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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 28/10
vom
22. Juli 2010
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5
Werden in der Begründung des Haftantrags die Tatsachen, auf denen die
Ausreisepflicht des Betroffenen beruht, nicht oder falsch vorgetragen, leidet die
richterliche Anordnung der Freiheitsentziehung an einem Verfahrensmangel,
der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt.
BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10 - LG Hannover
AG Hannover
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juli 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Lemke, die Richterin
Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth
beschlossen:
Dem Betroffenen wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Rinkler
Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den
Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom
19. Januar 2010 bewilligt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass
der Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover
vom 19. Januar 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts
Hannover vom 30. November 2009 den Betroffenen in seinen
Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten
werden
nicht
erhoben.
Die
zur
zweckent-
sprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Land Niedersachsen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
3.000 €.
-3-
Gründe:
I.
1
Der Betroffene reiste erstmalig Anfang 2008 in die Bundesrepublik
Deutschland ein. Ein von ihm am 6. Februar 2008 gestellter Asylantrag wurde
mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden:
Bundesamt) vom 5. März 2008 als unzulässig zurückgewiesen und die Überstellung des Betroffenen nach Art. 18 Dublin II-Verordnung in die Slowakische
Republik angeordnet, in der der Betroffene zuvor ebenfalls Asyl beantragt hatte.
Die Überstellung scheiterte, weil der Betroffene die Aufnahmeein-richtung, in
der er untergebracht war, verließ und danach sein Aufenthalt für die Behörden
unbekannt war.
2
Nach Ankündigung einer Rücküberstellung des Betroffenen aus dem
Königreich der Niederlande in die Bundesrepublik Deutschland hob das
Bundesamt am 5. Oktober 2009 den Bescheid vom 5. März 2008 auf und
kündigte eine neue Entscheidung über den Asylantrag an, weil eine
Überstellung des Betroffenen in die Slowakische Republik infolge Zeitablaufs
nicht mehr zulässig war. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 wurde der
Asylantrag vom 6. Februar 2008 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, der
Betroffene
zum
Verlassen
des
Bundesgebietes
binnen
einer
Woche
aufgefordert und eine Abschiebung nach Georgien angedroht. Dieser Bescheid
wurde der Aufnahmeeinrichtung, in der der Betroffene im Jahr 2008
untergebracht war, mit der Bitte um Aushändigung übersandt und ging dort am
9. Oktober 2009 ein. In der Rückantwort teilte die Aufnahmeeinrichtung dem
Bundesamt mit, dass der Betroffene die Einrichtung am 21. Januar 2009
verlassen habe und sein Aufenthaltsort nicht bekannt sei.
-4-
3
Nach Überstellung des Betroffenen aus den Niederlanden ordnete das
Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) die Haft zur
Sicherung der Abschiebung bis längstens zum 28. Februar 2010 und die
sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an. Die sofortige Beschwerde des
Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Am 20. Februar 2010 wurde
der Betroffene abgeschoben. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er, die
Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Landgerichts und der Haftanordnung des
Amtsgerichts festzustellen.
II.
4
Das Beschwerdegericht hat den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 5
AufenthG bejaht und ein Abschiebungshindernis auf Grund des Asylantrags des
Betroffenen vom 6. Februar 2008 verneint. Die Aufenthaltsgestattung nach § 55
Abs. 1 AsylVfG sei mit dem Bescheid des Bundesamtes vom 7. Oktober 2009
erloschen, der nach § 10 Abs. 2 AsylVfG als am 12. Oktober 2009 zu-gestellt
gelte, so dass der Betroffene seit dem 20. Oktober 2009 vollziehbar
ausreisepflichtig sei.
III.
5
Die nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte (dazu: Senat, Beschl. v.
25. Februar 2010, V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727) und gemäß § 71
FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde hat in der Sache
Erfolg. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG ist begründet.
-5-
6
1. Die Abschiebungshaft durfte von dem Amtsgericht schon deshalb nicht
angeordnet und von dem Beschwerdegericht nicht bestätigt werden, weil es an
einem wirksamen Antrag der Beteiligten zu 2 auf Anordnung der Freiheitsentziehung fehlt.
7
a) Das Vorliegen eines zulässigen Antrages der zuständigen Verwaltungsbehörde nach § 417 FamFG ist Verfahrensvoraussetzung und in jeder
Lage des Verfahrens zu prüfen (Senat, Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10,
Rn. 7; Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 12, juris).
8
Der Haftantrag ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zu begründen. Ein
Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags
(Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 14, juris). Für die Abschiebungs- und Zurückschiebungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführung der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 2
Nr. 5 FamFG).
9
b) Die Begründung des Haftantrags der Beteiligten zu 2 vom 25. November 2010 genügt diesen Anforderungen nicht.
10
aa) In dem Antrag fehlt die nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG
erforderliche Angabe der Tatsachen, aus denen sich die Ausreisepflicht des
Betroffenen ergab. Die den Antrag stellende Behörde muss dazu aufzeigen,
dass dem Betroffenen ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet nicht zusteht.
Hierfür ist der Grund der Ausreisepflicht zu bezeichnen, zu dessen Sicherung
die Abschiebungshaft angeordnet werden soll. Ergibt sich die Ausreisepflicht
aus einem vollziehbaren Bescheid, muss die Behörde in dem Haftantrag auf
-6-
diesen Bescheid Bezug nehmen (vgl. Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 417
Rn. 4; Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 417 Rn. 8).
11
Dem entspricht der Haftantrag der Beteiligten zu 2 nicht, weil in diesem
nur der bereits aufgehobene Bescheid des Bundesamtes vom 5. März 2008,
jedoch nicht der Bescheid vom 7. Oktober 2009 erwähnt ist, aus dem allein sich
die Ausreisepflicht des Betroffenen im Zeitpunkt der Beantragung der Abschiebungshaft ergeben konnte.
12
bb) Den Anforderungen an die Begründung des Haftantrags wird auch
nicht dadurch genügt, dass nach der Akte der Bescheid des Bundesamtes vom
7. Oktober 2009 dem Haftantrag beilag. Die Behörde muss nämlich in dem Antrag selbst die die Verlassenspflicht begründenden Tatsachen bezeichnen. Nur
dann ist gewährleistet, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die
Behörde ihren Antrag stützt, und das rechtliche Gehör des Betroffenen durch
die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (vgl.
Schulte-Bunert/Weinreich/Dodegge, FamFG, § 417 Rn. 14).
13
cc) Eine mögliche Heilung eines unvollständigen schriftlichen Haftantrags
durch eine zu Protokoll des Haftrichters erklärte Ergänzung der Begründung
(dazu Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, Rn. 17, juris) ist hier nicht
erfolgt, weil nach dem Protokoll der Anhörung vom 30. November 2009 von der
Beteiligten zu 2 niemand zugegen war, dem Betroffenen allein der Haftantrag
bekannt gegeben wurde und er sich dazu äußern konnte.
14
dd) Auf einen unvollständigen Antrag darf keine Haft angeordnet werden;
vielmehr ist der Antrag - wenn keine Nachbesserung erfolgt - als unzulässig zu
verwerfen (Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 417 Rn. 6; Bassenge/Roth/Gottwald, FamFG/RpflG, 12. Aufl., § 418 FamFG Rn. 5).
-7-
15
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand, weil es auch in der Beschwerdeinstanz an einem
ordnungsgemäßen Haftantrag gefehlt hat (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 29. April
2010, V ZB 218/09, Rn. 24). Die Beteiligte zu 2 hat nur den Haftantrag vom
25. November 2010 gestellt.
16
Die Mängel in jenem Haftantrag sind auch nicht durch die davon
abweichenden Ausführungen in den Schriftsätzen der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz behoben worden, in denen die Beteiligte zu 2 zur Begründung
der Ausreisepflicht des Betroffenen sich auf den Bescheid des Bundesamtes
vom 5. Oktober 2009 gestützt, und auf dessen Einwand, ihm sei dieser
Bescheid unbekannt gewesen, sich auf die Zustellungsfiktionen in § 10 Abs. 2
Satz 4 und Abs. 4 Satz 4 AsylVfG berufen hat. Bei der ordnungsgemäßen
Antragstellung durch die Behörde handelt es sich um eine unverzichtbare
Verfahrensgarantie, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert (BVerfG
NVwZ-RR 2009, 304, 305; Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09,
Rn. 19, juris).
17
3. Da ein Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 417 FamFG nicht
mit der Argumentation für unbeachtlich erklärt werden kann, dass die
Freiheitsentziehung materiell zu Recht angeordnet worden sei (BVerfG NVwZRR 2009, 304, 305), kommt es auf alle weiteren Ausführungen der Beteiligten
nicht an.
IV.
18
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83
Abs. 2, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in
-8-
Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, dem Land Niedersachen,
als derjenigen Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430
FamFG) zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.
19
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO
i.V.m. § 30 KostO.
Krüger
Lemke
RinBGH Dr. Stresemann
ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben.
Krüger
Czub
Roth
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 30.11.2009 - 44 XIV 144/09 LG Hannover, Entscheidung vom 19.01.2010 - 28 T 62/09 -