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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 95/04
Verkündet am:
1. Dezember 2005
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO §§ 174, 178, 179
Die Feststellung der titulierten Forderung zur Insolvenztabelle setzt die Vorlage des
Originaltitels weder im Prüfungstermin noch im Feststellungsrechtsstreit voraus.
BGH, Urt. v. 1. Dezember 2005 - IX ZR 95/04 - LG Berlin
AG Charlottenburg
-2-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 1. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter
Raebel, Vill, Cierniak und die Richterin Lohmann
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 52. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 1. April 2004 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten über die Feststellung von Forderungen des Klägers
zur Insolvenztabelle.
2
Der Kläger ließ am 28. Februar 2000 seine Vergütung als Prozessbevollmächtigter des J.
S.
(i.F.: Schuldner) in Höhe von 197,74 DM
(= 101,10 €) nebst Zinsen gerichtlich festsetzen und versuchte hieraus mehrfach vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners am 21. August 2002 zu vollstrecken. Er meldete die Forderung nebst Vollstreckungskosten von 197,10 € zur Tabelle an, wobei er - wie im folgenden
Rechtsstreit - lediglich unbeglaubigte Fotokopien der vollstreckbaren Ausfertigung des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses und der Gebührenrechnungen
beifügte. Die beklagte Insolvenzverwalterin bestritt im Prüfungsverfahren die
-3-
Forderungen, weil ihr der Vollstreckungstitel und die sonstigen Unterlagen nicht
im Original vorlagen.
3
Das Amtsgericht hat die angemeldeten Forderungen mit Ausnahme eines Teils der Zinsen zur Tabelle festgestellt. Die zugelassene Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte
die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
4
Die Revision ist unbegründet.
I.
5
Das Amtsgericht hat ausgeführt, die klägerischen Forderungen seien
mangels substantiierten Bestreitens nicht beweisbedürftig gewesen. Aus den
Vorschriften der Insolvenzordnung, insbesondere aus § 174 Abs. 1 Satz 2
InsO, folge keine Verpflichtung zur Vorlage von Originalurkunden. Das Berufungsgericht hat sich auf diese Ausführungen berufen und ergänzt, ein Gläubiger solle zwar nach Beendigung des Insolvenzverfahrens keinen anderen Titel
als die Tabelleneintragung in Händen haben. Deshalb sei nach § 178 Abs. 2
Satz 3 InsO auf dem ursprünglichen Titel die Feststellung zur Tabelle zu vermerken. Wie das Insolvenzgericht dafür Sorge trage, dass der klägerische Titel
diesen Vermerk erhalte, berühre jedoch den Feststellungsrechtsstreit nicht.
-4-
II.
6
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
7
1. Der Inhalt des Berufungsurteils genügt entgegen der Auffassung der
Revision noch den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Danach enthält
das Urteil anstelle des Tatbestands die Bezugnahme auf die tatsächlichen
Feststellungen des angefochtenen Urteils mit Darstellung etwaiger Änderungen
oder Ergänzungen. Eine solche Verweisung erstreckt sich nicht auf den in zweiter Instanz gestellten Berufungsantrag. Wenn das Berufungsurteil auf die wörtliche Wiedergabe des Antrags verzichtet, muss es wenigstens erkennen lassen,
was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat (vgl. BGHZ 154,
99; 156, 216, 218; BGH, Urt. v. 11. März 2004 - IX ZR 178/03, WM 2004, 2216,
2217). Diesen Mindestanforderungen genügt das Berufungsurteil gerade noch.
Aus den Ausführungen unter Ziffer II des Urteils wird hinreichend deutlich, dass
die Beklagte die Aufhebung des Ersturteils und insgesamt die Abweisung der
beantragten Feststellung zur Tabelle mangels Vorlage von Originalurkunden
begehrt hat. Eine Unklarheit, ob die Beklagte das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang oder nur beschränkt angegriffen hat, besteht hier nicht. Auch neuer
Sachvortrag ist von den Parteien in der Berufung nicht eingeführt worden, so
dass insoweit die Bezugnahme auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils
ausreichte.
8
2. Die Auffassung der Revision, die Feststellung der titulierten Forderung
zur Insolvenztabelle setze notwendig die Vorlage des Originaltitels im Prüfungsverfahren oder im Feststellungsrechtsstreit voraus, findet weder in der Insolvenzordnung noch in der Zivilprozessordnung eine Stütze.
-5-
9
a) Nach § 174 Abs. 1 Satz 2 InsO sollen bei der schriftlichen Anmeldung
die Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, "in Abdruck" beigefügt werden. Dies soll dem Insolvenzverwalter und den übrigen Insolvenzgläubigern, die
nach § 178 Abs. 1 InsO der Feststellung der Forderung zur Tabelle widersprechen können, eine Prüfung ermöglichen. Die Vorlage von Originalen verlangt
das Gesetz in diesem Verfahrensstadium nicht. Selbst wenn der Anmeldung
gar keine Belege beigefügt werden, berührt dies ihre Wirksamkeit nicht. Der
Gläubiger muss bei einem solchen Vorgehen nur damit rechnen, dass der Insolvenzverwalter oder andere Insolvenzgläubiger die Forderung bestreiten (vgl.
MünchKomm-InsO/Nowak, § 174 Rn. 23; Braun/Kießner, InsO 2. Aufl. § 174
Rn. 21 f; Smid, InsO 2. Aufl. § 174 Rn. 8 f; Kübler/Prütting/Pape, InsO § 174
Rn. 28; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 174 Rn. 20, Nerlich/Römermann/Becker,
InsO § 174 Rn. 16 f).
10
b) Nach § 178 Abs. 2 Satz 3 InsO ist auf Wechseln und sonstigen
Schuldurkunden vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts die Feststellung der zugrunde liegenden Forderung zur Insolvenztabelle
zu vermerken. Ein Teil der Literatur meint deshalb, dass der Gläubiger einer
Forderung, für die ein Vollstreckungstitel existiert oder für die ein Wechsel oder
eine sonstige Schuldurkunde ausgestellt ist, spätestens im Prüfungstermin die
Originalurkunde einreichen muss (vgl. HK-InsO/Irschlinger § 178 Rn. 4a; FKInsO/Kießner § 174 Rn. 20; Merkle Rpfleger 2001, 157, 165). Diese Auffassung
ist unrichtig. Legt ein Gläubiger keine Originalurkunden vor, muss die angemeldete Forderung dennoch vom Insolvenzgericht nach § 178 Abs. 2 Satz 1 InsO
zur Tabelle festgestellt werden, sofern kein anderer Insolvenzgläubiger oder der
Insolvenzverwalter Widerspruch erhebt. § 178 Abs. 2 Satz 3 InsO ändert daran
nichts. Die Vorschrift dient in erster Linie den Interessen des anmeldenden
Gläubigers. Ebenso wie der vom Wortlaut identische frühere § 145 Abs. 1
-6-
Satz 2 KO soll sie ihm die Übertragung verbriefter Forderungen erleichtern (vgl.
Motive zur Konkursordnung, S. 363; Jaeger/Weber, KO 8. Aufl. § 145 Rn. 2;
Nerlich/Römermann/Becker, aaO § 178 Rn. 22). Der Zessionar hat aufgrund
des Vermerks die Gewissheit, dass die Forderung nicht bestritten ist und an der
Verteilung teilnimmt. Außerdem kann er unmittelbar aus der Urkunde ersehen,
dass auf die Forderung nur die Quote bezahlt wird. Darüber hinaus soll § 178
Abs. 2 Satz 3 InsO zwar auch vermeiden, dass ein Gläubiger, dem nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf seinen Antrag hin eine vollstreckbare Ausfertigung
aus
der
Insolvenztabelle
erteilt
wird
(§ 201
Abs. 2
Satz 3
InsO), zugleich über weitere Urkunden verfügt, aus denen er wegen seiner im
Verteilungsverfahren nicht befriedigten Forderung wieder die Einzelzwangsvollstreckung betreiben könnte (vgl. FK-InsO/Kießner, § 178 Rn. 15). Auch dieser
Gesetzeszweck
rechtfertigt
es
aber
nicht,
die
Feststellung
einer
- unbestrittenen - Forderung von der Vorlage des Originaltitels abhängig zu machen. Eine Doppeltitulierung kann dadurch vermieden werden, dass das Insolvenzgericht, soweit der Feststellungsvermerk nicht bereits im Anschluss an den
Prüfungstermin angebracht werden kann, die spätere Erteilung des vollstreckbaren Tabellenauszugs von der Vorlage der Originalurkunde zur Entwertung
abhängig macht. Dies entspricht auch der Praxis eines Teils der Insolvenzgerichte (vgl. Kaiser/Crämer InVo 2001, 153, 154). Selbst wenn dies unterbleibt
und der Gläubiger aus dem früheren Titel die Vollstreckung betreibt, obwohl
über den deckungsgleichen Anspruch ein vollstreckbarer Tabellenauszug vorliegt, kann sich der Schuldner hiergegen noch mit dem jeweils statthaften
Rechtsbehelf wehren (vgl. etwa MünchKomm-InsO/Hintzen, § 201 Rn. 38). Insolvenzrechtlich ist die Vorlage von Originalurkunden mithin keine zwingende
Voraussetzung für die Feststellung zur Tabelle. Verweigert der Gläubiger die
Vorlage des Originals, kann dies zwar einen Widerspruch des Insolvenzverwalters
oder
eines
anderen
Gläubigers
provozieren
(zutreffend
Ner-
-7-
lich/Römermann/
Becker, aaO § 174 Rn. 17). Allein unter Berufung auf § 178 Abs. 2 Satz 3 InsO
kann der Widerspruch im nachfolgenden Feststellungsprozess nach § 180 InsO
aus den genannten Gründen allerdings keinen Erfolg haben.
11
c) Auch zivilprozessual ist die Feststellung einer titulierten Forderung zur
Insolvenztabelle im Klageverfahren nach § 180 InsO nicht notwendig von der
Vorlage des Originaltitels abhängig. Der Forderungsnachweis kann im Feststellungsrechtsstreit nicht nur im Wege des Urkundsbeweises, sondern mit sämtlichen nach der Zivilprozessordnung zulässigen Beweismitteln geführt werden.
Nach den §§ 420, 435 ZPO genügt im Übrigen bei öffentlichen Urkunden, wozu
Vollstreckungstitel gehören, die Vorlage einer öffentlich beglaubigten Abschrift,
wenn nicht das Gericht aus besonderem Anlass die Vorlage der Urschrift anordnet.
12
3. Die Angriffe der Revision gegen die Annahme des Amtsgerichts, die
streitgegenständlichen Forderungen seien mangels substantiierten Bestreitens
zugestanden und deshalb nicht beweisbedürftig, bleiben ohne Erfolg.
13
a) Die Vorinstanzen haben angenommen, dass der Kläger nach § 179
Abs. 1 InsO die Betreibungslast zu tragen und dementsprechend im Feststellungsprozess auch den Bestand der bestrittenen Forderung zu beweisen hatte.
Das entspricht der überwiegend vertretenen Rechtsauffassung, nach der die
Betreibungslast gemäß § 179 Abs. 1 InsO stets bei dem Gläubiger liegt, wenn
der Insolvenzverwalter einer vollstreckbaren Forderung mangels Vorlage des
Originaltitels im Prüfungsverfahren widerspricht (vgl. MünchKomm-InsO/Schumacher § 179 Rn. 26; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht 6. Aufl. Rn. 1563;
ebenso zur Konkursordnung RGZ 85, 64, 68; Kuhn/Uhlenbruck aaO § 146
-8-
Rn. 32; a.A. FK-InsO/Kießner aaO § 178 Rn. 16). Der Kläger ist dieser Last gerecht geworden.
b) Die Vorinstanzen haben die Behauptung des Klägers, die streitgegen-
14
ständlichen Forderungen stünden ihm zu, mit Recht nach § 138 Abs. 3 ZPO als
zugestanden angesehen. Der Erhebung der angebotenen Beweise bedurfte es
deshalb nicht.
Macht der Insolvenzverwalter wegen der Nichtvorlage von Originalurkun-
15
den im Prüfungsverfahren von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch, muss er
sich im nachfolgenden Feststellungsrechtsstreit mit den geltend gemachten
Forderungen des Klägers in der Sache auseinandersetzen. Für seine Einlassungsobliegenheit gelten die allgemeinen Grundsätze. Der über die Vorgänge
nicht unterrichtete Insolvenzverwalter muss die Geschäftsunterlagen des
Schuldners sichten und diesen notfalls befragen. Erst wenn seine Erkundigungen keinen Aufschluss erbracht haben, darf sich der Insolvenzverwalter unter
Darlegung dieses Umstandes zu der Forderung gemäß § 138 Abs. 4 ZPO pauschal mit Nichtwissen erklären. Ansonsten muss er den Bestand der zur Tabelle
eingeklagten Forderung konkret anhand der gewonnenen Erkenntnisse bestreiten.
16
Die Beklagte ist den unter Vorlage von Fotokopien konkret bezeichneten
Forderungen lediglich mit Hinweis auf das Fehlen der Originale von Titel und
Belegen über die Vollstreckungskosten entgegengetreten. Damit hat sie den
-9-
Bestand der angemeldeten Forderungen nicht in rechtserheblicher Weise
bestritten (§ 138 Abs. 2 ZPO).
Dr. Fischer
Raebel
Cierniak
Vill
Lohmann
Vorinstanzen:
AG Charlottenburg, Entscheidung vom 01.10.2003 - 209 C 191/03 LG Berlin, Entscheidung vom 01.04.2004 - 52 S 308/03 -