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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Versäumnisurteil
V ZR 184/14
Verkündet am:
23. Januar 2015
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 1004 Abs. 1, 1020 Satz 1
Ob der Eigentümer des mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts belasteten Grundstücks von dem Dienstbarkeitsberechtigten das Verschließen
eines auf dem Weg angebrachten Tores für die Zeit zwischen 22 Uhr und 7 Uhr beanspruchen kann, lässt sich nicht generell, sondern nur unter umfassender Abwägung der beiderseitigen Interessen aufgrund einer Würdigung der Umstände des
Einzelfalls bestimmen.
BGH, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2015 - V ZR 184/14 - OLG Karlsruhe
LG Heidelberg
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Januar 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richter Dr. Czub, Dr. Kazele und
Dr. Göbel
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten zu 2 wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 25. Juli 2014 im
Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als seine Widerklage gegen die Drittwiderbeklagten zu 4 bis 6 gerichtet auf das Abschließen des Gittertors in der Zeit von 22 Uhr bis 7 Uhr abgewiesen
worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Beklagte zu 2 (im Folgenden: Widerkläger) ist Miteigentümer eines
Grundstücks, das seit 2003 zugunsten des jeweiligen Eigentümers des dahinter
liegenden, von den Drittwiderbeklagten zu 4 bis 6 (im Folgenden: Widerbeklag-
-3-
te) bewohnten Grundstücks mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Gehund Fahrtrechts belastet ist.
2
Der zu dem hinteren Grundstück führende Weg kann nur nach Öffnen
eines von dem Widerkläger 2011 auf seinem Grundstück errichteten Metallgittertors benutzt werden. Das Torschloss lässt sich nur mechanisch bedienen.
Eine Klingel für das hintere Grundstück befindet sich an dem Tor nicht.
3
Der Widerkläger verlangt von den Widerbeklagten - soweit hier von Interesse -, das Tor in der Zeit von 22 Uhr bis 7 Uhr nach dem Durchgang, der
Durchfahrt oder der sonstigen Öffnung durch sie abzuschließen. Das Landgericht hat die Widerbeklagten entsprechend verurteilt, das Oberlandesgericht hat
die Widerklage abgewiesen. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen
Revision erstrebt der Widerkläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
4
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in ZfIR
2014, 805 veröffentlicht ist, meint, die Widerbeklagten seien zwar zum Schließen des Tors nach jeder Durchfahrt bzw. jedem Durchgang verpflichtet, nicht
aber zum Abschließen des Tors in der Zeit von 22 Uhr bis 7 Uhr. Insoweit
überwiege ihr Interesse an einem möglichst ungehinderten Zugang zu ihrer
Wohnung das Sicherungsinteresse des Widerklägers. Durch das Abschließen
des Tors zur Nachtzeit würde die Erreichbarkeit des hinteren Grundstücks insbesondere für Rettungsdienste wie Notarzt und Feuerwehr in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Ob anders zu entscheiden wäre, wenn sich am Tor
eine Klingelanlage befände und die Möglichkeit bestünde, das Tor von der
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Wohnung der Widerbeklagten aus zu entriegeln, könne offen bleiben, da solche
technischen Anlagen nicht vorhanden seien.
II.
5
1. Über die Revision des Widerklägers ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht das Urteil jedoch nicht auf der Säumnis, sondern auf
einer Sachprüfung (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ
37, 79, 82).
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2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
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a) Zutreffend geht es allerdings davon aus, dass der Widerkläger der Sache nach einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in
Verbindung mit § 1020 Satz 1 BGB geltend macht, wozu er als Miteigentümer
gemäß § 1011 BGB befugt ist. Es macht inhaltlich keinen Unterschied, ob den
Widerbeklagten - positiv - aufgegeben wird, in der Zeit zwischen 22 Uhr und
7 Uhr
das
Tor
nach
dem
Öffnen
abzuschließen
oder
ob
sie
es
- negativ - zu unterlassen haben, in der fraglichen Zeit das Tor zu öffnen, ohne
es abzuschließen. Der von dem Widerkläger angestrebten, gemäß § 890 Abs. 1
ZPO zu vollstreckenden Unterlassungsverurteilung kommen sie nach, wenn sie
entweder das Tor während der genannten Zeit gar nicht öffnen oder es aber
nach dem Öffnen abschließen.
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b) Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht aber die Voraussetzungen eines solchen Unterlassungsanspruchs.
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aa) Gemäß § 1020 Satz 1 BGB hat der Berechtigte bei der Ausübung einer Grunddienstbarkeit das Interesse des Eigentümers des belasteten Grundstücks tunlichst zu schonen. Verstößt er gegen diese Pflicht, stellt dies eine Ei-
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gentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB dar (vgl. Senat, Urteil vom 19. September 2008 V ZR 164/07, NJW 2008, 3703, 3704). Entsprechendes gilt für die Personen, die wie die Widerbeklagten ihr Besitzrecht von
dem Dienstbarkeitsberechtigten ableiten (Senat, Urteil vom 21. Mai 1971
- V ZR 8/69, WM 1971, 960, 962).
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bb) Bei der Prüfung, ob eine Dienstbarkeit schonend ausgeübt wird, sind
das Interesse des Grundstückseigentümers an der ungehinderten Nutzung seines Grundstücks und das Interesse des Begünstigen an der sachgemäßen
Ausübung seines Rechts gegeneinander abzuwägen (Senat, Urteil vom 6. Februar 2004 - V ZR 196/03, NotBZ 2004, 307, 310 mwN). Das Ergebnis hängt
von den Umständen des Einzelfalls ab (RGRK/Rothe, BGB, 12. Aufl., § 1020
Rn. 3); hierzu zählen auch individuelle, in der Person des Dienstbarkeitsberechtigten bzw. des Dienstbarkeitsverpflichteten begründete Gegebenheiten.
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cc) Die Abwägung ist daher eine Frage der tatrichterlichen Würdigung
und revisionsrechtlich nur darauf überprüfbar, ob der Tatrichter wesentliche
Umstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder von der Revision gerügte Verfahrensfehler begangen hat (vgl. zur Kündigung aus wichtigem Grund BGH, Urteil vom 1. Dezember 1993 - VIII ZR 129/92, NJW 1994, 443, 444; BGH, Urteil vom
25. März 1993 - X ZR 17/92, NJW 1993, 1972, 1973). Ein solcher Fehler liegt
hier aber vor. Das Berufungsgericht hat wesentliche Abwägungsgesichtspunkte
nicht berücksichtigt.
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(1) Es hat dem Interesse der Widerbeklagten im Kern allein deshalb den
Vorrang gegenüber dem - nicht näher spezifizierten - Interesse des Widerklägers an der Sicherung seines Grundstücks eingeräumt, weil durch das Abschließen des Tors zur Nachtzeit die Erreichbarkeit des hinteren Grundstücks
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insbesondere für Rettungsdienste wie Notarzt und Feuerwehr in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt werde. Zur Notwendigkeit eines solchen Einsatzes könne es nach allgemeiner Lebenserfahrung jederzeit und unabhängig von
statistischen Wahrscheinlichkeiten kommen. Mit dieser abstrakten und pauschalen Überlegung wird das Berufungsgericht dem Erfordernis einer konkreten Gewichtung und Abwägung der beiderseitigen Interessen des Dienstbarkeitsberechtigten und des Dienstbarkeitsverpflichteten nicht gerecht. Anstelle
von generalisierenden Überlegungen ist eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise notwendig. Deshalb überzeugt auch die in der älteren Rechtsprechung (vgl. RG Recht 1908, Nr. 2184; OLG Darmstadt, Seuffert´s Archiv Bd.
63, S. 110, 111; BayObLGZ 23, 115, 120; im Ausgangspunkt auch OLG Frankfurt, NJW-RR 1986, 763) vertretene Ansicht, wonach grundsätzlich - gerade
umgekehrt - dem Interesse des Eigentümers des belasteten Grundstücks an
einem Abschließen des Tors zur Nachtzeit der Vorrang einzuräumen sei, nicht.
Auch dies lässt zu wenig Raum für die Würdigung der Umstände des jeweiligen
Einzelfalles.
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(2) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Ausgangspunktes sind die
Feststellungen des Berufungsgerichts zu dem - grundsätzlich bejahten - Interesse des Widerklägers, das er an einem Abschließen des Gittertores zur
Nachtzeit hat, unzureichend. Mit welchem Gewicht dieses Interesse in die Abwägung mit einzustellen ist, hängt zunächst davon ab, wie hoch das Risiko eines unbefugten Betretens des Grundstücks durch Dritte in der Zeit zwischen
22 Uhr und 7 Uhr ist (vgl. hierzu auch Grziwotz, Anmerkung zur Entscheidung
des Berufungsgerichts in ZfIR 2014, 809, 810). Wenn es etwa auf seinem
Grundstück oder jedenfalls im räumlichen Umfeld bereits zu entsprechenden
Vorkommnissen, insbesondere zu Einbrüchen, gekommen ist, ist sein Sicherungsinteresse höher zu bewerten, als wenn es um die stets gegebene, allge-
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meine Gefahr von Einbrüchen geht. Hierzu verhält sich das Berufungsurteil
nicht.
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Von Bedeutung sind auch die örtlichen Verhältnisse und die Ausgestaltung des Tores. Ist beispielsweise das Wohnhaus des Widerklägers bereits
anderweitig durch einen Zaun oder Ähnliches gesichert, verliert die mit einem
Abschließen des Tores verbundene zusätzliche Sicherung an Bedeutung. Entsprechendes gilt für den Fall, dass das Tor durch einen Unbefugten ohne größere Schwierigkeiten überwunden werden kann, so dass ein Abschließen die
Sicherheit für den Widerkläger nicht entscheidend erhöht.
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(3) In gleicher Weise setzt auch die Feststellung der Interessen der Widerbeklagten daran, das Tor während der Nachtzeit nicht zu verschließen, eine
konkrete Betrachtungsweise voraus. Ihrem Interesse an einer schnellen Erreichbarkeit des Grundstückes durch Rettungskräfte - hierauf stellt das Berufungsgericht in generalisierender Weise maßgeblich ab -, kommt im Rahmen
der Abwägung eine besondere Bedeutung zu, wenn in der Person der Widerbeklagten Gründe - beispielsweise eine Erkrankung - vorliegen, die einen Rettungseinsatz wahrscheinlich machen.
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In die Abwägung miteinzubeziehen sind auch die Beschwerlichkeiten,
die für die Widerbeklagten entstehen, wenn sie in der fraglichen Zeit zwischen
22 Uhr und 7 Uhr Besucher empfangen möchten. Da das Tor verschlossen ist,
bedarf es einer vorherigen Absprache zwischen ihnen und den Besuchern, um
den Zugang zu ermöglichen. Der Umfang der hiermit verbundenen Beeinträchtigungen und ihr Gewicht im Rahmen der Abwägung hängen entscheidend davon ab, wie häufig es zu solchen Besuchen während der Nachtzeit kommt. Das
Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen, vielmehr ausdrück-
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lich offen gelassen, ob das Abschließen des Tores zu einer relevanten Beeinträchtigung der Nutzung des Durchgangsweges für Besucher führt.
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Demgegenüber kommt dem Aufwand, der für die Widerbeklagten mit
dem Abschließen des Tores als solchem verbunden ist, im Rahmen der Abwägung keine eigenständige Bedeutung zu, weil zwischen den Parteien rechtskräftig fest steht, dass die Widerbeklagten verpflichtet sind, das Tor nach jeder
Durchfahrt oder jedem Durchgang zu schließen. Das zusätzliche Abschließen
verursacht nur einen geringfügigen Mehraufwand, wie die Revision zu Recht
anmerkt.
III.
18
Das Berufungsurteil ist wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers im Umfang der Anfechtung aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit die notwenigen weiteren Feststellungen getroffen werden können. Den Parteien ist zuvor
Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen das hiermit zugestellte Versäumnisurteil des Bundesgerichtshofs kann die
säumige Partei binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab Zustellung beim Bundesgerichtshof E i n s p r u c h einlegen. Der Einspruch muss von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt durch Einreichung einer Einspruchsschrift eingelegt werden.
Die Einspruchsschrift muss enthalten:
1. die Bezeichnung des Urteils, gegen das der Einspruch gerichtet wird;
2. die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt werde.
Soll das Urteil nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu
bezeichnen.
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In der Einspruchsschrift sind die Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie Rügen, die die
Zulässigkeit der Klage betreffen, vorzubringen. Auf Antrag kann der Vorsitzende des
erkennenden Senats die Frist für die Begründung verlängern.
Bei Versäumung der Frist für die Begründung ist damit zu rechnen, dass das nachträgliche Vorbringen nicht mehr zugelassen wird.
Im Einzelnen wird auf die Verfahrensvorschriften in § 78, § 296 Abs. 1, 3, 4, § 338,
§ 339 und § 340 ZPO verwiesen.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Kazele
Czub
Göbel
Vorinstanzen:
LG Heidelberg, Entscheidung vom 12.11.2013 - 2 O 180/12 OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 25.07.2014 - 12 U 155/13 -