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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XI ZR 263/14
vom
23. Juli 2015
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
ZPO §§ 2, 5, 59, 60
EGZPO § 26 Nr. 8
Bei der Ermittlung des Wertes der mit einer beabsichtigten Revision geltend zu machenden Beschwer im Sinne von § 26 Nr. 8 EGZPO sind die Forderungen mehrerer
Beschwerdeführer, die einfache Streitgenossen nach §§ 59, 60 ZPO sind, grundsätzlich zu addieren.
BGH, Beschluss vom 23. Juli 2015 - XI ZR 263/14 - OLG Rostock
LG Neubrandenburg
-2-
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juli 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ellenberger, die Richter Maihold und Dr. Matthias sowie
die Richterinnen Dr. Derstadt und Dr. Dauber
beschlossen:
Der Wert der mit der beabsichtigten Revision geltend zu machenden Beschwer (§ 26 Nr. 8 EGZPO) wird auf 28.965,13 € festgesetzt.
Gründe:
1
Die Klägerinnen verlangen von der beklagten Bank Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb von
C.
-Anleihen und begehren die Zulassung der Revision gegen das Beru-
fungsurteil, mit dem ihre Klage in vollem Umfang abgewiesen worden ist. Die
Klägerin zu 1) ist in den Vorinstanzen in Höhe von 12.962,05 € unterlegen, die
Klägerin zu 2) in Höhe von 16.003,08 €.
2
Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung
sind für die Berechnung des Beschwerdewerts im Sinne von § 26 Nr. 8 EGZPO
die Klageforderungen der Klägerinnen zu addieren.
3
1. Die Wertberechnung im Rahmen des § 26 Nr. 8 EGZPO ist nach den
allgemeinen Grundsätzen der §§ 3 ff. ZPO vorzunehmen (st. Rspr., BGH, Beschlüsse vom 25. November 2003 - VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639,
vom 20. April 2005 - XII ZR 92/02, NJW-RR 2005, 1011, vom 3. Mai 2005
-3-
- IX ZR 195/02, juris Rn. 12, vom 11. April 2006 - XI ZR 199/04, NJW-RR 2006,
997, vom 8. Mai 2007 - VIII ZR 133/06, NZM 2007, 499 Rn. 2, vom 15. Oktober
2008 - IV ZR 31/08, VersR 2009, 562 Rn. 5, vom 27. August 2009 - VII ZR
161/08, ZfBR 2010, 64 und vom 10. Juli 2014 - V ZR 322/13, juris Rn. 6).
4
a) Damit ist grundsätzlich auch § 5 ZPO anwendbar (so ausdrücklich
BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2005 - IX ZR 195/02, juris Rn. 13 und vom
28. November 2008 - LwZR 12/07, juris Rn. 11), zumal § 2 ZPO, der hinsichtlich
der Vorschriften von ZPO und GVG für die Wertbestimmung auf die "nachfolgenden Vorschriften verweist", sowohl für den Wert des Beschwerdegegenstandes als auch für den Wert der Beschwer gilt. Gemäß § 5 ZPO werden mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet.
5
Dementsprechend wird der Wert verschiedener Ansprüche, die im Wege
der objektiven Klagehäufung geltend gemacht werden, zur Bemessung des
Werts der Beschwer nach § 26 Nr. 8 EGZPO zusammengerechnet, auch wenn
diese Ansprüche sich nicht aus einem einheitlichen Streitgegenstand ergeben
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. März 2006 - I ZR 105/05, BGHZ 166, 327
Rn. 3 ff. unter Hinweis darauf, dass der IV. und V. Zivilsenat an abweichenden
Entscheidungen nicht festhalten, vom 11. Mai 2006 - VII ZR 131/05, NJW-RR
2006, 1097 Rn. 8 und vom 23. Mai 2007 - IV ZR 19/06, FamRZ 2007, 1644
Rn. 10).
6
b) In zwei nach dem Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 ergangenen Entscheidungen ist der Bundesgerichtshof bereits - wenn auch nicht tragend - davon ausgegangen, dass die Beschwer mehrerer Beschwerdeführer zu
addieren ist, soweit es sich nicht um wirtschaftlich identische Streitgegenstände
handelt (BGH, Beschlüsse vom 28. November 2008 - LwZR 12/07, juris Rn. 11
zu § 26 Nr. 8 EGZPO unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zu § 546
-4-
ZPO aF und vom 19. März 2013 - VIII ZB 45/12, NJW 2013, 2361 Rn. 20 zu
§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unter Verweis auf §§ 2, 5 ZPO).
7
c) Auch die Kommentarliteratur geht ganz überwiegend davon aus, dass
bei Rechtsmitteleinlegung durch mehrere Streitgenossen für den Wert des Beschwerdegegenstandes die auf die einzelnen Streitgenossen entfallenden Beschwerdewerte zusammenzurechnen sind, sofern die verfolgten Ansprüche
nicht wirtschaftlich identisch sind (zu § 26 Nr. 8 EGZPO: Jacobs in Stein/Jonas,
ZPO, 22. Aufl., § 544 Rn. 7; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 2 Rn. 39, § 5
Rn. 31; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl., § 544 Rn. 4
i.V.m. § 511 Rn. 17, Anh. § 511 Rn. 7; zu Rechtsmitteln allgemein: Bork in
Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 61 Rn. 4; MünchKommZPO/Wöstmann, 4. Aufl.,
§ 2 Rn. 7 f. i.V.m. § 5 Rn. 19 f.; Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 3 Rn. 16 "Streitgenossen", § 5 Rn. 3, 6; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 61 Rn. 9; Gehrlein
in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 61 Rn. 6; Ball in Musielak/Voit, ZPO,
12. Aufl., § 544 Rn. 7 i.V.m. § 511 Rn. 19; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 135 Rn. 31, 37 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO,
36. Aufl., § 5 Rn. 1 [unter Verweis auf BGHZ 23, 333, 338; hier ohne die Einschränkung, die in der Kommentierung von § 26 Nr. 8 EGZPO Rn. 15 gemacht
wird]; zur Berufung: Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 511 Rn. 46;
MünchKommZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., Vor §§ 511 ff. Rn. 60; Gerken in
Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 511 Rn. 90 f.; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl.,
§ 511 Rn. 25 f.; Lemke in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 511 Rn. 17; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl., § 511 Rn. 17, Anh. § 511
Rn. 1, 7; Wulf in BeckOK ZPO, Edition 16, § 511 Rn. 18, 18.24; im Ergebnis
auch: MünchKommZPO/Krüger, 4. Aufl., § 544 Rn. 6; Zöller/Heßler, ZPO,
30. Aufl., § 26 EGZPO Rn. 14, 14a; Kessal-Wulf in BeckOK ZPO, Edition 16,
§ 544 Rn. 11; Prütting in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 544 Rn. 14; Ball
in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 544 Rn. 6; HK-ZPO/Saenger, 6. Aufl., § 26
-5-
EGZPO Rn. 13; a.A.: Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 26 EGZPO
Rn. 15 und Gehle in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 5 Rn. 20). Dabei können
die Kommentierungen zur Zulässigkeit der Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1
ZPO auch im Rahmen der Auslegung von § 26 Nr. 8 EGZPO berücksichtigt
werden, da es nach beiden Vorschriften - im ersten Fall schon aufgrund des
Wortlauts, im zweiten aufgrund der Auslegung durch die Rechtsprechung - auf
den "Wert des Beschwerdegegenstandes" ankommt und in beiden Fällen maßgeblich ist, in welchem Umfang die Beseitigung der sich aus der angefochtenen
Entscheidung ergebenden Belastung begehrt wird (vgl. nur BGH, Beschluss
vom 19. März 2009 - IX ZB 152/08, NJW-RR 2009, 853 Rn. 5 zur Berufung und
BGH, Beschluss vom 27. Juni 2002 - V ZR 148/02, NJW 2002, 2720 f. zur Revision).
8
d) Für die Addition der Beschwerdewerte spricht ferner, dass sie eine
einheitliche Handhabung der Ermittlung der Beschwer für beide Seiten eines
Prozesses bewirkt: Wenn bei einer Klage mehrerer Anleger gegen eine Bank
oder Fondsgesellschaft im Fall der Verurteilung der Beschwerdewert der Beklagten ihrer gesamten Verurteilung entspricht, ohne nach den verschiedenen
Klägern zu unterscheiden, profitiert die Beklagte von der gemeinsam erhobenen
Klage, weil sie eine Überprüfung ihrer Verurteilung ermöglicht, die im Fall getrennter Klagen ausgeschlossen gewesen wäre. Dementsprechend muss auch
im umgekehrten Fall der vollständigen Klageabweisung der Beschwerdewert
der Kläger durch Addition ermittelt werden, um den Klägern eine Überprüfung
des angefochtenen Urteils zu ermöglichen (vgl. BAG, BAGE 22, 383, 386).
9
e) Schließlich entspricht die Addition der Beschwer einfacher Streitgenossen der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 546 ZPO
in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (nachfolgend: aF), nach
der in Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche, bei denen der
-6-
Wert der Beschwer einen bestimmten Betrag überstieg, die Revision unabhängig von einer Zulassung durch das Oberlandesgericht statthaft war. Der Bundesgerichtshof ist davon ausgegangen, dass gemäß §§ 2, 5 ZPO bei subjektiver Klagehäufung die Beschwerdewerte der verschiedenen Streitgenossen zusammenzurechnen sind, sofern keine wirtschaftliche Identität vorliegt (vgl. BGH,
Urteil vom 18. Februar 1957 - II ZR 287/54, BGHZ 23, 333, 339; Beschluss vom
28. Oktober 1980 - VI ZR 303/79, NJW 1981, 578 f.; Urteile vom 16. September
1981 - VIII ZR 111/80, WM 1981, 1255, 1256 und vom 9. Juli 1982 - V ZR
64/81, NJW 1983, 164 f.; Beschluss vom 23. Juni 1983 - IVa ZR 136/82, NJW
1984, 927, 928; Urteile vom 23. Mai 1989 - IVa ZR 88/88, NJW-RR 1989, 1206,
vom 5. Februar 1997 - VIII ZR 41/96, NJW 1997, 1578, vom 31. Oktober 1997
- V ZR 209/96, WM 1998, 402 f., vom 30. März 1998 - II ZR 146/96, WM 1998,
944, 945 [insoweit in BGHZ 138, 211 nicht abgedruckt] und vom 16. März 2000
- IX ZR 10/99, NJW 2000, 1643; Beschluss vom 19. Oktober 2000 - I ZR
176/00, NJW 2001, 230, 231; Urteil vom 27. November 2003 - VII ZR 93/01,
NJW-RR 2004, 303, 304). Das Bundesarbeitsgericht ist dem gefolgt (BAGE 22,
383, 385 f. und BAGE 45, 91, 98 f.). In den sämtlichen genannten Entscheidungen wurde nicht danach differenziert, ob es sich um einfache oder notwendige
Streitgenossen handelte.
10
§ 26 Nr. 8 EGZPO, der auf den "Wert der mit der Revision geltend zu
machenden Beschwer" abstellt, weicht zwar insoweit von § 546 ZPO aF ab, als
nicht mehr die Beschwer aus dem Berufungsurteil, sondern der Wert des Beschwerdegegenstandes aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren maßgebend ist, so dass es nicht auf die Wertdifferenz zwischen dem in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Antrag und dem Tenor des Berufungsurteils, sondern
den Umfang der nach dem Rechtsmittelantrag erstrebten Abänderung des angefochtenen Urteils ankommt (BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 2002 - V ZR
148/02, NJW 2002, 2720 f., vom 23. Oktober 2002 - IV ZR 154/02, NJW-RR
-7-
2003, 159, vom 25. November 2003 - VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639,
vom 3. Mai 2005 - IX ZR 195/02, juris Rn. 10, 12, vom 30. November 2005
- IV ZR 214/04, NJW 2006, 1142, vom 11. Mai 2006 - VII ZR 131/05, NJW-RR
2006, 1097 Rn. 8 und vom 15. Oktober 2008 - IV ZR 31/08, VersR 2009, 562
Rn. 5). Diese Änderung ist aber ohne Bedeutung für die Frage, ob für die Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes aus dem beabsichtigten
Revisionsverfahren im Fall einer von mehreren Streitgenossen eingelegten
Nichtzulassungsbeschwerde die Ansprüche dieser Streitgenossen, die weiterverfolgt werden, zusammenzurechnen sind.
-8-
11
2. Soweit der II. und der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in zwei
Fällen einfacher Streitgenossenschaft die Beschwer für jeden Beschwerdeführer gesondert ermittelt haben (BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2006 - II ZR
220/05, juris Rn. 1 und vom 30. April 2014 - XII ZR 124/12, juris Rn. 11 f.), haben beide Senate auf Anfrage erklärt, dass sie an dieser Rechtsauffassung
nicht festhalten.
Ellenberger
Maihold
Derstadt
Matthias
Dauber
Vorinstanzen:
LG Neubrandenburg, Entscheidung vom 16.05.2011 - 2 O 43/10 OLG Rostock, Entscheidung vom 14.05.2014 - 1 U 77/11 -