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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 170/16
Verkündet am:
30. März 2017
Boppel,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 307 Abs. 1 Satz 1 Bf.
Die von einem Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellten Formularklauseln
Die
Parteien
vereinbaren
- unabhängig
von
einer
Ausführungsbürgschaft - den Einbehalt einer unverzinslichen
Sicherheitsleistung durch den Auftraggeber in Höhe von 5 % der
Brutto-Abrechnungssumme
für
die
Sicherstellung
der
Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung
von Überzahlungen.
Der Auftragnehmer ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen
Vorlage
einer
unbefristeten,
selbstschuldnerischen
und
unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder
Versicherung abzulösen; frühestens jedoch nach vollständiger
Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder
fehlender Leistungen.
ECLI:DE:BGH:2017:300317UVIIZR170.16.0
-2-
sind bei der gebotenen Gesamtbeurteilung wegen unangemessener Benachteiligung
des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (Fortführung von
BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29).
BGH, Urteil vom 30. März 2017 - VII ZR 170/16 - OLG Jena
LG Gera
-3-
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Eick, den Richter
Dr. Kartzke und die Richterinnen Graßnack, Sacher und Borris
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des
Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 25. Mai 2016 im
Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der
Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 €) zuzüglich
Zinsen zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung von Restwerklohn für
Bauarbeiten.
2
Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit schriftlichem "Bauwerkvertrag
nach BGB" vom 25./26. Juni 2012 (im Folgenden: Bauwerkvertrag) mit der Errichtung eines Rohbaus für einen Anbau (Einliegerwohnung/Erweiterungsbau
-4-
zum bestehenden Einfamilienhaus) in J. zum Pauschalpreis von brutto
150.000 €.
3
§ 22 des Bauwerkvertrags lautet auszugsweise:
"§ 22 Sicherheitseinbehalt
22.1 Die Parteien vereinbaren - unabhängig von einer Ausführungsbürgschaft - den Einbehalt einer unverzinslichen Sicherheitsleistung durch den AG [= Auftraggeber] in Höhe von 5 % der
Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen.
22.2 Der AN [= Auftragnehmer] ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen Vorlage einer unbefristeten, selbstschuldnerischen
und unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder
Versicherung abzulösen; frühestens jedoch nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlender Leistungen. …"
4
Die
Klägerin
kündigte
den
Vertrag
mit
Anwaltsschreiben
vom
4. Juni 2013 wegen fehlender Baufreiheit. Sie erteilte am 17. Juni 2013
Schlussrechnung, mit der sie einen Restbetrag von 59.469,09 € geltend machte. Die Beklagte kündigte den Vertrag mit Schreiben vom 1. Juli 2013 wegen
Schuldnerverzugs.
5
In einem vom 10. Juli 2013 datierenden, von der Beklagten und dem Architekten O., nicht aber von der Klägerin unterschriebenen Abnahmeprotokoll
sind Mängel und nicht erfolgte Restarbeiten aufgeführt.
6
Die Klägerin hat in erster Instanz Restwerklohn zuletzt in Höhe von
59.169,09 € nebst Zinsen gefordert. Das Landgericht hat die Beklagte nach
Beweisaufnahme verurteilt, an die Klägerin 14.063,08 € nebst Zinsen zu zahlen.
Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen
dieses Urteil sind erfolglos geblieben.
-5-
7
Der Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin die Revision zugelassen, soweit die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts in Höhe von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme (= 7.470,72 €) zuzüglich Zinsen zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen hat der Senat die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil zurückgewiesen.
8
Mit der Revision verfolgt die Klägerin den nicht zuerkannten Werklohnanspruch zuzüglich Zinsen im Umfang der Zulassung der Revision weiter.
Entscheidungsgründe:
9
Die Revision der Klägerin führt im angefochtenen Umfang zur Aufhebung
des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
10
Das Berufungsgericht führt, soweit für die Revision von Bedeutung, im
Wesentlichen Folgendes aus:
11
Bezüglich des Sicherheitseinbehalts sei die Berufung unbegründet. Das
Landgericht habe den Sicherheitseinbehalt zu Recht von der Klageforderung
abgezogen. Er sei entgegen der Ansicht der Klägerin wirksam vereinbart. Dem
stehe nicht entgegen, dass ein Einbehalt nicht nur wegen wesentlicher, sondern
auch wegen unwesentlicher Mängel zugelassen sei.
-6-
12
Auch die fehlende Regelung über eine Einzahlung auf ein Sperrkonto
führe nicht zur Unwirksamkeit der Klausel. Denn eine solche Anforderung stelle
nur § 17 VOB/B. Die VOB/B sei aber im vorliegenden Fall nicht wirksam in den
Bauvertrag einbezogen worden. Deshalb sei auch die Sperrkontoregelung des
§ 17 VOB/B nicht anzuwenden.
13
Einer Wirksamkeit der Einbehaltsklausel stehe auch nicht entgegen,
dass ein Sicherheitseinbehalt neben einem Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht werden könne.
II.
14
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Berufung der Klägerin in Höhe
des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 €) zuzüglich Zinsen nicht zurückgewiesen
werden.
15
1. Für die Revisionsinstanz ist mangels gegenteiliger Feststellungen des
Berufungsgerichts davon auszugehen, dass es sich bei den Vertragsbestimmungen in § 22.1 und § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die nicht im Einzelnen
ausgehandelt sind.
16
2. Auf dieser Grundlage ist die Vereinbarung eines Einbehalts "in Höhe
von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen"
gemäß § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags wegen unangemessener
Benachteiligung der Klägerin gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
-7-
17
a) Nach dieser Vorschrift ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung
unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall,
wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene
Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne
von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm
einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteile vom
16. Februar 2017
- VII ZR 242/13
- III ZR 264/15,
NJW-RR 2016,
- IV ZR 172/15,
VersR 2016,
Rn. 22;
1387
1420
vom
Rn. 25;
Rn. 27
22. September 2016
vom
und
7. September 2016
vom
16. Juni 2016
- VII ZR 29/13, BauR 2016, 1475 Rn. 15 = NZBau 2016, 556).
18
Bei der Prüfung, ob eine vom Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellte
Klausel, mit der ein Sicherheitseinbehalt vereinbart wird, den Auftragnehmer
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt,
sind nicht nur Höhe und Dauer des Einbehalts, sondern auch der Regelungszusammenhang, in dem die Klausel steht, zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für die Art, wie der Einbehalt abgelöst werden kann (vgl. BGH, Urteil vom
5. Juni 1997 - VII ZR 324/95, BGHZ 136, 27, 30, juris Rn. 12). Sicherungseinbehalt und Ablösungsmöglichkeit sind untrennbar miteinander verknüpft, was
eine einheitliche, die wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien berücksichtigende Gesamtbeurteilung des die Sicherungsvereinbarung betreffenden
Regelungsgefüges
gebietet
(vgl.
BGH,
Urteil
vom
12. Februar 2009
- VII ZR 39/08, BGHZ 179, 374 Rn. 20 m.w.N.).
19
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs benachteiligt eine vom Auftraggeber in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gestellte Klausel, nach der der Auftraggeber für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Einbehalt zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche
vornehmen darf, den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und
-8-
Glauben unangemessen, wenn diesem kein angemessener Ausgleich dafür
zugestanden wird, dass er, der Auftragnehmer, den Werklohn nicht sofort ausgezahlt bekommt, das Bonitätsrisiko für die Dauer der Gewährleistungsfrist tragen
muss
Werklohns
und
ihm
vorenthalten
die
Liquidität
werden
(BGH,
sowie
die
Beschluss
Verzinsung
vom
des
24. Mai 2007
- VII ZR 210/06, NZBau 2007, 583 Rn. 6 m.w.N. = BauR 2007, 1575, 1576).
20
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine vom Auftraggeber in
Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gestellte Klausel,
wonach ein Sicherheitseinbehalt in Höhe von 5 % der Bausumme für die Dauer
der fünfjährigen Gewährleistungsfrist durch eine selbstschuldnerische unbefristete Bürgschaft abgelöst werden kann, nicht gemäß § 9 Abs. 1 AGBG
(nunmehr:
§ 307
Abs. 1
Satz 1
BGB)
unwirksam
(BGH,
Urteil
vom
13. November 2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29, 31 f., juris Rn. 15 f.). Dem
liegt die Überlegung zu Grunde, dass die in der Zinsbelastung und der Einschränkung der Kreditlinie liegenden Nachteile bei Bereitstellung einer derartigen Bürgschaft in Anbetracht der berechtigten Sicherungsinteressen des Auftraggebers nicht als so gewichtig erscheinen, dass ihretwegen die Unwirksamkeit der Klausel angenommen werden müsste (BGH, Urteil vom 26. Februar
2004 - VII ZR 247/02, BauR 2004, 841, 843, juris Rn. 20 = NZBau 2004, 323).
21
Eine solche Klausel ist indes nach § 9 Abs. 1 AGBG (nunmehr: § 307
Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam, wenn die Ablösung des Sicherheitseinbehalts
zusätzlich davon abhängig gemacht wird, dass wesentliche Mängel nicht (mehr)
vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02,
BGHZ 157, 29, 31 f., juris Rn. 15 und 17).
22
b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die formularmäßige Vereinbarung eines Sicherheitseinbehalts gemäß § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 des
Bauwerkvertrags unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
-9-
23
Die Vertragsbestimmungen § 22.1 und § 22.2 Satz 1 bilden entsprechend dem vorstehend Ausgeführten eine untrennbare Einheit; sie unterliegen
einer Gesamtbeurteilung.
24
Die getroffene Regelung benachteiligt die Klägerin als Auftragnehmerin
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Das ergibt sich
jedenfalls aus der Einschränkung, dass eine Ablösungsmöglichkeit bezüglich
des Sicherheitseinbehalts frühestens nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlenden Leistungen besteht. Diese
Einschränkung ist so weitreichend, dass ein angemessener Ausgleich zu den
mit dem Sicherheitseinbehalt für den Auftragnehmer verbundenen Nachteilen
nicht mehr zugestanden wird (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003
- VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29, 32, juris Rn. 17). Die Frage, ob im Abnahmeprotokoll festgestellte Mängel vollständig beseitigt sind, kann Gegenstand langwieriger Kontroversen sein, die sich über die Dauer der Verjährungsfrist für die
Mängelansprüche hinziehen können. Jeder diesbezügliche Streit kann zur Blockade der Ablösungsmöglichkeit führen, so dass es dann bei dem Sicherheitseinbehalt und den mit diesem für den Auftragnehmer verbundenen Nachteilen
bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02, aaO). Entsprechendes gilt bezüglich etwaiger im Abnahmeprotokoll als fehlend festgestellter
Leistungen.
III.
25
Nach alledem kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben, soweit
die
Berufung
der
Klägerin
in
Höhe
des
Sicherheitseinbehalts
(7.470,72 €) zuzüglich Zinsen zurückgewiesen worden ist. In diesem Umfang ist
das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat kann mangels hinreichender
- 10 -
Feststellungen in der Sache nicht selbst entscheiden (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO),
weshalb die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.
26
Das Berufungsgericht wird Feststellungen dazu zu treffen haben, ob es
sich bei den Vertragsbestimmungen in § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die nicht im Einzelnen ausgehandelt sind.
Eick
Kartzke
Sacher
Graßnack
Borris
Vorinstanzen:
LG Gera, Entscheidung vom 27.08.2015 - 2 O 853/13 OLG Jena, Entscheidung vom 25.05.2016 - 7 U 702/15 -