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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
IV ZR 23/01
URTEIL
Verkündet am:
30. Januar 2002
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
_____________________
VVG § 16, BGB §§ 164, 242 A
Zur Evidenz des Vollmachtsmißbrauchs bei der Entgegennahme eines Versicherungsantrages durch den Agenten.
BGH, Urteil vom 30. Januar 2002 - IV ZR 23/01 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 30. Januar 2002
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats
des
Oberlandesgerichts
Düsseldorf
vom
12. Dezember 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, Beamter im Justizvollzugsdienst, begehrt die Zahlung
einer Berufsunfähigkeitsrente.
Er unterhielt ab September 1996 bei der Beklagten eine Risikolebensversicherung
mit
eingeschlossener
Berufsunfähigkeits-
Zusatzversicherung. Letzterer lagen Besondere Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) zugrunde; aufgrund besonde-
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rer Vereinbarung wurden diese Bedingungen durch eine Dienstunfähigkeitsklausel für Beamte ergänzt. Am 28. November 1996 erlitt er anläßlich eines Gefangenentransports erhebliche Verletzungen. Ende Juli
1998 wurde er wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Nachdem er Versicherungsleistungen beantragt hatte, holte die
Beklagte eine Auskunft seines Hausarztes ein, die nach ihrer Behauptung am 31. August 1998 einging. Aus dieser ergab sich, daß der Kläger
in seinem schriftlichen Versicherungsantrag vom 4. Juli 1996, den der
Versicherungsagent M. aufgenommen hatte, zwar eine Gastritis und eine
Lungenentzündung im Jahre 1995, nicht jedoch seit 1992 aufgetretene
psychische und psychosomatische Beschwerden nebst einer psychiatrischen Behandlung im Januar 1996 angegeben hatte. Deshalb erklärte
die Beklagte mit Schreiben vom 9. September 1998, dem Kläger zugegangen am 12. September 1998, den Rücktritt von der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung . Zwischen den Parteien ist insbesondere
streitig, ob der Kläger den Versicherungsagenten über sein psychisches
Krankheitsbild mündlich unterrichtet hatte, dieser aber äußerte, das
müsse im Antragsformular nicht vermerkt werden, und ob die im schriftlichen Antrag nicht aufgeführten Umstände Einfluß auf den Eintritt des
Versicherungsfalles gehabt haben.
Das Landgericht hat der Klage auf rückständige Rentenleistungen
in Höhe von 26.320 DM stattgegeben und festgestellt, daß der Kläger ab
dem 1. April 1999 Anspruch auf die versicherte Leistung aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nebst Gewinnanteilen habe. Zusätzlich
- und vom Landgericht nicht beschieden - hatte der Kläger die Feststellung der Beitragsfreiheit ab Dezember 1996 begehrt. Auf die Berufung
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der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger selbst
bei umfassender Aufklärung des Versicherungsagenten über bestehende
Vorerkrankungen seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit verletzt.
Denn sein Vorbringen als richtig unterstellt, habe er mit dem Agenten zu
Lasten der Beklagten kollusiv zusammengewirkt. Die Erklärung des
Agenten, die psychischen Probleme müßten in den Antrag nicht aufgenommen werden, sei angesichts der Schwere und Häufigkeit der Beschwerden handgreiflich falsch gewesen. Die im Januar 1996 aufgesuchte Psychiaterin habe dem Kläger eine geregelte Arbeitszeit ohne
Nachtschichten angeraten. Ferner hätten Kollegen des Klägers aufgrund
psychischer Erkrankungen Probleme mit ihrer Dienstfähigkeit gehabt.
Ihm sei daher klar gewesen, daß es aufgrund seiner Vorerkrankungen
zumindest zweifelhaft gewesen sei, ob er seinem Beruf weiterhin gewachsen sein werde. Bei diesem Kenntnisstand könne ihm nicht verborgen geblieben sein, daß der Agent der Beklagten etwas habe unter-
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schlagen wollen, als er die ihm offenbarten Umstände nicht im Antrag
aufgeführt habe. Damit sei für den Kläger dessen pflichtwidriges Verhalten evident gewesen, so daß es sich verbiete, der Beklagten das
Wissen ihres Agenten zuzurechnen. Ihr Rücktritt sei innerhalb der Frist
des § 20 VVG erklärt. Ihre Leistungspflicht sei nicht gemäß § 21 VVG
bestehen geblieben. Der Kläger habe nicht substantiiert dargelegt, daß
die psychischen und psychosomatischen Probleme für seine Berufsunfähigkeit keine Rolle gespielt hätten.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten
stand.
1. Richtig ist, daß der Rücktritt der Beklagten rechtzeitig erfolgt
ist. Gemäß § 20 Abs. 1 VVG kann er innerhalb eines Monats erklärt werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Versicherer von
der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erlangt. Abzustellen ist dabei
auf die Kenntnis des Mitarbeiters, zu dessen Aufgaben es gehört, den
Tatbestand der Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten festzustellen (Senatsurteil vom 17. April 1996 - IV ZR 202/95 - VersR 1996,
742 unter I 2 a). Wann die Rücktrittsfrist in Lauf gesetzt worden ist, hat
der Versicherungsnehmer zu beweisen (Senatsurteil vom 28. November
1990 - IV ZR 219/89 - VersR 1991, 170 unter 3 a). Hier hat die zuständige Sachbearbeiterin der Beklagten die für den Rücktritt maßgeblichen
Tatsachen aus dem Brief des Hausarztes des Klägers vom 4. August
1998 erfahren. Das Schreiben trägt den Eingangsstempel der zentralen
Poststelle der Beklagten vom 31. August 1998. Die Ausübung des Rück-
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trittsrechts mit Schreiben vom 9. September 1998, zugegangen am
12. September 1998, ist somit fristgemäß erfolgt. Daß der Arztbrief der
Beklagten noch vor dem 31. August 1998 zugegangen ist, hat der Kläger
nicht nachgewiesen. Ob er schon am 4. August 1998 zur Post gegeben
worden ist, ist unerheblich, da die Aufgabe zur Post für sich allein nichts
über den Zeitpunkt des Zugangs beim Empfänger besagt.
2. Nicht zu beanstanden ist weiter die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Leistungspflicht der vom Versicherungsvertrag zurückgetretenen Beklagten nicht nach § 21 VVG fortbesteht. Der Kläger als
Versicherungsnehmer hätte darlegen und beweisen müssen, daß eine
Mitursächlichkeit seiner Beschwerden für den Eintritt des Versicherungsfalles nicht in Betracht kommt (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober
1989 - IVa ZR 141/88 - VersR 1990, 297 unter 2 e). Das ist nicht geschehen. Vielmehr bestand nach dem amtsärztlichen Bericht vom
28. Januar 1998 beim Kläger ein psychisches Krankheitsbild, das entgegen der Behauptung des Klägers gerade nicht als Folge seines Dienstunfalls vom 28. November 1996 einzuordnen war. Bei dieser Sachlage
ist es nicht rechtsfehlerhaft, wenn das Berufungsgericht die um näheren
Vortrag nicht ergänzte Behauptung des Klägers, seine Vorerkrankungen
hätten mit der späteren Dienstunfähigkeit nichts zu tun, als nicht hinreichend substantiiert angesehen hat.
3. Rechtsfehlerhaft sind hingegen die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es ein Recht der Beklagten zum Rücktritt bejaht hat.
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a) Das Berufungsgericht
hat offengelassen, ob der Kläger den
Versicherungsagenten M. mündlich von seinem psychischen Krankheitsbild in Kenntnis setzte. Für das Revisionsverfahren ist daher die Richtigkeit seines Vortrags zu unterstellen, er habe alle ihm aus dem Antragsformular vorgelesenen Fragen wahrheitsgemäß beantwortet, so auch
diejenigen nach psychischen Störungen. Er habe dem Versicherungsagenten geschildert, in der Vergangenheit zuweilen - auch noch im Vorjahr der Antragstellung - unter erheblichen, nicht selten von Kopfschmerzen begleiteten Depressionen gelitten zu haben. Er habe auf
seelische Probleme verwiesen, die auf die Zerrüttung seiner Ehe zurückzuführen seien, und darauf, daß er seinen Beruf zeitweise als bedrükkend empfinde.
Dann aber ist der Kläger seiner Anzeigeobliegenheit nachgekommen (vgl. BGHZ 116, 387, 389). Zu weiteren Angaben gegenüber der
Beklagten mußte er sich nicht veranlaßt sehen. Wenn der Zeuge M.
nach dem Vortrag des Klägers - von dem im Revisionsverfahren auszugehen ist - erkennen ließ, daß er die ihm geschilderten psychischen B eschwerden als unerheblich betrachtete, zumal der Kläger inzwischen
völlig gesund und in Ordnung sei, durfte sich der Kläger damit zufrieden
geben. Daß der Agent seine Angaben nicht im Antragsformular vermerkte, mußte beim Kläger wegen der vorhergehenden Erklärungen des
Agenten keine Zweifel begründen.
b) Dem Berufungsgericht ist nicht darin zu folgen, daß der Kläger
und der Versicherungsagent zu Lasten der Beklagten im Sinne des § 138
BGB kollusiv zusammengewirkt haben. Eine solche Kollusion liegt vor,
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wenn Agent und Versicherungsnehmer arglistig zum Nachteil des Versicherers zusammenwirken, was voraussetzt, daß der Versicherungsnehmer von dem treuwidrigen Verhalten des Versicherungsagenten gegenüber dem von ihm vertretenen Versicherer weiß (vgl. BGH, Urteil vom
17. Mai 1988 - VI ZR 233/87 - NJW 1989, 26 unter II; Kollhosser in
Prölss/Martin, § 43 VVG Rdn. 27). Das Berufungsgericht hat lediglich
festgestellt, daß der Versicherungsagent der Beklagten die ihm gegebenen Informationen vorenthalten wollte. Entsprechende Feststellungen,
die auf die Annahme von Arglist auf seiten des Klägers bezogen sind,
fehlen. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß der Kläger gewollt oder auch
nur gebilligt hätte, daß der Versicherungsagent die ihm offenbarten
Vorerkrankungen im Antragsformular unberechtigt unerwähnt ließ. Vielmehr hat sich der Kläger von der Beklagten unwiderlegt dahin eingelassen, der Versicherungsagent habe ihn durch seine Äußerungen davon
überzeugt, daß die früheren Phasen der Niedergeschlagenheit als seel ische Tiefs einzuordnen seien, unter denen jeder einmal leide und die für
die Risikoeinschätzung des Versicherers daher unwesentlich seien.
c) Ein Mißbrauch der Vertretungsmacht kann - als besondere Ausgestaltung des § 242 BGB - allerdings ebenso gegeben sein, wenn der
Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise
Gebrauch macht, so daß beim Vertragspartner begründete Zweifel entstehen müssen, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber
dem Vertretenen vorliegt. Der Vertretene ist auch dann im Verhältnis zu
seinem Vertragspartner vor den Folgen des Vollmachtsmißbrauchs geschützt (BGH, Urteile vom 19. April 1994 - XI ZR 18/93 - NJW 1994,
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2082 unter II 2 a; vom 29. Juni 1999 - XI ZR 277/98 - WM 1999, 1617
unter I 2 a, jeweils m.w.N.).
Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Voraussetzungen eines solchen evidenten Mißbrauchs der Vertretungsmacht jedoch nicht. Es hat die besondere Stellung des Versicherungsagenten
nicht berücksichtigt, der als "Auge und Ohr" des Versicherers zur Entgegennahme auch mündlicher vorvertraglicher Anzeigen des Versicherungsnehmers bevollmächtigt ist. Der Versicherer ist aufgrund des Vertrauensverhältnisses während der Vertragsverhandlungen dem Antragsteller gegenüber zur Auskunft und Beratung verpflichtet, soweit sie dieser benötigt. Er erfüllt diese Pflicht durch Auskünfte seines Agenten; der
künftige Versicherungsnehmer darf davon ausgehen, daß der Agent zur
Erteilung solcher Auskünfte regelmäßig auch befugt ist. Diese Umstände
bestimmen zugleich die Erwartungen des künftigen Versicherungsnehmers an den ihm bei Antragstellung gegenübertretenden Agenten. Gibt
der Agent dem Antragsteller unzutreffende Auskünfte und falsche Ratschläge im Zusammenhang mit der Beantwortung von Formularfragen im
Antrag, greift demgemäß der Vorwurf, der Antragsteller habe insoweit
seine Anzeigeobliegenheit verletzt, nicht durch (vgl. BGHZ 116, 387,
391). Nichts anderes gilt, wenn der Agent die zutreffende Beantwortung
der vom Versicherer gestellten Formularfragen dadurch unterläuft, daß
er durch einschränkende Bemerkungen verdeckt, was auf die jeweilige
Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist (Senatsurteil
vom 10. Oktober 2001 - IV ZR 6/01 - VersR 2001, 1541 unter II 1 d). Den
Agenten hinsichtlich seiner Auskünfte, was von den offenbarten Umständen in das Formular aufzunehmen ist, zu kontrollieren, ist nicht Sache
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des künftigen Versicherungsnehmers. Das wirkt sich auf die Beurteilung
der Frage aus, ob für den Versicherungsnehmer ein Vollmachtsmiß brauch seitens des Versicherungsagenten offensichtlich werden muß: An
die für § 242 BGB geforderte Evidenz des Vollmachtsmißbrauchs ist ein
strenger Maßstab anzulegen, der der besonderen Stellung des Versicherungsagenten Rechnung trägt.
III. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem aufgezeigten
Rechtsfehler. Das Berufungsgericht wird erneut tatrichterlich zu würdigen haben, ob der bislang zugrunde gelegte Sachverhalt die Annahme
rechtfertigt, das treuwidrige Handeln des Versicherungsagenten sei für
den Kläger evident gewesen. Dabei wird es zu erwägen haben, ob die
Würdigung zusätzlich auf eine Anhörung des Klägers und eine wiederholte Vernehmung des Agenten zu stützen ist. Wird Vollmachtsmiß brauch verneint, wird es darauf ankommen, ob der Kläger dem Versicherungsagenten seine Vorerkrankungen tatsächlich in dem vorgetragenen
Umfang offenbarte. Die Beweislast dafür, daß er etwas anderes gesagt
hat, als er behauptet, trifft dabei die Beklagte. Hat nicht der Versicherungsnehmer, sondern der Agent das Formular ausgefüllt, kann der Versicherer allein mit dem Formular nicht beweisen, daß der Versicherungsnehmer falsche Angaben gemacht hat, sofern dieser sich substantiiert dahin einläßt, den Agenten mündlich zutreffend unterrichtet zu haben (BGHZ 107, 322, 325).
Terno
Dr. Schlichting
Seiffert
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Dr. Kessal-Wulf
Felsch