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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
VII ZR 81/00
Verkündet am:
16. Mai 2002
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGB § 635 a.F.
a) Der Nachweis der Verletzung der Bauaufsichtspflicht eines Architekten kann durch
einen Anscheinsbeweis erleichtert sein.
b) Ist die schuldhafte Verletzung der Bauaufsichtspflicht eines Architekten für einen
Bauwerksschaden mitursächlich, so führt dies zur vollen Haftung des Architekten
gegenüber dem Auftraggeber.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - VII ZR 81/00 - OLG Koblenz
LG Trier
-2-
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Dr. Haß, Hausmann, Dr. Kuffer und Prof. Dr. Kniffka
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. Januar 2000 im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als die Klage gegen den Beklagten zu 1
in Höhe von 20.520 DM und Zinsen sowie der Feststellungsantrag, die Straße "Im B.
" betreffend, abgewiesen und die An-
schlußberufung der Klägerin gegen den Beklagten zu 1 in Höhe
von 170.080,53 DM und Zinsen zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten zu 1, einem Architekten (künftig: Beklagter), Schadensersatz.
Der Beklagte hatte in den Jahren 1981 bis 1983 für die Klägerin die Befestigung von an Hängen gelegenen Straßen durch Stützmauern geplant und
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die Bauarbeiten beaufsichtigt. Weil es in der Folgezeit zu Mängeln an vielen
Stützmauern gekommen war, hat die Klägerin u.a. den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Im Revisionsverfahren geht es nur noch
um Schäden an den Stützmauern der Straßen "Im B.
" und "P.
Weg".
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme insoweit Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen den Beklagten in Höhe von 44.512 DM zuerkannt.
Es hat ferner antragsgemäß festgestellt, daß der Beklagte der Klägerin weite rgehende Schäden an den Stützmauern in den oben angeführten Straßen zu
ersetzen hat. Hiergegen haben die Beklagten Berufung eingelegt. Die Klägerin
hat ihre Schäden bezüglich der Straße "P.
Weg" in vollem Umfang beziffert
und den Anspruch im Wege der Anschlußberufung gegenüber dem Beklagten
zu 1 geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat nach weiterer Beweisaufnahme die auf die Straßen "Im B.
" und "P.
Weg" gerichteten Klageanträ-
ge insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum
31. Dezember 2001 geltenden Fassung anwendbar (Art. 229 § 5 Satz 1
EGBGB).
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A. Straße "Im B.
"
I.
Das sachverständig beratene Berufungsgericht führt aus, die Winkelelemente der Stützmauer seien mangelhaft errichtet worden. Es fehle sowohl eine
Entwässerung als auch die erforderliche Gründungstiefe, so daß die Winkelelemente zu erneuern seien. Es sei allerdings nicht festzustellen, daß diese
Bauwerksmängel dem Beklagten als "schuldhaft fehlerhaft" zuzurechnen seien.
Der Sachverständige M. habe den Eindruck gewonnen, der Unternehmer habe
den Beklagten bewußt getäuscht, weil die Bauleitung, welche die Sandschicht
unter den Winkelelementen sehe, davon ausgehen könne, daß ordentlich gearbeitet worden sei. Daher sei ein Verschulden des Beklagten nicht festzustellen.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen des
Berufungsgerichts tragen nicht die Abweisung des Schadensersatzbegehrens
der Klägerin nach § 635 BGB.
1. Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Stützmauer "Im B.
"
fehlerhaft errichtet worden ist. Seine Meinung, der Beklagte hafte hierfür nicht,
weil die bauausführende Firma eine ordnungsgemäße Leistung vorgetäuscht
habe, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Wenn der Beklagte, wie die Revision als mögliche Pflichtverletzung
andeutet, die Gründung nicht ordnungsgemäß geplant haben sollte, so würde
ihn ein Planungsverschulden treffen. Dazu fehlen jedoch jedwede Feststellungen des Berufungsgerichts, ohne daß die Revision übergangenen Vortrag rügt.
-5-
b) Das Berufungsgericht übersieht, daß der Nachweis einer Pflichtverletzung durch einen Anscheinsbeweis erleichtert sein kann (vgl. BGH, Urteil vom
26. April 1973 - VII ZR 85/71, Schäfer/Finnern Rspr. Bau Z.3.00 Bl. 249 f
- auszugsweise abgedruckt bei Löffelmann/Fleischmann, Architektenrecht
4. Aufl. Rdn. 566). Wenn eine Stützmauer aufgrund fehlender Drainage und
unzureichender Gründungstiefe einzustürzen droht, so spricht der typische Geschehensablauf dafür, daß die Überwachung des Architekten bei der Errichtung
mangelhaft war. In einem solchen Fall braucht der Bauherr nicht anzugeben,
inwieweit es der Architekt im einzelnen an der erforderlichen Überwachung hat
fehlen lassen. Vielmehr ist es Sache des Architekten, den Beweis des ersten
Anscheins dadurch auszuräumen, daß er seinerseits darlegt, was er oder sein
Erfüllungsgehilfe an Überwachungsmaßnahmen geleistet hat. Dazu genügt
nicht die bloße Behauptung, er habe die Gründungsarbeiten selbst oder durch
seinen Bauleiter überwachen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1973
- VII ZR 85/71 aaO).
Erst wenn der Beklagte die ordnungsgemäße Wahrnehmung der von ihm
geschuldeten Bauaufsicht substantiiert vorgetragen hat, ist zu prüfen, ob damit
der Anscheinsbeweis aufgrund der vom Berufungsgericht ohne weiteres angenommenen Täuschung des Beklagten erschüttert ist. Feststellungen des Berufungsgerichts hierzu fehlen.
c) Soweit das Berufungsgericht meint, ein Verschulden des Beklagten
könne nicht festgestellt werden, verkennt es die Beweislast. Liegen die objektiven Haftungsvoraussetzungen vor, muß der Beklagte das nach § 282 BGB
vermutete Verschulden ausräumen; ein non liquet genügt nicht (vgl. BGH, Urteil
vom 5. März 1987 - III ZR 265/85, BGHR BGB § 282 Beweislast 1).
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2. Aus den vorstehend dargelegten Gründen ist auch die Klageabweisung des Feststellungsbegehrens der Klägerin nicht begründet.
B. Straße "P.
Weg"
I.
Das Berufungsgericht führt aus, daß der aufgetretene Schaden an der
Stützmauer ganz wesentlich durch die unzureichend bewehrten Stützelemente
verursacht worden sei. Das sei dem Beklagten nicht anzulasten, weil dieser
Fehler für ihn nicht erkennbar gewesen sei. Das Fehlen der Sickerpackung habe zwar zu einem größeren Druck auf die Mauer geführt. Es habe allerdings
den Schaden, der durch die fehlerhaften Stützelemente selbst bereits angelegt
gewesen sei, nicht entscheidend vergrößert, weil der Druck durch das Wasser
nur zu einer Beschleunigung des Bruchs der Stützelemente geführt habe. Das
Verhältnis, in dem sich die verschiedenen möglichen Schadensverursachungen
ausgewirkt haben könnten, sei nicht aufklärbar, so daß eine Schätzung der
Verursachungsbeiträge nicht möglich sei. Es sei daher zu Gunsten des Beklagten davon auszugehen, daß das Fehlen der Sickerpackung gegenüber der
eigentlichen Schadensursache unerheblich gewesen sei.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung gleichfalls nicht stand.
1. Das Berufungsgericht befaßt sich bei dem Schadensersatzanspruch
der Klägerin bezüglich der Straße "P.
Weg" ausschließlich mit der Frage der
fehlenden Sickerpackung als Schadensursache. Mithin ist zu Gunsten der Re-
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vision von einer objektiven Pflichtverletzung des Beklagten im Rahmen seiner
Bauaufsicht auszugehen.
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, das Fehlen der Sickerpackung
sei als "nicht so entscheidende Ursache" anzusehen und sei zu Gunsten des
Beklagten als unerheblich zu beurteilen, ist rechtsfehlerhaft. Sofern beide Ursachen zusammen den Schaden herbeigeführt haben, kann bereits eine Mitursächlichkeit der Verletzung der Vertragspflicht des Beklagten zu seiner vollen
Haftung dem Grunde nach führen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 1974
- VII ZR 35/72, BauR 1975, 130, 131; MünchKomm BGB/Oetker, 4. Aufl. § 249
Rdn. 129). Die Verursachungsbeiträge der Schädiger für den eingetretenen
Schaden haben erst in einem möglichen Regreßprozeß Bedeutung.
Ullmann
Haß
Kuffer
Hausmann
Kniffka