Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.
 
 
 
 
 
 

729 lines
41 KiB

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 57/08
Verkündet am:
13. Juli 2010
Weber
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
EuGVVO Art. 5 Nr. 3
BGB §§ 826 C, 830
Beteiligt sich ein in einem Mitgliedstaat der EU ansässiger Broker als Gehilfe an der
vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung eines Anlegers durch einen deutschen gewerblichen Terminoptionsvermittler und überweist der Anleger als Folge der unerlaubten Handlung des Vermittlers das Anlagekapital von seinem in Deutschland geführten Konto an den Broker, ist für eine gegen diesen gerichtete Schadensersatzklage die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben.
BGH, Urteil vom 13. Juli 2010 - XI ZR 57/08 - OLG Düsseldorf
LG Kleve
-2-
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Wiechers, den Richter
Dr. Joeres, die Richterin Mayen und die Richter Dr. Ellenberger und
Dr. Matthias
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 15. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23. Januar 2008 in der
Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 14. April 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, ein Deutscher mit Wohnsitz in Deutschland, verlangt von der
1
Beklagten, einem britischen Brokerunternehmen mit Sitz in London, Schadensersatz wegen Verlusten im Zusammenhang mit Börsenterminoptionsgeschäften.
2
Die der englischen Finanzaufsicht unterliegende Beklagte bietet neben
institutionellen Kunden auch Privatkunden ihre Execution- und Clearing-Dienste
-3-
für den Handel mit Derivaten an. Privatkunden können über Vermittler Handelsaufträge einreichen, die von der Beklagten abgewickelt werden.
3
Einer dieser Vermittler war M.
W.
, K.
(im Folgenden: W.),
der bis zur Einstellung seiner Geschäftstätigkeit über eine deutsche aufsichtsrechtliche Erlaubnis als selbständiger Finanzdienstleister verfügte. Der Geschäftsbeziehung zwischen der Beklagten und W. lag ein am 12. Oktober 1998
geschlossenes Abkommen ("Introducing Broker Agreement") zugrunde, das
nach seiner Präambel den Zweck verfolgte, ein einträgliches Brokergeschäft
aufzubauen. Die Beklagte hatte W. jede erdenkliche Unterstützung bei der Entwicklung des Geschäfts zu geben, für die von W. geworbenen Kunden Einzelkonten einzurichten und die in Auftrag gegebenen Transaktionen abzuwickeln.
W. war verpflichtet, größtmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um der Beklagten Kunden zuzuführen. Dabei hatte er aufsichts- und privatrechtliche
Pflichten einzuhalten. Nach Nr. 5 (a) des Abkommens in Verbindung mit Anhang A sollte die Beklagte die Kundenkonten mit einer Broker-Kommission in
einer zwischen ihr und W. auszuhandelnden Höhe belasten und dem Kommissionskonto des W. als Vergütung die Nettokommissionen für alle Transaktionen
gutschreiben, soweit diese einen Betrag von 28 US-Dollar überstiegen.
4
Der Kläger schloss mit W. einen formularmäßigen Geschäftsbesorgungsvertrag über die Durchführung von Optionsgeschäften, in dem sich W.
unter anderem zur Vermittlung eines Brokereinzelkontos verpflichtete. Nach
Nr. 6 des Vertrages hatte der Kläger bei jeder Einzahlung eine Kontogebühr in
Höhe von 5% zu zahlen. Beim Kauf einer Option wurde eine Round-TurnKommission für den Kauf und Verkauf in Höhe von 120 US-Dollar berechnet.
Ferner schuldete der Kläger W. monatlich eine Gewinnbeteiligung in Höhe von
20% der effektiv erzielten Gewinne. Der Kläger erklärte sich damit einverstanden, dass die Gebühren von der Beklagten berechnet und in Höhe des mit W.
-4-
vereinbarten Betrages an diesen ausgezahlt wurden. Der Vereinbarung war zu
entnehmen, dass W. ca. 90 US-Dollar von der Round-Turn-Kommission sowie
die Kontogebühr in voller Höhe und die gesamte Gewinnbeteiligung erhielt.
5
Vor Aufnahme der Geschäfte übermittelte W. dem Kläger die von ihm
herausgegebene Broschüre "Handelbare Optionen an den internationalen Börsen", in der die im Geschäftsbesorgungsvertrag genannten Gebühren aufgeführt waren. Außerdem überließ W. dem Kläger Vertragsunterlagen der Beklagten, nämlich in deutscher Sprache abgefasste "Wichtige Informationen über
Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften (einschließlich Warentermingeschäfte)" sowie, jeweils in deutscher und englischer Sprache, eine "Handelsvereinbarung für Privatkunden" und eine "Limited Power of Attorney/ beschränkte Vollmacht" zugunsten des W., die der Kläger am 31. Januar 2000 unterzeichnete
und W. anschließend der Beklagten zuleitete.
6
W. eröffnete zur Durchführung der Geschäfte bei der Beklagten ein Konto für den Kläger. Dieser überwies von seinem in Deutschland geführten Konto
an die Beklagte am 9. Februar 2000 und am 16. März 2000 insgesamt
16.000 DM, von denen die 5%ige Kontogebühr in Höhe von insgesamt 800 DM
an W. transferiert wurde. Die im Zeitraum von Februar bis August 2000 durchgeführten Terminoptionsgeschäfte des Klägers, für die Kommissionen in Höhe
von insgesamt 1.800 US-Dollar und weiteren 345 € sowie Gewinnbeteiligungen
in Höhe von insgesamt 365,95 US-Dollar anfielen, endeten verlustreich. Bei
Beendigung der Geschäftsbeziehung erhielt der Kläger am 1. August 2000 insgesamt 2.190,85 DM zurück. Den Differenzbetrag von 13.809,15 DM =
7.060,51 € zuzüglich Zinsen macht er mit der Klage geltend.
7
Das Landgericht hat die Klage, soweit sie auf deliktische Ansprüche gestützt ist, für zulässig erachtet und ihr im Wesentlichen stattgegeben. Das Beru-
-5-
fungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
8
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
9
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit
für die Revisionsinstanz von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
10
Die Klage sei zulässig, aber unbegründet.
11
Soweit die Klage auf eine unerlaubte Handlung der Beklagten gestützt
werde, sei die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gemäß Art. 5
Nr. 3 EuGVVO gegeben. Nach dem Vorbringen des Klägers seien seine Anwerbung durch W. und dessen vermögensschädigende Handlungen, zu denen
die Beklagte Beihilfe geleistet haben solle, in Deutschland erfolgt.
12
Dem Kläger stehe aber in Anwendung des nach Art. 41 EGBGB maßgeblichen deutschen Deliktsrechts gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch wegen unerlaubter Handlung zu.
13
Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 31 Abs. 2 WpHG aF
scheide aus, weil der Beklagten kein Verstoß gegen § 31 Abs. 2 WpHG aF an-
-6-
zulasten sei. Der Kläger sei bei der Erteilung der Handelsaufträge durch W. und
damit durch ein Finanzdienstleistungsinstitut i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 a Nr. 2
KWG aF vertreten worden, das selbst Wertpapierdienstleistungen erbracht und
den Verpflichtungen gemäß § 31 Abs. 2 WpHG aF unterlegen habe. Bei einer
solchen gestaffelten Einschaltung mehrerer Wertpapierdienstleistungsunternehmen sei grundsätzlich nur das kundennähere Unternehmen zur Befragung
und Aufklärung des Anlegers verpflichtet. Der Umstand, dass die Beklagte und
W. sich zusammengeschlossen hätten, um ein gewinnträchtiges Brokergeschäft
aufzubauen, stehe dem nicht entgegen. Die Beklagte habe im Falle des W. mit
einem Unternehmen zusammengearbeitet, das der deutschen Finanzaufsicht
unterstanden habe.
14
Auch ein Anspruch gemäß §§ 826, 831 BGB sei nicht gegeben. Der Kläger sei zwar durch W. vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden, weil dieser
ihn in den ausgehändigten Broschüren nicht hinreichend über die Risiken der
Börsentermingeschäfte aufgeklärt, sondern die Risiken durch die Hervorhebung
eines infolge der Hebelwirkung möglichen überproportionalen Gewinnes verharmlost habe. W. sei aber nicht Verrichtungsgehilfe der Beklagten gewesen.
15
Die Beklagte hafte dem Kläger auch nicht gemäß §§ 826, 830 BGB. Für
eine sittenwidrige Schädigung durch Gebührenschinderei sei der Kläger beweisfällig geblieben. Eine Teilnahme der Beklagten an der sittenwidrigen Schädigung durch W. könne nur objektiv, aber nicht subjektiv festgestellt werden.
Objektiv habe die Beklagte einen Tatbeitrag geleistet, indem sie für den Kläger
das Transaktionskonto geführt, die Börsentermingeschäfte ausgeführt und die
Beteiligung des W. an der Round-Turn-Kommission sowie die Gewinnbeteiligung an W. abgeführt habe.
-7-
16
Es sei aber nicht ersichtlich, dass die Beklagte Kenntnis von der sittenwidrigen Schädigung des Klägers durch eine unzureichende Aufklärung seitens
des W. gehabt oder eine solche billigend in Kauf genommen habe. Die mangelhafte Risikoaufklärung durch W. habe sich der Beklagten weder aufgrund der
gegenüber dem Kläger offen gelegten Beteiligung des W. an der Round-TurnKommission noch aufgrund der Höhe der Gebühren aufdrängen müssen. Die
Beklagte habe sich vielmehr darauf verlassen dürfen, dass ein von den Aufsichtsbehörden genehmigtes und überwachtes Finanzdienstleistungsunternehmen wie W. die nach nationalem Recht bestehenden Aufklärungspflichten gegenüber seinen Kunden erfülle. Zu einer diesbezüglichen Überprüfung sei die
Beklagte mangels konkreter Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten nicht verpflichtet gewesen.
II.
17
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
18
1. Das Berufungsgericht ist jedenfalls im Ergebnis zu Recht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Es hat die - auch im Revisionsverfahren von
Amts wegen zu prüfende (vgl. BGHZ 153, 82, 84 ff.; 182, 24, Tz. 9; Senatsurteil
vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, WM 2010, 749, Tz. 17, zur Veröffentlichung in
BGHZ vorgesehen; BGH, Urteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, WM 2010,
928, Tz. 8, jeweils m.w.N.) - internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte
gemäß Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom
22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG
-8-
Nr. L 12 vom 16. Januar 2001, S. 1 bis 23, berichtigt in ABl. EG Nr. L 307 vom
24. November 2001, S. 28; im Folgenden: EuGVVO) zu Recht bejaht.
19
a) Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die, wie die Beklagte, ihren
Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder Ansprüche aus
einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Ist der Ort, an
dem das für die Begründung einer Schadensersatzpflicht in Betracht kommende Ereignis stattgefunden hat, nicht mit dem Ort identisch, an dem durch dieses
Ereignis ein Schaden entstanden ist, kann der Beklagte nach Wahl des Klägers
sowohl an dem Ort, an dem der Schaden eingetreten ist (Erfolgsort), als auch
an dem Ort des ursächlichen Geschehens (Handlungsort) verklagt werden (vgl.
EuGH, Urteile vom 30. November 1976 - Rs. 21/76, Slg. 1976, 1735, Tz. 24 f.
- Mines de Potasse d'Alsace, vom 7. März 1995 - Rs. C-68/93, Slg. 1995, I-415,
Tz. 20 - Shevill, vom 19. September 1995 - Rs. C-364/93, Slg. 1995, I-2719,
Tz. 11 - Marinari, vom 10. Juni 2004 - Rs. C-168/02, Slg. 2004, I-6009, Tz. 16
- Kronhofer und vom 16. Juli 2009 - Rs. C-189/08, RIW 2009, 719, Tz. 23
- Zuid-Chemie BV). Die Zuständigkeit hängt nicht davon ab, dass tatsächlich
eine unerlaubte Handlung begangen wurde; die schlüssige Behauptung der
erforderlichen Tatsachen durch den Kläger reicht aus. Die Feststellung dieser
Tatsachen ist erst zur Begründetheit der Klage erforderlich (vgl. BGHZ 167, 91,
Tz. 21; BGH, Urteile vom 6. November 2007 - VI ZR 34/07, WM 2008, 479,
Tz. 14 und vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, WM 2010, 928, Tz. 8, jeweils
m.w.N.).
20
aa) Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass
der Kläger eine Schadenshaftung aus unerlaubter Handlung im Sinne des Art. 5
Nr. 3 EuGVVO geltend macht.
-9-
21
Der verordnungsautonom auszulegende Begriff der unerlaubten Handlung umfasst alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht
wird, die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft.
Der Begriff des "Vertrags" wiederum bezieht sich auf freiwillig gegenüber einer
anderen
Person
eingegangene
Verpflichtungen
(EuGH,
Urteile
vom
17. September 2002 - Rs. C-334/00, Slg. 2002, I-7357, Tz. 23 - Tacconi und
vom 20. Januar 2005 - Rs. C-27/02, Slg. 2005, I-481, Tz. 50 f. - Engler, jeweils
m.w.N.).
22
Gemessen hieran bildet eine unerlaubte Handlung den Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens. Der Kläger verlangt Ersatz eines Vermögensschadens, den ihm W. durch die Vermittlung von vornherein chancenloser Börsentermingeschäfte vorsätzlich und unter vorsätzlicher Beteiligung der Beklagten
zugefügt haben soll (vgl. Senatsurteil vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09,
WM 2010, 749, Tz. 19, 24 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Damit
knüpft die Klage nicht entscheidend an die zwischen den Parteien geschlossene Handelsvereinbarung an. Die geltend gemachte Teilnehmerhaftung der Beklagten ist nicht Ausdruck von Schwierigkeiten, die bei der Erfüllung einer aus
der Handelsvereinbarung folgenden Verpflichtung auftreten können (vgl. hierzu
Generalanwalt Darmon, Schlussanträge vom 15. Juni 1988 in der Rs. 189/87,
Slg. 1988, 5565, 5573, Tz. 30 - Kalfelis). Die maßgeblichen Umstände für die
Beurteilung der Frage, ob die Beklagte sich an einer vorsätzlichen unerlaubten
Handlung des W. in haftungsrelevanter Weise vorsätzlich beteiligt hat, stehen
vielmehr im Zusammenhang mit dem tatsächlichen Verhalten der Beklagten
und des W., ihrer Geschäftsbeziehung und dem zwischen ihnen geschlossenen
Abkommen, an dem der Kläger nicht beteiligt war.
23
bb) Bei der Auslegung des somit anwendbaren Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist
dessen Regelungszweck zu berücksichtigen. Die Vorschrift trägt nach der
- 10 -
Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: EuGH) zu der nahezu gleichlautenden Vorgängerregelung des Art. 5
Nr. 3 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen (BGBl. 1972 II, S. 773, 774 ff.; im Folgenden: EuGVÜ) dem
Umstand Rechnung, dass zwischen Streitigkeiten über unerlaubte Handlungen
und den nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zuständigen Gerichten eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und
sachgerechten Prozessgestaltung eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt (vgl. EuGH, Urteile vom 30. November 1976 - Rs. 21/76, Slg. 1976, 1735,
Tz. 8 ff. - Mines de Potasse d'Alsace, vom 11. Januar 1990 - Rs. C-220/88, Slg.
1990, I-49, Tz. 17 - Dumez France und Tracoba, vom 7. März 1995
- Rs. C-68/93, Slg. 1995, I-415, Tz. 19 - Shevill, vom 19. September 1995
- Rs. C-364/93, Slg. 1995, I-2719, Tz. 10 - Marinari und vom 10. Juni 2004
- Rs. C-168/02, Slg. 2004, I-6009, Tz. 15 - Kronhofer). Dieser Erwägung, die
auch für die Auslegung der EuGVVO maßgeblich ist (vgl. 19. Erwägungsgrund
zur EuGVVO; EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - Rs. C-189/08, RIW 2009, 719,
Tz. 18 f. - Zuid-Chemie BV), liegt die Annahme zugrunde, dass das Gericht des
Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, insbesondere wegen
der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage ist, den Rechtsstreit zu entscheiden (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - Rs. C-189/08, RIW 2009, 719, Tz. 24 - Zuid-Chemie
BV).
24
Art. 5 Nr. 3 EuGVVO hat im Rahmen des Zuständigkeitssystems der
EuGVVO
Ausnahmecharakter
und
ist
grundsätzlich
eng
auszulegen.
Die EuGVVO baut auf einer durch Art. 2 Abs. 1 begründeten allgemeinen Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaates auf, in dem der Beklagte seinen
Wohnsitz hat, und schließt in Art. 3 Abs. 2 die Anwendung nationaler Bestim-
- 11 -
mungen aus, die Gerichtsstände am Wohnsitz des Klägers gegenüber Beklagten begründen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben (vgl. EuGH, Urteile vom 11. Januar 1990 - Rs. C-220/88, Slg. 1990, I-49,
Tz. 16
- Dumez
France
und
Tracoba
und
vom
19. September
1995
- Rs. C-364/93, Slg. 1995, I-2719, Tz. 13 - Marinari). Besonderen Zuständigkeitsregelungen wie Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist daher eine enge Auslegung zu
geben, die nicht über die ausdrücklich in der Verordnung vorgesehenen Fälle
hinausgeht (EuGH, Urteile vom 27. September 1988 - Rs. 189/87, Slg. 1988,
5565, Tz. 19 - Kalfelis, vom 11. Januar 1990 - Rs. C-220/88, Slg. 1990, I-49,
Tz. 19 - Dumez France und Tracoba und vom 10. Juni 2004 - Rs. C-168/02,
Slg. 2004, I-6009, Tz. 14 - Kronhofer) und insbesondere nicht zur Erstreckung
der dem Kläger eröffneten Wahlmöglichkeiten über die sie rechtfertigenden besonderen Umstände hinaus führen darf. Andernfalls würde der in Art. 2 Abs. 1
EuGVVO aufgestellte allgemeine Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des
Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, unterlaufen und im Ergebnis über die ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinaus die
Zuständigkeit der Gerichte am Klägerwohnsitz anerkannt, der die Verordnung
außer in den von ihr ausdrücklich vorgesehenen Fällen ablehnend gegenübersteht (vgl. EuGH, Urteile vom 19. September 1995 - Rs. C-364/93, Slg. 1995,
I-2719, Tz. 13 - Marinari und vom 10. Juni 2004 - Rs. C-168/02, Slg. 2004,
I-6009, Tz. 14 ff. - Kronhofer). Insbesondere darf die Auslegung des Art. 5 Nr. 3
EuGVVO nicht zu einer Zuständigkeit führen, die von ungewissen Umständen
abhängt und damit einem der Ziele der Verordnung zuwiderliefe, nämlich den
Rechtsschutz der in der Gemeinschaft ansässigen Personen dadurch zu stärken, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und dass für einen verständigen Beklagten erkennbar ist,
vor welchem Gericht er verklagt werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juni
2004 - Rs. C-168/02, Slg. 2004, I-6009, Tz. 20 - Kronhofer, m.w.N.).
- 12 -
25
b) Ob nach diesen Maßstäben der Auffassung des Berufungsgerichts gefolgt werden kann, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte könne
auf den Handlungsort im Sinne von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO gestützt werden, bedarf keiner Entscheidung.
26
Das Berufungsgericht hat die schädigende Tätigkeit des W. in Deutschland, zu der die Beklagte vorsätzlich Beihilfe geleistet haben soll, der Beklagten
zuständigkeitsrechtlich zugerechnet und so die ständige Rechtsprechung des
erkennenden Senats zu § 32 ZPO (vgl. Senatsurteile vom 6. Februar 1990
- XI ZR 184/88, WM 1990, 462, 463, vom 22. November 1994 - XI ZR 45/91,
WM 1995, 100, 102 und vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, WM 2010, 749,
Tz. 19, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) auf Art. 5 Nr. 3 EuGVVO
übertragen.
27
Die Frage, ob im Rahmen des Deliktsgerichtsstandes des Art. 5 Nr. 3
EuGVVO bei einer grenzüberschreitenden Beteiligung mehrerer an einer unerlaubten Handlung für die Bestimmung des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, eine wechselseitige Handlungsortzurechnung zulässig ist,
ist umstritten (bejahend: Mankowski in Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 5 Rn. 221; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl.,
EuGVVO Art. 5 Rn. 22; Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., A. 1 Art. 5 Rn. 250; Musielak/Stadler, ZPO, 7. Aufl.,
EuGVVO Art. 5 Rn. 25; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 31. Aufl., EuGVVO Art. 5
Rn. 20; verneinend: LG Mönchengladbach, Urteil vom 5. Februar 2009
- 10 O 422/07, S. 6 ff.; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., EuGVVO Art. 5
Rn. 20a; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Brüssel
I-VO Art. 5 Rn. 88c; zweifelnd auch: MünchKommZPO/Gottwald, 3. Aufl.,
EuGVO Art. 5 Rn. 62, Wagner/Gess, NJW 2009, 3481, 3484 f.; zu Art. 5 Nr. 3
EuGVÜ: Weller, IPRax 2000, 202, 205 ff.). Diese Frage kann offen bleiben.
- 13 -
c) Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß Art. 5 Nr. 3
28
EuGVVO ist nämlich jedenfalls deshalb gegeben, weil der Erfolgsort in
Deutschland liegt. Nach dem schlüssigen Vortrag des Klägers ist der Vermögensschaden, den er mit der Klage ersetzt verlangt, an dem Guthaben auf seinem bei einem Kreditinstitut in Deutschland geführten Girokonto eingetreten,
von dem er infolge der mit Beihilfe der Beklagten verübten vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung des W. das angelegte Kapital an die Beklagte überwiesen
hat.
aa) Der Begriff des Erfolgsortes im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO wird
29
aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift in der Rechtsprechung des
EuGH
restriktiv
ausgelegt
(vgl.
EuGH,
Urteile
vom
11. Januar
1990
- Rs. C-220/88, Slg. 1990, I-49, Tz. 17 - Dumez France und Tracoba und vom
19. September 1995 - Rs. C-364/93, Slg. 1995, I-2719, Tz. 21 - Marinari). Der
Wohnsitz eines Klägers als sein Vermögensmittelpunkt kann nach einer Entscheidung des EuGH zu Gerichtsständen bei Kapitalanlagedelikten (Urteil vom
10. Juni 2004 - Rs. C-168/02, Slg. 2004, I-6009, Tz. 21 - Kronhofer) nicht bereits deshalb als Erfolgsort angesehen werden, weil dem Kläger durch den Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Mitgliedstaat ein finanzieller
Schaden entstanden ist. Diesem Urteil lag allerdings ein wesentlich anderer
Sachverhalt als im vorliegenden Fall zugrunde, weil die unerlaubte Handlung
erst nach Überweisung des Anlagekapitals von einem Konto am Wohnsitz des
Anlegers auf ein im Ausland geführtes Konto verübt wurde (vgl. OGH, Beschluss vom 9. April 2002 - 4 Ob 40/02i; Junker, ZZPInt 9 [2004], 200, 204 f.).
Der Entscheidung des EuGH ist zu entnehmen, dass unter anderen Umständen
der Erfolgsort durchaus im Wohnsitzstaat des Klägers gelegen sein kann (vgl.
von Hein, IPRax 2005, 17, 21; Musielak/Stadler, ZPO, 7. Aufl., EuGVVO Art. 5
Rn. 24; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Brüssel I-VO
- 14 -
Art. 5 Rn. 86b; ferner Blobel, EuLF 2004, 187, 190 f.; Huber, IPRax 2009, 134,
136 f.).
30
Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat seinem Vortrag zufolge das Anlagekapital erst als Folge einer unerlaubten Handlung von seinem in Deutschland
geführten Girokonto an die Beklagte überwiesen, so dass die durch die unerlaubte Handlung verursachte Minderung des Kontoguthabens den für die Bestimmung des Erfolgsortes maßgeblichen Schaden darstellt. Der Kläger macht
im Wesentlichen geltend, die Beklagte habe sich bedingt vorsätzlich zumindest
als Gehilfin an einem Geschäftsmodell des W. beteiligt, das darauf angelegt
gewesen sei, zur ausschließlich dem eigenen Vorteil dienenden hohen Gewinnerzielung möglichst viele Geschäfte zu vermitteln, die für den Anleger aufgrund
der Gebührenhöhe und -struktur von vornherein chancenlos seien. Bei einem
solchen Geschäftsmodell, das von vornherein bewusst darauf abzielt, uninformierte, leichtgläubige Menschen unter sittenwidriger Ausnutzung ihres Gewinnstrebens und ihres Leichtsinns als Geschäftspartner zu gewinnen und sich auf
deren Kosten zu bereichern (vgl. Senatsurteile vom 2. Februar 1999 - XI ZR
381/97, WM 1999, 540, 541, vom 22. November 2005 - XI ZR 76/05, WM 2006,
84, 87 und vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, WM 2010, 749, Tz. 26, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen), und das auf Seiten des Anlegers einen
Kenntnisrückstand voraussetzt, ohne den ein vernünftig denkender Anleger sich
auf die Geldanlage nicht eingelassen hätte, erweist sich bereits die durch den
Anleger veranlasste Überweisung des Anlagekapitals als Deliktserfolg, so dass
gerichtsstandsbegründender Erfolgsort im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO der
Ort der Minderung des Kontoguthabens ist (vgl. Junker, ZZPInt 9 [2004], 200,
205 f.; Mankowski in Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 5
Rn. 239 f.; ders., RIW 2005, 561, 562; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Brüssel I-VO Art. 5 Rn. 86b; Musielak/Stadler, ZPO, 7. Aufl.,
EuGVVO Art. 5 Rn. 24).
- 15 -
31
bb) Diese Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO entspricht dem Zuständigkeitssystem der EuGVVO und dem Ausnahmecharakter des Art. 5 Nr. 3
EuGVVO. Sie führt zwar bei Kapitalanlagedelikten der vorliegenden Art in Abweichung von der Grundregel des Art. 2 Abs. 1 EuGVVO regelmäßig zu einem
Gerichtsstand im Wohnsitzstaat des Anlegers. Dies ist aber aufgrund der - hier
unterstellten - unerlaubten Handlung der Beklagten, die unmittelbar einen Schaden des im Wohnsitzstaat des Klägers belegenen Vermögens verursacht hat,
gerechtfertigt. Das gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zuständige Gericht hat in Fällen
der vorliegenden Art die erforderliche Nähe zum Streitgegenstand, die für eine
geordnete Rechtspflege und sachgerechte Prozessgestaltung erforderlich ist.
Dies gilt insbesondere für den Gesichtspunkt der Beweisnähe. Soll etwa über
den Inhalt von Gesprächen zwischen Vermittler und Anleger oder über Ausmaß
und Höhe des Schadens Beweis erhoben werden, dürften nicht selten Zeugen
benannt werden, die bei den Gesprächen zwischen Anlagevermittler und Anleger in dessen Wohnsitzstaat zugegen waren (vgl. von Hein, IPRax 2005, 17,
21; Kiethe, NJW 1994, 222, 226; Mankowski, RIW 2005, 561, 562).
32
Auch der Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit des zuständigen Gerichts
erfordert keine andere Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Für ein Brokerunternehmen, das, wie die Beklagte, mit Vermittlern in anderen Mitgliedstaaten
zusammenarbeitet und sich durch die Ausrichtung seiner gewerblichen Tätigkeit
auf diese Staaten ausländische Märkte erschließt, ist vorhersehbar, dass auf
diese Weise geworbene Anleger durch Überweisung von Anlagegeldern gegebenenfalls selbstschädigende Vermögensverfügungen in ihren Heimatstaaten
treffen (vgl. von Hein, IPRax 2005, 17, 21; Mankowski in Magnus/Mankowski,
Brussels I Regulation, Art. 5 Rn. 239; Muir Watt, Rev.crit.dr.i.pr. 94 [2005], 330,
Rn. 10).
- 16 -
33
cc) Eine Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist nicht erforderlich. Die richtige Auslegung der
Verordnung ist aus den dargelegten Gründen derart offenkundig, dass für einen
vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. BGHZ 153, 82, 92 f.; Senatsurteil
vom 23. Februar 2010 - XI ZR 186/09, WM 2010, 647, Tz. 35, jeweils m.w.N.).
Dass die Entscheidung, ob finanzielle Verluste eines Anlegers in seinem Heimatstaat eingetreten sind, auch im Rahmen von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO den nationalen Gerichten obliegt, ist in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt (vgl.
EuGH, Urteil vom 5. Februar 2004 - Rs. C-18/02, Slg. 2004, I-1417, Tz. 43 DFDS Torline).
34
2. Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen hat.
35
a) Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Berufungsgericht seiner Beurteilung deutsches Deliktsrecht zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteil vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, WM 2010, 749, Tz. 29 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
36
b) Rechtsfehlerfrei und von der Revision nicht angegriffen ist auch die
Verneinung von Schadensersatzansprüchen gemäß §§ 826, 831 BGB.
37
c) Hingegen hält die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine
Schadensersatzpflicht der Beklagten wegen Beihilfe zu einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch W. gemäß §§ 826, 830 BGB verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung in der unzureichenden Risikoaufklärung des Klägers durch W. gesehen und den Gehilfenvorsatz der Beklagten verneint, weil die mangelhafte Aufklärung der Beklagten nicht bekannt gewesen sei und sich ihr auch nicht habe aufdrängen müssen. Dies ist rechtsfeh-
- 17 -
lerhaft, weil es, wie der Senat in seinem nach Erlass der Berufungsentscheidung ergangenen Urteil vom 9. März 2010 (XI ZR 93/09, WM 2010, 749,
Tz. 26 f.; zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) entschieden hat, auf die
unzureichende Risikoaufklärung nicht entscheidend ankommt. Denn neben der
- hier nicht maßgeblichen - Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen haftet der Vermittler auch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung
nach § 826 BGB, wenn sein Geschäftsmodell darauf angelegt ist, für den Anleger chancenlose Geschäfte zum ausschließlich eigenen Vorteil zu vermitteln.
Einem solchen Vermittler geht es allein darum, hohe Gewinne zu erzielen, indem er möglichst viele Geschäfte realisiert, die für den Anleger aufgrund überhöhter Gebühren und Aufschläge chancenlos sind. Sein Geschäftsmodell zielt
damit von vornherein ganz bewusst darauf ab, uninformierte, leichtgläubige
Menschen unter sittenwidriger Ausnutzung ihres Gewinnstrebens und ihres
Leichtsinns als Geschäftspartner zu gewinnen und sich auf deren Kosten zu
bereichern.
38
Auf eine solche Haupttat müssen sich die objektiven und subjektiven
Merkmale einer nach § 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB haftungsrelevanten
Teilnahmehandlung beziehen (vgl. hierzu im Einzelnen: Senatsurteil vom
9. März 2010 - XI ZR 93/09, WM 2010, 749, Tz. 33 ff.). Dies hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft verkannt.
- 18 -
III.
39
Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich nicht aus anderen
Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
40
1. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist ein etwaiger
Schadensersatzanspruch des Klägers wegen vorsätzlicher Teilnahme der Beklagten an dem auf eine sittenwidrige Schädigung des Anlegers ausgerichteten
Geschäftsmodell von W. (§§ 826, 830 BGB) nicht verjährt.
41
a) Nach der für das Verjährungsrecht geltenden Überleitungsvorschrift
des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB finden hier die seit dem 1. Januar 2002
geltenden Verjährungsvorschriften Anwendung. Ein etwaiger deliktsrechtlicher
Schadensersatzanspruch des Klägers im Zusammenhang mit dem Geschäftsmodell, das dem zwischen dem Kläger und W. zustande gekommenen Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde liegt, war an diesem Stichtag noch nicht
verjährt. Er unterlag ursprünglich der dreijährigen Verjährungsfrist des § 852
Abs. 1 Alt. 1 BGB aF, die nach Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrages
im Jahre 2000 am 1. Januar 2002 noch nicht abgelaufen war. Daher treten an
die Stelle des § 852 Abs. 1 Alt. 1 BGB aF gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1
EGBGB die seit dem 1. Januar 2002 geltenden Verjährungsvorschriften der
§§ 195, 199 BGB nF (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08,
VersR 2010, 214, Tz. 9). Für die Berechnung der Verjährungsfrist, zu der auch
der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gehört
(Senat BGHZ 171, 1, Tz. 19 ff.; Senatsurteil vom 3. Juni 2008 - XI ZR 319/06,
WM 2008, 1346, Tz. 23), ist gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 BGB das neue
Verjährungsrecht maßgeblich, da in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nF mit der Gleichstellung von Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis ein zusätzlicher, über
die Regelungen des § 852 BGB aF hinausgehender, verjährungsverkürzender
- 19 -
Anwendungsfall eröffnet ist (BGH, Urteil vom 10. November 2009 - VI ZR
247/08, VersR 2010, 214, Tz. 10). Auch an die Stelle der kenntnisunabhängigen dreißigjährigen Verjährungsfrist von der Begehung der Handlung an (§ 852
Abs. 1 Alt. 2 BGB aF) ist gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 BGB die kürzere
neue Regelverjährung getreten.
42
b) Die Verjährungsfrist gemäß §§ 195, 199 BGB nF war bei Klageerhebung im Jahr 2006 noch nicht abgelaufen, so dass diese zur Hemmung der
Verjährung geführt hat (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Nach §§ 195, 199 BGB nF
beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre beginnend vom Schluss des Jahres, in
dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller Kenntnis von den
den Anspruch begründenden Umständen sowie der Person des Schuldners hat
oder diese Kenntnis infolge grober Fahrlässigkeit nicht hat.
43
aa) Die erforderliche Kenntnis liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form
der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos möglich
ist. Weder ist es notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt,
die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits
hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im
Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es, abgesehen von Ausnahmefällen, nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 2007 - V ZR 25/07, WM 2008, 89, Tz. 15; Senatsurteile
vom 27. Mai 2008 - XI ZR 132/07, WM 2008, 1260, Tz. 32 und vom 3. Juni
2008 - XI ZR 319/06, WM 2008, 1346, Tz. 27, jeweils m.w.N.).
44
Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis
fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder
- 20 -
das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BGH, Urteil
vom 13. Dezember 2004 - II ZR 17/03, WM 2005, 382, 384; Senatsurteil vom
23. September 2008 - XI ZR 253/07, WM 2008, 2158, Tz. 34, jeweils m.w.N.).
45
bb) Nach diesen Grundsätzen hatte der Kläger vor dem 1. Januar 2003
weder positive Kenntnis von einer Beteiligung der Beklagten am sittenwidrigen
Geschäftsmodell von W., noch beruhte seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit.
Geht es, wie hier, um die Frage einer deliktischen Haftung eines Brokers
46
wegen bedingt vorsätzlicher Teilnahme an einem sittenwidrigen Geschäftsmodell, kann von einer Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Anlegers
nur ausgegangen werden, wenn ihm sowohl die Umstände, die in Bezug auf
dieses Geschäftsmodell einen Ersatzanspruch begründen, als auch die Umstände, aus denen sich ergibt, dass auch der das Transaktionskonto führende
und die einzelnen Aufträge des Anlegers ausführende Broker als möglicher Haftender in Betracht kommt, bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt
sind.
47
Beides war hier vor dem 1. Januar 2003 nicht der Fall. Dem Kläger waren mit der bloßen Kenntnis davon, dass im Jahr 2000 überwiegend Verluste
realisiert wurden, noch keine Umstände bekannt, die auf die Sittenwidrigkeit
des Geschäftsmodells von W. schließen ließen oder zu weiteren Nachforschungen oder der Einholung von Rechtsrat Anlass gaben. Die Verluste konnten aus Sicht des Klägers auch auf den Marktgegebenheiten beruhen. Ferner
waren dem Kläger keine Umstände bekannt, die die Beklagte als mögliche deliktisch Haftende in Frage kommen ließen. Da die Beklagte nicht Vertragspartnerin des Geschäftsbesorgungsvertrages war und gegenüber dem Kläger nur
als kontoführendes Institut auftrat, konnten die subjektiven Voraussetzungen
- 21 -
des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB allenfalls vorliegen, wenn dem Kläger zusätzlich zu
der - hier nicht vorhandenen - Kenntnis von Umständen, die den Schluss auf
die Chancenlosigkeit der von W. vermittelten Geschäfte zuließen, Umstände
bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt gewesen wären, aus denen sich ergab, dass die Beklagte sich bedingt vorsätzlich an dem von W. praktizierten Geschäftsmodell beteiligte. Dafür ist nichts ersichtlich. Die maßgeblichen Umstände für die Beurteilung der Frage, ob die Beklagte sich an einer
vorsätzlichen unerlaubten Handlung des W. gemäß § 826 BGB in haftungsrelevanter Weise vorsätzlich im Sinne von § 830 BGB beteiligt hat, stehen im Zusammenhang mit der Begründung der Geschäftsbeziehung zwischen der Beklagten und W. und ergeben sich unter anderem aus dem Abkommen vom
12. Oktober 1998. Dass der Kläger hiervon vor dem 1. Januar 2003 Kenntnis
erlangt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erlangt hat, ist weder festgestellt
noch dem Parteivortrag zu entnehmen.
48
2. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte wegen vorsätzlicher Teilnahme am Geschäftsmodell des W. gemäß §§ 826,
830 BGB ist auch nicht verwirkt.
49
Eine Verwirkung als Unterfall der wegen Verstoßes gegen Treu und
Glauben unzulässigen Rechtsausübung kommt in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der
Lage war, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten
des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein
Recht nicht mehr geltend machen werde (vgl. BGHZ 84, 280, 281; 105, 290,
298, jeweils m.w.N.).
50
Davon ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen. Dabei kann dahinstehen, ob der zwischen Auszahlung des Restbetrages und Klageerhebung lie-
- 22 -
gende Zeitraum von etwa fünf Jahren und acht Monaten als solcher die Annahme des für die Verwirkung erforderlichen Zeitmomentes bereits vor Ablauf
der dreijährigen Regelverjährungsfrist des § 195 BGB überhaupt rechtfertigt
(vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 242 Rn. 97 m.w.N.). Jedenfalls ist
weder ersichtlich noch dem Parteivortrag zu entnehmen, dass der Kläger bei
der Beklagten in zurechenbarer Weise einen Vertrauenstatbestand geschaffen
hat, aufgrund dessen die Beklagte sich berechtigterweise darauf einrichten durfte, der Kläger werde ihr gegenüber seine Rechte nicht mehr geltend machen.
Der in diesem Zusammenhang stehende Hinweis der Beklagten auf die nach
britischem Aufsichtsrecht für sie maßgebliche und zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits abgelaufene dreijährige Aufbewahrungsfrist für Kundenunterlagen greift nicht durch. Die Beklagte konnte bei dem Kläger, einem ausländischen Privatanleger, keine Kenntnis von den Bestimmungen des britischen
Aufsichtsrechts voraussetzen.
IV.
51
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da
die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, war sie zur neuen Verhandlung
und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1
Satz 1 ZPO).
52
Das Berufungsgericht wird unter Berücksichtigung der Rechtsprechung
des erkennenden Senats (Urteil vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, WM 2010,
749, Tz. 38 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) und insoweit gegebenenfalls ergänzendem Vortrag der Parteien Feststellungen zu einer Teilnahme der Beklagten an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung des Klägers
durch W. gemäß §§ 826, 830 BGB zu treffen haben.
- 23 -
53
Festzustellen ist zunächst, ob das Geschäftsmodell des W., namentlich
aufgrund der Gebührenstruktur, in der dargelegten Weise darauf angelegt war,
den Anlegern chancenlose Geschäfte zum ausschließlich eigenen Vorteil zu
vermitteln. Falls dies zutrifft, kommen als objektive Beihilfehandlungen der Beklagten die Eröffnung des Transaktionskontos für den Kläger, die Ausführung
der erteilten Einzelaufträge und die Abführung von Provisionen und Gebühren
an W. in Betracht. Für die Beurteilung, ob die Beklagte mit Gehilfenvorsatz
handelte, sind Feststellungen dazu erforderlich, ob die Beklagte das Geschäftsmodell des W., namentlich die Gebührenstruktur, gekannt hat. Sollte das
nicht der Fall sein, stünde dies einem bedingten Vorsatz nicht entgegen. In diesem Fall sind Feststellungen dazu erforderlich, ob die Beklagte mit der Sittenwidrigkeit des Geschäftsmodells rechnete, weil sie Kenntnis vom maßgeblichen
deutschen Recht, insbesondere von der einschlägigen höchstrichterlichen
Rechtsprechung, sowie von den zahlreichen zurückliegenden Missbrauchsfällen hatte (vgl. Senatsurteil vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, WM 2010, 749,
Tz. 42, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Dabei sind auch die von der
Beklagten gegenüber dem Kläger verwandten Vertragsformulare, die den Vermerk "German Private September 1995/Reviewed January 1999" tragen, zu
berücksichtigen. Von Bedeutung ist ferner, ob die Beklagte das Geschäftsmodell des W. auf seine Unbedenklichkeit geprüft oder ob sie W. zu erkennen gegeben hat, keine Kontrolle seines Geschäftsgebarens gegenüber Kunden auszuüben, sondern ihn nach Belieben schalten und walten zu lassen. Die W. erteilte aufsichtsrechtliche Erlaubnis entlastet die Beklagte gegebenenfalls nicht
(Senatsurteil vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, WM 2010, 749, Tz. 43 bis 46).
Bei der von der Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang erhobenen
Verfahrensrüge in dem in der Revisionsverhandlung überreichten Schriftsatz
vom 12. Juli 2010 handelt es sich in Wirklichkeit um in der Revisionsinstanz
gemäß § 559 Abs. 1 ZPO unzulässigen neuen Sachvortrag.
- 24 -
54
Auch die Rechtsprechung des erkennenden Senats zu Aufklärungspflichten bei gestaffelter Einschaltung mehrerer Wertpapierdienstleistungsunternehmen (BGHZ 147, 343, 353) steht der Annahme eines Teilnehmervorsatzes nicht
entgegen, weil es vorliegend um die mögliche Haftung der Beklagten wegen
einer bedingt vorsätzlichen Beteiligung an einem sittenwidrigen Geschäftsmodell eines Terminoptionsvermittlers und nicht wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten geht (vgl. Senatsurteil vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, WM
2010, 749, Tz. 26 f., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Zudem kann
bei vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und hierzu vorsätzlich geleisteter Beihilfe, d.h. bei kollusivem Zusammenwirken der beteiligten Wertpapierdienstleistungsunternehmen, ohnehin kein Unternehmen auf eine ausreichende Aufklärung des Anlegers durch das andere Unternehmen vertrauen.
Wiechers
Joeres
Ellenberger
Mayen
Matthias
Vorinstanzen:
LG Kleve, Entscheidung vom 26.01.2007 - 4 O 141/06 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 23.01.2008 - I-15 U 18/07 -