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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 28/18
vom
29. Mai 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:290518B1STR28.18.2
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat gemäß § 349 Abs. 2 und 4 sowie
entsprechend § 354 Abs. 1 StPO am 29. Mai 2018 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. August 2017 dahingehend abgeändert, dass der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags
entfällt. Der Angeklagte ist damit wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe und vorsätzlichem unerlaubten Besitz
von Munition verurteilt.
2. Der Strafausspruch des oben genannten Urteils wird aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
1
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen
„versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlichem un-
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erlaubten Führen einer Schusswaffe und mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz
von Munition“ zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil – mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen – aufgehoben.
2
Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in weiterer Tateinheit mit
vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe und mit vorsätzlichem
unerlaubten Besitz von Munition zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und
sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Rüge
der Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sein Rechtsmittel führt zum
Wegfall des Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags und zur Aufhebung
des Strafausspruchs.
I.
3
Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und seinem
Arbeitgeber, dem Geschädigten U.
, in der vom Angeklagten bewohnten
Wohnung zu einem Zerwürfnis. In dessen Rahmen versetzte der sehr erregte
U.
dem Angeklagten zwei Faustschläge, aufgrund derer der Angeklagte ge-
gen den Türrahmen prallte und zu Boden ging. Der ebenfalls in der Wohnung
anwesende H.
hielt U.
hen auf, woraufhin U.
daraufhin am Arm fest und forderte ihn zum Gevom Angeklagten abließ und in Richtung Wohnungs-
türe ging. Der in Wut geratene Angeklagte fasste nunmehr den Entschluss, an
U.
Vergeltung zu üben. Er holte eine unter seiner Matratze verborgene
Schreckschusswaffe hervor, deren Lauf so manipuliert war, dass damit Kartuschenmunition, Kaliber 9 mm, versehen mit einer nachgefertigten Stahlrundkugel, Kaliber 4 mm, mit einer Masse von 0,26 g, verschossen werden konnte. Die
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Waffe war mit sechs dieser Geschosse geladen. Weder für die Waffe noch für
die Munition besaß der Angeklagte die erforderliche Erlaubnis.
4
In seinem Zorn war der Angeklagte nun entschlossen, U.
zu erschie-
ßen. Er ging davon aus, ihn noch im Eingangsbereich der Wohnung oder im
Treppenhaus zu stellen und dort auf ihn schießen zu können. U.
von H.
war jedoch
, der die Bewaffnung des Angeklagten wahrgenommen hatte, ge-
warnt und zur Flucht aufgefordert worden. Dem kam U.
nach und lief den
vor der Wohnung gelegenen Treppenabsatz bis zu dem vor der Haustür gelegenen zweiten Treppenabsatz hinunter. H.
verließ ebenfalls die Wohnung,
zog die Wohnungstüre hinter sich zu und hielt die Türklinke mit beiden Händen
fest, um zu verhindern, dass der Angeklagte nachfolgte. U.
beobachtete die Bemühungen H.
blieb stehen und
s. Der Angeklagte stellte fest, dass die
Tür von außen zugehalten wurde, er wusste auch, dass dies durch H.
folgte. Er sah sich daher zunächst an seinem Vorhaben, auf U.
er-
zu schießen,
gehindert. Er beschloss, die Blockade an der Tür zu überwinden. Deswegen
schoss er aus einer Entfernung von höchstens einem Meter schräg von oben
nach unten durch die Wohnungstüre. Die in die Kartusche eingesetzte Stahlrundkugel durchschlug das hölzerne Türblatt unterhalb des Türgriffes, verfehlte
H.
, dessen Verletzung der Angeklagte billigend in Kauf genommen hatte.
Die Kugel schlug auf dem Treppenabsatz vor der Wohnungstüre auf dem Boden des Hausflurs auf, prallte von dort wieder ab und flog als Querschläger
über die Treppenstufen hinweg in Richtung des unteren Treppenabsatzes und
traf U.
dort am linken Oberkörper. Das Durchdringen des Türblattes in
schräger Bahn hatte allerdings zu einer Drosselung der Geschwindigkeit und
einer Herabsetzung der Energiedichte geführt, so dass das Geschoss nicht
mehr in den Körper von U.
eindrang, sondern lediglich eine Prellmarke ver-
ursachte. Hätte die Kugel das Auge getroffen, wären gewichtigere Verletzungen
-5-
zu erwarten gewesen. Bei dem Schuss hatte der Angeklagte eine Verletzung
des U.
billigend in Kauf genommen, ging allerdings auch wegen des Ener-
gieverlusts bei Durchschlagen des Türblattes nicht davon aus, ihn tödlich treffen
zu können.
5
U.
floh aus dem Gebäude und brachte sich in einem in der Nähe be-
findlichen Kaufhaus in Sicherheit. Der Angeklagte verließ einige Sekunden nach
dem Schuss die Wohnung und begab sich in das Treppenhaus. Er ging dabei
davon aus, U.
noch vor dem Haus anzutreffen und dort, wie von Anfang an
beabsichtigt, sofort ungehindert auf ihn schießen zu können. Er traf dort jedoch
allein noch H.
an, den er nach U.
tole hantierte. H.
s Verbleib fragte, wobei er mit der Pis-
teilte ihm daraufhin mit, er wolle mit der Sache nichts
mehr zu tun haben, stieg in sein Auto und fuhr davon. Der Angeklagte hatte
spätestens jetzt erkannt, dass U.
entkommen war und er sein Ziel, ihn zu
erschießen, nicht mehr würde verwirklichen können. Er wandte sich sodann
dem Fahrzeug des U.
zu, das er beschädigte.
II.
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1. Die nicht ausgeführte Verfahrensrüge ist unzulässig, § 344 Abs. 2
Satz 2 StPO.
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2. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags kann auf die sachlich-rechtliche Überprüfung hin allerdings keinen Bestand haben. Denn nach
den Feststellungen ist nicht dargetan, dass der Angeklagte gemäß § 22 StGB
bereits unmittelbar zur Verwirklichung des Totschlags angesetzt hat.
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a) Gemäß § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat vor, sobald der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes
unmittelbar ansetzt. Dies ist nicht erst dann der Fall, wenn er bereits eine der
Beschreibung des gesetzlichen Tatbestandes entsprechende Handlung vornimmt bzw. ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Auch eine frühere, vorgelagerte Handlung kann bereits die Strafbarkeit wegen Versuchs begründen.
Das ist der Fall, wenn sie nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem
Fortgang ohne Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet (s. etwa
BGH, Urteile vom 16. September 1975 – 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 203;
vom 16. Januar 1991 – 2 StR 527/90, BGHSt 37, 294, 297 f. und vom 20. März
2014 – 3 StR 424/13, NStZ 2014, 447; Beschlüsse vom 29. Januar 2014 –
1 StR 654/13, JR 2014, 299, 300 und vom 20. September 2016 – 2 StR 43/16,
NStZ 2017, 86 f.).
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Diese abstrakten Maßstäbe bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer
Sachverhaltsgestaltungen jedoch stets der wertenden Konkretisierung unter
Beachtung der Umstände des Einzelfalles. Hierbei können etwa die Dichte des
Tatplans oder der Grad der Rechtsgutsgefährdung, der aus Sicht des Täters
durch die zu beurteilende Handlung bewirkt wird, für die Abgrenzung zwischen
Vorbereitungs- und Versuchsstadium Bedeutung gewinnen (vgl. BGH, Urteil
vom 26. Januar 1982 – 4 StR 631/81, BGHSt 30, 363, 364 f.; Beschlüsse vom
24. Juli 1987 – 2 StR 338/87, BGHSt 35, 6, 9 und vom 20. September 2016
– 2 StR 43/16, NStZ 2017, 86).
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b) Nach diesen Maßstäben hat der Angeklagte noch nicht zum Versuch
der Tötung U.
s angesetzt.
-7-
11
Bei der rechtlichen Würdigung führt das Landgericht hierzu aus, dass zur
Tötung des U.
unmittelbar angesetzt wurde, „indem der Angeklagte die Waf-
fe aus dem Versteck holte, in Richtung des Wohnungseingangs lief, um dort
oder im Treppenhaus auf U.
zu schießen, und dann auch einen Schuss ab-
gab, um die Blockade der Tür zu überwinden“. Weitere Ausführungen zur Frage
des unmittelbaren Ansetzens finden sich nicht.
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aa) Soweit das Landgericht danach als unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung mündende Handlung den Schuss durch die Wohnungstür angesehen hat, reicht dies angesichts der konkreten Umstände des Geschehens für
ein unmittelbares Ansetzen nicht aus. So hat es sich – rechtsfehlerfrei – davon
überzeugt, dass dieser Schuss ohne Tötungsvorsatz erfolgte, da es am kognitiven Element des Tötungsvorsatzes fehlte. Dass dennoch mit dem der Aufhebung der Blockade dienenden Schuss nach der Vorstellung des Angeklagten
die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung angesetzt wurde (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Januar 1991 – 2 StR 527/90, BGHSt 37, 294, 297 f.; Beschluss vom 20. September
2016 – 2 StR 43/16, NStZ 2017, 86), wird von den Feststellungen nicht getragen. Denn hierfür war zu berücksichtigen, dass auch nach der Aufhebung der
Blockade, also des Eintritts des mit dem Schuss beabsichtigen Erfolgs, nach
der Vorstellung des Angeklagten noch weitere Zwischenakte erforderlich waren,
um zur Tatbestandsverwirklichung übergehen zu können. Denn ihm war angesichts der geschlossenen Wohnungstür bewusst, auch wenn H.
die Tür-
klinke nicht mehr festhalten würde, er selbst diese zunächst würde öffnen müssen und spätestens dies dem U.
Gelegenheit geben könnte, auf die Straße
zu flüchten. Das wird durch die festgestellte Verzögerung von einigen Sekunden zwischen Schussabgabe und dem Verlassen der Wohnung belegt. Danach
-8-
konnte der Angeklagte nicht davon ausgehen, durch den der Aufhebung der
Blockade dienenden Schuss im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang auf U.
schießen zu können. Hierzu musste er erst noch die
Türe öffnen und seinen Standort verändern, um sich in die Lage zu bringen, das
Opfer andernorts stellen zu können und es in sein Schussfeld zu bekommen.
Mit dem Schuss durch die Tür, um diese öffnen zu können, war damit aus seiner Sicht der Grad der Gefährdung des Rechtsguts Leben des U.
noch nicht
konkret genug, da es auch bei ungestörtem Fortgang noch mehrere Zwischenakte bedurfte, um auf ihn schießen zu können.
bb) Soweit das Landgericht – abweichend von der Darstellung in der
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rechtlichen Würdigung –, das unmittelbare Ansetzen an die Feststellung geknüpft haben sollte, die Vorstellung des Angeklagten nach dem Schuss und bei
Heraustreten aus der Wohnung sei darauf gerichtet gewesen, dass sich U.
noch in unmittelbarer Nähe befinde und er – der Angeklagte – vor der Haustür
ungehindert auf ihn schießen könne, vermag auch dies den Übergang in das
Versuchsstadium zur Tötung nicht zu belegen. Denn auch insoweit fehlt es
nach der Vorstellung des Angeklagten an dem unmittelbaren räumlichen und
zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Heraustreten aus der Wohnungstür
unter Mitnahme der Tatwaffe einerseits und der Tatbestandsverwirklichung,
also dem Schuss auf U.
andererseits. In dem Moment, als der Angeklagte
einige Sekunden nach der Schussabgabe die Wohnung verließ, befand sich
U.
nicht mehr im Hausflur, was dem Angeklagten bewusst war. Es war da-
her nach seiner Vorstellung noch erforderlich, dem Flüchtenden nachzusetzen,
ihn vor der Haustür zu stellen und dort die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schussabgabe zu schaffen. Allein der Schritt aus der Wohnungstür oder
das Durchschreiten des Hausflurs brachte das Leben des U.
nach der Vor-
stellung des Angeklagten damit nicht in eine konkretere Gefahr als durch die
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Entschlussfassung zur Tötung selbst. Daran ändert auch die bestehen bleibende Absicht, U.
zu erschießen, sobald sich vor der Haustür eine Gelegenheit
dafür bieten sollte, nichts, da es noch einiger Zwischenakte bedurfte, um seine
Absicht umsetzen zu können.
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Eine darüber hinausgehende Vorstellung des Angeklagten, vor der Haustür werde sich sicher die Möglichkeit zur ungehinderten Schussabgabe auf
U.
ergeben, ist nicht beweiswürdigend unterlegt. Dem Angeklagten war be-
wusst, dass U.
vor ihm, dem bewaffneten Angreifer, auf der Flucht war. Da-
für, dass er vor diesem Hintergrund sicher davon ausgehen konnte, nach Erreichen des Gehwegs dort ungehindert auf ihn schießen zu können, sind weder
Anhaltspunkte festgestellt noch angesichts der Verlagerung des Geschehens in
das öffentliche Straßenland naheliegend.
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3. Der weitergehende Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei. Der Senat kann
ausschließen, dass eine nochmalige Zurückverweisung zu Feststellungen führen könnte, die den Schuldspruch wegen eines versuchten Totschlags zu tragen vermögen. Denn beide bisher mit der Sache befassten Tatgerichte haben
den Sachverhalt sorgfältig aufgeklärt. Der Senat hat deswegen in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den im Übrigen rechtsfehlerfreien
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Schuldspruch dahingehend geändert, dass die Verurteilung wegen versuchten
Totschlags entfällt.
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Das entzog der Strafzumessungsentscheidung die Grundlage.
Raum
Bellay
Radtke
Cirener
Hohoff