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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 204/02
vom
27. August 2002
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. August
2002, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Nack
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 29. Januar 2002 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem
Angeklagten dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes, wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes jeweils in
Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Schutzbefohlenen in vier Fällen sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die
Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Sie erstrebt
im Ergebnis eine höhere, zu vollstreckende Strafe. Ihr Rechtsmittel bleibt erfolglos.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts streichelte der Angeklagte
im Jahr 1987 seine aus erster Ehe stammende, in seinem Haushalt lebende
-4-
damals 13jährige Tochter N.
im Bereich der Vagina, führte für wenige Se-
kunden einen Finger leicht in die Scheide ein und ließ N.
kurz sein ent-
blößtes, erigiertes Glied anfassen. Er onanierte sodann vor dem Kind bis zum
Samenerguß und zeigte die Samenflüssigkeit seiner Tochter mit den Worten:
"Schau' mal, wie sich das anfühlt!" (Fall II. 1., sexueller Mißbrauch eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB aF; die Gesetzesverletzung nach § 174 Abs. 1
Nr. 3 StGB war verjährt).
Im Juli oder August 1998 veranlaßte der Angeklagte die seinerzeit
8jährige Tochter I.
seiner nunmehrigen Lebensgefährtin J.
K.
, sein
nicht erigiertes Glied für wenige Sekunden in den Mund zu nehmen und daran
zu lutschen, als er I.
zu Bett brachte. Er war in diesem Zeitraum auch mit
der Erziehung des Kindes befaßt. Ein bis zwei Wochen später wiederholte sich
dieser Vorgang. Etwa ein bis drei Wochen darauf führte der Angeklagte einen
Finger in die Scheide des Mädchens ein und bewegte ihn. Aufforderungsgemäß leckte das Kind den Finger sodann ab. Er streichelte es schließlich im Bereich der Scheide und küßte diese. Wenige Tage später kam es erneut zu den
gleichen Handlungen; zudem gab der Angeklagte jetzt dem Kind einen Zungenkuß (Fälle II. 2. a) bis d), schwerer sexueller Mißbrauch eines Kindes in vier
Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Schutzbefohlenen,
§ 176 Abs. 1, § 176a Abs. 1 Nr. 1, § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Am 18. Juni 2000 würgte der Angeklagte seine Lebensgefährtin J.
K.
im Zuge der Trennung beider, so daß diese zwei Tage lang unter
Schluckbeschwerden litt (Fall II. 3., vorsätzliche Körperverletzung, § 223 Abs. 1
StGB).
2. Das Landgericht hat für die erste Tat - zum Nachteil von N.
,
Fall II.1. - eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, für die vier Taten zum
-5-
Nachteil von I.
- Fälle II. 2. - je eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und für
die Körperverletzung zum Nachteil der J.
von 120 Tagessätzen á 40
 
K.
- Fall II.3. - eine Geldstrafe
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  s-
strafe von zwei Jahren gebildet. Deren Vollstreckung hat es zur Bewährung
ausgesetzt. In den ersten beiden Komplexen (zum Nachteil N.
und I.
)
hat es jeweils minder schwere Fälle angenommen und dabei ausdrücklich darauf abgestellt, daß die Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs nach §
46a Nr. 1 StGB erfüllt seien. Bei der Bemessung der Geldstrafe für das Körperverletzungsdelikt hat es ebenso die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB
bejaht und den Strafrahmen über § 49 Abs. 1 StGB gemildert. Die Strafkammer
hat dies damit begründet, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung an seine Tochter N.
260
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zivilrechtlichen Verjährung eines im Adhäsionsverfahren anhängigen Schmerzensgeldanspruchs ausgegangen war. Zur Abgeltung weiterer, ebenfalls im
Adhäsionsverfahren geltend gemachter Ansprüche der Geschädigten I.
und J.
K.
hat er sich im Wege eines in der Hauptverhandlung protokol-
lierten Vergleichs zur Zahlung von 3.000
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pflichtet, die bei ratenweiser Zahlung in Höhe von insgesamt 2.000
zehn Monaten als vollständig erfüllt gelten sollten. J.
K.
ver-
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hat er im Ver-
gleichswege sämtliche im ehemals gemeinsamen Haushalt verbliebenen gemeinschaftlichen Möbel und Hausratsgegenstände zu Alleineigentum überlassen; diese ging dabei von einem Wert der Gegenstände in Höhe von 3.500
aus. Der Angeklagte bezog zuletzt Übergangsgeld vom Arbeitsamt; er hat Unterhaltsverpflichtungen und ist hoch verschuldet.
-6-
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
1. Die Bejahung der Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs (gemäß § 46a Nr. 1 StGB) durch das Landgericht begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) § 46a Nr. 1 StGB verlangt, daß der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat "ganz oder zum überwiegenden
Teil" wiedergutgemacht hat; es ist aber auch ausreichend, daß der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt. Das Bemühen des Täters setzt grundsätzlich einen
kommunikativen Prozeß zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten
Folgen angelegt sein muß. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne
den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt dazu nicht (BGH NStZ 1995,
492; NJW 2001, 2557; NStZ 2002, 29). Wenngleich ein "Wiedergutmachungserfolg" nicht zwingende Voraussetzung ist (BGH aaO), so muß sich doch das
Opfer auf freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereit finden und sich auf
ihn einlassen. Ebensowenig wie allein die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen genügt, ist andererseits bei einem auf Ausgleich angelegten Verhalten des Täters, das sich als "Ausdruck der Übernahme von Verantwortung"
erweist, die vollständige Erfüllung der bestehenden Ersatzansprüche erforderlich; die strafrechtliche Wiedergutmachung im Sinne von § 46a StGB darf mit
dem zivilrechtlichen Schadensersatz nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden
(so zu § 46a Nr. 2 StGB: BGH NJW 2001, 2557). Der Anwendbarkeit steht zudem nicht von vornherein entgegen, daß der Täter den finanziellen Ausgleich
durch seinen Verteidiger und etwa erst zu einem Zeitpunkt veranlaßt hat oder
sich dazu verpflichtet hat, zudem ihn das Opfer bereits auf Zahlung in An-
-7-
spruch genommen hat (BGH StV 2000, 129 = NStZ-RR 2000, 364; StV 1999,
89; NStZ 1995, 284). Regelmäßig sind aber tatrichterliche Feststellungen dazu
erforderlich, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat,
wie sicher die Erfüllung einer etwaigen Schmerzensgeldzahlungsverpflichtung
ist und welche Folgen diese Verpflichtung für den Täter haben wird (BGH NStZ
2002, 29; BGH, Beschluß vom 22. Januar 2002 - 1 StR 500/01). Auf dieser
Grundlage hat der Tatrichter in "wertender Betrachtung" und schließlich nach
Ermessensgesichtspunkten zu entscheiden, ob er die Voraussetzungen des
Täter-Opfer-Ausgleichs annimmt und danach von der so eröffneten Milderungsmöglichkeit Gebrauch macht. Dabei gilt es, das gesetzgeberische Anliegen im Blick zu behalten, mit der Vorschrift für den Täter einen als "vertypten
Strafmilderungsgrund" ausgestalteten Anreiz für entsprechende Ausgleichsbemühungen zu schaffen. Das verbietet nach Auffassung des Senats ein allzu
enges Verständnis der Vorschrift jedenfalls in denjenigen Fällen, in denen ein
kommunikativer Prozeß zwischen Täter und Opfer stattgefunden hat; dies wird
vornehmlich für Taten im Familienverbund oder innerhalb sonstiger persönlicher Beziehungen zu gelten haben.
b) Das Landgericht hat diese Maßstäbe im Ergebnis beachtet. Die Urteilsgründe belegen in ihrem Zusammenhang noch hinreichend die Voraussetzungen eines stattgefundenen Täter-Opfer-Ausgleichs, den die Beschwerdeführerin namentlich hinsichtlich der ersten beiden Tatkomplexe (Taten zum
Nachteil der Kinder) in Frage stellt. Die Feststellungen ergeben, daß der Angeklagte versucht hat, die Tatopfer in seine Ausgleichsbemühungen einzubeziehen und daß ein friedensstiftender "kommunikativer Prozeß" stattgefunden hat.
So nahm der Angeklagte im zweiten Fallkomplex (zum Nachteil von I.
)
nach Offenlegung des Kindesmißbrauchs durch die Geschädigte gegenüber
ihrer Mutter um die Jahreswende 1998/99 mit der Telefonseelsorge Kontakt
-8-
auf; die Mutter ließ sich ebenfalls beraten. In Absprache mit der Mutter kam es
danach zu einem - ersichtlich auch von der Beratungsstelle für sinnvoll erachteten - Gespräch zwischen Angeklagtem und dem Kind. Im Einvernehmen
des Angeklagten, des Kindes und der Mutter lebten alle drei mit einer weiteren,
jüngeren Tochter der Mutter seit Frühjahr 1999 wieder zusammen und zogen
im Herbst 1999 gemeinsam nach Ku.
, wo der Angeklagte und seine Le-
bensgefährtin ein Haus kauften (UA S. 13). Daß dieser ersichtlich einstweilen
erfolgreiche Versuch einer "Aufarbeitung" der Taten zeitlich vor der Einleitung
des Ermittlungsverfahrens lag, hindert den Tatrichter nicht, ihn - jedenfalls im
Ergebnis - mit in Betracht zu ziehen. Ähnlich lag es auch beim ersten Fall (zum
Nachteil von N.
). Nachdem sich das Opfer seiner Stiefmutter, der zweiten
Ehefrau des Angeklagten, anvertraut und diese dem Angeklagten deshalb Vorhaltungen gemacht hatte, gab der Angeklagte die Tat zu. Da er N.
ver-
sprach, derartiges nie mehr zu tun, hielt diese auch in der Folgezeit weiter
Kontakt zu ihm. Dies blieb so, bis im Jahr 2000 die Vorwürfe des Mißbrauchs
von I.
bekannt wurden. Aus Empörung darüber brach N.
nun den
Kontakt mit ihrem Vater ab und erstattete ihrerseits Anzeige.
Daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung ein Schmerzensgeld an
N.
gezahlt hat und im übrigen im Wege eines protokollierten Vergleichs
entsprechende Verpflichtungen zur Ersatzleistung eingegangen ist (UA S. 7,
8/9, 11), belegt unter diesen Umständen noch genügend, daß die Ausgleichsbemühungen auch in der Folge jedenfalls eine gewisse friedensstiftende Wirkung gezeitigt oder jedenfalls angebahnt haben; die Annahme der Vergleiche
und der vergleichsweisen Zahlung setzt eine entsprechende Bereitschaft seitens der Opfer voraus. Ein gerichtlich protokollierter Vergleich ist ein Vollstrekkungstitel (vgl. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Auswirkungen der erfolgten und
der zu erbringenden Zahlungen für den hoch verschuldeten Angeklagten erge-
-9-
ben sich noch genügend aus dem Zusammenhang mit den Feststellungen zu
seinen finanziellen und persönlichen Verhältnissen. Unter all diesen Umständen ist jedenfalls von Rechts wegen nichts dagegen zu erinnern, daß die Strafkammer die Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs in wertender Betrachtung für alle Fälle bejaht und von ihrer Straffindungskompetenz in revisionsrechtlich hinzunehmender Weise Gebrauch gemacht hat. Im ersten Fall
steht der ersichtlichen Annahme "überwiegender Wiedergutmachung" von
Rechts wegen nicht die eher geringe Höhe des gezahlten Schmerzensgeldes
entgegen. Denn die Tat lag lange zurück. Die Geschädigte hatte nach Aussprache weiter Kontakt mit dem Angeklagten, ihrem Vater, gepflegt, und fortdauernde erhebliche psychische Folgen des Tatgeschehens sind im Urteil
nicht festgestellt. Sie liegen angesichts des Zeitablaufs und des Lebensalters
der Geschädigten zur Tatzeit sowie zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung auch
nicht nahe.
c) Aus den Urteilsgründen ergibt sich schließlich auch kein Anhalt dafür,
daß die Geschädigten den Täter-Opfer-Ausgleich etwa nicht "ernsthaft mitgetragen" und nicht als friedensstiftende Konfliktregelung "innerlich akzeptiert"
hätten. Deshalb kann der Senat dahinstellen, ob ein solcher innerer Vorbehalt
des Opfers der Annahme der Voraussetzungen eines Ausgleichs entgegenstünde (so der 2. Strafsenat, Urteil vom 31. Mai 2002 - 2 StR 73/02).
- 10 -
2. Die Revisionsbegründung der Beschwerdeführerin zeigt auch sonst
einen Rechtsfehler nicht auf.
Nack
Wahl
Schluckebier
Boetticher
Kolz