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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 5/06
vom
23. Januar 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 233 Fc
Wird einem Rechtsanwalt der Entwurf der Berufungsbegründung vorgelegt, hat er
spätestens dann die Fristennotierung eigenständig zu prüfen.
BGH, Beschluss vom 23. Januar 2007 - VI ZB 5/06 - OLG Hamm
LG Bochum
-2-
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Januar 2007 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und
Stöhr
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 26. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. Januar 2006 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Gegenstandswert: 8.000 €
Gründe:
I.
1
Die Klägerin macht wegen eines Behandlungsfehlers Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend.
2
Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 14. September 2005,
zugestellt am 29. September 2005, zur Zahlung von 6.000 € Schmerzensgeld
verurteilt und dem Feststellungsantrag der Klägerin stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit einem am selben Tag beim Oberlandesgericht
eingegangenen Schriftsatz vom 31. Oktober 2005 (Montag) Berufung eingelegt.
Da die Berufung zunächst nicht begründet worden ist, hat das Oberlandesgericht mit Verfügung vom 6. Dezember 2005 darauf hingewiesen, dass es beab-
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sichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen. Durch Schriftsatz
vom 6. Dezember 2005 ist die Berufung begründet und Wiedereinsetzung hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist beantragt worden.
3
Die Beklagte hat hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags ausgeführt,
das am 29. September 2005 zugestellte Urteil sei mit einem entsprechenden
Eingangsstempel versehen worden. Die zuständige Angestellte - Frau W. - habe die Berufungsfrist mit einer Vorfrist zum 24. Oktober 2005 und einer Ablauffrist zum 31. Oktober 2005 sowie die Begründungsfrist mit Vorfrist zum
22. November 2005 und Ablauffrist zum 29. November 2005 im Fristenkalender
notiert und die entsprechenden Fristen auf dem Urteil handschriftlich vermerkt.
Sodann sei eine entsprechende Kontrolle durch Rechtsanwalt H. erfolgt und die
Akte mit dem Urteil zur weiteren Bearbeitung der erstinstanzlich tätig gewesenen Rechtsanwältin Dr. J. vorgelegt worden. Diese habe ebenfalls festgestellt,
dass die Fristen ordnungsgemäß notiert worden seien.
4
Nachdem am 31. Oktober 2005 die Haftpflichtversicherung der Beklagten
die Weisung erteilt habe, gegen das Urteil Berufung einzulegen, habe Rechtsanwältin Dr. J. die Berufungsschrift veranlasst. Entsprechend einer internen
Absprache habe sie sodann die Akte an ihren Kollegen Rechtsanwalt Dr. R. zur
weiteren Bearbeitung im Rahmen des Berufungsverfahrens weitergeleitet. Dieser habe durch seine Sekretärin - Frau B. - eine Berufungsakte anlegen lassen,
was diese am 7. November 2005 erledigt habe. Dabei habe sie das erstinstanzliche Urteil kopiert und in die zweitinstanzliche Handakte gelegt. Eine eigene
Fristübertragung im Sekretariat des nunmehr tätigen Rechtsanwalts sei aber
unterblieben. Dies sei Rechtsanwalt Dr. R. nicht aufgefallen, weil das Urteil bereits entsprechende handschriftliche Notizen aufgewiesen habe.
-4-
5
Rechtsanwalt R. habe einen Entwurf der Begründung gefertigt, der am
4. November 2005 geschrieben worden sei. Eine endgültige Überarbeitung habe erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen sollen, weil es andere dringlichere
Mandate gegeben habe. Die Akte sei dann weder zur Vorfrist noch zum Fristablauf vorgelegt worden. Rechtsanwalt R. habe dies erst am 2. Dezember 2005
festgestellt, als er die Akte routinemäßig habe fertig stellen wollen.
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Die Beklagte müsse sich die Fristversäumung nicht zurechnen lassen.
Diese sei auf das Fehlverhalten zweier ausgebildeter und mehrjährig tätiger
Rechtsanwaltsfachangestellten zurückzuführen. Es bestehe die generelle Anweisung, die Fristen im Kalender des erstinstanzlich tätig gewesenen Sachbearbeiters erst zu streichen, wenn durch eine Rückmeldung aus dem Sekretariat
des zweitinstanzlich tätigen Anwaltes sicher sei, dass dort die Fristen notiert
seien. Zu einer solchen Rückmeldung sei es nicht gekommen. Frau W. habe
die bei ihr notierten Fristen übersehen und auch bei Fristablauf nicht im Sekretariat von Rechtsanwalt Dr. R. angerufen, um nachzufragen, ob die Fristen erledigt seien. Frau W. sei eine sehr qualifizierte Fachkraft, die schon seit längerer Zeit ein Vorzimmer leite und überaus ordentlich und korrekt arbeite.
7
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Es sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass im Büro der Prozessvertreter der Beklagten die Fristenkontrolle ordnungsgemäß gesichert oder
organisiert sei. Es lägen nicht nur mehrere deutliche Fehler einer einzigen Angestellten vor, sondern beide Angestellte der eingeschalteten Rechtsanwälte
hätten in nicht unerheblicher Weise fehlerhaft und entgegen den behaupteten
hausinternen Anweisungen gehandelt. Dies lasse darauf schließen, dass die
Organisation entweder nicht ausreichend verständlich und eindeutig gestaltet
sei oder nicht hinreichend überwacht werde.
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8
Zudem habe der geschriebene Entwurf der Berufungsbegründung dem
sachbearbeitenden Rechtsanwalt rechtzeitig vor Ablauf der Frist vorgelegen.
Deshalb habe ihm die Fristensicherung wieder selbst oblegen, weil er die Sache im Zusammenhang mit der Frist bearbeitet habe.
II.
9
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1
Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574
Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts
auf noch erfordert sie die Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
10
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt, weil
die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung auf einem Verschulden
ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten beruht und dies der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Es ist nicht zu beanstanden, dass
das Berufungsgericht ein solches Verschulden angenommen hat, weil der die
Berufungsbegründung bearbeitende Rechtsanwalt die Fristensicherung nicht
selbst überprüft hat, obgleich ihm der Entwurf der Berufungsbegründung rechtzeitig vor Ablauf der Frist vorgelegt worden ist.
11
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein
Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen zwar nicht bei
jeder Vorlage der Handakten, aber dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn
ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung,
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insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Für die Berufungsbegründungsfrist ist ihm das seit Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes schon
ab der Zustellung des Urteils möglich und zumutbar, weil der Ablauf der Begründungsfrist nicht mehr vom Zeitpunkt der Berufungseinlegung abhängt, sondern nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO zwei Monate ab Zustellung des vollständig
abgefassten Urteils beträgt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. November 2002
- VI ZB 40/02 - NJW 2003, 437; vom 5. März 2002 - VI ZR 286/01 - VersR
2002, 637; vom 14. Januar 1997 - VI ZB 24/96 - VersR 1997, 598, jeweils
m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - FamRZ
2005, 435; vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03 - FamRZ 2004, 1183; vom
11. Februar 2004 - XII ZB 263/03 - FamRZ 2004, 696). Diese Verpflichtung zu
einer eigenständigen Prüfung besteht unabhängig davon, ob sich der Prozessbevollmächtigte sogleich zur Bearbeitung der Sache entschließt oder - wie hier die (weitere) Bearbeitung vorerst zurückstellt (vgl. Senatsbeschluss vom
14. Januar 1997 - VI ZB 24/96 - aaO; BGH, Beschluss vom 29. April 1998
- XII ZB 140/95 - NJW-RR 1998, 1526). Es ist auch nicht erforderlich, dass dem
Anwalt zugleich die Akten vorgelegt werden. Soweit in Entscheidungen des
Bundesgerichtshofs auf die Vorlage der Akten abgehoben wird, geschieht dies
nicht, um zwischen den "Akten" und der "Sache" zu unterscheiden, sondern um
sachgerecht dahin zu differenzieren, ob die Akten zur Vorlage der fristwahrenden Prozesshandlung oder aus sonstigen Gründen vorgelegt worden sind (vgl.
Senatsbeschlüsse vom 5. März 2002 - VI ZR 286/01 - aaO; vom 19. Februar
1991 - VI ZB 2/91 - VersR 1991, 1269; BGH, Beschluss vom 6. Juli 1994
- VIII ZB 12/94 - VersR 1995, 238). Zu der notwendigen Nachprüfung gehört
auch die Kontrolle des Bürovermerks in den Handakten über die Eintragung der
Frist im Fristenkalender (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1987 - VIII ZB
16/87 - VersR 1988, 414).
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12
b) Nach diesen Grundsätzen hätte der die Beklagte in der zweiten Instanz vertretende Prozessbevollmächtigte jedenfalls nach Wiedervorlage des
von ihm diktierten und zwischenzeitlich geschriebenen Entwurfs der Berufungsbegründung anhand der Handakten überprüfen müssen, ob ein Erledigungsvermerk hinsichtlich der Fristeneintragung erfolgt ist. Hätte er dies getan, hätte
ihm auffallen müssen, dass zwar eine Kopie des erstinstanzlichen Urteils mit
dem Erledigungsvermerk des erstinstanzlich tätigen Büros hinsichtlich der Fristennotierung vorlag, jedoch ein entsprechender Vermerk seines eigenen Büros
nicht aus den Handakten ersichtlich war. Wäre er den sich daraus ergebenden
Zweifeln an einer ordnungsgemäßen Notierung der Berufungsbegründungsfrist
nachgegangen, hätte er das Fehlen der Eintragung im Fristenkalender entdeckt, so dass die Versäumung der Frist vermieden worden wäre. Da der
zweitinstanzliche Rechtsanwalt der Beklagten eine solche Prüfung nicht vorgenommen, sondern den Entwurf der Berufungsbegründung nach Vorlage durch
sein Büro wegen anderer vordringlicher Arbeiten zunächst nicht weiter bearbeitet hat, hat er mithin nicht alles ihm Zumutbare getan und veranlasst, damit die
Frist zur Begründung des Rechtsmittels gewahrt wird. Daher hat das Oberlandesgericht zu Recht ein Verschulden angenommen.
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2. Im Hinblick darauf kommt es nicht mehr darauf an, ob das Oberlandesgericht zu Recht aus einer Reihe von Fehlern mehrerer Mitarbeiter den
Schluss gezogen hat, dass die Organisation im Anwaltsbüro entweder nicht
ausreichend verständlich und eindeutig gestaltet gewesen oder nicht hinreichend überwacht worden sei (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 27. März 2001
- VI ZB 7/01 - VersR 2001, 1133, 1134; BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 1996
- XII ZR 279/95 - FamRZ 1996, 1469; vom 20. Dezember 1984 - III ZB 37/84 VersR 1985, 270). Eine Rechtsfortbildung zu der von der Rechtsbeschwerde
aufgeworfenen Frage, wann eine auffällige Häufung von Mängeln bei der Wahrung einer Rechtsmittelbegründungsfrist anzunehmen ist, ist nicht geboten, weil
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der angefochtene Beschluss - wie ausgeführt - schon aus anderen Gründen
einer Überprüfung stand hält.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller
Greiner
Pauge
Wellner
Stöhr
Vorinstanzen:
LG Bochum, Entscheidung vom 14.09.2005 - 6 O 306/04 OLG Hamm, Entscheidung vom 02.01.2006 - 26 U 156/05 -