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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 149/11
vom
6. Oktober 2011
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Fischer
am 6. Oktober 2011
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer
des Landgerichts Stuttgart vom 16. Februar 2011 wird auf Kosten
des Beklagten zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.838,47 €
festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Der Kläger nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Zahlung von
2.838,47 € nebst Zinsen, hilfsweise im Wege der Stufenklage auf Auskunft und
Zahlung des sich aus der Auskunft ergebenden Betrages in Anspruch. Das
Amtsgericht hat den Beklagten durch Versäumnisurteil vom 4. Mai 2010 antragsgemäß verurteilt. Den Einspruch des Beklagten hat es durch Versäumnisurteil vom 28. September 2010 verworfen. Die ausschließlich auf den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7b ZPO - nachträgliches Auffinden mehrerer Urkunden - gestützte Berufung des Beklagten ist als unzulässig verworfen worden.
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Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Beklagte die Aufhebung dieses Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erreichen.
II.
2
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und
auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.
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1. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten für unzulässig
gehalten, weil keine Tatsachen vorgetragen worden seien, aus denen sich ergebe, dass ein Fall der schuldhaften Säumnis im Einspruchstermin nicht vorgelegen habe (§ 514 Abs. 2 ZPO). Die Urkunden, welche der Beklagte mit der
Berufungsbegründung vorgelegt habe, führten zu keinem anderen Ergebnis.
Die Berufung sei unabhängig vom Vorliegen eines Restitutionsgrundes unzulässig. Außerdem bestehe keine Kausalität zwischen der angegriffenen Entscheidung und dem geltend gemachten Restitutionsgrund. Das zweite Versäumnisurteil beruhe auf der Säumnis des Beklagten und nicht darauf, dass er
gehindert gewesen sei, die jetzt beigebrachten Urkunden vorzulegen.
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2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
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a) Nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterliegt ein zweites Versäumnisurteil,
gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist (§ 345 ZPO), der Berufung
insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der Versäumung nicht vorgelegen habe. Eine zulässige Berufung setzt also die schlüssige Darlegung voraus, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden sei (BGH, Urteil vom
19. November 1998 - IX ZR 152/98, NJW 1999, 724; Beschluss vom
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20. Dezember 2010 - VII ZB 72/09, NJW 2011, 928 Rn. 9). Wird die fehlende
oder unverschuldete Säumnis nicht schlüssig dargelegt, ist die Berufung als
unzulässig zu verwerfen.
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b) Die Rechtsbeschwerde verkennt dies nicht. Sie meint jedoch, die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vorbringen eines Restitutionsgrundes im Revisionsverfahren trotz der neuen Vortrag grundsätzlich ausschließenden Vorschrift des § 559 ZPO sei auf die ebenfalls das zulässige Vorbringen und den Prüfungsumfang einschränkende Vorschrift des § 514 Abs. 2
ZPO zu übertragen. Dies trifft indes nicht zu.
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aa) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist
oder auf die der Revisionskläger eine Verfahrensrüge stützt (§ 559 Abs. 1
ZPO). Trotz dieser ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darüber hinaus tatsächliches Vorbringen zu den in § 580 ZPO angeführten Restitutionsgründen zu berücksichtigen sein. Dabei ist zu unterscheiden: Soweit die Restitutionsgründe auf einer
strafbaren Handlung beruhen (§ 580 Nr. 1 bis 5 ZPO), können sie in der Revisionsinstanz geltend gemacht werden, wenn deswegen, wie § 581 Abs. 1 ZPO es
verlangt, eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist (BGH, Beschluss vom
13. Januar 2000 - IX ZB 3/99, LM ÜberlG Nr. 1 unter II 4a aa). Entsprechendes
gilt für den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO, der ebenfalls ein rechtskräftiges Urteil voraussetzt (BGH, Urteil vom 23. November 2006 - IX ZR 141/04,
ZIP 2007, 697 Rn. 14 a.E.). Beruft sich der Revisionskläger in der Revisionsinstanz dagegen auf einen der Tatbestände des § 580 Nr. 7b ZPO (Wiederauffinden einer Urkunde oder Möglichkeit, diese zu gebrauchen), kann das neue
tatsächliche Vorbringen zugelassen werden, wenn anderenfalls in dem anhän-
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gigen Verfahren noch weitere unrichtige Urteile ergehen, die nur durch eine Restitutionsklage beseitigt werden können. Wird der Rechtsstreit durch das Urteil
des Revisionsgerichts insgesamt beendet, können dagegen neue Tatsachen
und Beweismittel, die einen Restitutionsgrund nach § 580 Nr. 7b ZPO darstellen, grundsätzlich nicht entgegen § 559 Abs. 1 ZPO (§ 561 ZPO a.F.) vom Revisionsgericht berücksichtigt werden (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2000,
aaO unter II. 4 a bb).
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bb) Die Zulassung des vorweggenommenen Restitutionsgrundes des
§ 580 Nr. 7b ZPO steht im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Vorschriften
über die Folgen der Säumnis, insbesondere der §§ 345, 514 Abs. 2 ZPO.
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(1) Das Säumnisverfahren ist Folge des Mündlichkeitsprinzips und der
Verhandlungsmaxime (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., vor § 330 Rn. 1).
Eine Partei könnte den Fortgang des Verfahrens blockieren, wenn sie nicht zum
Termin erscheint oder nicht zur Sache verhandelt. Die Zivilprozessordnung
knüpft daher nachteilige Rechtsfolgen an die Säumnis. Ist der Kläger säumig,
ist die Klage ohne Sachprüfung abzuweisen (§ 330 ZPO). Ist der Beklagte
säumig, hat das Gericht neben der Säumnis die Zulässigkeit und die Schlüssigkeit der Klage zu prüfen (§ 331 Abs. 1 und 2 ZPO). Ein erstes Versäumnisurteil
kann noch im Wege des Einspruchs aus der Welt geschafft werden. Ist der Einspruch zulässig, wird der Prozess in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor
Eintritt der Versäumnis befand (§ 342 ZPO). Um zu verhindern, dass der Einspruch "ein bequemes Mittel zur Verschleppung der Prozesse" wird, hat der
historische Gesetzgeber seine wiederholte Zulassung jedoch beschränkt (Hahn,
Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Band 2, Neudruck
1983, S. 298 zu § 300). Erscheint die Partei nach rechtzeitigem Einspruch gegen das (erste) Versäumnisurteil erneut nicht zur mündlichen Verhandlung über
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den Einspruch oder erscheint sie zwar, ist sie aber nicht ordnungsgemäß vertreten oder verhandelt sie nicht, hat das Gericht nur noch die Voraussetzungen
der wiederholten Säumnis, insbesondere die ordnungsgemäße Ladung zum
Termin (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2010, aaO Rn. 11), zu prüfen,
bevor es den Einspruch durch (zweites) Versäumnisurteil verwirft (§ 345 ZPO).
Ein weiterer Einspruch findet nicht statt.
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(2) Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil kann - ebenfalls
folgerichtig - nur die Zulässigkeit des Versäumnisurteils betreffen (Hahn, aaO
S. 359 zu § 479). Eine Erweiterung der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hat der Bundesgerichtshof, anders als bei § 559 ZPO (vgl. Zöller/Heßler,
ZPO, 28. Aufl., § 559 Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, 3. Aufl., § 559
Rn. 5 ff), wiederholt abgelehnt. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil kann nicht darauf gestützt werden, dass bei Erlass des ersten Versäumnisurteils ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen habe (BGH, Beschluss vom
16. April 1986 - VIII ZB 26/85, BGHZ 97, 341). Sie kann auch nicht auf die fehlende Schlüssigkeit der Klage gestützt werden (BGH, Beschluss vom 6. Mai
1999 - V ZB 1/99, BGHZ 141, 351). Die an die wiederholte Säumnis einer Partei
geknüpfte Sanktion des § 514 Abs. 2 ZPO (§ 513 Abs. 2 ZPO a.F.) steht in einer Reihe mit weiteren gesetzlichen Regelungen im Versäumnisverfahren
(§ 708 Nr. 2 ZPO, § 340 Abs. 3 ZPO; § 341 Abs. 1 ZPO), die sämtlich darauf
hinauslaufen, eine Partei, gegen die ein Versäumnisurteil erlassen ist, im Interesse der Prozessbeschleunigung zu besonders sorgfältiger Prozessführung zu
veranlassen. Bleibt die Partei erneut schuldhaft säumig, ist es nur konsequent,
an dieses Fehlverhalten die schärfere Sanktion des endgültigen Prozessverlustes zu knüpfen (BGH, Beschluss vom 16. April 1986, aaO S. 345 f).
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(3) Eine Ausnahme hiervon hat der Bundesgerichtshof nur für den Fall
angenommen, dass sich der Einspruch nicht gegen ein Versäumnisurteil, sondern gegen einen Vollstreckungsbescheid richtete, der gemäß § 700 Abs. 1
ZPO einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichsteht
(BGH, Urteil vom 25. Oktober 1990 - IX ZR 62/90, BGHZ 112, 367). Grund hierfür ist jedoch, dass ein Vollstreckungsbescheid anders als ein (erstes) Versäumnisurteil nicht auf einer richterlichen Prüfung der Zulässigkeit und der
Schlüssigkeit der Klage beruht. Das Gericht, das über den Einspruch befindet,
hat bei Säumnis des Einspruchsführers gemäß § 700 Abs. 6 ZPO die Voraussetzungen des § 331 Abs. 1, 2 erster Halbsatz ZPO zu prüfen, bevor es den
Einspruch gemäß § 345 ZPO verwerfen kann. Auch hier gilt also, dass der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts demjenigen des Einspruchsgerichts entspricht. Der Gegenstand des Rechtsstreits ändert sich nicht (vgl. hierzu Hahn,
aaO; BGH, Urteil vom 25. Oktober 1990, aaO S. 371).
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(4) Der Grundsatz des Gleichlaufs der Prüfungskompetenz von Einspruchs- und Berufungsgericht würde durchbrochen, wollte man dem Berufungskläger gestatten, sich auf "vorweggenommene" Restitutionsgründe zu berufen. Es handelt sich ausnahmslos um Einwendungen, die das Gericht, das
über den Einspruch zu befinden hatte, wegen der Säumnis der Partei nicht prüfen konnte und auch nicht zu prüfen hatte.
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Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit allein vermögen ein anderes Ergebnis nicht zu rechtfertigen. Soweit der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren neues Vorbringen zu den Restitutionsgründen des § 580 Nr. 1-6 ZPO zugelassen hat, liegt der Grund für die Abweichung von dem Grundsatz des § 559
Abs. 1 ZPO (§ 561 ZPO a.F.) gerade nicht im Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, sondern darin, dass das in der Revisionsinstanz ohne Berück-
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sichtigung des neuen Vorbringens ergehende Urteil sich unter Umständen mit
dem Inhalt des rechtskräftigen Urteils eines anderen Gerichts in Widerspruch
setzen oder doch dieses Urteil unbeachtet lassen würde. Daraus ergäben sich
für die Einheitlichkeit und das Ansehen der Rechtsprechung in hohem Maße
abträgliche Folgen (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2000 - IX ZB 3/99, LM
ÜberlG Nr. 1 unter II 4a aa; Urteil vom 23. November 2006 - IX ZR 141/04, ZIP
2007, 697 Rn. 14). Darum geht es hier nicht. Die in § 580 Nr. 7b ZPO zusammengefassten Restitutionsgründe betreffen eine Urkunde, die noch nicht Gegenstand einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung war.
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Soweit der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren unter bestimmten
Voraussetzungen auch neuen Vortrag zu den Restitutionsgründen des § 580
Nr. 7b ZPO zugelassen hat, hat er ebenfalls betont, dass Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit nicht ausreichten, sondern höhere Belange der Allgemeinheit
und der ihr dienenden Rechtspflege die Abweichung von der zwingenden Vorschrift des § 559 ZPO (§ 561 ZPO a.F.) rechtfertigen müssten (BGH, Beschluss
vom 13. Januar 2000 - IX ZB 3/99, LM ÜberlG Nr. 1 unter II 4a bb). Im hier fraglichen Fall der Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil gilt das in noch
höherem Maße, weil die Vorschriften über das Säumnisverfahren nicht nur der
Konzentration des Rechtsstreits auf Rechtsfragen dienen, sondern weitergehend einer Verschleppung des Rechtsstreits vorbeugen sollen. Die Zulassung
der Restitutionsgründe des § 580 Nr. 7b ZPO steht diesem Ziel entgegen. Die
erstmalige Prüfung neuer Tatsachen im Berufungsverfahren würde fast immer
zu Verfahrensverzögerungen führen. Gründe des Allgemeinwohls, die es rechtfertigen würden, diesen Nachteil in Kauf zu nehmen, sind nicht ersichtlich. Das
zweite Versäumnisurteil, das die säumige Partei unter Vorlage von nachträglich
aufgefundenen Urkunden im Wege der Berufung angreifen will, kann durch diese Urkunden nicht einmal "unrichtig" geworden sein, weil es ausschließlich auf
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dem gemäß § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO als zugestanden geltenden Vorbringen
des Klägers beruht und den Vortrag des Beklagten nicht zu berücksichtigen hat.
Darauf hat schon das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen.
Kayser
Gehrlein
Lohmann
Vill
Fischer
Vorinstanzen:
AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Entscheidung vom 28.09.2010 - 2 C 225/10 LG Stuttgart, Entscheidung vom 16.02.2011 - 5 S 262/10 -