen. § 33
Abs. 2 Satz 1 AG KJHG Berlin erkläre Verwaltungsvorschriften ausdrücklich für
vorrangig, was durch den nachfolgenden Satz 2 nicht aufgehoben sei.
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Während der zum Zeitpunkt der Zustellung noch nicht abgeschlossenen
Clearingphase verbleibe es somit nach Nummer 2 Abs. 1 AV-JAMA bei der Zuständigkeit der Senatsverwaltung. Darin verwirkliche sich im Übrigen das in
Art. 1 Abs. 1 der Berliner Verfassung (VvB) niedergelegte staatsorganisationsrechtliche Prinzip der Einheitsgemeinde.
11
b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
12
aa) Noch zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen,
dass die Beschwerdefrist gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG nur durch die Zustellung an das zur Mitwirkung nach § 162 FamFG berufene sachlich und örtlich
zuständige
Jugendamt
zu
laufen
beginnt
(vgl.
Senatsbeschluss
vom
20. November 2013 - XII ZB 569/12 - FamRZ 2014, 375 Rn. 12 mwN).
13
bb) Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht indessen die Senatsverwaltung als zuständiges Jugendamt im Sinn von § 162 Abs. 1 Satz 1 FamFG angesehen. Der Senatsverwaltung fehlte die sachliche Zuständigkeit für die Mitwirkung am familiengerichtlichen Verfahren. Sachlich zuständig war vielmehr
das Jugendamt (Bezirksamt) als die Aufgaben der örtlichen Träger der Jugendhilfe wahrnehmende Behörde. Zu der weiteren Frage, ob das im vorliegenden
Fall beschwerdeführende Bezirksamt örtlich zuständig war und ist, fehlt es an
hinreichenden Feststellungen des Beschwerdegerichts. Dessen örtliche Zuständigkeit ist daher im Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellen.
-6-
14
Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII unterstützt das Jugendamt das Familiengericht bei allen Maßnahmen, die die Sorge für die Person von Kindern und
Jugendlichen betreffen. Dazu gehört gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII
die Mitwirkung in Kindschaftssachen nach § 162 FamFG. Nach § 85 Abs. 1
SGB VIII ist für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch VIII der örtliche Träger sachlich zuständig,
soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Örtlicher und
überörtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Sinne des § 69 Abs. 1 SGB
VIII ist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 des Berliner Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (AG KJHG Berlin) - entsprechend dem landesverfassungsrechtlichen Grundsatz der Einheitsgemeinde (vgl. BVerwG NVwZ
2013, 662 Rn. 11 ff.) - das Land Berlin. Nach § 33 Abs. 1 Satz 2 AG KJHG
Berlin nehmen die Jugendämter der Bezirke die Aufgaben des örtlichen Trägers
nach § 85 Abs. 1 SGB VIII wahr und die für Jugend und Familie zuständige Senatsverwaltung (Landesjugendamt) die Aufgaben des überörtlichen Trägers
nach § 85 Abs. 2 SGB VIII (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2013
- XII ZB 569/12 - FamRZ 2014, 375 Rn. 13). Demnach ist hier das Bezirksamt
als Jugendamt nach §§ 85 SGB VIII, 33 Abs. 1 AG KJHG Berlin sachlich zuständig.
15
Eine davon abweichende Regelung durch Verwaltungsvorschriften entbehrt entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts bereits der landesgesetzlichen Grundlage. Das Beschwerdegericht stellt insoweit auf § 33 Abs. 2 AG
KJHG Berlin als Grundlage der AV-JAMA ab. Dabei hat es verkannt, dass nach
§ 33 AG KJHG Berlin eine Regelung durch Verwaltungsvorschriften nur hinsichtlich der örtlichen (§ 33 Abs. 2 AG KJHG Berlin), nicht aber der sachlichen
Zuständigkeit (§ 33 Abs. 1 AG KJHG Berlin) vorgesehen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2013 - XII ZB 569/12 - FamRZ 2014, 375 Rn. 14).
Der genaue Regelungsinhalt der vom Beschwerdegericht angeführten Rege-
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lung in Nr. 2 Abs. 1 AV-JAMA, der indessen jedenfalls nicht weiter reichen dürfte als die ausdrücklich (nur) auf § 33 Abs. 2 AG KJHG Berlin Bezug nehmenden
Verwaltungsvorschriften, kann demnach offenbleiben. Die Auffassung des Beschwerdegerichts, die Senatsverwaltung ziehe die Aufgaben des örtlichen Trägers der Kinder- und Jugendhilfe während der Clearingphase an sich, findet
jedenfalls in den Vorschriften der AV-JAMA nicht die erforderliche gesetzliche
Grundlage.
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Mangels einer landesrechtlichen Zuweisung der sachlichen Zuständigkeit
an die Senatsverwaltung stellt sich mithin auch die vom Beschwerdegericht behandelte Frage des Verhältnisses von Bundes- und Landesrecht nicht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 - XII ZR 89/10 - FamRZ 2012, 1489 Rn.
27; zu den Auswirkungen der Föderalismusreform durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 - BGBl. I S. 2034 - Wiesner SGB
VIII 4. Aufl. § 69 Rn. 5 ff.).
17
cc) Die Beschwerdefrist ist demnach durch die Zustellung an die Senatsverwaltung nicht in Gang gesetzt worden.
18
Der angefochtene Beschluss erweist sich auch nicht deswegen als richtig, weil das beschwerdeführende Bezirksamt etwa örtlich unzuständig wäre.
Die Senatsverwaltung hat allerdings im Rechtsbeschwerdeverfahren darauf
verwiesen, dass sie durch Schreiben vom 16. Dezember 2013 das Bezirksamt
Spandau als örtlich zuständiges Jugendamt bestimmt habe, was auch die örtliche Zuständigkeit für die Mitwirkung am familiengerichtlichen Verfahren hätte
begründen können (Nr. 3 Abs. 4 AV-JAMA). Aus dem genannten Schreiben
geht indessen nicht hervor, dass die Zuständigkeit des Bezirksamts Spandau
auch mit sofortiger Wirkung begründet werden sollte. In dem Schreiben ist das
Bezirksamt Spandau vielmehr gebeten worden, die Zuständigkeit "spätestens
-8-
ab dem 13. März 2014" zu übernehmen, was in Anbetracht der Einreise des
Betroffenen am 12. Dezember 2013 ersichtlich erst auf den Ablauf der dreimonatigen Clearingphase bezogen ist.
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Die Frage, ob das beschwerdeführende Bezirksamt für die Mitwirkung
am erstinstanzlichen Verfahren als auch für die Bekanntgabe des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 12. Februar 2014 das örtlich zuständige Jugendamt
gewesen ist und ob die örtliche Zuständigkeit bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts etwa - gemäß Nr. 3 Abs. 4 AV-JAMA abweichend von § 87 b
Abs. 2 Satz 1 SGB VIII - gewechselt hat, hat das Beschwerdegericht nicht geprüft. Die örtliche Zuständigkeit kann daher im Rechtsbeschwerdeverfahren
nicht abschließend beurteilt werden.
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20
dd) Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Da das Beschwerdegericht bislang noch keine Feststellungen dazu getroffen hat, welches
Bezirksamt örtlich zuständig ist, ist die Sache an dieses zurückzuverweisen.
Dose
Klinkhammer
Botur
Günter
Guhling
Vorinstanzen:
AG Tempelhof-Kreuzberg, Entscheidung vom 12.02.2014 - 173 F 327/14 KG Berlin, Entscheidung vom 28.11.2014 - 15 UF 27/14 -