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2023-03-06 15:36:57 +01:00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 174/15
Verkündet am:
9. Juni 2016
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 133 Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 2 Satz 2
Indizien für eine Zahlungseinstellung sind gegeben, wenn der Schuldner selbst
erteilte Zahlungszusagen nicht einhält oder verspätete Zahlungen nur unter dem
Druck einer angedrohten Liefersperre vornimmt.
BGH, Urteil vom 9. Juni 2016 - IX ZR 174/15 - OLG Köln
LG Aachen
ECLI:DE:BGH:2016:090616UIXZR174.15.0
-2-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Juni 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Grupp und Dr. Schoppmeyer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Köln vom 22. Juli 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 2. Oktober
2009 über das Vermögen der S.
GmbH (nachfolgend:
Schuldnerin) am 1. Januar 2010 eröffneten Insolvenzverfahren. Gegenstand
der vorliegenden Klage bilden Ansprüche aus Vorsatzanfechtung.
2
Die Schuldnerin, die sich mit der Verwertung von Abfällen zwecks Gewinnung von Methanol und anderer chemischer Stoffe befasste, stand mit der
Beklagten seit September des Jahres 2007 in ständiger Geschäftsbeziehung.
Die Beklagte errichtete auf dem Gelände der Schuldnerin Anlagen zur Rückkühlung von Kühlwasser. Als Gegenleistung für die Herstellung und den an-
-3-
schließenden mietweisen Gebrauch der Anlagen hatte die Schuldnerin Vergütungen an die Beklagte zu zahlen.
3
Die Beklagte berechnete der Schuldnerin am 2. November 2007 den
zum 3. Dezember 2007 fälligen Betrag von 59.500 €. Ferner war am 14. Dezember 2007 ein Betrag von 5.283,60 € zur Zahlung fällig. Am 14. Dezember
2007 entrichtete die Schuldnerin eine Zahlung von 30.000 € und am 16. Januar
2008 von 5.283,60 € an die Beklagte. Außerdem stellte die Beklagte der
Schuldnerin durch Schreiben vom 19. Dezember 2007 den am 26. Dezember
2007 fälligen Betrag von 81.467,40 € und durch Schreiben vom 31. Dezember
2007 den am 7. Januar 2008 fälligen Betrag von 4.046 € in Rechnung. Mangels
Zahlung bestand am 7. Januar 2008 ein Zahlungsrückstand der Schuldnerin
über 120.297 €. Eine von ihrem Geschäftsführer für den 10. Januar 2008 angekündigte Teilzahlung über 30.000 € erbrachte die Schuldnerin nicht.
4
Jeweils am 8. Januar 2008 erteilte die Beklagte der Schuldnerin Rechnungen über 81.467,40 € und 14.875 € mit Fälligkeit zum 15. Januar 2008. Ferner war am 16. Januar 2008 ein Betrag von 1.252,36 € zur Zahlung fällig. Die
Beklagte setzte der Schuldnerin durch Schreiben vom 17. Januar 2008 eine
Zahlungsfrist bis zum 18. Januar 2008 und kündigte für den Fall fehlender Zahlung die Abschaltung und den Abbau der Anlage an. Nach Verlängerung der
Zahlungsfrist durch die Beklagte glich die Schuldnerin am 24. Januar 2008 den
zu diesem Zeitpunkt insgesamt offenen Betrag von 212.608,16 € durch mehrere
Teilzahlungen
(29.500 €,
1.252,36 €,
81.467,40 €,
4.046 €,
14.875 €,
81.467,40 €) aus. Auch in der Folgezeit geriet die Schuldnerin immer wieder in
Zahlungsverzug. Der Zahlungsrückstand belief sich am 22. April 2008 auf
170.507,57 € und am 5. Mai 2008 auf 163.149 €. Bis zum 17. Juli 2008 ermäßigte sich der Rückstand auf 32.368 €. Die Schuldnerin zahlte am 20. August
-4-
2008 und am 17. September 2008 jeweils 16.184 € an die Beklagte, so dass
sämtliche Forderungen getilgt waren. Auf eine Rechnung vom 21. Oktober 2008
entrichtete die Schuldnerin am 6. November 2008 den Betrag von 4.624 €.
5
Der Kläger verlangt unter dem Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung von
der Beklagten Erstattung der sich - nach der unangegriffenen Berechnung des
Berufungsgerichts - im Zeitraum vom 24. Januar 2008 bis 6. November 2008
auf 698.686,75 € belaufenden Zahlungen. Nach Stattgabe durch das Landgericht hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der von dem Senat
zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
6
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
7
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
8
Die angefochtenen Zahlungen stellten Rechtshandlungen der Schuldnerin dar, die eine Gläubigerbenachteiligung bewirkt hätten. Es bestünden bereits
Bedenken, ob die Schuldnerin die Zahlungen mit dem Vorsatz, die Gläubiger zu
benachteiligen (§ 133 Abs. 1 InsO) vorgenommen habe. Unterstelle man einen
-5-
Benachteiligungsvorsatz, könne nicht davon ausgegangen werden, dass die
Beklagte davon positive Kenntnis erlangt habe.
9
Der Umstand, dass die Schuldnerin die am 26. Dezember 2007 fälligen
Verbindlichkeiten über 116.251 € erst am 25. Januar 2008 beglichen habe, begründe nicht die erforderliche Kenntnis. An eine Kenntnis seien erhöhte Anforderungen zu stellen, weil es sich um kongruente Leistungen handele. Zudem
sei die Verbindlichkeit nicht bis zur Verfahrenseröffnung offen geblieben, sondern - wenn auch verspätet - sechs Wochen nach Fälligkeit erfüllt worden.
Überdies handele es sich um einen Zahlungsrückstand zu Beginn der Geschäftsbeziehungen, der selbst dann nicht ausreiche, wenn er erheblich sei.
10
Die Schuldnerin habe weder Ende 2007/Anfang 2008 noch zu einem
späteren Zeitpunkt erklärt, fällige Verbindlichkeiten nicht bezahlen zu können.
Das Zahlungsverhalten der Schuldnerin habe unterschiedliche Hintergründe
haben können. Es komme in Betracht, dass ein einen gewissen Zeitraum dauernder Zahlungsverzug in Kauf genommen worden sei, um die Ausschöpfung
der Kreditlinie oder die Aufnahme eines Kredits zu vermeiden. Soweit die
Schuldnerin entgegen ihrer eigenen Ankündigung bis zum 10. Januar 2008 keine Teilzahlung erbracht habe, folge daraus keine Kenntnis der Beklagten, weil
es sich um den ersten Fall einer verspäteten, alsbald nachgeholten Zahlung
gehandelt habe.
11
Gleiches gelte für den Umstand, dass die Beklagte wiederholt mit dem
Abschalten der Kühlanlage gedroht habe, bevor die Schuldnerin die jeweiligen
Rückstände ausgeglichen habe. Die Schuldnerin sei nicht existenziell von der
Belieferung durch die Beklagte abhängig gewesen, sondern hätte die Leistungen auch von anderen Unternehmen beziehen können. Der Hinweis auf den
-6-
Abbau der Anlage habe nur dazu gedient, die Schuldnerin zur Zahlung zu bewegen, ohne dass diese mit einer unmittelbaren Umsetzung der Drohung habe
rechnen müssen.
12
Auch die dauerhaft schleppende Zahlungsweise der Schuldnerin reiche
nicht für die Annahme der Kenntnis der Beklagten von dem Benachteiligungsvorsatz aus. Zwar habe die Schuldnerin jeweils mit etwa einmonatiger Verspätung gezahlt, letztlich aber alle Forderungen ausgeglichen. Die Rückstände
der Schuldnerin hätten sich nicht erhöht.
II.
13
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Erwägungen des Berufungsgerichts tragen nicht die Abweisung der auf § 133 Abs. 1
InsO gestützten Klage.
14
1. Die zugunsten der Beklagten geleisteten Überweisungen stellen
Rechtshandlungen der Schuldnerin dar. Infolge des Vermögensabflusses haben die Zahlungen eine objektive Gläubigerbenachteiligung im Sinne von § 129
Abs. 1 InsO bewirkt (BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 - IX ZR 95/14, WM 2015,
1202 Rn. 8 mwN; vom 17. Dezember 2015 - IX ZR 61/14, WM 2016, 172
Rn. 13).
15
2. Das Berufungsgericht hat einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin unterstellt. Davon ist folglich auch für das Revisionsverfahren auszugehen.
-7-
16
3. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist jedoch die weitere Würdigung des
Berufungsgerichts, der zufolge die Beklagte den Benachteiligungsvorsatz der
Schuldnerin nicht erkannt hat.
17
a) Die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes wird gemäß § 133 Abs. 1
Satz 2 InsO vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Kennt der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, so weiß er auch,
dass Leistungen aus dessen Vermögen die Befriedigungsmöglichkeit anderer
Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren und verzögern. Mithin ist der
Anfechtungsgegner regelmäßig über den Benachteiligungsvorsatz im Bilde
(BGH, Urteil vom 29. September 2011 - IX ZR 202/10, WM 2012, 85 Rn. 15;
vom 25. April 2013 - IX ZR 235/12, WM 2013, 1044 Rn. 28 mwN; vom 7. Mai
2015, aaO Rn. 17). Der Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit steht die
Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf eine drohende oder bereits
eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen. Es genügt daher, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender
rechtlicher Bewertung die (drohende) Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt
(BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 13/12, WM 2013, 180 Rn. 24 f; vom
7. Mai 2015, aaO; vom 17. Dezember 2015 - IX ZR 61/14, WM 2016, 172
Rn. 23). Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus
einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es einer darüber hinaus gehenden Darlegung und Feststellung der
genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder
einer Unterdeckung von mindestens zehn v.H. nicht (BGH, Urteil vom 18. Juli
2013 - IX ZR 143/12, WM 2013, 1993 Rn. 10 mwN; vom 8. Januar 2015 - IX ZR
-8-
203/12, WM 2015, 381 Rn. 16; vom 7. Mai 2015, aaO Rn. 13; vom 17. Dezember 2015, aaO Rn. 18).
18
b) Das Berufungsgericht hat erhebliche Indizien nicht berücksichtigt, die
aus der Sicht der Beklagten auf eine Zahlungseinstellung der Schuldnerin und
damit auf einen Benachteiligungsvorsatz hindeuteten (§ 133 Abs. 1 Satz 2
InsO).
19
aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, an die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes seien erhöhte Anforderungen zu stellen, weil es sich
hier um eine kongruente Zahlung handele. Es beachtet damit nicht ausreichend, dass von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und dessen
Kenntnis bei dem Gläubiger ausgegangen werden kann, wenn beide Teile über
die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners unterrichtet sind, weil der Schuldner
dann weiß, nicht sämtliche Gläubiger befriedigen zu können, und dem Gläubiger bekannt ist, dass infolge der ihm erbrachten Leistung die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereitelt oder zumindest erschwert wird. Dieser
Grundsatz gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall - eine kongruente Leistung
angefochten wird (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - IX ZR 221/11, ZInsO
2014, 496 Rn. 3 mwN).
20
bb) Auf einem Missverständnis der Senatsrechtsprechung beruht die
weitere Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die Zahlungseinstellung der Schuldnerin nicht erkannt, weil "die Ende 2007/Anfang 2008 bestehende Verbindlichkeit in Höhe von 116.251 € nicht bis zur Verfahrenseröffnung
offen geblieben" sei. Haben im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlung fällige
Verbindlichkeiten anderer Gläubiger bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung
nicht mehr beglichen worden sind, kann darin im Blick auf die angefochtene
-9-
Zahlung ein Indiz für eine Zahlungseinstellung zu erkennen sein (BGH, Urteil
vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 12, 15; vom 7. Mai 2015
- IX ZR 95/14, WM 2015, 1202 Rn. 15). Das Beweisanzeichen findet seine
Rechtfertigung in dem Umstand, dass eine Zahlungseinstellung naheliegt, wenn
der Anfechtungsgegner Zahlung erlangte, während gleichzeitig fällige Verbindlichkeiten sonstiger Gläubiger bis zur Verfahrenseröffnung nicht befriedigt wurden. Darum wird den nach Verfahrenseröffnung rückständigen Forderungen
anderer Gläubiger die zum gleichen Zeitpunkt fällige getilgte Verbindlichkeit des
Anfechtungsgegners gegenübergestellt. Da die offenen Verbindlichkeiten der
sonstigen Gläubiger den Vergleichsmaßstab im Verhältnis zu der beglichenen
Forderung des Anfechtungsgegners bilden, kann aus ihrer Erfüllung, die gerade
im Wege der Anfechtung beseitigt werden soll, kein der Zahlungseinstellung
gegenläufiges Indiz gewonnen werden.
21
cc) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht der von der Schuldnerin
für den 10. Januar 2008 erteilten, aber nicht eingehaltenen Zahlungszusage
kein wesentliches Gewicht beigemessen. Einer auf eine Zahlungseinstellung
hindeutenden Stundungsbitte stehen nicht eingehaltene Zahlungszusagen
gleich (BGH, Urteil vom 18. Juni 2013 - IX ZR 143/12, WM 2013, 1993 Rn. 12,
18; Beschluss vom 24. September 2015 - IX ZR 308/14, WM 2015, 2107 Rn. 3;
FK-InsO/Schmerbach, 8. Aufl., § 14 Rn. 144). Im Übrigen stellt - was das Berufungsgericht verkennt - die Bitte des Schuldners um Ratenzahlung nur dann
kein Indiz für eine Zahlungseinstellung dar, wenn sie sich im Rahmen der Gepflogenheiten des üblichen Geschäftsverkehrs hält (BGH, Beschluss vom
16. April 2015 - IX ZR 6/14, WM 2015, 933 Rn. 3; Urteil vom 25. Februar 2016
- IX ZR 109/15, WM 2016, 560 Rn. 20). Diesen Gepflogenheiten entspricht es
jedoch nicht, wenn eine Ratenzahlungsbitte nach fruchtlosen Mahnungen und
nicht eingehaltenen Zahlungszusagen geäußert wird (vgl. BGH, Beschluss vom
- 10 -
24. September 2015, aaO Rn. 3; Urteil vom 25. Februar 2016, aaO Rn. 21).
Einer Erfüllungsverweigerung oder eines sonstigen Verhaltens der Schuldnerin,
das ihre Zahlungsunfähigkeit dokumentiert, bedurfte es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht (BGH, Urteil vom 25. Februar 2016, aaO).
22
dd) Ferner hat das Berufungsgericht nicht genügend berücksichtigt, dass
sich die Schuldnerin während des gesamten Laufs ihrer Geschäftsbeziehung
mit der Beklagten aufgrund einer schleppenden Zahlungsweise in einem Zahlungsrückstand befand.
23
(1) Schon eine dauerhaft schleppende Zahlungsweise, die sich hier seit
Aufnahme der Geschäftsbeziehung im Verhältnis der Schuldnerin zu der Beklagten ausgeprägt hat, kann Indizwirkung für eine Zahlungseinstellung haben
(BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - IX ZR 143/12, WM 2013, 1993 Rn. 12; vom
7. Mai 2015 - IX ZR 95/14, WM 2015, 1202 Rn. 19). Zur Schonung ihrer
schwindenden Liquidität hatte sich die Schuldnerin zunächst auf eine Teilzahlung beschränkt (BGH, Urteil vom 7. Mai 2015, aaO Rn. 21). Die Schuldnerin
hatte infolge der ständigen verspäteten Begleichung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber der Beklagten einen Forderungsrückstand vor sich hergeschoben.
Diese Gegebenheiten trugen auch aus der Sicht der Beklagten zu dem Gesamtbild eines Schuldners bei, dem es auf Dauer nicht gelingt, bestehende Liquiditätslücken zu schließen, sondern der nur noch darum bemüht ist, trotz fehlender Mittel den Anschein eines funktionstüchtigen Geschäftsbetriebs aufrecht
zu erhalten (BGH, Urteil vom 7. Mai 2015, aaO Rn. 21).
24
(2) Insoweit fällt weiter ins Gewicht, dass es sich bei der Beklagten um
eine wichtige, zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs unentbehrliche Lieferantin der Schuldnerin handelte (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2009 - IX ZR
- 11 -
173/07, WM 2009, 2229 Rn. 14; vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, WM
2013, 174 Rn. 23). Ohne die von der Beklagten erbrachten Kühlmittel hätte die
Klägerin ihren Betrieb nicht fortsetzen können. Insoweit ist es ohne Bedeutung,
dass die Beklagte keinen Monopolbetrieb zur Daseinsvorsorge unterhält. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die Schuldnerin im Falle einer Abschaltung und
eines Abbaus der Anlage durch die Beklagte eine schwerwiegende Betriebsunterbrechung hätte hinnehmen müssen.
25
(3) Angesichts der seit Geschäftsaufnahme fortlaufend zutage getretenen Zahlungsschwäche bestanden aus Sicht der Beklagten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldnerin die Ausschöpfung einer Kreditlinie oder die Aufnahme eines weiteren Kredits zu vermeiden suchte. Vielmehr musste die Beklagte, weil die Schuldnerin gewerblich tätig war, mit weiteren Gläubigern, deren Ansprüchen ungedeckt waren, rechnen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember
2012, aaO Rn. 15).
26
ee) Überdies hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet, dass
bei einer durch die Androhung einer Liefersperre erwirkten Zahlung für den
Empfänger die eingetretene Zahlungsunfähigkeit regelmäßig unübersehbar ist
(BGH, Urteil vom 8. Oktober 2009 - IX ZR 173/07, WM 2009, 2229 Rn. 14). In
dieser Weise verhält es sich im Streitfall, weil die Beklagte der Schuldnerin wiederholt bei fehlendem Zahlungseingang die Abschaltung und den Abbau der
Anlage in Aussicht stellte. Insoweit ist es ohne Bedeutung, ob die Beklagte tatsächlich entschlossen war, diese Maßnahmen durchzuführen. Es reicht, dass
die Schuldnerin aus ihrer objektivierten Sicht ernsthaft damit rechnen musste
(vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2013 - IX ZR 216/12, WM 2013, 806 Rn. 13).
- 12 -
27
ff) Schließlich kann der Würdigung des Berufungsgerichts nicht beigetreten werden, soweit es für den Zeitraum nach dem 24. Januar 2008 mit Rücksicht auf die durchgängig um einen Monat verspäteten Zahlungen eine schleppende Zahlungsweise der Schuldnerin ablehnt. Ist die Schuldnerin nicht in der
Lage, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Forderungen benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen, so handelt es sich nicht
mehr um eine rechtlich unerhebliche Zahlungsstockung (BGH, Urteil vom
12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rn. 22, 24). Die Vorschrift
des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO zeigt, dass das Gesetz eine Ungewissheit über
die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit einer GmbH längstens drei Wochen hinzunehmen bereit ist (BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04,
BGHZ 163, 134, 140). Eine bloße Zahlungsstockung scheidet mithin aus, weil
die Schuldnerin außer Stande war, die offenen Forderungen der Beklagten binnen drei Wochen zu tilgen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12,
WM 2013, 174 Rn. 31). Die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von
der Schuldnerin in Anspruch genommenen Zahlungsfristen von jeweils rund
einem Monat bildeten mithin ein Indiz für eine Zahlungseinstellung.
28
c) Außerdem beruht die tatsächliche Würdigung des Berufungsgerichts,
der zufolge die Beklagte einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht
erkannt hat, auf einer Verletzung von § 286 Abs. 1 ZPO.
29
aa) Nach dieser Vorschrift hat das Gericht unter Berücksichtigung des
gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht nach § 559 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen,
- 13 -
ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10,
NJW 2013, 790 Rn. 16). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet.
30
bb) Das Berufungsgericht meint, eine Kenntnis der Beklagten von einer
Zahlungseinstellung könne nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass
die am 26. Dezember 2007 fälligen Verbindlichkeiten von 116.251 € erst am
24. Januar 2008 ausgeglichen worden seien, weil es sich um einen erstmaligen
Zahlungsrückstand zu Beginn der Aufnahme der Geschäftsbeziehungen gehandelt habe. Diese Würdigung ist mit dem unstreitigen Sachverhalt nicht zu
vereinbaren.
31
(1) Die Beklagte erteilte der Schuldnerin am 2. November 2007 eine
Rechnung über den am 3. Dezember 2007 fälligen Betrag von 59.500 €. Außerdem war am 14. Dezember 2007 ein Betrag über 5.283,60 € zur Zahlung
fällig. Ferner ergingen Rechnungen der Beklagten vom 19. Dezember 2007
über den am 26. Dezember 2007 fälligen Betrag von 81.467,40 € und vom
31. Dezember 2007 über den am 7. Januar 2008 fälligen Betrag von 4.046 € an
die Schuldnerin. Schließlich stellte die Beklagte der Schuldnerin am 8. Januar
2008 jeweils gesondert Beträge über 81.467,40 € und 14.875 € mit Fälligkeit
zum 15. Januar 2008 in Rechnung. Am 16. Januar 2008 war ein weiterer Rechnungsbetrag von 1.252,36 € fällig.
32
(2) Bei dieser Sachlage hatte die Beklagte der Schuldnerin bereits im
Jahre 2007 vier über den Jahreswechsel von 2007 auf 2008 hinaus überwie-
- 14 -
gend offene Rechnungen erteilt. Bis zum Ausgleich der Rückstände am
25. Januar 2008, auf den das Berufungsgericht als erste angefochtene Rechtshandlung zutreffend abstellt, waren weitere drei Rechnungen hinzugekommen.
Das Berufungsgericht hat selbst darauf hingewiesen, dass einzelne von der
Schuldnerin im Dezember 2007 vorgenommene Zahlungen nicht den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bilden. Bei dieser Tatsachengrundlage
kann von einem "Zahlungsrückstand zu Beginn der Aufnahme der Geschäftsbeziehungen" nicht die Rede sein.
33
cc) Ebenfalls durch eine lückenhafte Würdigung des unstreitigen Sachverhalts ist die Annahme beeinflusst, aus dem Umstand, dass die Schuldnerin
den 10. Januar 2008 als von ihr selbst vorgeschlagenen Termin zur Erbringung
einer Teilzahlung nicht eingehalten habe, könne eine Kenntnis der Beklagten
von der Zahlungseinstellung nicht hergeleitet werden, weil es sich um "den ersten Fall einer verspäteten Zahlung" gehandelt habe.
34
Wie ausgeführt, hat die Schuldnerin bereits die erste ihr am 2. November
2007 erteilte und zum 3. Dezember 2007 fällige Rechnung über 59.500 € nicht
fristgerecht bezahlt. Ferner standen die Rechnungen vom 14. Dezember, vom
19. Dezember mit Fälligkeit zum 26. Dezember 2007 und 31. Dezember 2007
mit Fälligkeit zum 7. Januar 2008 mangels Einhaltung der Zahlungstermine am
10. Januar 2008 offen. Mithin wird die Würdigung, die zum 10. Januar 2008
versprochene Teilzahlung verkörpere den ersten Fall einer verspäteten Zahlung, durch den unstreitigen Sachverhalt widerlegt.
35
d) Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei zutreffender Tatsachenfeststellung zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die Beklagte die
- 15 -
mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und damit deren
Benachteiligungsvorsatz erkannt hatte (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO).
III.
36
Auf die begründete Revision des Klägers ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist mangels Endentscheidungsreife
gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die wiedereröffnete mündliche Verhandlung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, abschließende Feststellungen zu einem Benachteiligungsvorsatz der
Schuldnerin und zu dessen Kenntnis bei der Beklagten zu treffen. Dabei wird es
zu beachten haben, dass die hier festgestellte Indizienlage sowohl für den Vorsatz der Schuldnerin als auch die Kenntnis der Beklagten Bedeutung hat (vgl.
BGH, Urteil vom 4. Dezember 1997 - IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561, 1564 f;
vom 8. Dezember 2011 - IX ZR 156/09, WM 2012, 146 Rn. 16; vom 19. September 2013 - IX ZR 4/13, WM 2013, 2074 Rn. 18; vom 22. Mai 2014 - IX ZR
95/13, WM 2014, 1296 Rn. 27). Das Indiz der von der Schuldnerin in Anspruch
genommenen Zahlungsfristen muss aus Sicht des Gläubigers nicht zwingend
auf eine Zahlungseinstellung deuten. Im Rahmen der abschließenden Gesamtwürdigung wird das Berufungsgericht die weiteren Indizien, die eine Zahlungseinstellung nahelegen, zu würdigen haben. Gegebenenfalls wird das von der
Beklagten zum Nachweis einer fehlenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin
- 16 -
beantragte Sachverständigengutachten einzuholen sein (BGH, Beschluss vom
26. März 2015 - IX ZR 134/13, WM 2015, 1025 Rn. 5 ff).
Kayser
Gehrlein
Grupp
Vill
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 25.11.2014 - 10 O 508/13 OLG Köln, Entscheidung vom 22.07.2015 - 2 U 126/14 -