Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.
 
 
 
 
 
 

177 lines
9.6 KiB

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
2 StR 43/02
URTEIL
vom
19. Juni 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Bestechlichkeit
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Juni
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
als Vorsitzende,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Mainz vom 30. August 2001 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und den Verfall des Wertersatzes in Höhe von DM 6.500,-- angeordnet.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die
Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen
Erfolg. Einer Erörterung bedarf allein die Verfahrensrüge; im übrigen ist die
Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
II.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
-4-
Der Angeklagte ist Kriminalhauptkommissar. Er war von September
1993 bis Juni 1997 Leiter des Kommissariats in W.
, das für Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung zuständig ist. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte u.a. die Anordnung und Durchführung von polizeilichen Kontrollen in den ortsansässigen Barbetrieben, darunter auch im „T.
“, bei dem
es sich - wie der Angeklagte wußte - um einen illegalen Bordellbetrieb handelte. Im April 1995 nahm der Angeklagte von dem Zeugen G.
treiber des „T.
, einem der Be-
“, DM 2000,-- und in den folgenden neun Monaten jeweils
mindestens DM 500,-- an. Zudem erhielt er im September 1995 von dem Zeugen eine Wasserpfeife sowie ein türkisches Schwert. Dabei war zwischen beiden klar, daß der Angeklagte im Gegenzug für die erhaltenen Zuwendungen
dafür sorgen sollte, daß der Bordellbetrieb von Kontrollen verschont blieb. In
der Zeit von April 1995 bis zum 27. März 1996 unterließ der Angeklagte daraufhin dienstlich gebotene Kontrollen im „T.
“, obwohl er wußte, daß die
Dienststelle in Mainz bereits wegen schwerwiegender Straftaten gegen die Betreiber des „T.
“ ermittelte und im Hinblick auf eine bereits bestehende Tele-
fonüberwachung Kontrollen des Betriebes durch die Dienststelle des Angeklagten notwendig waren und deshalb erwartet wurden.
III.
Die Rüge, das Verfahren vor dem Landgericht Mainz verstoße gegen
das Beschleunigungsgebot aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK, ist jedenfalls unbegründet.
1. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK hat auch ein nicht inhaftierter Angeklagter das Recht auf eine Behandlung seiner Sache innerhalb angemessener
Frist; diese beginnt, wenn der Beschuldigte von den Ermittlungen gegen ihn in
Kenntnis gesetzt wird und endet mit rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens.
-5-
Ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, muß nach den Umständen des
Einzelfalles beurteilt werden. Dabei ist auf die gesamte Dauer von Beginn bis
zum Ende der Frist abzustellen und es sind Schwere und Art des Tatvorwurfs,
Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, Art und Weise der Ermittlungen neben dem eigenen Verhalten des Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem
Andauern des Verfahrens verbundenen Belastungen für den Beschuldigten zu
berücksichtigen (BVerfG NJW 1992, 2472, 2473; BGH NStZ 1999, 313; Urt.
vom 21. Februar 2002 - 1 StR 538/01; EGMR EuGRZ 2001, 299, 301; 1983,
371, 380). Eine gewisse Untätigkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts führt daher nicht ohne weiteres zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1
S. 1 MRK, sofern die angemessene Frist insgesamt nicht überschritten wird
(BGH NStZ 1999, 313; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 15).
2. Der Angeklagte ist durch die am 18. Dezember 1996 erfolgte Durchsuchung seiner Wohn- und Diensträume von dem gegen ihn eingeleiteten
Verfahren in Kenntnis gesetzt worden. Bis zur Erhebung der Anklage am
4. Februar 1999 bedurfte es umfangreicher Ermittlungen, zumal der Angeklagte
die Tatvorwürfe bestritten hat. Die Staatsanwaltschaft hatte zahlreiche Zeugen
aus dem Bordellmilieu zu vernehmen, die teilweise schwer zu erreichen waren.
Der Zeitraum des Ermittlungsverfahrens von etwas über zwei Jahren wird von
der Revision auch nicht ausdrücklich beanstandet. Gerügt wird ausschließlich
das Verfahren vor dem Landgericht Mainz. Insoweit ist es jedoch - entgegen
dem Vorbringen der Verteidigung - nicht zu einer Verzögerung von rund
14 Monaten gekommen:
Nach der Zustellung der Anklage im Februar 1999 hat der Verteidiger
am 30. März, 30. April und 31. Mai 1999 umfangreiche schriftliche Stellungnahmen zu den Tatvorwürfen abgegeben, Fristverlängerungen beantragt und
-6-
zahlreiche Anträge auf Beweiserhebungen im Zwischenverfahren gestellt. Der
letzte Schriftsatz lag am 8. Juni 1999 vollständig beim Gericht vor. Entgegen
der Darstellung der Revision ist das Verfahren auch im Juni/Juli 1999 gefördert
worden: Ein Vertreter des Vorsitzenden hat die umfangreiche Akte mit den
ausführlichen Stellungnahmen bearbeitet und am 29. Juli 1999 eine dezidierte
Verfügung mit konkreten Anfragen an die Staatsanwaltschaft verfaßt.
Allerdings ist nach dem Eingang der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Ende August 1999 bis zum November 1999 in der Sache selbst nichts
geschehen. In dieser Zeit hat sich die Justizverwaltung jedoch gerade um eine
Beschleunigung des Verfahrens bemüht, indem sie die Sache auf Betreiben
der überlasteten 5. Großen Strafkammer mit Beschluß vom 16. November 1999
auf die Hifsstrafkammer 5A übertrug. Als deren Vorsitzender im Februar 2000
die Sache terminieren wollte, bat der Verteidiger erneut um eine Frist zur Stellungnahme bis 10. März 2000 und legte in drei weiteren umfangreichen Schriftsätzen vom 16. Februar, 16. März und 17. April 2000 seine Bedenken gegen
die Eröffnung des Verfahrens dar.
Die Rückübertragung der vorliegenden Sache an die 5. Große Strafkammer durch Beschluß des Präsidiums vom 24. März 2000 hatte, wenn überhaupt, lediglich eine kurzzeitige Verzögerung im Mai 2000 zur Folge. Im übrigen hat sich ein Beisitzer der Kammer in die äußerst umfangreiche Akte eingearbeitet, um den - im vorliegenden Fall nicht formularmäßigen - Eröffnungsbeschluß zu entwerfen. Mit Beschluß vom 12. September 2000 ist das Hauptverfahren eröffnet und zugleich über die zahlreichen Anträge der Verteidigung im
Zwischenverfahren entschieden worden. Im Januar 2001 erfolgte die Terminierung der Hauptverhandlung ab dem 8. März 2001.
-7-
3. Bei dieser Sachlage liegt ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK
nicht vor. Die dargestellten Zeiträume, in denen die Sache nicht erkennbar
gefördert wurde, sind nicht so lang, daß sie entweder für sich allein oder im
Hinblick auf die Gesamtdauer des Verfahrens die Annahme einer relevanten
Verfahrensverzögerung zu begründen vermögen (vgl. dazu BGH, Beschl. vom
14. Mai 2002 - 3 StR 128/02). Soweit sich die Dauer des Zwischenverfahrens
durch die intensive Wahrnehmung prozessualer Rechte durch den Verteidiger
(mehrere Anträge auf Fristverlängerungen und umfangreiche Stellungnahmen
mit zahlreichen Beweisanträgen) verlängert hat, läßt sich daraus keine rechtsstaatswidrige Verzögerung herleiten. Aber auch unter Berücksichtigung der
Tatsache, daß das Verfahren von der Kammer wegen vorrangiger anderer
Verhandlungen (insbesondere Haftsachen) kurzzeitig nicht gefördert werden
konnte, ist eine Verletzung des Beschleunigungsgebots vorliegend nicht gegeben. Denn die erforderliche Gesamtwürdigung aller dargelegter Gesichtspunkte
ergibt, daß die angemessene Verfahrensdauer insgesamt nicht überschritten
ist:
Die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten sind von beträchtlichem
Gewicht. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat er als Kriminalhauptkommissar mehrere Monate lang Zuwendungen von einem Bordellbetreiber
erhalten und dafür von Kontrollen des Betriebes abgesehen. Mit der
- unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen - Anklage waren ihm Bestechlichkeit in 12 Fällen sowie eine falsche Verdächtigung (§ 164 StGB) zur
Last gelegt worden. Erst in der Hauptverhandlung sind ein Fall der Bestechlichkeit sowie die falsche Verdächtigung, die allein schon einen erheblichen
Ermittlungsaufwand erforderlich gemacht hatte, gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Die Sache hat zudem einen erheblichen Umfang: Es waren
zahlreiche Zeugen zu vernehmen, da der bestreitende Angeklagte umfangrei-
-8-
che Einlassungen abgeben hat. Die Verurteilung hat im übrigen nicht nur strafrechtlich, sondern auch dienstrechtlich erhebliche Folgen für ihn.
Demgegenüber wiegen die mit dem Verfahren verbundenen Belastungen für den Angeklagten nicht so schwer: Er befand sich lediglich vom 11. Mai
2001 bis zum 20. August 2001 - während der zügig durchgeführten Hauptverhandlung - (wegen Verdunkelungsgefahr) in Untersuchungshaft. Allerdings ist
er seit Februar 1999 vorläufig vom Dienst suspendiert; er erhält jedoch weiterhin seine - wenn auch seit April 2001 um 25% gekürzten - Dienstbezüge.
Unter Berücksichtigung des beträchtlichen Gewichts der Tatvorwürfe,
des erheblichen Umfangs der Sache, des eigenen Verhaltens des Beschuldigten und seiner Belastungen durch das Verfahren, ist die angemessene Frist
i.S.v. Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK insgesamt nicht überschritten.
Rissing-van Saan
Otten
Fischer
Rothfuß
Elf