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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 45/15
vom
16. März 2017
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 109 Abs. 1 Satz 2
Gibt der Insolvenzverwalter für das Wohnraummietverhältnis des Schuldners eine
Enthaftungserklärung ab, wird der Anspruch des Schuldners auf Rückzahlung einer die gesetzlich zulässige Höhe nicht übersteigenden Mietkaution vom Insolvenzbeschlag frei.
BGH, Beschluss vom 16. März 2017 - IX ZB 45/15 - LG Karlsruhe
AG Karlsruhe
ECLI:DE:BGH:2017:160317BIXZB45.15.0
-2-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Grupp, Dr. Schoppmeyer und
Meyberg
am 16. März 2017
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 11. Zivilkammer
des Landgerichts Karlsruhe vom 19. Juni 2015 wird auf Kosten
des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 706,15 €
festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Am 19. Oktober 2012 wurde über das Vermögen des Schuldners das
Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zum Treuhänder bestellt. Am 24. Dezember 2012 gab der weitere Beteiligte gegenüber
dem Vermieter der Wohnung des Schuldners eine Enthaftungserklärung nach
§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ab. Mit Beschluss vom 22. April 2014 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben. Am 31. Juli 2014 endete das Mietverhältnis über
die Wohnung des Schuldners. Der Vermieter überwies die vom Schuldner zu
Beginn des Mietverhältnisses gezahlte Mietkaution in Höhe von 700 € zuzüglich
- 3 -
6,15 € Zinsen auf ein Anderkonto des weiteren Beteiligten. Dieser beantragte
die Anordnung der Nachtragsverteilung über das Guthaben.
2
Das Insolvenzgericht hat den Antrag des weiteren Beteiligten abgelehnt.
Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der weitere Beteiligte sein
Begehren weiter.
II.
3
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache ist sie jedoch unbegründet.
4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, eine Nachtragsverteilung
komme nicht in Betracht. Grundsätzlich handle es sich bei dem Anspruch des
Schuldners auf Rückzahlung der Mietkaution zwar um einen Gegenstand der
Insolvenzmasse. Gebe der Insolvenzverwalter aber das Mietverhältnis durch
eine Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO frei, stehe ein Kautionsguthaben
allein dem Schuldner zu.
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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
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Eine Nachtragsverteilung kann nach der hier allein in Betracht kommenden Norm des § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO angeordnet werden, wenn nach dem
Schlusstermin Gegenstände der Masse ermittelt werden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Anspruch des Schuldners auf die Mietkaution gehört,
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wenn der Insolvenzverwalter eine Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1
Satz 2 InsO abgegeben hat, nicht mehr zur Insolvenzmasse.
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a) In die Insolvenzmasse fällt gemäß § 35 Abs. 1 InsO das gesamte
Vermögen des Schuldners, das ihm zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Der Anspruch auf Rückzahlung einer Mietkaution entsteht, aufschiebend bedingt durch die Beendigung
des Mietverhältnisses und die Rückgabe der Mietsache, bereits mit der Entrichtung der Kaution an den Vermieter. Er begründet ein Anwartschaftsrecht, das
im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters zur Insolvenzmasse
gehört (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2014 - IX ZA 20/14, WM 2014, 2235
Rn. 7). Gegenstände der Masse können vom Insolvenzverwalter freigegeben
werden mit der Folge, dass der Insolvenzbeschlag endet und der Schuldner die
Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wiedererlangt (BGH, Beschluss vom
3. April 2014 - IX ZA 5/14, WM 2014, 956 Rn. 6 mwN). Wird eine Forderung
freigegeben, fällt auch ein mit deren Beitreibung erzieltes Vermögen nicht in die
Insolvenzmasse (BGH, Urteil vom 21. April 2005 - IX ZR 281/03, BGHZ 163,
32, 37; vom 22. Mai 2014 - IX ZR 136/13, WM 2014, 1239 Rn. 33).
8
b) Der Insolvenzverwalter kann das nach § 108 Abs. 1 InsO mit Wirkung
für die Insolvenzmasse fortbestehende Mietverhältnis über die Wohnung des
Schuldners nicht nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO kündigen. Er kann aber erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der dort bestimmten Kündigungsfrist fällig
werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (§ 109
Abs. 1 Satz 2 InsO). Mit der Einführung dieser Regelung durch das Gesetz zur
Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001
(BGBl. I S. 2710) wollte der Gesetzgeber den Schuldner vor Obdachlosigkeit
schützen, die drohte, wenn der Insolvenzverwalter das Mietverhältnis über die
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Wohnung des Schuldners kündigte, um die Mietkaution für die Masse zu vereinnahmen. Zugleich sollte der Insolvenzverwalter weiterhin die Möglichkeit haben, die Masse von Belastungen aus dem Mietverhältnis freizustellen (vgl. BTDrucks. 14/5680, S. 16, 27).
9
c) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beschränkt sich die Wirkung der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters
oder Treuhänders nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht darauf, dass die Insolvenzmasse für die nach Ablauf der Kündigungsfrist fällig werdenden Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis nicht mehr haftet. Mit dem Wirksamwerden
der Erklärung geht vielmehr die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis betreffend das Mietverhältnis über die Wohnung des Schuldners in vollem Umfang
vom Verwalter wieder auf den Schuldner über (BGH, Urteil vom 9. April 2014
- VIII ZR 107/13, WM 2014, 1000 Rn. 13 ff; vom 22. Mai 2014 - IX ZR 136/13,
WM 2014, 1239 Rn. 7, 14 ff; vom 17. Juni 2015 - VIII ZR 19/14, BGHZ 206, 1
Rn. 20). Der Vermieter hat deshalb nach diesem Zeitpunkt eine Kündigung an
den Schuldner zu richten (BGH, Urteil vom 9. April 2014, aaO Rn. 9), für eine
Klage gegen den Vermieter auf Auszahlung eines nach der Enthaftungserklärung entstandenen Nebenkostenguthabens fehlt dem Insolvenzverwalter die
Prozessführungsbefugnis (BGH, Urteil vom 22. Mai 2014, aaO Rn. 6), und die
Kündigungssperre des § 112 Nr. 1 InsO verliert ihre Geltung (BGH, Urteil vom
17. Juni 2015, aaO Rn. 24 ff).
10
d) Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung scheidet auch der
Anspruch des Schuldners auf Rückzahlung einer Mietkaution bis zur gesetzlich
zulässigen Höhe (§ 551 Abs. 1, Abs. 3 Satz 4 BGB) aus der Insolvenzmasse
aus. Die mit der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO verbundene Freigabe
erstreckt sich auf dasjenige Vermögen des Schuldners, das der weiteren Durch-
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führung des Mietvertrags zuzuordnen ist. Vom Insolvenzbeschlag frei werden
deshalb insbesondere alle mietvertraglichen Forderungen des Schuldners, die
erst nach dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enthaftungserklärung entstehen. Der Anspruch des Schuldners auf Rückzahlung einer geleisteten Mietkaution entsteht zwar aufschiebend bedingt bereits mit der Leistung der Kaution. Nach Sinn und Zweck der Mietkaution ist der Anspruch auf Rückzahlung
jedoch der Fortsetzung des Mietverhältnisses nach dem Wirksamwerden der
Enthaftungerklärung zuzuordnen. Zum Zeitpunkt der Enthaftungserklärung hat
das Anwartschaftsrecht auf Rückzahlung der Kaution noch keinen sicheren
Vermögenswert. Die Kaution dient nach Maßgabe der getroffenen Sicherungsabrede bis zur Beendigung des Mietverhältnisses und der Rückgabe der Mietsache dazu, die mietvertraglichen Ansprüche des Vermieters zu sichern. Ein
Anspruch auf Rückzahlung der Kaution besteht nur, wenn der Schuldner auch
nach der Freigabe des Mietverhältnisses seine mietvertraglichen Pflichten erfüllt, insbesondere die geschuldete Miete samt Nebenkosten zahlt und die Mietsache nach der Beendigung des Mietverhältnisses in vertragsgemäßem Zustand zurückgibt. Erst dadurch erlangt das Recht des Schuldners an der Kaution seinen endgültigen Wert. Deshalb ist es gerechtfertigt, dass mit der Freigabe
des Mietverhältnisses auch der Anspruch auf Rückzahlung der Kaution aus
dem insolvenzbefangenen Vermögen ausscheidet, soweit es sich um eine Kaution im gesetzlich zulässigen Rahmen handelt.
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e) Eine solche Auslegung der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO,
deren Reichweite nicht zur Disposition des Insolvenzverwalters steht, widerspricht nicht den in den Gesetzesmaterialien verlautbarten Vorstellungen des
Gesetzgebers. Die dort geäußerte Annahme, eine von dem Schuldner gestellte
Kaution falle nach Beendigung des Wohnraummietverhältnisses in die Masse
(BT-Drucks. 14/5680, S. 27), entspricht der Rechtslage in den Fällen, in denen
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es nicht zu einer Enthaftungserklärung des Verwalters kommt. Mit der neu geschaffenen Regelung in § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO wollte der Gesetzgeber die
Praxis unterbinden, dass Insolvenzverwalter das Wohnraummietverhältnis des
Schuldners kündigten, um die Kaution zur Masse zu ziehen. Vor dem Hintergrund dieses sozialpolitischen Regelungszwecks kann den Gesetzesmaterialien
ein tragfähiger Rückschluss dahingehend, dass die Kaution auch nach einer
Enthaftungserklärung und der späteren Beendigung des Mietverhältnisses in
die Insolvenzmasse fällt, nicht entnommen werden. Das Ziel des Gesetzgebers,
den insolventen Mieter vor Obdachlosigkeit zu schützen, wird eher erreicht,
wenn die Kaution dem freien Vermögen des Schuldners zugeordnet wird und
von ihm für ein neues Mietverhältnis eingesetzt werden kann.
Kayser
Gehrlein
Schoppmeyer
Grupp
Meyberg
Vorinstanzen:
AG Karlsruhe, Entscheidung vom 08.10.2014 - G1 IK 1054/12 (3) E LG Karlsruhe, Entscheidung vom 19.06.2015 - 11 T 586/14 -