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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 134/13
vom
26. März 2015
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 133 Abs. 1, § 17 Abs. 2
Stützt sich der Insolvenzverwalter im Insolvenzanfechtungsprozess zum Nachweis
der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf ein oder mehrere Beweisanzeichen und
auf die im Falle einer Zahlungseinstellung bestehende gesetzliche Vermutung, ist im
Rahmen des Prozessrechts auf Antrag des Anfechtungsgegners zur Entkräftung der
Beweisanzeichen und zur Widerlegung der Vermutung durch einen Sachverständigen eine Liquiditätsbilanz erstellen zu lassen.
BGH, Beschluss vom 26. März 2015 - IX ZR 134/13 - OLG Koblenz
LG Koblenz
-2-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
am 26. März 2015
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das
Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom
14. Mai 2013 zugelassen.
Auf die Revision der Beklagten wird das vorbezeichnete Urteil
aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 31.497,60 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Der Kläger ist Verwalter in dem am 15. Oktober 2008 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der H.
GmbH (fortan:
Schuldnerin). Er verlangt von der beklagten Gemeinde unter dem rechtlichen
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Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO die Erstattung
von Gewerbesteuerzahlungen im Gesamtbetrag von 31.497,60 €, welche die
Schuldnerin im Zeitraum zwischen August 2002 und März 2007 jeweils durch
Übergabe von Schecks an den Vollziehungsbeamten der Beklagten erbracht
hat.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil es sich nicht davon
überzeugen konnte, dass die Beklagte einen etwaigen Vorsatz der Schuldnerin,
mit den angefochtenen Zahlungen ihre übrigen Gläubiger zu benachteiligen,
gekannt habe. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Beklagte die
Zulassung der Revision und mit dieser die Abweisung der Klage.
II.
3
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544
Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des
Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch
der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
4
1. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen eines Anspruchs des
Klägers nach § 133 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO bejaht. Zur Begründung hat es
ausgeführt, die Scheckzahlungen zu Lasten eines Kontos der Schuldnerin stellten gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen der Schuldnerin dar. Die Zahlungen seien mit Benachteiligungsvorsatz erfolgt, weil die Schuldnerin zum Zahlungszeitpunkt - wie sie gewusst habe - zahlungsunfähig gewesen sei. Dies sei
- 4 -
zu vermuten, weil die Schuldnerin im Jahr 2002 ihre Zahlungen eingestellt gehabt habe. Sie habe, wie ihre Mitarbeiterin gegenüber der Beklagten selbst geäußert habe, die damals in Höhe von über 20.000 € rückständigen Steuern
nicht in einer Summe, sondern nur in Raten zahlen können. Für eine Zahlungseinstellung spreche ferner die Tatsache, dass das Finanzamt im Mai 2002 einen weitgehend vergeblichen Vollstreckungsversuch wegen einer Steuerforderung von rund 226.000 € nebst Säumniszuschlägen in Höhe von rund 80.000 €
unternommen habe; die Steuerrückstände gegenüber dem Finanzamt hätten im
Frühjahr 2008 rund 200.000 € betragen zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe
von rund 212.000 €. Hinzu komme das zögerliche Zahlungsverhalten der
Schuldnerin nach der Einigung mit der Beklagten auf die Zahlung monatlicher
Raten ab Januar 2003. Die angefochtenen Zahlungen seien im Übrigen unter
dem Druck von drohenden Vollstreckungsversuchen der Beklagten erbracht
worden. Von dem Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin habe die Beklagte
Kenntnis gehabt.
5
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht unter anderem, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis
zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (st. Rspr., vgl.
BVerfGE 86, 133, 146; BVerfG ZIP 2004, 1762, 1763; BGH, Beschluss vom
27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 300). Erhebliche Beweisanträge
muss das Gericht berücksichtigen, sofern das Prozessrecht dem nicht entgegensteht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 212/07, NJW-RR
2010, 1217 Rn. 10; vom 5. Dezember 2013 - IX ZR 6/13, nv Rn. 8, jeweils
mwN). Diesen Verpflichtungen ist das Berufungsgericht insoweit nicht nachgekommen, als es das von der Beklagten angebotene Sachverständigengutachten zum Beweis der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin nicht eingeholt hat.
- 5 -
6
a) Soll, wie es das Berufungsgericht getan hat, der in § 133 Abs. 1 Satz 1
InsO vorausgesetzte Benachteiligungsvorsatz des Schuldners maßgeblich auf
eine im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen bestehende, dem Schuldner
bekannte Zahlungsunfähigkeit gestützt werden (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom
10. Januar 2013 - IX ZR 13/12, WM 2013, 180 Rn. 14 mwN), muss diese festgestellt werden. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der anfechtende Insolvenzverwalter. Zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit bedarf es im Insolvenzanfechtungsprozess nicht zwingend einer Liquiditätsbilanz, wenn auf andere
Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte. Hat der Schuldner seine
Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gemäß
§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit
(BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 19 f
mwN). Dem Anfechtungsgegner bleibt es unbenommen, der Annahme der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners mit dem Antrag auf Erstellung einer Liquiditätsbilanz durch einen Sachverständigen entgegenzutreten, sei es um die Beweiswirkung der für die Zahlungsunfähigkeit sprechenden Indizien zu erschüttern oder um die Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zu widerlegen (BGH,
Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 20).
7
b) Die Beklagte hat in der Berufungserwiderung für ihre Behauptung, die
Schuldnerin sei weder im Jahr 2002 noch im Jahr 2006 - auch nicht drohend zahlungsunfähig gewesen, Beweis angetreten durch ein vom Gericht einzuholendes Sachverständigengutachten. Gründe des Prozessrechts standen der
Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens nicht entgegen. Insbesondere handelte es sich bei dem Beweisantrag nicht um ein neues, erstmals
im Berufungsverfahren geltend gemachtes Verteidigungsmittel, das nur unter
den besonderen Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zulässig gewesen
- 6 -
wäre. Denn die Beklagte hatte sich bereits in erster Instanz innerhalb einer im
letzten Verhandlungstermin eingeräumten Frist zur Stellungnahme auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Zahlungsfähigkeit der
Schuldnerin berufen.
Kayser
Gehrlein
Grupp
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 11.09.2012 - 1 O 569/11 OLG Koblenz, Entscheidung vom 14.05.2013 - 4 U 1191/12 -