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2023-03-06 15:36:57 +01:00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 56/13
Verkündet am:
2. Juni 2015
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
-2Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juni 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und
die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Dr. Bacher und Hoffmann
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13. Dezember 2012
verkündete Urteil des 10. Senats (Juristischen Beschwerdesenats und Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Das deutsche Patent 102 62 147 wird insgesamt für nichtig erklärt.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
-3Tatbestand:
1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents
102 62 147 (Streitpatents), das durch Teilung aus der am 17. Juni 2002 eingereichten Patentanmeldung 102 27 110 hervorgegangen ist. Das Streitpatent
umfasst 14 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
"Antriebsvorrichtung für ein Tor, mit einer in Bewegungsrichtung
des Tores verlaufenden Führungseinrichtung, mit einem an dieser
fahrbaren, einen Elektromotor aufweisenden Schlitten zum Betätigen eines Torblatts, und mit Stromzuleitungsmitteln zur Verbindung des Elektromotors mit einer Stromquelle, welche ein Zugmittel (17) und einen in die Führungseinrichtung einsteckbaren ersten Einsatzkörper (8) aufweisen, dadurch gekennzeichnet, dass
der erste Einsatzkörper (8) eine Zugmittelspannvorrichtung (13)
mit einem das Zugmittel formschlüssig verriegelnden Teil aufweist."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei
nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in seiner erteilten Fassung
und mit einem die Merkmale der Patentansprüche 6 und 7 aufgreifenden Hilfsantrag verteidigt.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass seine Ansprüche die Fassung des Hilfsantrags erhalten haben. Im
Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hiergegen richten sich die Berufungen
der Parteien, mit denen sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen.
Entscheidungsgründe:
4
I.
Das Streitpatent betrifft eine Antriebsvorrichtung für ein Tor, insbe-
sondere ein Garagentor.
-45
1.
Nach der Beschreibung des Streitpatents ist aus der deutschen
Offenlegungsschrift 198 08 696 (D1) ein elektromechanischer Garagentorantrieb bekannt, der aus einer an der Garagendecke montierten Führungsschiene,
einer mit dem Tor mittels Gelenkstange gekoppelten, einen Schlitten und einen
Antriebsmotor aufweisenden Antriebseinheit und einer parallel zur Führungsschiene laufenden, an dieser befestigten und mit dem Antriebsmotor im Eingriff
stehenden Kette besteht, die an einem Ende der Deckenschiene fest eingespannt ist. Auf das andere Ende der Deckenschiene ist ein Deckel aufgeklipst,
durch den ein mit der Kette verbundener Gewindebolzen geführt ist, auf den
eine Schraubendruckfeder geschoben ist, die sich einerseits am Deckel und
andererseits über eine Öse an einer Mutter abstützt, mit der die Kette gespannt
werden kann (vgl. D1 Figur 6). Zur Ankopplung des Bolzens an die Kette werde
Werkzeug benötigt, was umständlich und zeitaufwendig sei.
6
2.
Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, eine Antriebsvorrich-
tung zu schaffen, die auf einfache Weise gespannt werden kann.
7
3.
Zur Lösung dieses Problems schlägt Patentanspruch 1 eine An-
triebsvorrichtung für ein Tor mit folgenden Merkmalen vor (kursiv die Merkmale
des Hilfsantrags, in eckigen Klammern die Gliederung des Patentgerichts):
1. Die Antriebsvorrichtung [M1] weist eine Führungseinrichtung (3)
auf [M2.2],
1.1 die in Bewegungsrichtung des Tores verläuft [M2.2] und
1.2 an der ein Schlitten (4) fährt [M2.3],
1.2.1 der einen Elektromotor aufweist und
1.2.2 zum Betätigen eines Torblatts (6) dient.
2. Es sind Stromzuleitungsmittel vorhanden [M1.4], die
2.1 den Elektromotor mit einer Stromquelle (12) verbinden
[M1.4] und
-52.2 ein Zugmittel (17) umfassen [M2.5] sowie
2.3 einen ersten Einsatzkörper (8) aufweisen [M2.5].
3. Der erste Einsatzkörper (8)
3.1 ist in die Führungseinrichtung (3) einsteckbar [M2.5] und
3.2 weist eine Zugmittelspannvorrichtung (13) auf [M2.6],
3.2.1
mit einem das Zugmittel formschlüssig verriegelnden
Teil [M2.6];
3.2.2
die bajonettartig ausgebildet ist oder einen Haken aufweist und
3.2.3
das werkzeuglose Befestigen und Lösen des Zugmittels
zulässt.
8
4. Der Patentanspruch bedarf in einem Punkt der näheren Erläuterung:
9
Die Ausgestaltung des Einsatzkörpers und der zu ihm gehörenden Zugmittelspannvorrichtung wird mangels weiterer Angaben im Patentanspruch dem
Fachmann überlassen. Die Zugmittelspannvorrichtung muss lediglich ein Teil
aufweisen, das das Zugmittel formschlüssig verriegelt. Der Formulierung, dass
der Einsatzkörper die Zugmittelspannvorrichtung "aufweist", ist keine bestimmte
räumlich-körperliche Verbindung dieser beiden Teile zu entnehmen. Sie müssen weder einstückig ausgebildet sein, noch muss die Zugmittelspannvorrichtung vollständig innerhalb des Einsatzkörpers liegen. Es genügt vielmehr, dass
der Einsatzkörper die Spannvorrichtung trägt; für weitergehende Anforderungen
bieten weder die technische Funktion des Merkmals 3.2 noch die Beschreibung
eine Grundlage.
-610
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
11
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 habe sich in naheliegender
Weise aus dem Stand der Technik ergeben.
12
Aus der deutschen Offenlegungsschrift 35 46 282 (D3) sei eine Antriebsvorrichtung für ein Tor mit einer in Bewegungsrichtung des Tors verlaufenden
Führungseinrichtung und mit einem an dieser Einrichtung fahrbaren Schlitten
mit Elektromotor zum Betätigen eines Torblatts bekannt gewesen (Merkmale 1
bis 1.2). Die D3 zeige auch ein Zugmittel und mit Stützschotten 8, 9 (vgl. Figur 1) einen einsteckbaren ersten Einsatzkörper, an dem eine Zugmittelspannvorrichtung angeordnet sei (Merkmale 2.2 bis 3.2).
13
Die D3 enthalte keine Angaben dazu, wie der Elektromotor mit Strom
versorgt werde. Die D1, die ebenfalls eine Antriebsvorrichtung für ein Tor mit
einem mittels eines Schlitten fahrbaren Elektromotor betreffe, schlage hierzu
vor, die Stromquelle über die Deckenschiene, die als Zugmittel dienende Kette
und einem auf die Führungsschiene steckbaren Einsatzkörper, der eine Zugmittelspannvorrichtung aufweise, mit dem Elektromotor zu verbinden. Dem Fachmann - einem Meister auf dem Fachgebiet der Mechatronik - dränge sich eine
analoge Übertragung der in der D1 dargestellten Anschlüsse auf die Zugmittelspannvorrichtung der D3 auf, was zu Stromzuleitungsmitteln nebst einem in
die Führungseinrichtung einsteckbaren Einsatzkörper führe (Merkmal 2.1).
14
Bei Torantrieben würden überwiegend Ketten verwendet, wie sie als
Fahrradketten bekannt seien. Solche Ketten würden mit der Zugmittelspannvorrichtung durch ein Kettenschloss verbunden, indem jeweils ein Bolzen in ein
Loch der Lasche des Kettenglieds und in ein Loch an der Spannvorrichtung
eingreife. Es habe somit lediglich der Verwendung eines technisch gebräuchlichen Mittels bedurft, um die aus der D3 bekannte Zugmittelvorrichtung an dem
-7ersten Einsatzkörper mit dem Zugmittel formschlüssig zu verbinden (Merkmal 3.2.1).
15
Eine Gestaltung des formschlüssig verriegelnden Teils mittels eines Hakens oder bajonettartigen Verschlusses sei hingegen aus keiner der druckschriftlichen Entgegenhaltungen bekannt. Es handele sich dabei auch nicht lediglich um eine dem Fachmann im vorliegenden technischen Zusammenhang
geläufige Maßnahme.
16
III. Dies hält im Ergebnis den Angriffen der Berufung der Beklagten, jedoch nicht den Angriffen der Berufung der Klägerin stand.
17
1. Zu Recht und mit zutreffenden Gründen hat das Patentgericht die
Klage für zulässig erachtet.
18
2.
Als Fachmann ist im Streitfall für den Prioritätszeitpunkt ein Meis-
ter auf dem Fachgebiet der Elektromechanik anzusehen. Eine Meisterprüfung
für den vom Patentgericht angenommenen Industriemeister der Fachrichtung
Mechatronik hat es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben. Sie wurde erstmals mit der Verordnung vom 19. Oktober 2005 (BGBl. I 2005, 3037) eingeführt.
19
3.
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist auch mit den Be-
schränkungen gemäß dem Hilfsantrag nicht patentfähig, weil er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Die Zulässigkeit dieses Hilfsantrags kann offen bleiben. Da dessen Gegenstand sämtliche Merkmale der Gegenstände von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung aufweist, hat diese Fassung ebenfalls
keinen Bestand.
20
a)
Ausgehend von der Antriebsvorrichtung gemäß D1 entspricht die-
se, was auch im Streitpatent zum Ausdruck kommt, den Merkmalen 1 bis 2.2,
denn auch bei der D1 gehört das Zugmittel (die Kette) zu den Stromzuleitungsmitteln.
-821
Die D1 zeigt für das Ende der Führungsschiene einen Deckel (40), der
auf Fortsetzungen am Ende der Schiene entsprechend der nebenstehenden
Figur 6 der D1 aufgesteckt wird. Dabei
liegt der Deckel auch an der Innenseite
der Führungsschiene an und wird von
ihr gehalten. Dies entspricht einem
Einsatzkörper, der in die Führungsschiene eingesteckt wird (Merkmale 3
bis 3.1). Der Deckel trägt einen Kabelhalter für das Anschlusskabel, mit dem
der Strom der Kette einerseits und der Führungsschiene andererseits zugeführt
wird. Der Deckel zählt damit zu den Stromzuleitungsmitteln (Merkmal 2.3).
22
Weiterhin wird der Gewindebolzen (41) durch den Deckel geführt, welcher an einem Ende mit der Kette verbunden und am anderen Ende mit einer
Mutter (44) und einer Feder gegen den Deckel verspannt wird. Der Deckel weist
demnach auch diese Zugmittelverspannung auf (Merkmal 3.2).
23
Die D1 zeigt jedoch nicht, wie der Gewindebolzen (41) als Teil der Zugmittelspannvorrichtung mit der Kette verbunden ist, insbesondere ob dafür ein
formschlüssig verriegelndes Teil wie ein Haken oder ein Bajonettverschluss
verwendet wird, der ohne ein Werkzeug betätigt werden kann.
-924
b)
Die Montageanleitung für die offenkundig vorbenutzte Antriebsvorrichtung "duo650" (D6) zeigt für eine solche Verbindung die Verwendung eines Kettenschlosses
entsprechend der nebenstehenden Figur zu
Montageschritt 8 der D6. Der Fachmann erhält
damit die Anregung, für die Montage den Gewindebolzen der Zugspannvorrichtung und die Kette
ohne
ein
Werkzeug
zu
verbinden
(Merk-
mal (3.2.3).
25
c)
Die in der D6 gezeigte Verriegelung mit einem Kettenschloss löst
das allgemeine Problem, die Kette vom Nutzer der Antriebsvorrichtung im
Rahmen der von ihm vorzunehmenden Montage ohne Werkzeuge verspannen
zu können. Für dieses Problem kennt der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens eine Vielzahl von Lösungen, wie sie ihm unter anderem im
Handbuch der Fertigungstechnik, Bd. 5 Fügen, Handhaben und Montieren zur
Fügetechnik (BK2) und der DIN-Norm 8593 Teil 1 - Fertigungsverfahren Fügen - (BK3) bereits vor dem Prioritätstag aufgezeigt wurden. Dazu gehört insbesondere auch das Zusammenfügen von zwei Bauteilen mittels eines Hakens
oder eines Bajonettverschlusses (BK2 S. 32 ff.; BK3 S. 3 f.). Der hierzu in der
Berufungsinstanz gehaltene neue Vortrag ist nach § 117 PatG in Verbindung
mit § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zuzulassen, da das Patentgericht in seinem
Hinweis nach § 83 PatG noch davon ausgegangen ist, dass die Ansprüche 6
und 7 Mittel der Wahl beträfen, die ein Durchschnittsfachmann im Bedarfsfall
ohne weiteres ergreifen könne (zu I 3 c, Abs. 2), und die Klägerin daher keine
Veranlassung zu weiterem Vortrag zum allgemeinen Fachwissen hatte.
26
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine Veranlassung zur Heranziehung einer technischen Lösung bereits dann bestehen, wenn
sie als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu
ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesproche-
- 10 nen Fachmanns gehört und sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt sowie keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht
als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 11. März 2014 - X ZR 139/10, GRUR 2014, 647
Rn. 26 - Farbversorgungssystem; s. auch Beschluss vom 25. Februar 2014
- X ZB 5/13, BGHZ 200, 229 Rn. 38 - Kollagenase I).
27
Für die Befestigung einer Kette ist ein Haken regelmäßig ein geeignetes
und zweckmäßiges Mittel. Für andere Zugmittel oder für einen mit der Kette fest
verbundenen Bolzen eignet sich ein Bajonettverschluss ebenso, um eine feste
Verbindung zum Zwecke der Verspannung zu erreichen. Technische Schwierigkeiten oder sonstige Umstände, die der Verwendung einer solchen Fügetechnik entgegenstehen könnten, sind nicht aufgezeigt und nicht ersichtlich. Es
bedurfte deshalb keiner weiteren, auf die Verspannung von Zugmitteln in erfindungsgemäßen Antriebsvorrichtungen gerichteten Anregung oder eines konkreten Anlasses zur Verwendung gerade dieser Mittel (Merkmal 3.2.2).
28
d)
Ausgehend von der D1 war es folglich naheliegend, mit der Anre-
gung zum werkzeuglosen Verbinden der Kette aus der D6 und der Verwendung
eines zum Standardrepertoire der Fügetechnik gehörenden Verbindungsmittels
den Stand der Technik hin zum Gegenstand des Streitpatents in der Fassung
des Hilfsantrags weiterzuentwickeln.
29
4.
Für eine abweichende Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegen-
stands der weiteren Unteransprüche des Streitpatents ist nichts geltend gemacht und für den Senat nichts ersichtlich.
- 11 30
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 91
Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck
Gröning
Bacher
Grabinski
Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 13.12.2012 - 10 Ni 7/11 -