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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 435/14
vom
13. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Mordes
-2-
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Januar 2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin F.
als Verteidigerin des Angeklagten K.
,
Rechtsanwalt R.
als Verteidiger des Angeklagten L.
Rechtsanwältin G.
als Vertreterin des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
,
-3-
für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 18. März 2014 mit den Feststellungen, mit
Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Mit seinen auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen beanstandet der Nebenkläger, dass das Landgericht bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten nicht festgestellt hat. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich die aus Polen
stammenden, alkoholisierten und unter dem Einfluss von Cannabis stehenden,
zur Tatzeit 23 Jahre (K.
) und 33 Jahre (L.
) alten Angeklagten am
Nachmittag des 9. Juli 2013 auf dem Platz am Neptunbrunnen nahe dem Berliner Alexanderplatz auf und baten andere Personen um Zigaretten. Dabei trat
-4-
der Angeklagte L.
te K.
3
zog L.
bedrohlich dicht an einen Zeugen heran. Der Angeklagbeiseite.
– bewusst in einem be-
Wenig später ging der muskulöse K.
drohlich geringen Abstand – an dem auf einer Parkbank sitzenden schmächtigen, dunkelhäutigen Nebenkläger vorbei, dem er körperlich deutlich überlegen
war. Dabei strahlte K.
eine solche Aggressivität aus, dass er einem
Zeugen auffiel, der eine Bank vom Nebenkläger entfernt saß und den Angeklagten als „potentielle Gefahr“ im Auge behielt. K.
, der nach eigener
Aussage „keine Neger mag“, störte sich an der dunklen Hautfarbe des Nebenklägers. Im Vorbeigehen beleidigte er ihn mit einem dem deutschen Wort „Neger“ vergleichbaren Wort in polnischer Sprache. Der Nebenkläger, der der russischen Sprache mächtig ist, verstand dieses Wort. Er reagierte, indem er
K.
auf Russisch fragte, was er getan habe. K.
blieb ruckartig
stehen und wandte sich dem Nebenkläger zu; er ergriff ihn, zog ihn von der
Parkbank hoch und begann, ihn zu schubsen. Auf erfolglose Versuche des Nebenklägers, den Angeklagten K.
abzuwehren, schlug dieser den Ne-
benkläger mit drei wuchtigen Faustschlägen ins Gesicht zu Boden. K.
versuchte, den benommen am Boden liegenden – sehr leichten – Nebenkläger
an dessen Gürtel in die Luft zu heben und zu Boden fallen zu lassen. Dies verhinderte der Nebenkläger zunächst, indem er sich an der Hose des Angeklagten festkrallte. Als er jedoch das Bewusstsein verlor, nutzte K.
dies
aus, um den Nebenkläger an seinem Gürtel aufzuheben, sein Knie in das Gesicht des Nebenklägers zu stoßen und ihn schließlich mit dem Gesicht voran
auf den Steinboden des Platzes fallen zu lassen. K.
versetzte dem
bewusstlos auf dem Boden liegenden Nebenkläger noch mindestens einen
Faustschlag ins Gesicht, ließ dann aber von ihm ab, als L.
gegen den Kopf des Nebenklägers trat. L.
eingriff und
erkannte, dass der Nebenklä-
-5-
ger nicht unerheblich verletzt, ohne Bewusstsein und deshalb wehrlos war, trat
aber aus fremdenfeindlicher Verachtung ein zweites Mal gegen dessen Kopf.
Bevor er dem Nebenkläger einen weiteren Tritt versetzen konnte, näherten sich
von verschiedenen Seiten Passanten und forderten die Angeklagten lautstark
auf, vom Nebenkläger abzulassen. Daraufhin entfernten sich die Angeklagten
vom Tatort.
4
Passanten kümmerten sich um den verletzten Nebenkläger und sorgten
dafür, dass er in eine Klinik gebracht wurde, in der er bis zum 23. Juli 2013 stationär behandelt wurde. Er hatte unter anderem einen Bruch der rechten Augenhöhlenwand und des Nasenbeins, ein Schädelhirntrauma sowie eine dünne
Blutung unter die weiche Hirnhaut (Subarachnoidalblutung) und eine minimale
Einblutung ins Hirngewebe (Kontusionsblutung) erlitten. Seine Verletzungen
waren potentiell, nicht aber konkret lebensgefährlich.
5
2. Das Landgericht hat die Tat als gefährliche Körperverletzung – mittels
einer das Leben gefährdenden Behandlung sowie gemeinschaftlich begangen –
gewürdigt und ausgeführt, es habe sich nicht die Überzeugung verschaffen
können, dass die Angeklagten den Tod des Nebenklägers billigend in Kauf
nahmen. Dagegen spreche, dass es sich um eine „spontane, unüberlegte und
sehr kurz andauernde Tat“ gehandelt habe. Die Angeklagten hätten aufgrund
einer mehrjährigen Erfahrung als Kickboxer (K.
grund verschiedener Schlägereien als Fußballfan (L.
) beziehungsweise auf) möglicherweise ihre
Kräfte besser als andere Täter einschätzen können, so dass der Nebenkläger
nicht noch schwerer verletzt worden sei. Zudem hätten die Angeklagten in einer
„(gruppen-)dynamischen Situation“ gestanden sowie unter erheblichem Einfluss
von Alkohol und Cannabis, deren Wirkung sie möglicherweise leichtfertig darauf
vertrauen ließ, ein tödlicher Erfolg werde nicht eintreten. Die Gewalthandlungen
-6-
der Angeklagten hätten „keine schwersten Kopfverletzungen, insbesondere keinen Bruch des Schädels,“ herbeigeführt. Der Umstand, dass die Tat auf öffentlichem Straßenland vor zahlreichen Zeugen stattgefunden habe, weise darauf
hin, „dass eine Schlägerei – auf für den Geschädigten schreckliche Art – ‚aus
dem Ruder lief', die Angeklagten aber den Tod des Nebenklägers jedenfalls
nicht billigend in Kauf nahmen“ (UA S. 25). Dass ihre tatmotivierende Fremdenfeindlichkeit so weit gegangen sei, auch den Tod eines Menschen billigend in
Kauf zu nehmen, lasse sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen.
Die Strafkammer hat nicht ausschließen können, dass sich die Angeklagten bei
Tatbegehung in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit
(§ 21 StGB) befanden.
6
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Tötungsvorsatz hält
– auch eingedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs
(vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401) –
sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand, da sie lückenhaft ist.
7
a) Das Landgericht hat im Ausgangspunkt nicht verkannt, dass die auf
der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive
Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443). Bei dessen Prüfung ist es aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven
und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des
Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten.
Dem genügt die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht, da mehrere wesentlich für einen bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten sprechende tatsächliche Umstände nicht bedacht werden.
-7-
8
b) Soweit die Strafkammer gegen das Vorliegen des voluntativen Elements eines Tötungsvorsatzes ausführt, es habe sich um eine „spontane, unüberlegte und sehr kurz andauernde“ Tat gehandelt, berücksichtigt sie nicht,
dass beide Angeklagte gegen den bereits bewusstlosen Nebenkläger mehrere
gefährliche Gewalthandlungen ausführten und mit diesen erst aufhörten, als
sich Passanten näherten und sie lautstark aufforderten, vom Nebenkläger abzulassen. Der Tatsache, dass die Angeklagten nicht freiwillig mit der Misshandlung des Nebenklägers aufhörten, kann ein hoher Indizwert für ihre innere Einstellung gegenüber einer möglichen Tötung des Nebenklägers zukommen (vgl.
BGH, Urteil vom 25. Mai 2007 – 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640). Das gewollte weitere Tun kann den Schluss nahelegen, dass ihnen die Folgen ihrer
Tat bis hin zum möglichen Tod des Nebenklägers gleichgültig waren. Dies würde für die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz genügen und war mithin
erörterungsbedürftig.
9
Zudem sprechen die Urteilsfeststellungen zum Verhalten der – berauschten – Angeklagten vor der Tat gegen ein spontanes und unüberlegtes Handeln,
sondern eher dafür, dass sie bewusst Streit suchten. Dass es sich bei der
Misshandlung des Nebenklägers um eine aus dem Ruder gelaufene „Schlägerei“ (UA S. 25) gehandelt haben könnte, wird durch die Feststellungen widerlegt. Danach beschränkte sich der zunächst vom Angeklagten K.
– grundlos – körperlich angegriffene Nebenkläger auf Schutzwehr, zu der er
wegen eintretender Bewusstlosigkeit alsbald schon nicht mehr in der Lage war.
Er hatte in keiner Weise zu einer Eskalation des Geschehens über ein von den
Angeklagten möglicherweise ursprünglich gewolltes begrenztes Maß hinaus
beigetragen. Es ist auch nicht belegt oder sonst ersichtlich, dass eine von der
Schwurgerichtskammer angenommene „gruppendynamische Situation“ vorlag,
bei der sich die Entstehung oder zumindest das Ausmaß der Gewalttätigkeit der
-8-
Angeklagten ausschließlich aus ihrer Interaktion untereinander oder mit dem
Nebenkläger oder den Umstehenden ergab. Abgesehen davon stünden stattgehabte gruppendynamische Prozesse der Entwicklung eines – anfangs nicht
vorhandenen – bedingten Tötungsvorsatzes in ihrem Verlauf auch keineswegs
entgegen, sondern könnten sie im Gegenteil gerade gefördert haben.
10
c) Soweit die Strafkammer meint, aus der – rechtsfehlerfrei festgestellten – fremdenfeindlichen Motivation der Angeklagten keinen Tötungsvorsatz
schlussfolgern zu können, berücksichtigt sie nicht, dass die Angeklagten noch
in der Hauptverhandlung ihre anhaltende Missachtung für den anwesenden
Nebenkläger durch höhnisches Lachen über ein Foto des schwer im Gesicht
Verletzten sowie „demonstratives Gähnen, Lümmeln und Lachen“ während der
Beweisaufnahme (UA S. 14) zum Ausdruck gebracht haben. Dieses Verhalten
kann darauf schließen lassen, dass sie das Leiden des – in ihren Augen „minderwertigen“ (UA S. 11) – Nebenklägers und die ihm zugefügten erheblichen
Verletzungen bagatellisierten. Dieses auf einer „tief dissozialen Prägung“ beruhende Verhalten (UA S. 14) der Angeklagten kann ein Indiz dafür sein, dass sie
auch weitergehende Verletzungen des Nebenklägers bis hin zu seinem Tod
billigend in Kauf genommen hätten, und wäre mithin zu erörtern gewesen.
11
d) Wenn die Strafkammer eine gefährliche Körperverletzung mittels einer
das Leben gefährdenden Behandlung bejaht, so geht sie davon aus, dass die
Tat in der Vorstellung der Angeklagten auf eine Lebensgefährdung „angelegt”
war (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1989 – 4 StR 318/89, BGHSt 36, 262,
265). Demnach erkannten die Angeklagten trotz ihrer Beeinflussung durch Alkohol und Cannabis die Lebensgefährlichkeit ihrer Gewalthandlungen. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass sie dennoch darauf vertraut haben könnten, der
Nebenkläger werde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festge-
-9-
stellt. Soweit es zugunsten der Angeklagten davon ausgeht, dass sie aufgrund
ihrer Gewalterfahrenheit die Wirkung ihrer Verletzungshandlungen möglicherweise besser als andere Täter einschätzen konnten, weist die Revision zu
Recht darauf hin, dass es nach Vornahme einer potentiell lebensgefährlichen
Handlung grundsätzlich dem Zufall anheim gegeben bleibt, ob die Lebensgefahr sich konkretisiert und letztlich zum Tod führt.
12
4. Der aufgezeigte Rechtsmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen; jedoch können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben. Ergänzende,
ihnen nicht widersprechende Feststellungen durch das neue Tatgericht sind
zulässig.
Sander
Schneider
Berger
Dölp
Bellay