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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 95/06
vom
23. April 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 139 Abs. 1
Unterlässt das Berufungsgericht, auf die Konkretisierung eines unbestimmten
Feststellungsantrags hinzuwirken, nach welchem das Eingangsgericht erkannt
hat, verkürzt es das rechtliche Gehör des Berufungsbeklagten, wenn es nunmehr die Feststellungsklage als unzulässig abweist.
BGH, Beschluss vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06 - KG Berlin
LG Berlin
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel, Vill, Dr. Fischer und. Dr. Pape
am 23. April 2009
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widerklägerin wird die Revision gegen
das Urteil des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 19. Dezember 2005 zugelassen.
Auf die Revision der Widerklägerin wird das vorbezeichnete Urteil
aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Revisionsverfahrens wird auf 93.600 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Das Landgericht hat auf die Widerklage der Beklagten antragsgemäß
festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten alle Schäden zu
ersetzen, die ihr infolge unrichtiger Verbuchung, Voranmeldung und Erklärung
der Umsatzsteuer in den Jahren 1993 bis Oktober 2000 entstanden sind und
noch entstehen. Mit ihrer dagegen erhobenen Berufung hat die Klägerin die
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Bestimmtheit dieses Ausspruchs gerügt. Die Beklagte ist dieser Rüge entgegengetreten.
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Nach dem Protokoll der Berufungsverhandlung haben die Parteien die
schriftsätzlich angekündigten Sachanträge gestellt. Danach ist die Sach- und
Rechtslage erörtert worden. Mit seinem am Schluss der Sitzung verkündeten
Urteil hat das Berufungsgericht die landgerichtliche Feststellung aufgehoben
und die Widerklage auch insoweit als unzulässig abgewiesen, weil der gestellte
Sachantrag nicht hinreichend bestimmt gewesen sei. Die Revision gegen seine
Entscheidung hat es nicht zugelassen.
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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde, in welcher sie
eine Verkürzung ihres rechtlichen Gehörs rügt. Hätte das Berufungsgericht auf
die nach seinem Urteil mangelhafte Fassung des Feststellungsantrags hingewiesen, so wäre dieser Antrag - wie ausgeführt - bestimmter gefasst worden.
Die Beschwerdeerwiderung entnimmt dem Protokoll der Berufungsverhandlung,
dass das Gericht auf die nach seiner Ansicht unbestimmte Antragsfassung hingewiesen habe.
II.
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Die Revision ist zuzulassen und begründet, weil das angegriffene Urteil
den Anspruch der Widerklägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG
verletzt. Das angefochtene Urteil ist daher nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben
und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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1. Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf
rechtliches Gehör (BVerfGE 84, 188, 189 f). Die grundrechtliche Gewährleistung des rechtlichen Gehörs vor Gericht schützt auch das Vertrauen der in erster Instanz siegreichen Partei darauf, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen
Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der
Vorinstanz nicht folgen will und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Sachvortrags erforderlich sein kann (BGH, Beschl. v. 15. März
2006 - IV ZR 32/05, NJW-RR 2006, 937 m.w.N.; v. 26. Juni 2008 - V ZR
225/07, Rn. 5). Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Eingangsgericht nach
den § 525 Satz 1, § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO insbesondere dahin zu wirken, dass
die Parteien sachdienliche Anträge stellen. Das rechtliche Gehör vor Gericht
zum Streitgegenstand einer Klage bezieht sich danach nicht allein auf den
Sachverhalt und seinen Vortrag, sondern ebenso auf die sachdienliche Fassung
der Klageanträge, mit denen eine Partei vor Gericht verhandelt. Hält das Berufungsgericht einen solchen Antrag abweichend vom Ausspruch der Vorinstanz
für unzulässig, weil er seines Erachtens dem Bestimmtheitserfordernis des
§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht genügt, so muss es auf eine Heilung dieses Mangels hinwirken. Die betroffene Partei muss Gelegenheit erhalten, ihren Sachantrag den Zulässigkeitsbedenken des erkennenden Gerichts anzupassen.
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2. Sonst gebotene Hinweise des Gerichts können entfallen, wenn die
betroffene Partei von der Gegenseite die nötige Unterrichtung erhalten hat
(BGHZ 170, 67, 75 Rn. 19; BGH, Beschl. v. 20. Dezember 2007 - IX ZR 207/05,
NJW-RR 2008, 581, 582 Rn. 2). Dies gilt aber nicht ohne weiteres für die gerichtliche Pflicht, auf sachdienliche Klaganträge hinzuwirken. Begründeten Anlass zur Änderung ihres Sachantrags hat eine Partei nicht schon dann, wenn
die Gegenseite in der Berufungsinstanz das erstrittene Sachurteil wegen seines
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angeblich unbestimmten Ausspruchs angreift. Denn dieser Angriff wiegt nicht
schwerer als das ergangene günstige Sachurteil. Prozessuale Obliegenheiten
des Berufungsbeklagten erwachsen deshalb allein aus der gegnerischen Bestimmtheitsrüge im Hinblick auf eine nachträgliche Konkretisierung des Sachantrags noch nicht. Solche Konsequenzen muss der Berufungsbeklagte erst dann
erwägen, wenn er durch das Berufungsgericht selbst erfährt, dass es den für
ihn günstigen Standpunkt der Vorinstanz insoweit nicht teilt. Ein solcher Hinweis
ist nach dem Beschwerdevorbringen hier unterblieben.
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3. Die entgegengesetzte Behauptung der Beschwerdegegnerin kann
nach § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Der vom Berufungsgericht protokollierte allgemeine Hinweis, dass die
Sach- und Rechtslage erörtert worden sei, erlaubt nicht den Beweisschluss, es
sei bei dieser Erörterung auf die Behebung des Antragsmangels hingewirkt
worden. Die Erörterung kann sich auf die sachlichen Einwände beschränkt haben, welche im Berufungsurteil zur fehlenden Haftung der Klägerin für Tätigkeiten vor dem 1. September 1995 enthalten sind und welche die Klägerin sonst
gegen den Vortrag der Widerklage erhoben hat.
III.
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Für das Verfahren der wiedereröffneten Berufungsinstanz weist der Senat auf Folgendes hin:
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Durch den konkretisierten Feststellungsantrag, wie er in der Beschwerdeschrift gefasst worden ist, werden die vorherigen Bedenken gegen die Bestimmtheit ausgeräumt. Den Feststellungsantrag alter Fassung hat das Beru-
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fungsgericht entgegen dem Beschwerdevortrag mit Recht beanstandet, weil
zwischen den Parteien gerade streitig war, inwieweit Buchungen und Erklärungen der Klägerin unrichtig gewesen sein sollen. Dieser Streit würde durch die
beantragte Feststellung nicht entschieden, selbst wenn zu ihrer Auslegung, wo
dies nicht anders möglich ist, der Sachvortrag herangezogen werden kann. Es
bedarf zu einer Entscheidung dieses Streits andererseits hier nicht einer Aufgliederung des Urteilsausspruchs für sämtliche einzelnen Buchungen und Vorsteuerabzüge, welche die Klägerin angesetzt hat, weil ihr nicht einzelne Versehen oder Fehlgriffe zur Last gelegt werden, sondern ein Methodenfehler, welcher die gesamte Tätigkeit durchzogen haben soll. Die Feststellung, ob sich
dieser Methodenfehler in der Tätigkeit der Klägerin während des gesamten Antragszeitraums findet, gehört zur Sachprüfung der Widerklage. Hierbei wird die
Widerklägerin den Steuersachverhalt soweit darzulegen haben, dass das Berufungsgericht imstande ist zu beurteilen, wie dieser seiner Ansicht nach richtigerweise unter Berücksichtigung der damaligen Rechtsprechung und Steuerrichtlinien von Beraterseite zu behandeln gewesen wäre. Die vom Landgericht
insoweit angenommene Vermutung, welche sich auf die konkreten Beanstandungen der Finanzverwaltung und das gegen den Geschäftsführer der Widerklägerin geführte Steuerstrafverfahren stützt, ist verfehlt. Im Rahmen dieser
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Sachprüfung ist dann auch auf die Frage der Passivlegitimation der Klägerin für
Tätigkeiten vor dem 1. September 1995 zurückzukommen.
Ganter
Raebel
Fischer
Vill
Pape
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 29.01.2004 - 10 O 513/02 KG Berlin, Entscheidung vom 19.12.2005 - 23 U 35/04 -