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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 151/07
vom
13. Februar 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 234 Abs. 1 A
a) Einer Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Durchführung des Rechtsmittels Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe wegen nicht hinreichend nachgewiesener Bedürftigkeit rechnen
musste. Das ist der Fall, wenn dem Antrag innerhalb der Rechtsmittelfrist eine
vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den erforderlichen Anlagen beigefügt war (im Anschluss an die
Senatsbeschlüsse vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901 und
vom 19. Mai 2004 - XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548).
b) Enthalten die Angaben in dem Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse einzelne Lücken, kann die Partei unter Umständen gleichwohl darauf
vertrauen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe genügend dargetan zu haben. Solches kommt in Betracht, wenn diese
Lücken oder Zweifel auf andere Weise ohne weiteres, etwa anhand der beigefügten Unterlagen, geschlossen bzw. ausgeräumt werden können oder wenn sich
aufgrund der sonstigen Angaben und Belege aufdrängt, dass Einnahmen oder
Vermögenswerte nicht vorhanden sind (im Anschluss an Senatsbeschluss vom
3. Mai 2000 - XII ZB 21/00 - NJW-RR 2000, 1520 und BGH Beschluss vom
21. September 2005 - IV ZB 21/05 - FamRZ 2005, 2062).
c) Hatte der Antragsteller seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
nebst ausgefüllter Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Anlagen innerhalb der Rechtsmittelfrist eingereicht und hat das Gericht ihm
zur Vervollständigung der Angaben eine Frist gesetzt, darf er jedenfalls bis zum
Fristablauf weiterhin auf Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe vertrauen.
BGH, Beschluss vom 13. Februar 2008 - XII ZB 151/07 - LG Kassel
AG Kassel
-2-
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Februar 2008 durch die
Richter Sprick, Fuchs und Dr. Ahlt, die Richterin Dr. Vézina und den Richter
Dose
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der
1. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 16. August 2007
aufgehoben.
Der Beklagten wird gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 30. Januar 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Wert: 667 €.
Gründe:
I.
1
Die Parteien streiten um Rückzahlung einer Mietkaution sowie um Verzugsschaden in Form außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
2
Das Amtsgericht hat die Beklagten zur Zahlung von 607,56 € nebst Zinsen sowie weiterer 59,15 € verurteilt. Das Urteil ist der Beklagten am 1. Februar
2007 zugestellt worden.
3
Mit einem am gleichen Tag eingegangenen Schriftsatz vom 27. Februar
2007 hat die Beklagte Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Beru-
-3-
fungsverfahrens beantragt und dem Antrag eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen beigefügt. Mit Schreiben
vom 16. März 2007 wurde der Beklagten vom Gericht aufgegeben, die Angaben
zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zu ergänzen. Dazu wurde ihr unter Hinweis auf § 118 Abs. 1 (richtig: Abs. 2) Satz 4 ZPO eine Frist von drei Wochen
gesetzt. Die Frist wurde auf Antrag der Beklagten bis zum 9. Mai 2007 verlängert. Mit Schreiben vom 4. Mai 2007, eingegangen am 7. Mai 2007, ergänzte
die Beklagte ihre Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Mit Verfügung vom 11. Mai 2007, der Beklagten zugestellt am 16. Mai
2007, wurde der Beklagten aufgegeben, ihre Angaben weiter zu ergänzen. Außerdem hieß es darin:
"Das Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
bedarf des vollständigen Ausfüllens, insbesondere muss die Antragstellerin im Rahmen der "Wohnkosten" und der "sonstigen Zahlungsverpflichtungen" angeben, welche Zahlungen sie selbst auf die Verpflichtungen erbringt."
4
Auch insoweit wurde der Beklagten eine Frist von drei Wochen gesetzt.
Mit einem am 8. Juni 2007 eingegangenen Schriftsatz vom 6. Juni 2007 reichte
die Beklagte weitere Unterlagen ein und fragte ergänzend an, ob "nochmals ein
komplett neu ausgefülltes Formular" über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse eingereicht werden müsse. Mit Verfügung vom 13. Juni 2007, zugestellt am 15. Juni 2007, wurde der Beklagten Gelegenheit gegeben, "bis zum
27.06.2007 die im Schriftsatz vom 06.06.2007 vorgetragenen Tatsachen glaubhaft zu machen." Es bleibe der Beklagten unbenommen, ein neues Formular
über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auszufüllen oder das
bereits ausgefüllte Formular entsprechend zu ergänzen. Weiter wurde darauf
hingewiesen, dass am 28. Juni 2007 über das PKH-Gesuch entschieden werde.
-4-
Mit einem am 27. Juni 2007 eingegangenen Schriftsatz vom 26. Juni 2007
reichte die Beklagte eine neu ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse sowie weitere Unterlagen zu Nebenkosten und
zwei eidesstattliche Versicherungen ein. Mit Beschluss vom 28. Juni 2007 wurde der Beklagten die begehrte Prozesskostenhilfe versagt, weil sie ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch immer nicht in einem Umfang
glaubhaft gemacht habe, der eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe zulasse.
Der Beschluss wurde der Beklagten am 4. Juli 2007 zugestellt.
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Mit einem am 11. Juli 2007 eingegangenen Schriftsatz vom 10. Juli 2007
beantragte die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, legte zugleich
Berufung ein und begründete sie. Mit dem angefochtenen Beschluss vom
16. August 2007 hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Berufung der Beklagten verworfen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist sei nicht innerhalb der
14-tägigen Frist eingegangen. Diese habe spätestens am 26. Juni 2007 begonnen, als der Prozessbevollmächtigte der Beklagten wegen seiner unzureichenden Antwort auf die verschiedenen Hinweise der Kammer vernünftigerweise
nicht mehr mit einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe habe rechnen dürfen.
Die Wiedereinsetzungsfrist sei deswegen am (Dienstag) 10. Juli 2007 abgelaufen. Der am 11. Juli 2007 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag sei mithin
verfristet. Damit sei auch die Berufung verspätet eingegangen und deswegen
ebenfalls als unzulässig zu verwerfen.
6
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.
-5-
II.
7
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 238 Abs. 2
Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
8
Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht die von der
Beklagten für eine Wiedereinsetzung in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist vorgetragenen Gründe mit unzutreffenden Erwägungen übergangen
und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat. Nach gefestigter
Rechtsprechung dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör
zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung
wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in
unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005
- XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792). Gegen diesen Grundsatz verstößt die
angefochtene Entscheidung.
9
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Wiedereinsetzung
in die schuldlos versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist.
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a) Eine arme Partei, die ein Rechtsmittel einlegen will, hat grundsätzlich
Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie ihr Prozesskostenhilfegesuch bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereicht hatte (ständige
Rechtsprechung seit BGHZ 16, 1, 3). Das setzt allerdings voraus, dass dem
Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens
innerhalb der Rechtsmittelfrist neben der ausgefüllten Erklärung über die per-
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sönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch die insoweit notwendigen Belege beigefügt waren (Senatsbeschluss vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 FamRZ 2005, 1901, 1902). Denn für den Regelfall schreibt § 117 Abs. 4 ZPO
zwingend vor, dass sich der Antragsteller zur Darlegung seiner persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse des durch die Verordnung vom 17. Oktober
1994 (BGBl. I 3001, abgedruckt bei Zöller/Philippi ZPO 26. Aufl. § 117 Rdn. 15)
eingeführten Vordrucks bedienen muss. Der Antragsteller kann deswegen
grundsätzlich nur dann davon ausgehen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen
für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben, wenn er rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist einen ordnungsgemäß ausgefüllten Vordruck nebst den erforderlichen Anlagen zu den Akten reicht (Senatsbeschlüsse
vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901, 1902 und vom
19. Mai 2004 - XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548).
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Enthalten die Angaben im Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzelne Lücken, kann die Partei unter Umständen gleichwohl darauf vertrauen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung
der Prozesskostenhilfe genügend dargetan zu haben. Solches kommt in Betracht, wenn diese Lücken oder Zweifel auf andere Weise ohne weiteres, etwa
anhand der beigefügten Unterlagen, geschlossen bzw. ausgeräumt werden
können (Senatsbeschluss vom 3. Mai 2000 - XII ZB 21/00 - NJW-RR 2000,
1520). Gleiches gilt, wenn zwar einzelne Fragen zu den Einnahmen nicht beantwortet sind, sich aber aufgrund der sonstigen Angaben und Belege aufdrängt, dass solche Einnahmen nicht vorhanden sind (BGH Beschluss vom
21. September 2005 - IV ZB 21/05 - FamRZ 2005, 2062 und Senatsbeschluss
vom 3. Mai 2000 - XII ZB 21/00 - NJW-RR 2000, 1520).
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Auch wenn der Antragsteller seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nebst ausgefüllter Erklärung über die persönlichen und wirtschaftli-
-7-
chen Verhältnisse und Anlagen innerhalb der Rechtsmittelfrist eingereicht hatte
und das Gericht ihm zur Vervollständigung der Angaben eine Frist gesetzt hatte, darf er weiterhin auf Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe vertrauen. In solchen Fällen entfällt das schutzwürdige Vertrauen in die Bewilligung
der begehrten Prozesskostenhilfe erst mit Ablauf der gesetzten Frist. Ist der
Antragsteller der Auflage hingegen nachgekommen, endet sein schutzwürdiges
Vertrauen erst mit Zustellung des die beantragte Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses. Das gilt auch dann, wenn die dem Antragsteller gesetzte Frist
mehrfach verlängert wurde, weil das schutzwürdige Vertrauen auf Bewilligung
der begehrten Prozesskostenhilfe auch dann noch bis zur letzten gesetzten
Frist fortbesteht. Selbst wenn der Antragsteller innerhalb der gesetzten Frist
reagiert, aber zunächst nur einen Teil der offenen Fragen klärt, ist sein Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe weiter geschützt.
Denn dies wäre auch ohne die (Teil-)Antwort der Fall, und dem Antragsteller
bleibt es unbenommen, die Antwort bis zum Fristablauf weiter zu ergänzen.
13
b) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht der Beklagten die
begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht versagt. Denn der
Vorsitzende und der Berichterstatter hatten der Beklagten wiederholt Fristen zur
Ergänzung des Prozesskostenhilfeantrags gesetzt, die von der Beklagten stets
beantwortet wurden. Die letzte mit Verfügung vom 13. Juni 2007 gesetzte Frist
lief bis zum 27. Juni 2007. Jedenfalls bis zu diesem Tag durfte die Beklagte
darauf vertrauen, doch noch Prozesskostenhilfe bewilligt zu bekommen. Daran
ändert der Schriftsatz vom 26. Juni 2007 nichts, weil die Beklagte Gelegenheit
hatte, weitere Fragen fristgerecht bis zum 27. Juni 2007 zu beantworten. Weil
die Wiedereinsetzungsfrist deswegen frühestens am 27. Juni 2007 begann, war
sie entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei Eingang des
Antrags auf Wiedereinsetzung am 11. Juli 2007 nicht abgelaufen.
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Solange die vom Berufungsgericht gesetzte Frist lief, war die Beklagte
14
somit schuldlos daran gehindert, die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist
zu wahren. Erst mit fruchtlosem Ablauf dieser Frist zur Ergänzung des Prozesskostenhilfeantrags durfte die Beklagte nicht mehr auf eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe vertrauen. Erst in diesem Zeitpunkt begannen mithin die Wiedereinsetzungsfristen des § 234 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO.
d) Die gleichzeitig ausgesprochene Verwerfung der Berufung steht der
15
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen, weil diese Entscheidung durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ihre Grundlage verliert
und damit gegenstandslos wird (Senatsbeschlüsse vom 15. August 2007
- XII ZB 101/07 - FamRZ 2007, 1725, 1726, vom 10. Mai 2006 - XII ZB 240/05 NJW 2006, 2269 und vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/05 - FamRZ 2005, 791,
792).
Sprick
Fuchs
Vézina
Ahlt
Dose
Vorinstanzen:
AG Kassel, Entscheidung vom 30.01.2007 - 452 C 2931/06 LG Kassel, Entscheidung vom 16.08.2007 - 1 S 59/07 -