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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 26/13
vom
15. Mai 2014
in dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Brüssel I-VO Art. 34 Nr. 2
Die Vollstreckbarerklärung eines polnischen Versäumnisurteils gegen das der Beklagte im Erststaat rechtzeitig Einspruch eingelegt hat, kann nicht mit der Begründung versagt werden, das verfahrenseinleitende Schriftstück sei dem Beklagten nicht
so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden, dass er sich verteidigen konnte.
Brüssel I-VO Art. 34 Nr. 1
Ein behaupteter Prozessbetrug hindert die Vollstreckbarerklärung nicht, wenn gegen
die Entscheidung des Erststaats ein Rechtsmittel eingelegt wurde, mit welchem der
behauptete Verstoß beseitigt werden kann.
BGH, Beschluss vom 15. Mai 2014 - IX ZB 26/13 - OLG Celle
LG Lüneburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
am 15. Mai 2014
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Celle vom 11. März 2013 wird auf Kosten
der Rechtsbeschwerdeführerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf 65.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Der Antragsteller ist Inhaber eines in Polen ansässigen Unternehmens.
Die Antragsgegnerin, die ihren Sitz in Deutschland hat, sollte nach einem Kaufvertrag Zucker an das Unternehmen des Antragstellers liefern. Nachdem sie
dieser Verpflichtung nicht nachkam, beantragte der Antragsteller beim Bezirksgericht Breslau, die Antragsgegnerin zur Zahlung von 61.594,81 € nebst Zinsen
zu verurteilen. Diesem Antrag wurde mit Versäumnisurteil vom 5. April 2012
entsprochen. Über den von der Antragsgegnerin in Polen erhobenen Einspruch
ist bislang nicht entschieden.
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In Deutschland hat der Antragsteller beantragt, die Versäumnisentscheidung des Bezirksgerichts Breslau für vollstreckbar zu erklären. Das Landgericht
hat dem Antrag stattgegeben. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat zu einer Konkretisierung des Zinsausspruchs geführt und ist im Übrigen erfolglos
geblieben. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 der Verordnung (EG)
Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (fortan:
EuGVVO, ABl. L 12 S. 1 ff vom 16. Januar 2001) in Verbindung mit § 15 Abs. 1
AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 15 Abs. 1
AVAG, § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
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1. Soweit die Rechtsbeschwerde den Zulässigkeitsgrund des Einheitlichkeitssicherungsbedarfs geltend macht und meint, das Beschwerdegericht habe
gehörsverletzend das Anerkennungshindernis des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO verneint, kann sie damit keinen Erfolg haben. Nach dieser Regelung kann eine
Entscheidung nicht anerkannt werden, wenn dem Beklagten, der sich auf das
Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht so
rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen
konnte, es sei denn, er hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf einge-
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legt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. Daher sind die Verteidigungsrechte,
die durch Art. 34 Nr. 2 EuGVVO geschützt werden sollen, erst recht gewahrt,
wenn der Beklagte gegen die in Abwesenheit ergangene Entscheidung tatsächlich einen Rechtsbehelf eingelegt hat, mit dem er geltend machen konnte, ihm
sei das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück
nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden, dass er sich habe verteidigen können (EuGH, Urteil vom 28. April 2009 - Rs. C-420/07, Apostolides/Orams, Slg. 2009, I-3571 Rn. 78; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 34 EuGVO Rn. 44). Zu solchen Rechtsbehelfen zählt
der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil (vgl. EuGH, Urteil vom 28. April
2009, aaO Rn. 79), der auch von der Antragsgegnerin erhoben wurde und gemäß Art. 344 § 1 des polnischen Zivilverfahrensgesetzbuchs (fortan: ZVGB)
statthaft ist. Aus dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes lässt
sich gleichzeitig schließen, dass eine Einlassung im Sinne von Art. 34 Nr. 2
EuGVVO auch in der Erhebung eines Rechtsbehelfs nach Erlass des Versäumnisurteils liegt, selbst wenn die Vollstreckbarerklärung des Versäumnisurteils begehrt wird.
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Angesichts des tatsächlich eingelegten Rechtsbehelfs im Erststaat
kommt es auf den von der Rechtsbeschwerde behaupteten symptomatischen
Rechtsfehler des Beschwerdegerichts bei Prüfung des Versagungsgrundes
nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO und eine Grundsatzbedeutung nicht an. Der behauptete Gehörsverstoß liegt schon nicht vor, weil das Oberlandesgericht den
Vortrag der Antragsgegnerin zur Verfügung des Bezirksgerichts Breslau vom
7. Dezember 2011 nicht übergangen hat.
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2. Ebenso wenig ist eine Gehörsverletzung des Beschwerdegerichts bei
der Verneinung des Ordre-public-Vorbehalts nach Art. 34 Nr. 1 EuGVVO fest-
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zustellen. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob der Vorwurf des
Prozessbetrugs zutrifft. Ein solcher Prozessbetrug hindert jedenfalls nicht die
Vollstreckbarerklärung, wenn gegen die Entscheidung im Erststaat ein Rechtsmittel eingelegt wurde, mit welchem der behauptete Verstoß beseitigt werden
kann (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 1977 - VIII ZR 120/75, NJW 1978,
1114, 1115 zu Art. III Abs. 1 c, 2 deutsch-britisches Übereinkommen; Kropholler/von Hein, aaO Rn. 15b; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, 3. Aufl., A.1,
Art. 34 Rn. 57). Ein Beklagter, der sich vor dem ausländischen Gericht eingelassen hat, soll im Anerkennungsverfahren nicht erneut rügen können, der
Gegner habe das Urteil durch vorsätzlich falschen Prozessvortrag erwirkt (vgl.
BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004 - IX ZB 43/03, NJW 2004, 2386, 2388 mwN).
Im Exequaturverfahren ist er vielmehr mit dem Tatsachenvortrag ausgeschlossen, den er bereits im Erststaat eingebracht hat (BGH, Urteil vom 29. April 1999
- IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286, 306) oder hätte einbringen können (vgl. BGH,
Urteil vom 19. September 1977, aaO). Da die Antragsgegnerin im Urteilsstaat
Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt hat, ist es ihr möglich, gemäß
Art. 344 § 2 ZVGB ihre Einwendungen gegen den Klageantrag und diese stützende Tatsachen und Beweise vorzubringen. Sie kann somit in Polen die vorgelegte, angeblich unvollständig abgelichtete Kopie des Vertragstextes einwenden, um ihren Klageabweisungsantrag zu begründen und den behaupteten
Prozessbetrug abzuwenden. Im Exequaturverfahren kann sie dies nicht geltend
machen.
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3. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Zurückweisung einer Anordnung
zur Sicherheitsleistung nach Art. 46 Abs. 3 EuGVVO unter Verletzung des
rechtlichen Gehörs der Antragsgegnerin erfolgt ist. Das Gericht ist nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen eines Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen (BGH, Beschluss vom 16. September
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2008 - X ZB 28/07, GRUR 2009, 90 Rn. 7; BVerfG, NJW 1992, 1031;
BVerfGE 86, 133, 146). Vielmehr müssen im Einzelfall besondere Umstände
deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder
überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfGE 86, aaO). Dies ist im Streitfall nicht festzustellen. Jedenfalls wäre der behauptete Gehörsverstoß nicht entscheidungserheblich, weil
auch bei Beachtung des übergangenen Vorbringens keine andere Entscheidung hätte ergehen können (BGH, Urteil vom 18. Juli 2003 - V ZR 187/02, NJW
2003, 3205, 3206).
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Denn die Antragsgegnerin hat ihren Antrag im Beschwerdeverfahren allein damit begründet, ein möglicher Rückzahlungsanspruch des vorläufig ausgeurteilten Betrags sei nur unter erheblichen Problemen zu realisieren; es gebe
keinen hinreichenden Grund, sie auf eine möglicherweise erforderliche
Zwangsvollstreckung in Polen zu verweisen. Die Notwendigkeit der Verfolgung
eines Erstattungsanspruchs gegen einen im EU-Ausland ansässigen Gläubiger
vor den dortigen Gerichten genügt grundsätzlich nicht, um hierauf eine Anordnung nach Art. 46 Abs. 3 EuGVVO zu stützen, weil durch die Zuständigkeitsund Anerkennungsregelungen der EuGVVO die Rechtsverfolgung im Regelfall
gewährleistet ist (Geimer in Geimer/Schütze, aaO Art. 46 Rn. 36; Rauscher/
Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 46 Brüssel I-VO Rn. 17a). Damit ist nicht
dargetan, dass der Antragsgegnerin ein nicht zu ersetzender Nachteil infolge
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der möglichen Zwangsvollstreckung durch den Antragsteller droht (vgl.
OLG Koblenz, OLGR 2001, 414, 416; Kropholler/von Hein, aaO Art. 46 EuGVO
Rn. 7).
Kayser
Gehrlein
Grupp
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
LG Lüneburg, Entscheidung vom 07.01.2013 - 7 O 126/12 OLG Celle, Entscheidung vom 11.03.2013 - 8 W 7/13 -