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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 96/10
vom
15. Dezember 2010
in dem Rechtsstreit
nachträglicher Leitsatz
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
RVG § 15; RVG VV Nr. 2303 Nr. 4
Eine Geschäftsgebühr nach RVG VV Nr. 2303 Nr. 4 setzt ein Verfahren vor einer gesetzlich eingerichteten Einigungs-, Güte- oder Schiedsstelle voraus. Sie
fällt daher bei Verfahren vor einer kirchlichen Vermittlungsstelle, deren Anrufung vor Beschreiten des Rechtsweges rein arbeitsvertraglich vereinbart ist,
nicht an.
BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2010 - IV ZR 96/10 - LG Düsseldorf
AG Düsseldorf
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richterin
Dr. Kessal-Wulf, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt,
die Richter Dr. Karczewski und Lehmann
am 15. Dezember 2010
einstimmig beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen
das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 24. Februar 2010 durch Beschluss nach § 552a
Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis
zum
31. Januar 2011.
Gründe:
1
I. Der Kläger - eine Gewerkschaft - fordert von dem beklagten
Rechtsschutzversicherer die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Dem Versicherungsverhältnis liegen Bedingungen zugrunde, die den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (im Folgenden: ARB 94) entsprechen. Nachdem die Arbeitsverhältnisse zweier Mitglieder des Klägers von den jeweiligen kirchlichen Anstellungsträgern gekündigt worden waren, erhoben die beauftragten
-3-
Rechtsanwälte in beiden Fällen Kündigungsschutzklage und riefen
gleichzeitig die kircheninterne Vermittlung an. Die Beklagte zahlte nur
die im gerichtlichen Verfahren entstandenen Rechtsanwaltsgebühren.
Der Kläger meint, dass auch durch die außergerichtliche Vertretung im
Verfahren vor den kirchlichen Vermittlungsstellen von der Beklagten zu
erstattende Rechtsanwaltsgebühren entstanden seien.
2
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg; das Landgericht hat die Revision gegen seine
Entscheidung zugelassen.
3
II. Die Voraussetzungen für eine Zulassung liegen nicht vor; die
Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
4
1. Grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
ZPO hat die Rechtssache nicht.
5
a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nicht
schon dann zu, wenn sie lediglich in Zusammenhang mit einer abstrakt
generell formulierten Rechtsfrage gebracht wird. Erforderlich ist weiter,
dass diese Rechtsfrage über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Dezember 2003 - IV ZR 319/02,
VersR 2004, 225 unter 2 a) und die Rechtssache eine solche Rechtsfrage im konkreten Fall als entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und
klärungsfähig aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen
stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an
der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl.
-4-
BGH, Beschlüsse vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288,
291; vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 182, 191).
6
b) Eine derartige Bedeutung hat die Klärung der hier entscheidungserheblichen Fragen nicht. Weder die Auslegung der maßgeblichen
Regelung in den ARB 94 noch die Auslegung der Rechtsanwaltsvergütungsvorschriften ist über das Rechtsverhältnis der Parteien hinaus umstritten.
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aa) Nach § 5 (1) d) ARB 94 trägt der Versicherer "die Gebühren
eines Schieds- oder Schlichtungsverfahrens bis zur Höhe der Gebühren,
die im Falle der Anrufung eines zuständigen staatlichen Gerichtes erster
Instanz entstehen". Der Wortlaut des § 5 (1) d) ARB 94 enthält keine den
Rechtsanwaltsvergütungsregelungen der § 65 Abs. 1 Ziff. 4 BRAGO und
Nr. 2303 Ziff. 4 VVRVG entsprechende Einschränkung auf gesetzlich
eingerichtete Einigungsstellen. Für eine einschränkende Auslegung entgegen dem Wortlaut gibt es keinen Anlass. Dementsprechend gilt die
Kostenübernahme
nach
allgemeiner
Auffassung
für
Schieds-
und
Schlichtungsverfahren jeglicher Art (Armbrüster in Prölss/Martin, VVG,
27. Aufl., § 5 ARB 94 Rn. 5; Bauer in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, § 5 ARB 2000 Rn. 121; van Bühren in van Bühren/Plote, ARB,
2. Aufl., § 5 Rn. 72), insbesondere auch für betriebliche Schiedsstellen,
die auf Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung beruhen (Obarowski in
Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2. Aufl.,
S. 2104). Allerdings sind Rechtsanwaltskosten nach § 5 (1) a) ARB 94
nur im Rahmen der gesetzlichen Vergütung erstattungsfähig.
8
bb) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass
durch die Vertretung in den Vermittlungsverfahren keine Rechtsanwalts-
-5-
gebühren nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 4 BRAGO bzw. nach Anlage 1 zu
§ 2 Abs. 2 RVG, Nr. 2303 Ziff. 4 VV RVG entstanden sind.
9
(1) Einer unmittelbaren Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 4
BRAGO und der Nr. 2303 Ziff. 4 VV RVG auf kirchliche Vermittlungsstellen steht der klare Wortlaut der Gebührentatbestände entgegen. Zwar
setzen § 65 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 4 BRAGO und Nr. 2303 Ziff. 4 VV RVG
nicht voraus, dass die Einrichtung der Gütestelle unmittelbar durch ein
formelles Gesetz geregelt ist. Aus der Bezugnahme auf die in Ziff. 1 bis 3
konkret aufgeführten Gütestellen folgt vielmehr, dass die Einrichtung aufgrund einer in einem Gesetz enthaltenen Ermächtigung ausreichend ist
(OLG Karlsruhe, JurBüro 1985, 236, 238; Madert, in Gerold/Schmidt/
v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., VV 2303 Rn. 7; Jungbauer, in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 3. Aufl.,
Nr. 2303 VV Rn. 12; Feller, in Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke/Schons/
Vogt/Feller, RVG, 3. Aufl., S. 489).
10
Eine gesetzliche Ermächtigung für die Einrichtung der kirchlichen
Vermittlungsstellen fehlt jedoch. Insbesondere findet sich eine solche
nicht in § 1 des Arbeitsrechtsregelungsgesetzes (ARRG), der lediglich
bestimmt, dass die Arbeitsbedingungen nach tarifvertraglichen Regelungen zu gestalten sind. Der Kirchliche Angestelltentarifvertrag (KAT-NEK)
vom 15. Januar 1982 (veröffentlicht im GVOBl. der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche - NEK - 1980, S. 46-82) stellt bereits deshalb keine gesetzliche Grundlage dar, da er weder das Schlichtungsverfahren vor den kirchlichen Vermittlungsstellen noch das Vertragsmuster
mit der die Vermittlungsstellen betreffenden Verpflichtungsklausel erwähnt. Offen bleiben kann, ob für das vorliegende Revisionsverfahren
nach § 559 Abs. 2 ZPO die - unzutreffende - Feststellung im unstreitigen
-6-
Tatbestand des Berufungsurteils zugrunde zu legen ist, wonach das Arbeitsvertragsmuster Bestandteil des für allgemeinverbindlich erklärten
KAT-NEK ist. Auch auf dieser Grundlage könnte in dem Tarifvertrag keine "gesetzliche" Ermächtigung für die Einrichtung der kirchlichen Vermittlungsstellen gesehen werden, da es zur Verbindlichkeit der Klausel
einer Übernahme in den Arbeitsvertrag bedarf, die - wie die "NEK Mitteilungen" vom 1. Januar 1994 klarstellen - den Arbeitsvertragsparteien
freisteht. Die Anrufung und Einrichtung der Vermittlungsstellen beruht
daher ausschließlich auf der Entscheidung der Arbeitsvertragsparteien.
11
(2) Eine extensive Auslegung des seinem Wortsinn nach eindeutigen Begriffs der "gesetzlichen" Einrichtung in Ziff. 4 der Vergütungsregelungen scheidet auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieser
einschränkenden Formulierung aus. Aus dem Wortlaut der Regelung und
der Bezugnahme auf die ausdrücklich unter Ziff. 1 bis Ziff. 3 erwähnten
Schlichtungsstellen ergibt sich die Intention des Gesetzgebers, die Anwendung der besonderen Gebühr für das Vermittlungsverfahren im Interesse der Vorhersehbarkeit der Gebührenlast für die Parteien klar zu begrenzen. Durch die Beschränkung auf gesetzlich eingerichtete Einigungsstellen wird zugleich gewährleistet, dass die besondere Gebühr nur
in Verfahren vor solchen Einigungsstellen anfällt, die aufgrund ihrer Besetzung und aufgrund eines strukturierten Verfahrens ein hinreichendes
Maß an Neutralität und Kompetenz aufweisen. Dieser Zweck lässt sich
nur durch eine restriktive, am Wortsinn orientierte Auslegung der Vergütungsvorschrift gewährleisten. Daher können weder eine vertragliche
Regelung noch die aus dem Status der Religionsgemeinschaften als
Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5
Satz 1 WRV) abgeleitete allgemeine Befugnis zu öffentlich-rechtlicher
-7-
Rechtssetzung unter den Begriff der "gesetzlichen" Einrichtung subsumiert werden.
12
(3) Auch eine analoge Anwendung der Vergütungsregelungen auf
die Verfahren vor kirchlichen Vermittlungsstellen kommt nicht in Betracht. Es fehlt bereits die für eine Analogie erforderliche (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - V ZB 102/06, NJW 2007, 3124 unter III 2 b
m.w.N.) planwidrige Regelungslücke. Eine Ausweitung des Gebührentatbestandes auf vertraglich vereinbarte Streitbeilegungsverfahren wollte
der Gesetzgeber zwecks Vorhersehbarkeit der Gebührenlast erkennbar
vermeiden. Der Annahme, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer
arbeitsvertraglichen Regelung planwidrig übersehen haben könnte, steht
auch entgegen, dass sowohl Ziff. 2 als auch Ziff. 3 der Gebührenregelungen Verfahren zur Schlichtung von Streitigkeiten in Arbeits- bzw.
Ausbildungsverhältnissen betreffen.
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(4) Für die vom Kläger geforderte verfassungskonforme Auslegung
der Gebührentatbestände unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts der N.
-Kirche (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137
Abs. 3 Satz 1 WRV) besteht kein Anlass. Weder können sich die Parteien dieses Rechtsstreits auf das Selbstbestimmungsrecht berufen noch
ist die N.
-Kirche in ihrem Recht, ihre eigenen Angelegenheiten
zu regeln, beeinträchtigt.
14
cc) Entscheidungserheblich ist demnach allein die Frage, ob die
Gebührenregelungen auf vertraglich vereinbarte Vermittlungsverfahren
Anwendung finden. Diese Frage ist über die zwischen den Parteien streitigen Fälle hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre nicht umstritten.
Nur vereinzelt (Scherpe, AnwBl. 2004, S. 14) wird vertreten, dass § 65
-8-
BRAGO auf private Streitbeilegungseinrichtungen angewendet werden
sollte. Eine grundsätzliche Bedeutung folgt hieraus nicht.
15
2. Auch der vom Berufungsgericht angenommene Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts liegt nicht vor. Dieser Zulassungsgrund
setzt voraus, dass der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen
Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen. Ein solcher Anlass besteht für die Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze nur dann,
wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März
2003 - V ZR 291/02, NJW 2003, 1943 unter II 2). Ein Bedürfnis für eine
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Orientierungshilfe bei der Auslegung der hier maßgeblichen Regelung
der ARB 94 und der einschlägigen Gebührentatbestände besteht aus den
genannten Gründen nicht.
Dr. Kessal-Wulf
Felsch
Dr. Karczewski
Hinweis:
Das Revisionsverfahren
erledigt worden.
Harsdorf-Gebhardt
Lehmann
ist
durch
Revisionsrücknahme
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 16.12.2008 - 36 C 9324/08 LG Düsseldorf, Entscheidung vom 24.02.2010 - 23 S 34/09 -