Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.
 
 
 
 
 
 

213 lines
11 KiB

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 273/00
URTEIL
vom 29. August 2000
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Landfriedensbruchs u. a.
-2-
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. August 2000, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Tepperwien,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin W
als Verteidigerin des Angeklagten A ,
Rechtsanwältin J
und
Rechtsanwältin L
als Verteidigerinnen des Angeklagten D
Rechtsanwalt B
als Verteidiger des Angeklagten U ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
,
-3-
für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
des Landgerichts Berlin vom 24. November 1999 mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Den Angeklagten wird mit der Anklage vorgeworfen, gemeinschaftlich
einen Landfriedensbruch im besonders schweren Fall in Tateinheit mit
schwerem Hausfriedensbruch und Bildung bewaffneter Gruppen nach § 125
Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 125a, § 124, § 127, § 25 Abs. 2, § 52 StGB begangen
zu haben. Der die Tat konkretisierende Teil des Anklagesatzes lautet: „Am
17. Februar 1999 gegen 13.30 Uhr versammelten sich die (Angeklagten) sowie die gesondert verfolgten ... in mehreren Gruppen von insgesamt mindestens 50 bis 60 Personen kurdischer Herkunft im Bereich Bismarckplatz/Schinkelstraße in Berlin-Wilmersdorf, um entsprechend vorheriger Vereinbarung aus Protest gegen die Inhaftierung des Führers der verbotenen
kurdischen Arbeiterpartei ‚PKK‘ gewaltsam auf das Gelände und in das Gebäude des israelischen Generalkonsulates in der Schinkelstraße 10 einzudringen. Ein großer Teil der Menge war zum Einsatz gegen Personen und
Sachen mit mitgeführten Schlagwerkzeugen, unter anderem Eisenstangen,
Holzknüppeln, Ästen und Erdnägeln bewaffnet. Unter gewaltsamer Überwin-
-4-
dung der Umzäunung sowie der zum Schutz des Konsulates eingesetzten
Polizeibeamten drang die Menge, in der sich weiterhin auch die (Angeklagten) befanden, auf das Gelände des Konsulates vor. Auf der Zugangstreppe
zum Gebäude sowie in dessen unmittelbarem Eingangsbereich drängte sich
ein Teil der Menge, darunter auch die (Angeklagten), um in das Haus einzudringen. Durch Fußtritte sowie unter Einsatz von Schlagwerkzeugen wurde
die Eingangstür aufgebrochen, worauf ein Teil der Menge in das Haus gelangte.
Um die Angreifer zurückzudrängen und ein weiteres Eindringen zu
verhindern, setzten Sicherheitskräfte des Konsulates ihre Schußwaffen ein,
wodurch vier Personen tödliche Verletzungen erlitten sowie die Angeklagten
selbst verletzt wurden.“
Das Landgericht hat die Angeklagten „aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen“ freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der
Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Anläßlich der Festnahme des Anführers der (in der Bundesrepublik
Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten) kurdischen Arbeiterpartei PKK Öcalan kam es am 17. Februar 1999, nachdem bereits am Vortage
bundesweit Protestaktionen stattfanden, zu einer Ansammlung von Kurden
im Bereich vor und auf dem Gelände des israelischen Generalkonsulats in
der Schinkelstraße 10 in Berlin-Wilmersdorf. Es handelte sich hierbei um
mehrere Gruppierungen von Kurden – insgesamt mindestens 70 bis
90 Personen. Ein Teil der sich vor dem Gelände des israelischen Generalkonsulats aufhaltenden Kurden hatte sich mit Schlagwerkzeugen wie Ästen,
aber auch Holzstangen und stählernen Erdnägeln bewaffnet. Da zum Schutz
-5-
des israelischen Generalkonsulats zunächst nur drei Polizeiangestellte des
Objektschutzes vor Ort waren, wurden weitere Polizeikräfte vor Ort zum Einsatz berufen, so drei Einsatzhundertschaften, die sukzessive eintrafen und
jeweils nicht ihre volle Mannschaftsstärke aufwiesen. Die eintreffenden Einsatzkräfte errichteten im Straßenbereich in der Nähe des Geländes des Generalkonsulats Schutzgitter, die jedoch von einzelnen Kurden oder kurdischen Gruppierungen überwunden oder umgangen werden konnten. Hierbei
kam es zu gewalttätigen Übergriffen von Kurden gegenüber den eingesetzten Polizeikräften, wobei letztere – vereinzelt nicht unerheblich – verletzt
wurden. Ob die Angeklagten oder einzelne von ihnen an diesen gewaltsamen Ausschreitungen bzw. Übergriffen teilnahmen oder sich in solchen kurdischen Gruppierungen aufhielten, von denen diese Gewalt ausging, ist unklar.
Trotz der eingesetzten Polizeikräfte und der von diesen errichteten
Absperrungen gelang es einigen Kurden, auf das Gelände des israelischen
Generalkonsulats vorzudringen. Auf diesem befindet sich ein mehrstöckiges
Gebäude mit einem kleineren Vorgarten. Eine etwa 8 m lange Treppe führt
zu der erhöhten Gebäudeeingangstür. Das Konsulatsgelände ist umzäunt.
Die Eingänge waren verschlossen. Die Kurden gelangten auf das Konsulatsgelände durch Überklettern des Zaunes. Einigen Kurden gelang es auch, in
das Konsulatsgebäude zu kommen. Spätestens um 13.42 Uhr gelang es
auch den Angeklagten – möglicherweise einzeln – durch Überklettern des
Konsulatszaunes auf das Gelände des israelischen Generalkonsulats vorzudringen. Sie begaben sich auf die Treppe; dort befanden sich nun etwa
20 Kurden. Sie wirkten auf Beobachter unschlüssig. Von ihnen ging keinerlei
Gewalttätigkeit aus. Teilweise standen sie mit dem Gesicht zum Konsulatsgebäude gewandt, teilweise von diesem abgewandt. Lediglich eine Person
im unteren Bereich der Treppe hielt erkennbar ein Schlagwerkzeug (Holzstange oder ähnliches) in der Hand. Dieses Schlagwerkzeug wurde jedoch
nicht eingesetzt. Die auf der Treppe befindlichen Kurden befanden sich insgesamt in einer abwartenden Haltung. In dieser Situation wurde um
-6-
13.47 Uhr von innen die Eingangstür des Konsulatsgebäudes geöffnet und
zwei israelische Konsulatssicherheitsbeamte eröffneten ohne Vorwarnung
mit Handfeuerwaffen das Feuer. Unter anderem die Angeklagten wurden
hierbei von Schüssen getroffen und verletzt.
Die Angeklagten mußten aufgrund ihrer Verletzungen zur Versorgung
ins Krankenhaus gebracht werden.
II.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht jedwede
Strafbarkeit der Angeklagten verneint: Unter dem Gesichtspunkt des Landfriedensbruchs nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB fehle die „unmittelbare
‚Teilnahme‘ an gewalttätigen Kurdengruppierungen“. Unter dem Aspekt der
Bildung bewaffneter Gruppen nach § 127 StGB mangele es objektiv wie
subjektiv an der Feststellung einer Gruppe mit einer militärischen oder militärähnlichen Organisation mit Befehls- und Kommandostrukturen. Eine Verurteilung wegen schweren Hausfriedensbruchs nach § 124 StGB sei deshalb
nicht möglich, weil nicht auszuschließen sei, „daß die Angeklagten einzeln
über den Konsulatszaun auf das Konsulatsgelände gelangten“, und zudem
ein „Zusammenrotten ... den Angeklagten persönlich nicht (habe) nachgewiesen werden“ können.
Außer Betracht blieben etwaige Verstöße der Angeklagten gegen das
Vereinsgesetz und gegen das Versammlungsgesetz, weil das Verfahren insoweit gemäß § 154a Abs. 1 StPO beschränkt worden ist. Eine Verfolgung
wegen Hausfriedensbruchs scheidet mangels eines Strafantrags (§ 123
Abs. 2 StGB) aus.
-7-
III.
Das Urteil hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, so daß es auf
die Verfahrensrüge nicht ankommt.
Die Begründung eines Freispruchs aus tatsächlichen Gründen muß
die getroffenen Feststellungen unter allen nach der konkreten Sachlage naheliegenden Gesichtspunkten würdigen (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg,
StPO 24. Aufl. § 267 Rdn. 150 m.w.N.). Dem wird das angefochtene Urteil
nicht gerecht.
Die Beweiswürdigung beschränkt sich auf den Gesichtspunkt des Aufenthalts der Angeklagten am Tatort: Es wird belegt, daß die drei Angeklagten
sich von 13.42 Uhr bis 13.47 Uhr auf der Konsulatstreppe befanden („andernfalls wären sie nicht angeschossen worden“); zudem wird referiert, daß
ein längerer dortiger Aufenthalt nicht habe festgestellt werden können, zumal
da keiner der Zeugen einen der Angeklagten (hinreichend sicher) als Täter
habe identifizieren können. Diese alleinige Betrachtung des sechsminütigen
Aufenthalts der Angeklagten auf der Treppe greift zu kurz.
Die Feststellungen weisen eine Massenaktion aus, bei der mindestens
70 Personen, zum Teil mit massiven Schlagwerkzeugen bewaffnet, unter
gewalttätigen Übergriffen gegen Polizeibeamte, die – vereinzelt nicht unerheblich – verletzt wurden, durch Überklettern des Zaunes auf das Konsulatsgelände und teilweise auch in das Konsulatsgebäude eindrangen. Bei diesem Bild des Gesamtgeschehens durfte das Landgericht die Beweiswürdigung nicht damit abschneiden, daß es allein auf den sechsminütigen Aufenthalt der Angeklagten auf der Treppe abstellte. Vielmehr war eine Erörterung
der möglichen Intentionen und Wahrnehmungen der Angeklagten geboten.
Dabei war zunächst der unfriedliche Charakter der Gesamtaktion in Rechnung zu stellen. Daß die Angeklagten durch Überklettern des Zaunes auf das
Konsulatsgelände vordrangen, kann Indizwirkung haben. Nach den Fest-
-8-
stellungen liegt es zudem nahe, daß die Angeklagten während ihres Aufenthalts auf der Treppe wahrnahmen, in welcher Weise „einigen Kurden es auch
(gelang), in das Konsulatsgebäude zu kommen“ (UA S. 5). Schließlich war zu
bedenken, daß am Vortag der hier in Rede stehenden Ereignisse anläßlich
der Festnahme des Öcalan eine Vielzahl von Kurden das griechische Generalkonsulat in Berlin über längere Zeit hinweg besetzt gehalten und im Inneren schwere Verwüstungen angerichtet hatte. Zu alledem schweigt das Urteil.
Es kommt folgendes hinzu: Am Ende der Beweiswürdigung ist im Urteil ausgeführt: „Der von der Kammer festgestellte Sachverhalt wurde von der
Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nicht abweichend gesehen. Auch
nach Auffassung der Staatsanwaltschaft konnten sämtlichen Angeklagten
keine Gewalthandlungen oder aufwiegelnden Handlungen persönlich nachgewiesen werden. Sie beantragte dennoch deren Verurteilung, weil ihnen
das – unstreitige – gewalttätige Verhalten kurdischer Demonstranten im zeitlichen Vorfeld und vor dem Konsulatsgelände zuzurechnen sei. Diese
Rechtsauffassung wird von der Kammer nicht geteilt“ (UA S. 10). Diese
Ausführungen verstärken die Besorgnis des Senats, daß das Landgericht die
Indizwirkung von objektiven Umständen für das Vorliegen weiterer Merkmale,
-9-
hier insbesondere der subjektiven Voraussetzungen der in Betracht kommenden Massendelikte, übersehen hat, nämlich statt dessen vom Vorliegen
allein einer Rechtsfrage ausgegangen ist.
Harms
Häger
Tepperwien
Basdorf
Brause