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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 199/15
vom
30. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
Staatsanwältin
- in der Verhandlung -
- bei der Verkündung -
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Pflichtverteidiger,
Rechtsanwältin
- in der Verhandlung -
als Vertreterin der Nebenklägerin Z.
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
H.
,
-3-
1. Auf die Revision der Nebenklägerin Z.
H.
wird
das Urteil des Landgerichts Essen vom 10. Dezember
2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen
Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt; im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen,
den Führerschein eingezogen und angeordnet, dass dem Angeklagten vor Ablauf von fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Die gegen
dieses Urteil gerichteten Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin
B.
H.
hat der Senat mit Beschlüssen vom 18. Juni 2015 verworfen. Die
Nebenklägerin Z.
H.
erhebt mit ihrem Rechtsmittel Verfahrensrügen
sowie sachlich-rechtliche Beanstandungen. Das Rechtsmittel, das sich nicht
gegen den Teilfreispruch des Angeklagten, sondern allein dagegen richtet, dass
-4-
der Angeklagte nicht auch wegen eines versuchten vorsätzlichen Tötungsdelikts verurteilt wurde, hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
I.
2
Das Rechtsmittel der Nebenklägerin Z.
H.
ist wirksam darauf
beschränkt, dass der Angeklagte, soweit er verurteilt wurde, nicht auch eines
versuchten vorsätzlichen Tötungsdelikts zum Nachteil dieser Nebenklägerin
schuldig gesprochen wurde.
3
Zwar hat die Nebenklägerin unbeschränkt Revision eingelegt und auch
einen unbeschränkten Aufhebungsantrag gestellt. Aus der Begründung des
Rechtsmittels entnimmt der Senat jedoch, dass dieses allein dagegen gerichtet
ist, dass der Angeklagte nicht auch wegen eines versuchten vorsätzlichen Tötungsdelikts durch das Zu- und Überfahren der Nebenklägerin verurteilt wurde.
Dies wird dadurch belegt, dass sie schon mit der Revisionseinlegung mitgeteilt
hat, dass (lediglich) eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags angestrebt
werde, und sich die Nebenklägerin auch in der Revisionsbegründung allein mit
dieser Tat befasst, nicht aber mit den dem Freispruch zugrunde liegenden
Schüssen aus einer Gaspistole in Richtung der Nebenklägerin und deren Familienangehörigen, die nach deren Angaben in der Hauptverhandlung gar nicht
vom Angeklagten abgegeben wurden.
II.
4
1. Soweit infolge der Beschränkung der Revision von Bedeutung hat das
Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
-5-
5
Zwischen den Familien H.
deren Mittelpunkt die Eheleute A.
den. Ze.
K.
und K.
bestanden Streitigkeiten, in
und Ze.
, ihre Schwester Z.
K.
H.
, geborene H.
, stan-
und ihre Mutter B.
H.
standen neben weiteren Familienangehörigen auf Seite der Familie
H.
; der Angeklagte A.
6
K.
gehörte dem Lager der Familie K.
Am 11. November 2013 waren Angehörige der Familie H.
anderem Ze.
B.
K.
und Z.
an.
, unter
, die damals vom Angeklagten getrennt lebte, sowie
H.
, auf dem Weg zu einer Rechtsanwaltskanzlei,
nachdem am Vortag im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung mit
Angehörigen der Familie H.
der Angeklagte verletzt worden war. Als sie
den Imbiss eines Angehörigen der Familie K.
Schlägerei zwischen Mitgliedern der Familien H.
passierten, kam es zu einer
und K.
, die durch
Passanten beendet wurde. Anschließend gingen die sechs Mitglieder der Familie H.
weiter auf dem rechten Bürgersteig in Richtung der Rechtsanwalts-
kanzlei. Dort bemerkte sie der Angeklagte, der mit seinem Pkw in Laufrichtung
der Familie H.
hinter diesen an einer Fußgängerampel stand. Er be-
schleunigte sein Fahrzeug „mit quietschenden Reifen“, fuhr auf den Bürgersteig
und hielt auf einer Strecke von ca. 50 Meter zielgerichtet "deutlich schneller als
mit Schrittgeschwindigkeit“ auf die Mitglieder der Familie H.
dest Z.
H.
zu verletzen. Z.
H.
zu, um zumin-
, die mit ihrer Mutter in et-
was Abstand zu den anderen Familienangehörigen ging, drehte sich um, als die
„quietschenden Reifen“ zu hören waren, und sah den Angeklagten; sie ging
aber weiter, da sie nicht dachte, dass der Angeklagte tatsächlich auf sie zubzw. sie anfahren würde. Sie wurde jedoch von dem vom Angeklagten gesteuerten Pkw frontal erfasst und stürzte anschließend von der Motorhaube vor dem
Fahrzeug auf den Boden, wo sie auf dem Rücken liegen blieb. Der Angeklagte,
der den Pkw zunächst schräg zur Hauswand hin angehalten hatte, rangierte
-6-
sein Fahrzeug vor und zurück, um vom Bürgersteig herunterzufahren. Z.
H.
versuchte währenddessen, sich wieder aufzurichten und nahm dabei
Blickkontakt zum Angeklagten auf. Gleichwohl fuhr der Angeklagte auf sie zu,
wobei er sie mit dem Fahrzeug derart an der Nase traf, dass sie einen Nasenbeinbruch erlitt. Beim erneuten Zurücksetzen drückte der Angeklagte sodann
B.
H.
mit seinem Fahrzeug gegen die Hauswand, wodurch sie verletzt
wurde. Anschließend fuhr er erneut „billigend in Kauf nehmend, dass Z.
H.
immer noch vor seinem Fahrzeug auf dem Boden lag und verletzt wer-
den könnte“ nach vorne und überrollte deren Oberschenkel.
7
2. Die (allgemeine) Strafkammer des Landgerichts, die das Verfahren
nach Vorlage durch das Amtsgericht wegen „besonderen Umfangs“ übernommen hatte, hat hinsichtlich der Körperverletzung zum Nachteil von Z.
H.
durch das erste Anfahren direkten und im Übrigen bedingten Körper-
verletzungsvorsatz des Angeklagten angenommen; bedingten Tötungsvorsatz
vermochte sie indes nicht festzustellen. Zwar sei der Angeklagte „deutlich
schneller als mit Schrittgeschwindigkeit“ auf Z.
H.
zugefahren, je-
doch sei diese nicht „so konkret und erheblich in Gefahr gebracht worden ...,
dass daraus ohne weiteres der Schluss gezogen werden kann, dass der Angeklagte ein ernst zu nehmendes Todesrisiko für gegeben erachtet und in Kauf
genommen hat“. Auch beim Überfahren „liegt kein derart risikobehaftetes Geschehen vor, aufgrund dessen die Kammer auf einen Tötungsvorsatz schließen
kann. In dieser Situation kam es dem Angeklagten auf das Verlassen des Gehweges an.“
8
Sie bewertet das Verhalten des Angeklagten daher als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3
Nr. 1a StGB in Tateinheit mit in gleichartiger Tateinheit stehenden gefährlichen
-7-
Körperverletzungen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) zum Nachteil von B.
H.
und Z.
. Eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5
StGB sieht die Strafkammer nicht als gegeben an, weil sich „die Tatumstände ...
nicht als derart gefährlich“ dargestellt hätten.
9
3. Die Nebenklägerin Z.
H.
beanstandet mit ihrem Rechtsmit-
tel unter anderem die Ablehnung von zwei Beweisanträgen, die zum einen auf
die Erholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens zur Geschwindigkeit des Pkws des Angeklagten („mindestens 40 km/h“), zum anderen
auf die Vernehmung des Zeugen Ah.
K.
gerichtet waren. Dieser Zeuge
sollte bekunden, dass der Angeklagte am Tattag ca. eine Stunde „vor dem Tatgeschehen bei dem Zeugen anrief und drohte, die Mitglieder der Familie
H.
umzubringen, sie mit dem Pkw zu überfahren und wenn sie nicht tot
seien, dann sie zu erschießen oder mit dem Dönermesser abzustechen“. Hierdurch sollte die Tötungsabsicht des Angeklagten belegt werden.
10
Das Landgericht hat beide Beweisanträge wegen Bedeutungslosigkeit
abgelehnt. Hierzu hat es – ähnlich wie zum ersten – beim zweiten Beweisantrag
lediglich ausgeführt: „Die Beweisbehauptung ... ist für die Entscheidung aus
tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung (§ 244 Abs. 3 S. 2, 2. Var. StPO). Ein
möglicher Tötungsvorsatz ist für die angeklagte gefährliche Körperverletzung
und den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr ohne Bedeutung. Darüber
hinaus will die Kammer weitere mögliche Schlüsse aus einem solchen Gespräch nicht ziehen.“
-8-
III.
11
Mit dieser Begründung durfte das Landgericht den Beweisantrag auf
Vernehmung des Zeugen Ah.
K.
nicht ablehnen; sie ist in mehrfacher
Hinsicht rechtsfehlerhaft.
12
1. Bereits die Annahme von Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen
Gründen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
13
a) Aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sind Indiztatsachen, wenn
zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs
selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten.
Bei Behauptung einer relevanten belastenden Tatsache durch die Staatsanwaltschaft oder einen Nebenkläger muss deshalb eine bislang für den Angeklagten positive Beweislage durch die begehrte Beweiserhebung umschlagen
können. Legt der Tatrichter rechtsfehlerfrei dar, dass die in dem Beweisantrag
behauptete Tatsache auch dann, wenn sie durch die beantragte Beweisaufnahme bewiesen würde, ihn nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugen
könnte, ist er nicht verpflichtet, den beantragten Beweis zu erheben (zum Ganzen hinsichtlich einer Revision der Staatsanwaltschaft: BGH, Urteil vom
26. Februar 2015 – 4 StR 293/14, NStZ 2015, 355, 356 mwN).
14
b) Daran gemessen ist die Annahme von Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen hinsichtlich der in dem zweiten Beweisantrag aufgestellten
Beweisbehauptung rechtsfehlerhaft. Denn die Ankündigung einer von einem
entsprechenden Vorsatz getragenen Tötungshandlung ist für die Beweiswürdigung hinsichtlich der subjektiven Seite der tatsächlich vorgenommenen, der
-9-
Ankündigung entsprechenden Handlung regelmäßig von erheblicher Bedeutung
(vgl. zur Bewertung des Zufahrens auf einen Fußgänger als versuchtes Tötungsdelikt: Senat, Urteile vom 29. Januar 2015 – 4 StR 433/14, NStZ 2015,
392 ff.; vom 25. Oktober 2012 – 4 StR 346/12, NStZ 2013, 156 ff).
15
Zudem lassen die Ausführungen der Strafkammer in dem Ablehnungsbeschluss besorgen, dass das Landgericht in unzulässiger Weise die Ablehnungsgründe der Bedeutungslosigkeit aus rechtlichen und aus tatsächlichen
Gründen miteinander vermengt hat. Zwar trifft es zu, dass Tötungsvorsatz für
die Bewertung einer Handlung als gefährliche Körperverletzung oder als gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – aus Rechtsgründen – ohne Bedeutung
ist, weil er sich auf keines der dortigen Tatbestandsmerkmale bezieht. Maßgeblich sind insofern jedoch nicht (nur) die in der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschluss bejahten Straftatbestände, sondern die Tatbestandsmerkmale
sämtlicher der tatrichterlichen Kognition unterliegenden Straftatbestände, mögen sie dem Angeklagten auch erst durch einen Hinweis im Sinne des § 265
Abs. 1 StPO angelastet worden sein oder angelastet werden können (vgl. auch
BGH, Urteil vom 29. April 2010 – 3 StR 63/10, juris Rn. 10; Beschluss vom
13. Februar 2014 – 1 StR 336/13, juris Rn. 41).
16
2. Ferner ist der Beschluss, mit dem das Landgericht den Beweisantrag
abgelehnt hat, unzureichend begründet.
17
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der
Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der
Tatrichter ihnen keine Bedeutung beimisst. Wird die Bedeutungslosigkeit aus
tatsächlichen Umständen gefolgert, so müssen die Tatsachen angegeben wer-
- 10 -
den, aus denen sich ergibt, warum die unter Beweis gestellte Tatsache, selbst
wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen
könnte. Die erforderliche Begründung entspricht dabei grundsätzlich den Begründungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme
gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen; sie ist auf konkrete Erwägungen zu stützen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 135/13,
NStZ-RR 2014, 54, 55; vom 18. März 2015 – 2 StR 462/14, juris Rn. 5). Geht es
um den Angeklagten belastende Beweisbehauptungen, muss die Ablehnung
das ganze Beweisthema ohne Einengung, Verkürzung oder Unterstellung erfassen und darlegen, warum dem Tatrichter die im Beweisantrag behauptete
Tatsache in Verbindung mit dem bisherigen Beweisergebnis nicht ausreichen
würde, um zu einer Verurteilung zu gelangen (zum Ganzen: BGH, Urteil vom
26. Februar 2015 – 4 StR 293/14, NStZ 2015, 355, 356; vgl. insbesondere zu
einem Beweisantrag des Nebenklägers ferner BGH, Urteil vom 7. April 2011
– 3 StR 497/10, NStZ 2011, 713, 714 jeweils mwN).
18
b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen genügt der Beschluss
des Landgerichts offensichtlich nicht (vgl. auch BGH, Beschluss vom 1. Oktober
2013 – 3 StR 135/13, NStZ-RR 2014, 54, 55).
19
3. Im Hinblick auf die mehrfachen Rechtsfehler des Landgerichts bedarf
keiner Entscheidung, ob hinsichtlich des dem Nebenkläger zustehenden Beweisantragsrechts eine weniger restriktive Anwendung der gesetzlichen Ablehnungsgründe als beim Angeklagten vertretbar ist (so BGH, Beschluss vom
28. April 2010 – 5 StR 487/09, NStZ 2010, 714; hiergegen mit überzeugender
Begründung BGH, Urteil vom 7. April 2011 – 3 StR 497/10, NStZ 2011, 713,
714).
- 11 -
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Ferner kommt es nicht darauf an, dass die Verfahrensrüge, die den auf
die Erholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens gerichteten
Beweisantrag zum Gegenstand hat, unzulässig ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO),
da sie insbesondere den Inhalt der ausdrücklich zum „Teil des Beweisantrags“
gemachten Daten-DVD nicht mitteilt (vgl. allgemein BGH, Beschlüsse vom
17. Juli 2014 – 4 StR 78/14, NStZ 2014, 604, 606 mwN; zu einer entsprechenden Bezugnahme in einem Urteil auch BGH, Urteil vom 2. November 2011
– 2 StR 332/11, BGHSt 57, 53; Beschlüsse vom 14. September 2011 – 5 StR
355/11, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 3; vom 14. März 2012
– 2 StR 547/11, StV 2013, 73).
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